• Zuletzt erwähnte ich wohl den vitaminhaltigen, säuerlich-zitronigen, mit Zucker genossen aber sehr leckeren Sanddorn. Wenn es ein Symbol für die Wesensart der Friesen gibt, repräsentiert dieses stachlige HagebuttenblueteGewächs wohl die Widerstandskraft, das zähe Festhalten an Traditionen und das gewaltsame Abwehren aller Versuche, die Beerenfrucht aus dem Dorn zu puhlen. Gabel mit scharfen Zinken, Messer, Rosenschere - alles versucht, eine spitze Schere, mit der man das krumme Geäst in kurzen, effektiven Vorstößen herausschneidet, hat am ehesten geholfen. Aber während man versucht, die Beerenkolonie aus dem Dornenbett herauszuoperieren, zerquetscht man ein ums andere Mal die Beere selbst und der für das Kochvorhaben ungenutzt blebende Saft spritzt einem ins Gesicht,Silhouette der Hagebutte in die Augen, auf die Klamotten, als würde man von der letztlich doch unterlegenen Pflanze haßerfüllt angespieen! Die Dornen schlitzen nicht nur die Plastiktüten auf, sie bleiben ein gefährlicher Gegner, selbst wenn man nach getaner Arbeit auch nur die Reste beseitigt. "Sanddorn sprach, ich steche dich..." Das Küchenfenster, in dessen Nähe ich schnibbelte, konnte ich nachher dreimal abwienern, und fand immer noch Saftreste. Erst mal eingekocht, mit Orangensaft und Gelierzucker, soll das ein vitaminhaltiges und schmackhaftes Gelee ergeben... mal gespannt! Übrigens war das meiste wegnahe Sanddorngestrüpp schon abgeerntet, und auf den Dünen darf man bei Todesstrafe nicht herumkraxeln. Sonst kommt um Mitternacht der Deichgraf Hauke Haien auf dem Pferdegerippe, die Seegras-Sense drohend erhoben... Wir haben aber immer noch Stellen gefunden, wo sich Beeren üppig knubbelten, und zwar an touristisch besonders stark frequentierten Ecken, z. B. wo der Strand einen angenehmen Treppenzugang hat. Die Fremden trauen sich nämlich nicht an den Sanddorn heran (steht vielleicht auch unter Naturschutz, weiß man's?), wir haben auch erst damit angefangen, als wir eine junge Frau beobachteten, die sich den Fahrradkorb mit Sanddorn füllte. Ich vermute, es sind Einheimische, die den in dieser kargen Landschaft einzigartigen Früchtesegen pflücken und an die Marmeladenfabriken des Emslandes verhökern, wo der Gelee in neckische Souvenir-Gläschen mit Friesensprüchen umgefüllt, auf die Insel zurücktransportiert und dort im Andenkenladen feilgeboten wird. Ein zweites Hauptgewächs auf der Insel ist die ubiquitäre Hagebutte, die wir eigentlich als Marmeladenergänzung auch noch sammeln wollten. Die Komplikationen bei der Saftgewinnung aus dieser Frucht schreckten mich aber von der weiteren Ernte ab, auch hätten die zwei Säckchen wohl nicht genug ergeben, um nennenswert Marmelade draus zu kochen. Das probieren wir mal mit einheimischer Hundsrose aus (bei einer kleinen Fahrradtour ins Rechtsrheinische habe ich schon im September gesehen, wie Anwohner der Flüchtlings-Unterkünfte zwischen Stammheim und Holweide die Früchtchen ernteten). Hagebutte und Sanddorn verleihen den hellgrünen hügeligen Dünen den orangeroten Schimmer. Ansonsten wachsen hier Moose und Flechten in ungeahnter Vielfalt, Gebüsch und Gestrüpp und gelegentlich windschiefe Pappeln und Birken. Gebüsch mit RebhuhnDie Blumenpracht in den Gärten kann sich natürlich mit allen kontinentalen Ansprüchen messen, und wahrscheinlich gedeiht das meiste sogar besser hier, unbelastet von Abgasen und Überdüngung. In den Gärten spazieren in Scharen die Fasanen herum, dieHagebuttensilhouette dort selbst in der Jagdsaison nicht erlegt werden dürfen  - "die wissen das", meinte ein Einheimischer. Zwei Drittel der Insel sind übrigens Naturschutzgebiet und man kann dort zwar gehen, aber es ist teilweise sumpfig, mit Wanderschuhen nicht so angenehm, weshalb wir diese Wanderwege nicht komplett abliefen. Ansonsten ist alles von schönen Wiesenmatten bedeckt, beispielsweise die Trasse der Inselbahn, die vom einstigen Hafen in die Stadt Spiekeroog führte (wir lernten den langjährigen SchGleisbett der Inselbahnaffner auf der Strecke kennen, der gewissermaßen zu meiner Familie gehört, auch wenn wir nicht direkt verwandt sind.) Im Bahnhof ist noch ein Museum für die Inselbahn errichtet. Das Heimatmuseum haben wir auch besichtigt und unter den vielen Ölschinken, Aquarellen und Zeichnungen der Umgebung nach Inseldarstellungen eines Malers gesucht, der aber nicht vertreten war. In dem Heimatmuseum fanden sich allerlei alte Werkzeuge, Ladenschilder, Spinnräder der Nachfahrin des Kölner Bankiers Pferdmenges, der hier ein Landhaus besaß und wohl viel für die Insel getan haben soll, z. B. die Eisenbahn finanziert. Ehrenbürger von Spiekeroog war auch Johannes Rau, den man sogar mal zur Kandidatur als Bürgermeister überreden wollte, und auch Richard von Weizsäcker soll sich hier gelegentlich aufhalten. Für uns der ideale Urlaubsort, wir waren ja auch öfter auf Ischia, immer wenn Angela Merkel dort Entspannung suchte (und in den heißen Quellen der deutsch-italienischen Pension, in der wir dort zu gastieren pflegten, haben auch die hundertjährigen Gliedmaßen Leni Riefenstahls gebadet, igitt - ich fand ihre Signatur in einem Bildband der Gästebibliothek, in dem ich blätterte, als wir auf das Inseltaxi zur Fähre warteten). Übrigens gibt es auch regelrechten Wald auf der Insel und wenn ich mich nicht irre, habe ich Knochenreste eines Bibers gefunden - Unterkiefer mit zwei säbelförmigen Nagezähnen und Watschelfußknochen, wenn das kein Massaker unter mehreren Tierarten war... Aber zur Fauna komme ich in Kürze in der nächsten Folge.


