• Herr W. ca. 52 Jahre, Lebenserwartung laut Bundesdurchschnitt 82 Jahre, erhält ca. 200.000 € p.a. Ehrensold noch für 30 Jahre, macht ca. 6.000.000 €.

    Fordert Herr W. noch eine Aufwandsentschädigung für Sekretariat, PKW, Fahrer und Office von ca. 280.000 € p.a. für 30 Jahre, macht das 8.400.000 € zusätzlich. Frau W. geschätzt 37 Jahre, Lebenserwartung ca. 88 Jahre, erhält eine Witwenrente von 60% des Ehrensoldes, i.e. 120.000 € p.a. für die Zeit nach dem Tode von Herrn W., sagen wir ca. 21 Jahre, macht 2.520.000 €.


    In toto hätte Herr W. 16.920.000 € in ca. 200 Manntagen erwirtschaftet, d.h. er hätte, nach Gesetz, einen Tagessatz von fast 85.000 €!, d.h. vermutlich etwa das 300fache eines Bürgermeisters einer westdeutschen Millionenstadt.

    Obige Rechnung habe ich aus dem Internet gefischt - ich kann ja nicht rechnen. Z. B. sammle ich die Sonder-Euros mit komischen Bildern drauf, manchmal seltene, aus entlegeneren Schengenländern,oder besondere aus naheliegenden, und verschenk sie, wenn mir danach ist oder jemand besonderes InteresseSondereuro an diesem Stück zeigt. Die Griechen hatten mal einen nackten Mann drauf (Diskuswerfer), die Italiener haben immer einen nackten Mann drauf, und dann gibt es so ein Strichmännchen und so weiter. Den Erasmus von Rotterdam aus NL hab ich hier auf diesen Seiten mal vorgestellt. Grade habe ich einen neuen Sonder-Euro bekommen, seltsamseltsam, da steht Bundesrepublik Deutschland und 2000-2012 drauf und ein Globus, aus einem Euro gestaltet, auf dem sich winzige Menschlein jubilierend die Hände reichen, neben ihnen mehrere proppere Häuser, was sag ich, Villen vor grünbelaubten Baumkronen, dazu Windräder neben (Bank)hochhäusern (mit Euro-Denkmal davor, daher als Frankfurt erkennbar), Fabrikschlote dampfen - alles in bester Werkkreis- und FDJ-Ästhetik, der Zirkel, weswegen ich schon dachte, das sei 'ne polemische Alt-DDR-Prägung von irgendwelchen begnadeten Satirikern, entpuppte sich aber bei näherem Hinsehen als Takelage eines Schiffleins. Werde die Münze nachher scannen, falls ich sie bis dahin noch nicht verschenkt habe. 

    Wertschöpfung


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  • Anmarsch zum VeedelszochKundeninformation der KVBZum kleinsten Zoch von Kölle in der Schulze-Delitzsch-Straße sei hier noch ein Link mit Bildergalerie nachgetragen. Für diesen Kleinen Umzug muß die KVB nicht ihren "Zugweg" unterbrechen wie hier die Linie 16, denn er ist nur 12 Minuten lang zu sehen - so oft fahren bei uns die Busse nicht! Wir hatten uns verpflichtet, am (darauffolgenden) Sonntag die traditionellen Kölner Schull- un Veedelszöch zu unterstützen, zumindest die Gruppe No. 13: "Das blaue Wunder von Kölle"- die aus einem Schulprojekt hervorgegangen war, Untertitel:Veedelszoch der da-Vinci-Schule "Blau ist auf jeden Fall grüner als gelb". Was wir beisteuerten, hatte meine Frau eigentlich für unsere Versorgung in den tollen Tagen vorbereitet, nämlich ein paar Liter seMona-Lisa-Kostümgruppelbstgebrauter Erbsensuppe, in die wir dann noch jede Menge Wurst würfelten. Bei dem Schulprojekt drEruocchio im Veedelszochehte sich alles um die Farbe Blau, der Kölner Stadt-Anzeiger berichtete über die wunderschönen Bildideen, blaue Produkte wurden verkauft, die wiederum der Finanzierung des Projekts dienten.  Für den Spaß, im Zug mitzugehen, musste jeder Studierende 5 EUR investieren, Geld, das der Beschaffung von Kostüm und Kamellen diente, über die vom Erlös angeschafften Kisten mit plastikverpackten Popcorn-Portiönchen hinaus hatte der findige Zug-Projektleiter, der zugleich die Schülerband organisiert hat, die auf einem vom Hausmeister gesteuerten Kastenwagen spielte,Chinesische Delegation auch noch Gratis-Quellen für Halsbonbons entdeckt ("die können wir dann nach dem Zug selber brauchen"). In der Zeitung steht dann wohl so eine winzige Notiz, bei den Roten Funken sei am Freitag um zwölf Wurfgut abzuholen, man fährt hin und bekommt sackweise Reklamepröbchen irgendeiner sponsoring-werbenden Markenfirma. Das erzählte mir der Lehrer, während wir die Suppe in mitgebrachtePapp-Dom vom KarnevalszugDom mit Geißbock im Veedelszoch Plastikteller auskellten und die hungrige, seit Stunden im Kalten ausharrende Truppe mit Brot, Servietten und Plastiklöffeln aussstatteten. - Danach packten wir Dampfkochtopf und "Kochkiste" (Styropor-Ummantelung mit herausnehmbarem Kochtopf), mit denen wir die Suppe beim Transport sehr gut warm halten konnten, auf unsere Drahtesel, verketteten die am Chlodwigplatz und sahen uns mal wieder bei der Aufstellung des Zugs um. Dabei hätten wir sogar "Tribünenkarten" haben können, die uns der Initiator der Veedelszochbeteiligung aus lauter Dankbarkeit für den Suppeneinsatz geben wollte, aber den ganzen Tag da herumzuhängen, womöglich die idiotische Lokalzeit-Kommerzkacke und den schwachsinnigen Moderator zu hören, der sich bei seiner kölschsprechenden Partnerin erkundigt, wie man "in den Rhein reinwerfen" auf Kölsch sagt - nee. Letzteres bezog sich übrigen auf das wirklich hübsche Ensemble, das die an der Hohenzollernbrücke klemmenden Vorhängschlösser thematisiert und schon im letzten Zug unterwegs war, ich glaube sogar, im Rosenmontagszug - ein besonders auffallend schön dekorierter Prunkwagen wird vom festordnenden Komitee in der Regel damit prämiiert, dass die armen, hundemüden und durchfrorenen Schul- und Viertelskinder mit ihren erwachsenen Betreuern - viele Liebesschloss als Karnevals-Themapensionierte Lehrer, die nochmal das Saxophon oder den Schellenbaum mitbringen - am Rosenmontagmorgen schon wieder um 6.00 früh auf die Walz gehen müssen, um den ganzen Tag mit den "offiziellen" Funken und PrinzengardenKölner Veedelszoch gegen Atomkraft und Musketieren etcetera herumzumarschieren. Ein zweifelhaftes Vergnügen, das nach meiner Meinung die Mona-Lisa-Kostümgruppe vom  Leonardo-da-Vinci-Gymnasium am meisten verdient hätte, ich musste schallend lachen über den Einfall und vor Bewunderung Bauklötze staunen, wie toll das umgesetzt wurde: Alle Kinder hattenKölschgläser in der Schule einen Mona-Lisa-Rahmen am Kopf befestigt, und das sah wirklich lustig aus, stellt das Thema "wer war Mona Lisa" intelligent zur Schau (auch kleine Jungs steckten hinter den Bilderrahmen) und spielt noch subtil auf die Bilderfälscher-Affaire an, die sich hier in Köln am Kölner Auktionshaus Lempertz bzw. bis November 2011 am Landgericht Köln abgespielt hat. "Wat wollt ihr vom Beltracchi, mir sin die Orijinale!", hätten diese Kinder ihre Gruppe auch betiteln können.