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  • Überreif für die Insel, mieteten wir den teuren "Dauerparkplatz" hinter einer schon zugeparkten Halle in Neuharlingersiel (alle hafenwärts gelegenen Asphaltnischen waren "Tagesparkplätze" und mit der Warnung versehen, sie seien nicht hochwassergesichert) Fähre nach Spiekeroogund nahmen die Fähre, die seit 1979 zwischen Fest- und Flüssigland hin und her webt. Zu Fuß wär's schneller gewesen - dreieinhalb Kilometer waren in gut 45 Minuten bewältigt, plus je 20 Min Zeit zum entern und derbarkieren, alles mit Umsicht und Muße, und ausreichend Rettungsringen an der Reling, falls einen der blanke Hans beim Hemdzipfel packt! Baujahr 1979Denn so harmlos die Untiefen mit ihren vielen Sandbänken voller Vogelmist aussehen, seefahrtstechnisch ist der Pril kein Pappenstiel und zwischen den Wanderdünen muss der Käpt'n wohl ziemlich eiern, um immer eine Handbreit Wasser unter den Kiel zu kriegen. Spiekeroog ist eine autofreie Insel, auf der nur ein paar Elektrotaxis für Behindertentransport und, leider! auch Baufahrzeuge erlaubt sind. Radeln nur auf speziell zugewiesenen Wegen zu bestimmten Zeiten. Daher zieht jeder Ankömmling erstmal seinen Karren selber aus dem Dreck, in den ihn die jeweilige Pension am Hafen bereitgestellt hat. Für die Rollkoffer ist das Kopfsteinpflaster eher ungeeignet, es sei denn, man möchte die Räder gern anschließend von Pferdemist reinigen oder gar neu anmontieren. Aber die Karren sind ganz schön zugkräftig. Übrigens darf man während der Überfahrt seinen Krempel nicht in der Hand halten, wie die Auswanderer in der Unter-Deck-Klasse auf den Übersee-Windjammern, Koffer-Container vor der Fähresondern muss die Gepäckstücke in Container unterbringen, die dann vom Gabelstapelfahrer mit der Stapelgabel einzeln in den Frachtraum gehievt werden - sehr langwieriges Verfahren, aber im Fall einer Massenpanik an Deck möchte ich nicht gern über Rucksäcke, Vogelbauer oder Schrankkoffer klettern müssen. Wir hatten uns natürlich bei einer - unfern der Ausfahrt am "Ostfriesen-Spieß" gelegenen - Aldi-Nord-Filiale für's Wochenende eingedeckt, aber auch der Edeka-Laden mit den inseltyKarrenparade am Hafen von Spiekeroogpischen Phantasiepreisen war noch auf, so dass wir bestens regaliert unsere ersten 72 Stunden aushielten. Was die berühmt-berüchtigten Krabbenbrötchen betrifft, bin ich skeptisch, weil die Tierchen bekanntlich nach dem Fang tiefgefroren, über das Kap der guten Hoffnung nach Südkorea geschleust, um in Polen ausgepuhlt und zurück in Norddeutschland als taufrisch angeboten zu werden (woraus die Brötchen und die Streich-Emulsion bestehen, will ich gar nicht wissen). Aber bei einem Fischrestaurant gab es einen Verkaufsstand, der übrigens bis 21.00 geöffnet hatte (wie es hier auch keine Wochenenden, kein Allerheiligen und kein Reformationsfest gibt - sind halt Inselfriesen). Da haben wir uns ein paar Tage später auch mal ein Seelachsfilet geholt.