    Die Stimmung in der Zeit zwischen morgendlichem Vorbereiten - Aufbau der Wagen, Eintreffen der Gruppen, Lagebesprechungen, Dicke Bertha-GlockentruppeWarmspielen der Musikanten und Einüben von Tanzschritten bis hin zum eigentlichen Abmarsch um 11.11 Uhr ist voller Spannung und Verheißung. Eine süße Mischung von Vorfreude und wichtigem Ernst, mit dem alle Teams zusammenarbeiten. Einen Superstar würde man hier vergebens suchen, alle müssen sehr diszipliniert sein und sich auf Absprachen verlassen können, wenn das Ergebnis gut sein soll. Da werden Kostüme zurechtgezupft, die ja aufs Haar gleich aussehen sollen, da werden Taschen und Körbe mit dem begehrten Kamellenzeug gefüllt, ich liebe diese Atmosphäre. Veedelszoch der Friedrich Wilhelm-GymnasiastenBei den Schull- und Veedelszöch kommt noch dazu, dass nicht alles so perfekt organisiert ist, dass die Gruppen nicht so hermetisch abgeschlossen sind und nicht misstrauisch geguckt wird, ob man wohl von der Schokolade oder den Blumensträußen vorab was mitgehen lassen will. Übrigens laufen jede Menge "Zugordner" herum, fast für jede Truppe ein bis zwei, und einen hörte ich schimpfen: "Dat hat mit Spaß an d'r Freud nix zu dunn...", der musste bestimmt irgendeinen Karnevalisten zur Schnecke machen, weil er die brandpolizeilichen Konditionen nicht beachtet oder seinen Prunkwagen zu weit in den Bürgersteig hinein geparkt hatte, was weiß ich. Eine Schnecke, gewunden aus Spanholz, hatte übrigens ein Lieferwagen aus dem Quäker-Nachbarschaftsheim auf dem Dach (ich musste eine Weile nachdenken, bis ich merkte, dass es eine Schnecke ist).

    Sterne und SonnenBeim Durchgang durch die Zugaufstellung fiel mir auf, wie der ökologische Gedanke auf vielen dieser Themenwagen im Mittelpunkt steht. Fischesterben im Rhein, von Uran, Giftmüll undRheinverschmutzung als Karnevalsthema anderem Teufelszeug verseuchtes Wasser, eine Schule hat sich ganz der geplanten Einführung von Sonnenkollektoren zugewandt (entsprechende Dächer trugen die Verkleideten MS Colonia und das Fischsterbenals Hüte) und sagt "Atomstrom-nein-danke" ("Fott domet"). Einige gingen direkt als Sonne oder Sterne, und wir erlebten es, dass die heranmarschierenden Sonnen- mitten in die sich mopsenden Sternenkinder hineinliefen, was sich farblich sehr hübsch ausnahm. Das Thema Wasser wurde mehrmals angegangen, auch mit einem Loblied auf die Kölner Brunnen und den Vater Rhein, dessen kleine Gefolgschaft in blau-silbrige Tropfenkostüme gehüllt auftrat. Wie immer verliehen manche auch einfach ihrer patriotischen Emphase für Streichholz-Kostümgruppe im Veedelszochihre Heimatstadt poppigen Ausdruck, indem sie sich als "Dicker Pitter" (die Glocke des Kölner Doms) verkleideten, den Dom mit und ohne Pappnase aus Pappe nachbildeten oder den Dom selber als Jecken verkleideten, neben einem weidenden Geißbock namens Hennes (Wappentier des 1. FC Köln). Aber auch die Bildungsmisere wurde thematisiert, von einer Privatschule "Colonia Agrippina", deren Studierende als Feuerlöscher verkleidet herumliefen und "den Bildungsbrand" löschen wollten, die Finanzkrise ("Eurocchio") lieber spielen als daddelnund daraus folgende Sparmaßnahmen, "da sparste disch kapott", und Kritik an facebook übte die Gemeinschaftsgrundschule Irisweg, indem sie die Kinder als Mensch-ärgere-dich-nicht-Puppen oder Würfel verkleidete ("Echte Fründe spiele zesamme") und dem Computer-Nerd (Brille, häßlich) ein hand volleyballspielendes multikulturelles Duo gegenüberstellte. Alles diese Fußgruppen und Prunkwagen waren farbenreich und mit viel Liebe zum Detail gestaltet. Nur eine einzige, die etwas seltsam auf dem Chlodwigplatz herumtanzte (ein Rollstuhlfahrer war auch dabei), die hatte sich auf Schwarz-Weiß kapriziert, ich nannte sie die "Gruftie-Gruppe", weil mich ihre Deko an mexikanische Allerheiligen-Skelettbilder erinnerte, aber letztendlich dann doch irgendwie avantgardistischer wirkte.

    Bemerkenswert waren, neben der Chinesischen Delegation, die wir gleich zu Beginn anrücken sahen (Köln hat eine Partnerschaft mit Peking Kostümierte Karnevalistenund dieses Jahr ist da irgendein Jubiläum zu bedenken), die vier bis sechs monumentalen Streichhölzer, die wir durch die Straßen wanken sahen, und die wir später bei ihrem Mottowagen (irgendwas mit "Feuer Wagen des Quäker-Nachbarschaftsheimsund Flamme für", auf Kölsch, versteht sich) wiedertrafen. Und ein mir wohlvertrautes rechtsrheinisches Gymnasium hatte, angesichts des Karnevals-Mottos "Jedem Jeck sing Pappnas'", auch den Dichter Hölderlin umstandslos als solchen definiert und ihm diese aufgesetzt. Und dann war da noch die Rentner-Apotheke, die allerlei Süßigkeiten in beschrifteten Medikamentengläsern aufbewahrte und vermutlich ebenfalls ins Publikum warf. (Die "Kamellenschleuder" einer Schülergruppe, von der im Radio erzählt wurde, haben wir übrigens nicht in Aktion gesehen...) Kostümgruppe zum Thema WasserBesonders anrührend war das Motto "mer jonn heim" des Friedrich-Wilhelm-Gymnasiums - ihre Schule wäre um ein Haar ebenfalls in den U-Bahn-Abgrund gekarnevalistisches Hölderlin-Schulplakatrissen worden, ganz hier in der Nähe, als das Kölner Stadtarchiv einstürzte, und sie haben ihren Unterricht an verschiedenen Ausweichplätzen in Köln durchgezogen.

    Wenn ich mir's recht überlege, ist das gar kein Sakrileg, dem Hölderlin eine Pappnase aufzusetzen. Handeln nicht germanistische Doktorarbeiten ständig vom "Dionysischen" bei Hölderlin, Nietzsches und wem nicht alles? und dass der Winter am angenehmsten verlebt wird, wenn man ein bisschen feiert, hat der Dichter selber in einem seiner Wintergedichte anklingen lassen: "Doch glänzend ist der Tag vom hohen Sonnenstrahle / Es glänzt das Fest den Städten aus den Toren."schwarz-weiß-Kostümierung im Karneval Damit kann doch auch die Versammlung kostümierter bunter Schul- und Vereinsbevölkerung vor dem Severinstor am Chlodwiglatz gemeint sein. Jedenfalls blieb die Witterung, anders als angekündigt, während der gesamten Zugstrecke sonnig und einigermaßen trocken, von winzigen Nieselphasen abgesehen, und als man den Hagel hier fallen hörte, waren die Feierlichkeiten längst vorbei und die Protagonisten in der warmen Kneipe.

     