    Sonnenuntergang auf SpiekeroogNeun Uhr, da war es natürlich längst finster, aber die Sonnenuntergänge hielten lange vor und mit dem Wetter hatten wir richtig Glück, ein oder zwei Nieselregen, ansonsten alles trocken bis sonnig. Und natürlich galten unsere ersten Ausflüge den Stränden, die pompös breit und jedenfalls abends fast menschenleer sind. Wobei der Anblick speziell von Menschenkindern mich an einen englischen Bekannten erinnert, der direkt am Wasser lebt und beim Spaziergang über Seaside-Promenade erklärte, wie seltsam und des Nachdenkens wert es doch eigentlich sei, daß egal welchen Alters, Fußball am StrandKinder am Strand immer genau wissen, was dort zu tun ist... Natüprlich haben auch Erwachsene ihr festes Programm. Während Franzosen immer mit irgendwelchen Köchern versuchen, Kleintiere zu fangen, oder andere Anlässe suchen, im seichten Wasser herumzuplantschen, absolviert der pflichtbewußte Deutsche sein Schwimmtraining, ersatzweise im Winter seinen Nordic-Walking-Parcours.Nordic Walking am Strand von Spiekeroog Haben wir alles nicht gemacht, wir sind nur von einem Ende der Insel zum anderen im gemächlichen Schlendergang gewandert, kurz vor der Abreise haben wir allerdings auch noch Erntefeldzüge beim Sanddorn unternommen, um (zu Hause) leckere Marmelade aus den sauren Vitamingranaten zu kochen. Das wunderschön gelegene Apartement am äußersten Ortsrand "up de Dünen" war bequem und mit allen Annehmlichkeiten versehen, z. B. einer Packung Sandkekse, die vermutlich von den Vormietern hinterlassen worden war ebenso wie die erkleckliche Anzahl von Kitschromanen, unter denen ich allerdings von Jonathan Safran Foer diesen Shtetl-Seller, Alles erleuchtet ausguckte. (Später stellte sich heraus, dass es eine "Vertrauensbibliothek" in der Kirche gibt, allerdings mit vielem geschmacklosen Kram aus den 1950er-Jahren, und dass auch der Lesesaal im Kurpavillon neben frischen Zeitungen Touristenlektüre zum Entleihen führt) Die Schrägdachfensterluken waren zwar etwas seltsam flach in das Dach eingelassen (zum Durchgucken mußte man sich regelrecht reinzwängen),Kinder am Strand von Spiekeroog aber Verdunkelung war kein Problem und so konnten wir die erste Nacht auf meerumspültem Eiland ruhig und traumlos verbringen.


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  • Wie vorgestern angedeutet, bin ich ein eher gleichgültiger Besucher von Weihnachtsmärkten; kaum, dass ich mal eine Freundin auf einen Nachmittag durch die Buden begleite. Kölner Dom und Eingang zum MarktAußerdem dachte ich, in Köln ginge das Treiben der Händler im und vor dem Tempel so recht erst mit dem ersten Advent los - weit gefehlt, denn auch hier eröffneten letztes Wochenende die Geschäfte, über die Titanic lästerte: "Die Anleger stehen Schlange, um in verkohlte Bratwürste, versalzene Champignonpfannen und verranzte Batiktücher zu investieren. Dabei wird es ihnen nicht gerade leicht gemacht: An den Gebrannte-Mandeln-Buden gibt es so manche harte Nuß zu knacken, und wegen der überhitzten Konjunktur drohen mancherorts Investitionsstaus, besonders bei Crêpes und Gürtelschnallen mit Harley-Davidson-Logo. Gegen Abend geraten die Märkte dann überall ins Trudeln. Denn auch die Verbraucher legen ihre Konsumzurückhaltung ab und machen ihr Erspartes flüssig – erst an den Glühweinständen, anschließend dahinter." - Und nun sehe ich mich zum eigenen Erstaunen schon zum zweiten Mal in diesem Jahr auf einem Weihnachtsmarkt schlendern, in Begleitung meiner Liebsten, die wenig Lust auf Glühwein, aber Appetit auf eine Frittatensuppe verspürte. Kurz zuvor waren wir im Museum Ludwig gewesen, bei einer Führung durch die Ausstellung "Ich und ich und ich". Sie zeigt Fotografien von Picasso (nicht solche, die er geknipst hat - falls er je fotografiert hat, wurde das verschwiegen -, sondern mit ihm als Motiv), und standen noch ganz unter dem betäubenden Eindruck kubistischer Farben und Formen der Picasso-Abteilung, Sternenzelt am Weihnachtsmarktdurch die wir in der letzten Viertelstunde vor Schließung des Museums noch eilen mussten. Komischerweise kann ich nach Picasso keinen Dalì mehr sehen, obwohl er unzweifelhaft ein Genie ist, aber nach Picassos leicht-luftig-spielerisch hingeworfenen Konturen und Gesichtern und Stilleben etc. wirkt die handwerkliche Meisterschaft, ja Exzellenz Dalìs irgendwie kleinlich. Seine Bilder, die ich ohne vorherige