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  • DollarpiratinJa Moment, wat is datt dann? Eine nett kostümierte Piratin mit Dollarzeichen in den Augen, okay. Da werden aufstrebende Politiker aus kleinen, durchaus nicht mehr ganz harmlosen Jung-Parteien durch den Kakao gezogen. Aber neben ihr, der Typ da: Geht da einer als SDS - Sozialistischer deutscher Studentenbund? Passen täte es zum Karneval dieses Jahres, denn "Alle reden vom Wetter. Wir nicht." StraßenschildAber das SDS meint hier ausnahmsweise kein politisches Kürzel, sondern ist die griffige Bezeichnung für die Schultze-Delitzsch-Straße, die in unserer Gegend ein besonders interessantes 'Soziotop' ausmacht. Schon im vorigen Jahr fiel einem hier der kleinste Karnevalszug der Welt auf - der geht nämlich nur die eine, unspektakulär kurze Straße lang. Die hat allerdings einige recht hübsche genossenschaftliche Ein- bis Zweifamilien-Häuser aus der Werkbundepoche, so um 1905 erbaut, und man feiert hier gern zusammen, veranstaltet Kinderflohmärkte und proklamiert im Karneval sogar ein eigenes Prinzenpaar - was die Kölner können, können die Raderthaler schon lange bzw. seit vorigem Jahr auch. In dieser Saison gibt's es ein neues Dreigestirn. Diesmal wurde der Burgherr zum Prinzen gemacht.Imbissbude in Raderthal Der Imbisswirt des "Happy Happi" von der Markusstraße Ecke Schultze-Delitzsch (bzw., weil es für einen Nichtpreußen ja auch schwer auszusprechen ist, Ecke SDS) hatte im letzten Jahr seine Frittenbude, wo er sonst die gestresste Jugend der nahe gelegenen Europaschule verköstigt, zur "Residenz" erklären lassen. Heuer ist er selbst Prinz Maki I., ein echter Grieche mit ungebrochenem Selbstbewußtsein ("Ich bin en Grieche un' dunn nit kriesche", reimte er in seiner ersten Ansprache, wobei kriesche nicht "kriechen" heißt). Leider habe ich den kürzesten Veedelszoch (der sich allerdings mit dem Raderthaler Veedelszug zusammentat, um die Straße abzumarschieren) schon wieder verpasst, weil wir den Karneval bei Schwiegerelterns und Schwägern/innen ebenfalls sehen wollten, da geht der Zug fast zeitgleich und es ist hoch im Norden. Aber bei der Prinzenproklamation in der Schultze-Delitzsch-Straße waren wir dabei, und da wurde nicht nur geredet, sondern auch das Tanzbein geschwungen,Imbiss an der Markusstraße und zwar mit einem zünftigen Sirtaki von Prinz, Bauer und Jungfrau - da paßte der Männertanz natürlich richtig, denn die Jungfrau (in diesem Fall hieß sie Jupp) ist im rheinischen Karnevalsgeschehen traditionell ein Mann. Der Happy-Happi-Imbiss blieb übrigens die ganze Zeit offen, Makis Frau versorgte die Frittenhungrigen, während ihr Mann sich von der erschienenen Weltpresse fotographieren ließ. Schulzestraße würde übrigens ausreichen, der Mann hieß nur Delitzsch, weil er in diesem Ort geboren wurde (als Bürgermeisterssohn) und setzte den Ortsnamen dazu wie Hoffmann von Fallersleben oder der von Loriot erfundene Müller-Lüdenscheid. Schließlich wollte Proklamation des Dreigestirnssich Schultze-Delitzsch von anderen Politikern dieses Namens - er wurde in die Preußische Nationalversammlung gewählt - unterscheiden. Da die meisten Gebäude in unserem Viertel irgendwelchen Genossenschaften gehören, ist es naheliegend, wenigstens eine Straße nach dem Gründer des Genossenschaftswesens zu benennen. Er hat schon in Delitzsch und später in Berlin sein Leben lang Konsum- und Sparvereine und Produktionsgenossenschaften propagiert, ein Versuch, die Versorgungsprobleme angesichts der Massenzuwanderung der land- und mittellosen Arbeiterfamilien zu lösen. Der Gedanke, der dahintersteckte, war "Hilfe zur Selbsthilfe", nicht auf den Staat solle man sich verlassen, sondern eigenständige Vereine gründen, die für ihre Anteilseigner und Einzahler billiger Einkaufen, Häuser bauen oder Spargelder investieren konnten. Ferdinand Lassalle hat ihn wegen seiner Ablehnung der Staatshilfe als "Manchester-Mann" bekämpft, und tatsächlich war HDS sicher kein Sozialist oder Kommunist. Immerhin aber er ein Wirtschaftstheoretiker, der die Probleme ernst nahm,Kleinster Karneval der Welt wie eine Meldung der Neuen Preußischen Zeitung (auch "Kreuzzeitung" genannt, ultra-reaktionäres Monarchistenblatt in Berlin), zeigt (Nr. 55 vom 5. August 1864):Handytelefonieren im Karneval "Herr Schulze-Delitzsch hatte den Handwerkerverein aufgefordert, eine Tabelle der hier üblichen Lohnsätze der Arbeiter und Handwerksgehülfen nach einem bestimmten Schema auszufüllen. Nach den bisher ermittelten Resultaten haben den höchsten Erwerb unter den Arbeitern die Fuhrwerkführer, monatlich 36-44 Thlr., die Steinträger, die nur im Accord arbeiten, 36 Thlr., doch haben sie häufig Nichts zu thun und oft eine Tagesarbeit von 16 Stunden und darüber. Die Berschäftigung und Löhnung der Getreideträger ist zu ungleich, als daß irgend ein auch nur annähernder Satz sich angeben ließe. In den Zuckerfabriken und Färbereien besteht das Abkommen, daß der Arbeiter bei bei 12stündiger Arbeit, die auch Nachts eintreten kann, mit mit 13 Thlr. beginnt und von 2 zu 2 Jahren um 1 Thlr. gesteigert wird bis zur Höhe von 25 Thlrn., welche die sogenannten Meister beziehen. Frauen verdienen in Färbereien, in Kattun- und Tabacksfabriken, wo sie als Wickelmacherinnen arbeiten, zwischen 6 und 10 Thlr., Kinder (14 bis 16 Jahre alt) zwischen 4-6 Thlr., werden aber nur in Kattunfabriken beschäftigt. Sackträger verdienen im Durchschnitt 24 Thlr. Arbeiter bei Mauer- und Zimmerarbeiten, und auch nur im Sommer, 14 Thlr., Cigarrenmacher 12-14 Thler., aber nur im Accord."

    Verkleidet: Neffe und NichteHeimersdorfer VerwandtschaftAber wir wollten ja nicht von der Arbeit reden, sondern vom Gegenteil, vom rheinischen Karneval, der aber, jedenfalls wie ich ihn manchmal erlebe, weniger mit Häme, Humorigkeit und Humtata zu tun hat, sondern - glaubt's mir oder nicht - mit tiefer Melancholie und Trauer um das Vergebliche. Man hört es manchen Liedern an. Aber die Leute singen nicht mehr so viel, im Norden, wo wir den Umzug mit Familienanschluss erlebten, fast gar nicht, meine Schwiegermama sang ein bißchen mir mir, ansonsten plärrten Brings aus dem Lautsprecher und das war's. Der den Lautsprecher in seinen Kofferraum Kostümidee für Tatzengestellt hatte, war übrigens, wie meine Liebste mir sagte, "der Nachbarsjunge", als ich ihn dann sah und grüßte, war er auch schon fast fünfzig wenn nicht drüber! Doch, einmal spielten die Spielmannszüge "wenn dat Trömmelche jeht, dann sinn mer all parat", da sangen ein paar mehr Leute mit. Ansonsten sahen wir hübsch kostümierte Kinder: als Frösche, Tiger, Maikäfer (eine ganze Familie davon), weitere Verkleidungen als Prinzessinnen, Derwische, Schneemann und sogar als Kameramann, wozu aber hauptsächlich nur die vom anderen, in Dresden studierenden Neffen gebastelte Pappkamera herhielt. Cowgirl und RaubkatzenDie haben dann abwechselnd die Eltern und ich getragen, weil der Junge ja schwer an einer Stofftasche mit Süßigkeiten schleppte. Die wurden massenhaft geworfen, - das geht hier anders zu als in Kleve, wo, wie ich grade telefonisch erfuhr, die Kinder an den Türen betteln müssen, hierzulande kommt der Prunkzug vor ihre Haustür und wirft die Goodies massenhaft herunter! (den Kleinsten, wenn sie ganz vorn stehen, stecken die kostümierten Fußtruppen das Zeug gleich in die aufgehaltenen Tüten.)Kleinster Karneval der Welt Und alle Anrainer und Umstehenden bückten sich nach zuckrigen Lutschern, Popcorntüten, Billigschokolade, die im Hals kratzt, nach dicken Kamelle werden geschmissenharten Kaugummis, bunten Billigbonbons, Gummibärchen (ein Neffe ging als blaues Gummibärchen, ich hab das Kostüm aber nicht erkannt) und anderem Kram, einzig eine Schachtel Mon Chérie und ein Lebkuchenherz mit der Aufschrift "Hab dich lieb!" stach aus diesem Pfennigsangebot heraus und waren etwas hochpreisiger und begehrenswerter. Ich knöpfte meinem kamerascheuen Neffen für's Tragen auch noch ein "Strüßjer" ab, das ich meiner Frau schenkte. Ach ja, in der Schulze-Delitzsch-Straße fand ich 2x Glückspfennige, noch bevor der Zug losgegangen war: ein 2-Cent- und ein 1-Cent-Stück! Geld brauchten wir übrigens nicht, da es nichts zu kaufen gab; an Büdchen vor den Türen der SDS hätte man mit Bons Liedtexte in Fotokopie und Kölsch erwerben können, in Heimersdorf hatte jemand Kölsch in Flaschen besorgt, das offenbar neuerdings eine geographische Herkunftsgarantie mit einem Qualitätssiegel besiegelt. An den Kostümen fiel mir ins Auge, dass recht geschickte Kostümschneider nicht nur Raubkatzenfelle nachahmten, sondern auch entsprechende Tatzen aus Handschuhen genäht hatten, die man über das Schuhwerk legen Karnevalskostümekann - richtig gute Idee! Von den Zug-Gruppen waren übrigens die "Verliebt in Kölle" die schönsten, Moderne Bierflaschen-Tüvsiegeldie hatten eine stilisierte goldene Hohenzollernbrücke im Haar und waren über und über mit Pappschlössern behängt, die versuche ich morgen zu fotografieren. Meine Kamellen-Funde hatte ich an die Kinder abgegeben, da ich kein Biertrinker bin, war ich stocknüchtern, eine Käsesuppe verursachte bei mir Magendrücken und Laktose-Unverträglichkeit bei meiner Frau, und hundemüde war ich auch. So war alles in allem unser erster Karnevalstag in diesem Jahr beschaulich, das Vergnügen übersichtlich, das Wetter zwar nicht regnerisch, aber nicht grade warm, aber die Stimmung okay und das Veedel, in dem wir wohnen, auch zur Humba-täterä-Saison richtig angenehm. Im nächsten Jahr aber will ich wirklich den kleinsten Veedelszug in unserem Viertel sehen!