Picasso-Sichtung atemberaubend großartig finde, bedrücken den Betrachter durch ideologischen Krampf. Übrigens sind die Fotos, die Picasso zeigen, fast ausschließlich Stand der Anonymen Alkoholiker am Weihnachtsmarktschwarz-weiß und gelegentlich auch ziemlich verkrampft, z. B. waren die Porträts von Man Ray ein durchsichtiger Versuch, aus dem katalonischen Zeichenlehrerssohn den avantgardistischen Heros schlechthin zu stilisieren. Rays Bearbeitungen von Originalfotos sind zu sehen, bei denen der Aschenbecher (den der kettenrauchende Picasso andauernd benötigte) herausgefiltert wurde, und die mit Licht konturierten Seitenprofile des Meisters hätten jeder NS-Illustrierten als Titelbild Ehre gemacht. Wie Bertolt Brecht putzte sich Picasso für jedes Foto eigens heraus, machte Faxen und Grimassen, von beiden gibt es kaum Bilder, auf denen sie "gewöhnlich" oder auch nur wie ganz normale Zeitgenossen aussehen. Bei Picasso sind es übrigens die wenigen Farbbilder aus dem Alter, da wirkten selbst die magischen Maleraugen nicht so schwarzglänzend, die ganze Figur sah ein bißchen aus wie ein (beleibterer) Werner Finckh! Schaute er in die Kamera, war das fast immer eine Session zur Selbstinszenierung. Er liebte die Hüte, die ihm seine Besucher mitbrachten, zB. Gary Coopers Cowboyhut. - Nun wollten wir noch den Film Testament des Orpheus sehen, von Jean Cocteau (der Picasso schon in den zehner-zwanziger Jahren des 20. Jhds. fotografiert hatte), aber der lief erst 19.00 an und uns blieb eine Stunde zum Flanieren. Und da war ich denn doch beeindruckt von dem sternenglänzenden Himmel, der vor dem Museum das Weihnachtsmarktgeschehen und den gesamten Roncalliplatz überwölbt. In Wahrheit ist das Lichterzelt der Petticoat des aus zahlreichen Einzelbäumen getürmten Riesen-Tannenbaums, der in der Mitte steht. In der Mitte eine Bühne, auf der sanfter und gar nicht unebener Jazz geswungen wurde. Ein mächtiger Arc de Triomphe aus LED-Kerzchen am Eingang, verstellt von Rädern, die ja auch irgendwo geparkt werden müssen. Selbst die Buden todschick gestylt, edles Mahagoni, möchte man meinen, und erst das Angebot, da scheint man wohl den gröbsten Kitsch durch gnadenlose AuswahBühne mit Jazzband auf dem Weihnachtsmarktl rausgehalten zu haben. Kunstwerk vor dem Museum LudwigOffenbar hat sich herumgesprochen, dass die vielen Holländer und Engländer, die Köln zum Einkaufsbummel besuchen, doch etwas anspruchsvollere Kunden sind als man früher dachte. Natürlich bot man das übliche Sortiment an: Karten, Kerzen, Kugeln, Mobilés, kunstgepunzte Türschilder mit Namensgravur (bis 20 Buchstaben kostenfrei, würde für unsere beiden Vor- und Nachnamen nie reichen), Nußknacker, Holzfigürchen, Vogelstimmenflöten, Trüffelpralinen, Briefbeschwerer, Tischflammenwerfer als Kaminersatz und jede Menge anderen Plunder, aber alles einigermaßen gute Qualität, wie es schien; selbst das gastronomische Angebot war interessant: Fried Fish (englisch beschildert) wurde aus zertifiziert überfischungs-geschützten Gewässern mit "organic remoulade sauce" angeboten, "in an organic role", aber viel los war nicht an dieser Bio-Theke. Mehr Leute entschieden sich für eine standby-Fondue, die in kleinen Plastikschüsseln im Körbchen serviert wurde. Und am Österreicher-Bergwelt-Stand, wo die Köche und Serviermänner alle komische Wildererhüte trugen (die Frauen waren davon entpflichtet, wie es schien), verzehrte ich einen Germknödel und meine Liebste ihre Suppe. Lustig und eigentlich traurig (wir einigten uns dann auf: "zielgruppengerecht") war der "Aktionspavillon", den sich die Anonymen Alkoholiker neben dem umlagerten Glühweinstand gesichert hatten. Es gab allerdings an manchen Buden alk-freien Autofahrerpunsch, den christmas market addicted teachers beim Klassenausflug den StudierendenPicasso von vorn spendieren könnten. Wir spazierten nach dem Knödel- bzw. Suppenverzehr noch über die Plattform hinter dem Römisch-GePicasso seitlichrmanischen Museum, wo sich schon wieder ein temporäres Kunstwerk breit macht, diesmal ein weißlackierter Pinocchio auf einem hohen Stuhl unter einer periodisch aus- und angehenden weißen Laterne, und was sehe ich, an die Laterne wurde eine Leuchtreklame-Zigarette montiert. Überall ist die Nikotinwerbung verboten, nur nicht in der modernen Kunst und in der französischen Cinéasten-Filmszene. (Auch im "Casablanca", wo ich neulich aufspielen