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  • Kalscheurer Weiher im Eis

    Was man hier oben sieht, ist kein Beispiel von "Abstraktem Expressionismus", eher Aktionskunst und objet trouvé in einem - so sah nämlich der Kalscheurer Weiher vorgestern nachmittag aus, als wir drauf herumspaziert sind. Gar nicht so einfach, sich zwischen Eishockeystürmern und Schlidderstunts den Weg zu bahnen. Allerdings haben wir jedesmal, wenn es vernehmlich "knack" unter unseren Schuhen machte, das rettende Ufer gesucht und uns gefreut, wieder festen Boden unter den Füßen zu haben.Eislaufen Links ein Bild von dem Tümpel. Nach Breughels berühmter Schlittschuhparty sieht es zwar nicht aus - wahrscheinlichVogel-Wasserloch waren der Decksteiner Weiher oder der Teich im Volksgarten viel bevölkerter. Aber wir haben einen echten Kiosk, betrieben von der rührigen Bürgerinitiative, in dem man Kaffee und Kakau für einen EUR serviert bekommt. In milderen Monaten kann man da auch Ruderbötchen mieten, darf aber nicht so nah an die Vogelinsel mitten auf der Wasserfläche ran wie jetzt zu Fuß (Verbotsschilder hindern dran). Wir waren mal kurz hinspaziert, denn die Wasservögel waren von mildtätigen Parkschützern und Vogelwarten zwischenzeitlich ausquartiert worden, da nicht mal das Wasserloch mehr geöffnet war. Aber die Vogelinsel ist nicht wirklich interessant, von Gestrüpp überwuchert und erweckt den Eindruck, dass man hier nicht nur in Vogelkacke treten kann, wenn man die Böschung erklimmt. Unser südstädtisches "Alstervergnügen" hielt sich aber insgesamt in Grenzen, auch wenn es immer ein paar Leute am Büdchen (rechts im Bild) gibt, die sich Kuchen, Kaffee oder ein ordinäres Bier bestellen.  Immerhin hat keiner auf der Eisfläche Kastanien auf Öltonnenfeuer gebraten, wie ich das mal auf dem Sund in Stockholm gesehen habe, im Winter Büdchen am Kalscheurer Weiher1999/2000 war das, glaub ich, als ich mit einem Stipendium der Nobelpreisakademie einen Vortrag am slawistischen Institut hielt, für eine Appel & Ei-Miete bei Quäkern wohnte und in müßigen Nebenstunden in Uppsala Briefchen aus dem 19. Jahrhundert las...