durfte, ist leider noch bis 31. Dezember das Rauchen erlaubt, dann endet die NRW-Toleranz gegenüber fingierten "Raucherclubs".) Denn es war auch bald Zeit, in die ehemalige Cinemathek zu gehen bzw. deren Ausweichquartier, das nach dem frühen Ableben des Leiters der Cinemathek schwuppdiwupp zum Museum Ludwig eingemeindet wurde und heute nur noch künstlerisch hochwertige Filmkunst zu teuren Eintrittspreisen zeigt. Szene aus dem Testament des OrpheusUnd da begegnete uns nicht nur ein sichtlich gealterter, aber immer noch von schönen Jünglingen umgebener (hier: Edouard Dermit) Cocteau, natürlich schwarz-weiß, und dieser, na, wie heißt er noch, der ältere Herr da auf dem Bild, den dritten von links meine ich, der kahlköpfige Renter mit Schwiegersohn und Enkeltochter hinter der lametta-behangenen Absperrung der Weihnachtsmarkt-Arena von Kölle, es will mir nicht einfallen, wem sieht er denn ähnlich, ach ja, hier schaut er einen von vorn an: Paul Ruíz! Andere gute alte Bekannte, die auf der Leinwand erschienen, waren z. B. Yul Brunner, Charles Aznavour, Maria Casarès (bekannt als dunkelhaarige Rivalin der Garence in Kinder des Olymp), Jean Marais (vom Orpheus zum Ödipus gewandelt) und der damals noch im Flegelalter befindliche Jean-Pierre Léaud. Der Film endete dann, indem die Blume, um die es in dem Dialog links im Bild ging, sich rot färbte wie das Blut des von Pallas Athene mit dem Speer rücklings aufgespießten Poeten. Und im Vorspann und Abspann die Lieblingsdroge der Surrealisten, natürlich auch während des Films von Cocteau in 19.-Jhd.-Kluft, von der Casarès weidlich genossen - Zigarettenrauch, in nikotingrauen Schwaden, geisterhaft wolkig aufblühend und ewig wandelbare Figuren bildend, die Picasso mit Licht, Cocteau mit Tafelkreide skizziert haben könnten.


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  • Vor einiger Zeit hatte ich an dieser Stelle, beim Reisspeicher im Kölner Völkerkundemuseum schwörend, prophezeit, eines Tages würden indonesische Studenten der Ethnologie kommen, um unser deutsches Stammesverhalten unter die Lupe zu nehmen. Porte de ParisOffensichtlich ist meine Vorhersage eingetroffen, denn in sog. Tandemprojekten bekommen neuerdings jungen Forscherinnen und Forscher aus ehemaligen Kolonialländern eine Chance, uns die Traurigen Tropen von Claude Lévy-Strauss und Margaret Meads Samoa-Report ("Was würden Sie denn sagen, wenn Ihnen ein Fremder ins Haus schneit und Sie über das Sexualleben Ihrer Kinder ausfragt?") heimzuzahlen.Karussellfigur - Am letzten Wochenende war ich im Ausland, und auch wenn mir die Zeit für eine großangelegte Feldforschung fehlte, will ich doch einige Impressionen aus der Stadt Lille im Norden des erbfeindlichen Frankreich wiedergeben. Erhaben gestimmt, durchschritt ich das imponierende Pariser Tor, das offenbar zu einer Vaubanschen Stadtbefestigung gehörte - statt des Wassergrabens mit Krokodilen oder Piranhas drin findet sich heute ein grünes Zierbeet unterhalb der Pfeiler. An einem offenbar historischen Gebäude Freiheitscafe in Indoch'tinafiel mir das Freimaurerzeichen auf, das über der Tür eingemeißelt stand. Unterhalb des Reiterstandbilds von General Faidherbe finden sich zwei Figuren, eine versinnbildlicht die Stadt Lille, und neben ihr sitzt Clio oder irgendeine andere Geschichtsmuse, der diktiert wird, was mit ehernem Griffel von den Großtaten des Militärs in ihr Buch eingetragen werden soll. Diese schreibende Dame hat man wie zum Hohn mit einer gelben Bierdose gekröntRentier am Karrussell - kein Wunder, dass die Geschichtsmuse den Mächtigen dieser Welt nicht treu bleibt, sondern, sobald sie "nach Diktat verreist" sind, alle ihre Untaten mit ebenso peinlicher Vollständigkeit aufzeichnet. Wer weiß, vielleicht kommt der Trittin mit seiner Einführung des Dosenpfandes im deutschen Nachbarland vor ihrem Richterstuhl gar nicht so schlecht weg... Dann gefiel mir ein (noch geschlossenes) Café am Boulevard de la Liberté, dessen Name die Freiheit der Ch'tis beschwor. Ch'tis nennen sich die Eingeborenen hier selbst (niemand konnte mir bisher erklären, was das Wort eigentlich bedeutet), und es gibt allerlei Humoriges - Aufkleber, Magnethalter, etc. - im Touristeninformationsbüro zu kaufen, das darauf Bezug nimmt (und im Buchladen den Film Bienvenue chez les Ch'tis und seinen Nachfolger, Rien à déclarer jetzt bereits als Comic Strip). Aber ich war die ganze Reise über mit so brillant Hochfranzösisch sprechenden Menschen zusammen, dass ich nichts von dem heftigen Dialekt der Gegend mitgekriegt habe. Erst auf der Rückfahrt begegnete mir ein echter "Ch'ti". Er war nach Berlin unterwegs und ich nahm ihn - Denkmal Faidherbe in Lilleeingedenk eigener Tramper-Erfahrungen, an die ich aus gegebenem Anlass erinnert wurde - von der Raststätte vor Liège mit bis zur Raststätte hinter Aachen. Ein junger Mann von der französisch-belgischen Grenze, Franzose, mit einem unsäglichen Akzent, ohne zwei- bis dreimal Nachfragen verstand ich kein Wort von dem, was er sagte. Er hatte übrigens behauptet, fünf Sprachen zu sprechen: Französisch, Englisch, Portugiesisch, Spanisch, Italienisch (die letzten vier habe er sich "im Internet" beigebracht!), nur mit dem Deutschen hapere es, weshalb er eine Weile in Berlin bleiben wolle. Ich hab ihn nicht auf Italienisch, Portugiesisch etc. getestet, aber beim Französischen muss er wohl nochmal nachfassen. Und nun zu den Sitten und Gebräuchen, soweit ich sie in den zweieinhalb Stunden meines Aufenthalts in Lille beobachten konnte: Erstens fiel mir auf, dass entgegen anderslautenden Meldungen der Beffroi de LilleAltbau in LilleWeihnachtsmarkt längst eröffnet ist (während hierzulande der Budenzauber erst vorbereitet wird). Ich werde demnächst mal eine dieser Postkarten mit Motiv: Apfelbaum nach Nordfrankreich schicken, auf denen steht "Advent ist erst im Dezember". - Zweitens gab es darüber hinaus eine offenbar innenstadtweite Kirmes. Nicht nur das Riesenrad, das Karrussell etc. etc. hatten barocken Anstrich, im Licht des Spätherbstes stand auch das Sonnenhaus; die ganze Altstadt mit ihren Häusern hatte sich festlich in Pastellfarben und Rokoko-Verputz eingekleidet - offenbar will man diesmal beim ordnenden Festkommitee den Titel "begehbarer Adventskalender 2011" abräumen. - Und drittens fiel mir (mal wieder) ins Auge, welch köstliche, augenschmeichelnde Patisserien in den Auslagen der Schaufenster zu bemerken sind, allein vom Ansehen wiegt man gefühlte anderthalb Schokoladenkilo schwerer. Ich weiß schon, weshalb ich kein Riesenrad besteige! Wobei ich allerdings auch den Beffroi nicht besichtigt habe,Turm und Zinnen der morgens noch in geheimnisvollem Nebel glänzte und später in der wunderschönen Sonne eines fast sommerlich anmutenden Novembertags über dem Riesenrad emporragte. Tja, der Ruhm der Stadt Köln reicht zwar bis hierhin - ein Schüler, dem ich meine Herkunft verraten musste, rief sofort begeistert "Schokoladenmuseum" aus (und nicht etwa "4711", oder "Alaaf", geschweige denn "Kölner Dom"). Aber in Köln zehrt man eben von den place Charles de Gaulle in Lillemusealen neiges d'antan, während die hohe Gegenwartskunst der Weihnachts-Feinbäckerei eindeutig in Frankreich ausgeübt wird. Und zwar ganzjährig! -Riesenrad in Lille Auf das Riesenrad, das von unten gesehen eine reine Freude ist, hab ich mich dann doch nicht getraut, es geht mir damit wie mit den Montgolfièren, die ich entzückt betrachte, ob auf alten Stichen an der Wand oder schwebend in den Lüften, mit diesen hübschen goldenen Ornamenten auf Himmelblau: Schönheit des Fortschritts! Aber: Einsteigen möchte ich lieber nicht. - Und auch vor den Patisseriegeschäften blieb es beim Nasenplattdrücken an der Schaufensterscheibe, reingegangen bin ich nicht. Wie eine heitere Passantin sehr treffend bemerkte, belässt man's mit Rücksicht auf die schlanke Linie besser dabei, die Schönheiten zu fotografieren, anstatt sie sich einzuverleibenKonditorei in Lille.Haus am Place Charles de Gaulle in Lille Als ich, es muss um Ostern 1989 gewesen sein, mal auf der Durchreise ins Elsass kam, hatte ich leider keinen Fotoapparat, sonst hätte ich die vielen Pracht-Ostereier in den Patisserien dokumentiert, die mit zuckerfarbenen Dekolorentrikots, pardon, Trikolorendekors, Kuchen und PlätzchenKirmes in Lilleputjakobinerbemützten Osterhasen, baumkuchenähnlichen Obelisken und Miniatur-Guillotinen auf die Jahrhundertfeier der Republikwerdung anspielten. Das glaubt einem hierzulande kein Mensch, und der Konditor, der es wagen würde, den 18. März, den 3. Oktober oder die Unterzeichnung des Grundgesetzes mit schwarz-rot-goldenen Torten zu feiern, dem würde die radikale Antifa aus Berlin wohl die Fenster einschmeißen. Aber vielleicht auch nur, um die Leckerlis umsonst aus den Scherben zu bergen.


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  • Zwar war ich in diesem Jahr mal wieder nicht auf der Buchmesse, mein letztes übersetztes Buch liegt ja auch über fünf Jahre zurück, aber zum bescheidenen Ersatz bin ich am Sonntag mit meiner persönlichen Art-Directorin ins Rechtsrheinische auf die Buchbindermesse gefahren. Im letzten Jahr war sie wegen des Umzugs leider nicht hingekommen. Daß es paper addicts gibt, weiß ich von mir selber, aber so einen Trubel rund ums Material, aus dem die Träume sind, hab ich mich nicht vorstellen können!Gremberger Bahndamm Es fing damit an, dass man in dieser (verhältnismäßig öden) Gegend, in die ein Alexander-von-Humboldt-begeisterter Industrieller eine Arbeitersiedlung setzte (im Geist der Humanität und Volksbildung, natürlich nach Feierabend und ohne vollen Lohnausgleich) und nach dem Namen seines Lieblingsschriftstellers benannt hat, nicht mal einen Parkplatz bekam. Köln gemeindete diese Gegend 1888 ein und ist damit die einzige mir bekannte Stadt mit einem Viertel namens Humboldt (Städte, die so heißen, gibt's in Südamerika, USA und Australien genug, und "zahlreiche Gewerkschaften...erhielten Benennungen nach Humboldt", heißt es in dem Werk "Werk und Weltgeltung", aber damit sind bergrechtliche Kapitalgesellschaften gemeint). Da aber die Fabrik unter dem alten Namen (Klöckner Humboldt Deutz) Papiermesse in Kölnein Milliardengrab geworden ist und inzwischen nur noch Deutz AG heißt, nennt man das Viertel heute Humboldt-Gremberg. Uns fielen jedenfalls am Bahndamm der Lüderichstraße (Lüderich = Bergbaugebiet im Bergischen) die merkwürdigen Kacheln mit Adlern und kölner Wappen auf, Messehalle für Buchbinderoffensichtlich aus Keramik und irgendwann restauriert, aber ihr Geheimnis habe ich noch nicht lüften können, Google weiß auch nicht alles!
    Alles, was über Buchbinderei, Papier, Linnen und Leder Bescheid weiß, hatte sich aber in der winzigen Grundschule versammelt, in der man schon 2,50 Eintritt zahlen musste, um auch nur die heiligen Hallen betreten zu dürfen. Einen Sitzplatz in der Caféteria konnte man damit nicht erkaufen, die war knüppelvoll und blieb es, und die Schulkorridore und Klassenräume wimmelten vor Bücherwürmern. MelkpakboekjeDie Schöpfung aus PapierJeder durfte mal versuchenDiese Buchbinder-Messe ist merkwürdigerweise eine Erfindung der Niederländer und findet jährlich, aber nicht bei denen (klar, die wollen ihr Zeug anderswohin verscherbeln), sondern in Sint Niklaas (Belgien) und eben in Keulen statt. Kaum hatten wir die Kasse passiert, da kriegte meine Begleiterin auch schon so ein merkwürdiges Funkeln in den Augen (wie die Fensterscheiben brennender Irrenhäuser, hätte Arno Schmidt gesagt), und nun wurden Ballen & Auslegeware angefasst und umgelegt und Farbe, Riffelung, Laufrichtung und Einschlüsse begutachtet. Wasserzeichen selber setzenAngeblich hat man in China schon um 1000 v. Chr. Papyrusblätter zu einem Fasergeflecht verarbeitet, 60 v. Chr. gab es dort bereits Papier, und erst 800 Jahre später verrieten chinesische Gefangene das Geheimnis der Herstellung den Arabern. Bis dahin schrieb man jedenfalls im Mittelalter noch auf Kalbeshaut (die gab es hier auch, im ersten Stock). Wie alle Kölner erstmal nur auf Schnäppchen aus, hatten wir Glück: Schon im ersten Stockwerk verscherbelte einer "Restpapier" für 1,- € den Bogen, genau das erwünschte, "rough" und knitterig, mit unordentlichen Einschlüssen und Maserungen. Sonst konnte man hier gut und gerne fünf bis zehn Euro für gute anderthalb Quadratmeter Feinstpapier von köstlichster Glätte - bzw., für Erotomanen, mehr oder minder sanft gerillt, gerauht oder genoppt - ausgeben. Umweltpapier gab es auch, aber nur ganz vereinzelt in einer Ecke, denn die Fabrikation von farbigem oder auch weißem Papier, den Ökos sei's gestanden, ist eine wenig umweltfreundliche Angelegenheit, hat viel mit Chemie und Sauerei zu tun, weil man den Grundstoff (Lumpen, Altpapier) erstmal auflösen und zerstören muss.Anbietung: Kuhmagen! An den Marmorierungen konnte man sich allerdings kaum sattsehen! Die mit dem teuersten Papier, wo wir gern ein Blatt erstanden hätten, war hinterher nicht da, ihr Vertreter wußte nicht Bescheid und der Bogen, den wir wollten, war nur halb so groß, weshalb wir auch nur die Hälfte blechen wollten - da es nicht aufzuklären war, haEnzyklopädisten-Lederben wir Verzicht getan, selber schuld. Wir kauften 2 hübsche Blätter bei Franzosen aus Burgund. Natürlich wurde auch Papier hergestellt (eine ziemlich nasse Angelegenheit). Dass es anderersRochenhäute auf der Buchbindermesseeits Recycling von Müll und insofern doch nicht ohne Öko-Aspekte ist, sah man am nächsten Stand: Ein Asiate bot nicht nur Notizbüchlein & Portemonnaies aus gebrauchten Milchtüten an, der machte auch Papier aus allerlei Müllkram, sehr pittoresk anzuschauen. Erst wusch er die Milchkartons mit Seifenlauge und rubbelte dran, bis das Plastik abging. Dann kam der Papieranteil der Tüten in einen ordinären Mixer, um "Pulpe" zu erzeugen. Die wurde auf so eine Box mit Gitterfenster gelegt (er verkaufte die Kästen nebst Anleitung), nach einer Weile durchgeseiht und "gegautscht", d. h. was oben blieb, auf billigen Spültüchern getrocknet, er legte das Ergebnis dann auch noch in die Mikrowelle (die Holländerin, die dasselbe im Erdgeschoss unter Hinzufügung von Wasserzeichen unternahm, hatte eine Bügel-Plättpresse), um es zur Mitnehmreife zu trocknen. Natürlich wurde auch anderer Stadien der Buchherstellung gedacht - nur das Schreiben war etwas unterrepräsentiertMeßbuchbeschläge mit einem einzigen Kalligraphie-Stand - , beispielsweise gab es einen Experten für Beschläge, wie man sie von alten Meßbüchern kennt (er machte auch Familienwappen und Stammbäume). Es ist wirklich ein besonderer Menschenschlag, der sich hierher verirrt. Es scheint vor allem ein Frauen-Hobby zu sein (obwohl auch der eine oder andere bejahrte Papiermann oder Buchbinder hinter seiner Presse stand und aufpasste, den Graubart nicht einzuklemmen). Ich hörte junge Punkerinnen begeistert über Holzgehalt dieses oder jenes Bogens, über Flexibilität und Leimstärken reden. Bei einem Stand redete ich selbst drauflos und erklärte dem Pfälzer, der da "Beutelbücher" feilbot (wie sie auf mittelalterlichen Altarbildern die Pilger häufig tragen) die Sache mit den Bücherflüchen, dass man früher den "Kettenbüchern" in den Klosterbibliotheken auch gern mal eine Verwünschung einschrieb desjenigen BöseTierhautwichts, der das Buch trotz aller Verbote klaut, statt vor Ort zu lesen. Allerdings ist derjenige mehr zu fürchten, der brav bezahlt, aber das Geld auf verbrecherische Weise erwirbt - cave Magister Tinius! Alles lauschte aufmerksam, ich hatte sofort ein Publikum.
    Die Abteilung "Leder" war so recht etwas für Bucherotomanen, und ich freute mich, daß es nach Diderot benanntes Maroquain und Ziegenleder nach Art von d'Alembert gibt: peau de chagrin des encyclopédistes, das hätte mancher Kleriker des 18. Jahrhunderts gern mal angefasst! Schließlich gab es noch einen Stand, der eine "Anbietung" (nee, nicht "Anbetung der Hirten") vom Kuhmagen und  abgezogenes "Leder" vom Rochen feilbot. BuntbindfädenLetzteres eigne sich nicht so gut zum Buchbinden, belehrte mich eine junge Dame, weil die winzigen irisierenden Schuppen abplatzen, aber ihre Freundin, Goldschmiedin aus Düsseldorf, versicherte, man fertige der treue Hund des Lesebändchenflechtersbrauchbare Armbänder aus diesem Material. Ein paar Stände weiter saß übrigens ein Hund ganz brav unter dem Tisch eines Mannes, der Seidenbänder verkaufte (vielleicht sollen das Lesebändchen werden?), wie mancher Branchenkollege wird schon begehrliche Blicke auf das wirklich schöne Fell des Tiers - im Bild leider etwas verwackelt - geworfen haben. Nach ein, zBuchbindermesse, Workshopangebotwei Stunden verließen wir die Messe mit rollenweise Rohstoff unterm Arm, für Scherenschnitte, versteht sich. Ich habe mir aber auch für 3 € marmorierte Restpapierchen gekauft, die bei entsprechend großem Format für Bucheinbände alter Art geeignet gewesen wären, durch deren tintiges Gewölke ich bisweilen ins Lampenlicht schaue, und die gepünktelten sehen sommersprossig am ganzen Leibe aus, wie Schleien! Vielleicht kann man mal einen Brief auf die Rückseiten schreiben, oder das berühmte Gedicht von Gerhart Hauptmann in Schönschrift: "Ich bin Papier - du bist Papier. Papier - ist zwischen dir und mir. Papier - der Himmel über dir. Die Erde unter dir - Papier. Willst du zu mir und ich zu dir: Hoch ist die Mauer aus Papier! Doch endlich bist du dann bei mir, drückst dein Papier an mein Papier, so ruhen Herz an Herzen wir! Denn auch die Liebe ist Papier, und unser Haß ist auch Papier. Und zweimal zwei ist nicht mehr vier: Ich schwöre dir, es ist Papier!"


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