    Welche Nachrichten man auch einschalten wollte in den letzten Wochen, "die Kälte" oder wahlweise "der Winter" hatte uns "fest im Griff". Wenn die Kälte Hände hat, hat sie mir vielleicht den einen Handschuh geklaut, den ich seit einer Fahrt nach Bonn und seit dem Bedienen eines Briefmarkenautomaten vermissen musste. Vielleicht zog ich den Handschuh aus, um das eiskalte Geld aus der Tasche zu holen und in den Automaten zu stecken. Einstieg am RheinkaiNatürlich bin ich dreimal zu dem  blöden Briefmarkenautomaten zurückgekehrt, aber nichts zu finden, es war auch schon ein-zwei Tage später. Wir waren auch am Rhein, die Treppenstufen am Kai waren ebenfalls ziemlich zugefroren, der Rhein selber aber fließt normal weiter, weil er vom heruntergespülten Kühlturmwasser unserer lieben stromerzeugenden Kraftwerke genug aufgeheizt wird. HundeschuleNur von älteren Anrheinern oder aus historischen Dokumentationen erfährt man gelegentlich was von treibenden Eisschollen auf dem Fluß, wie wir sie mal vor Jahren in Frankfurt auf der Oder gesehen haben. Da kommen bestimmt auch, von Scholle zu Scholle, blutgierige Wölfe herüber - von Osten, versteht sich! Vor Wölfen muss man sich allerdings im Grüngürtel nicht in Acht nehmen, hier laufen einem höchstens Gebrauchshunde über den Weg, die an drei Tagen in der Woche von einer in der Nähe gelegenen Hundeschule ausgebildet und wahlweise blindentreu oder mannscharf gemacht werden. Vielleicht sollte ich mir einen treuen Bernhardiner aus dem Abiturjahrgang abholen, der mir zur Not den verlorenen Handschuh apportiert. Gegen ein Fäßchen am Halsband mit irgendeiner stärkenden Flüssigkeit drin und entsprechendem Zapfhahn dran hätte ich natürlich auch nichts einzuwenden.

    Auf unseren Spaziergängen sind wir sonntags immer gern auf der Pirsch nach was Süßem, normalerweise liefert das Café Metternich den zweitbesten Käsekuchen, aber neulich wollte ich mal in Bayenthal nachsehen, das ist die Gegend hinter dem Nobelhaufendorf Marienburg mit vielen Jugenddstil-ErbvillenArchitektenhaus in Bayenthal und den noch immer hier ansässigen Konsulaten. Bayenthal ist mehr stadteinwärts gelegen. Hier finden sich viele Architektenbüros, Anwaltskollektive, "Stiftungen" und "Institute" und "Academys" mit formschönen Messingschildern am Portal. Hier sind die seniorengerechten Eigentumswohnungen für den immer noch prallen, aber bescheideneren Geldbeutel. Da muss es doch jede Menge Omis und Opis geben, die Geld genug haben, es in ein Traditionscafé zu tragen. und tatsächlich - von dem Architektenbüro mit dem seltsam in den Altbau hineinplatzierten roten Würfel an liefen uns lauter Menschen mit lila eingeschlagenen Kuchenpaketen entgeTannenbaum mit Styroporschneegen, die aus einem  Café Hirsch in der Goltsteinstraße kamen. Wir gingen in das Café und fanden wirklich einen freien Platz. Kuchen war auch nicht übel, vielleicht nicht ganz so überragend wie der im Metternich, aber ganz passabel. Und es war die Hölle los, vermutlich, weil es in der ganzen Südstadt kein Traditionscafé in dieser Art mehr gibt, in der Severinsstraße sind höchstens noch Bistros, Kölschkneipen, Tapas-Bars und Dönertheken zu finden und allenfalls noch die mit leicht gammeligem Charme und antikem Schulklasseninventar möblierten Alternativschuppen der Grün-Ökos mit Namen wie "Pauls Schwester". Pauls Schwester heißt übrigens nach meinen bisherigen Recherchen Ruth, weshalb sie aber nicht ihren Namen ins Ladenschild setzt, weiß ich nicht, vielleicht hat Paul die Anschubfinanzierung übernommen oder war der Vorbesitzer - und man könnte wirklich mal einen dieser vanilleparfümierten Kaffees oder Aufgüsse mit frischem Ingwer bei Pauls Schwester bestellen, wenn man einen Platz fände oder auch nur drankäme, denn sie unterhält sich wahnsinnig lang über der Kaffeebereitung mit jedem Besucher und ist offenbar erst nach Ablieferung des Gewünschten (nur für Selbstabholer, an der Theke) offen für neue Bestellungen. Kuchentheke Café HirschAber im Café Hirsch, übrigens der einzige mir bekannte Konditor mit angeschlossenem Torten-Taxi (Lieferung innerhalb einer Stunde!) und selbsternannter "Spezialist, wenn es um frische Geburtstagstorte in Herzform" geht, findet man auch nicht leicht einen freien Platz, weshalb sich hier viele den Kuchen von der Theke nach Hause mitnehmen. Aber man wird auch bei Spitzenverkehrszeiten pünktlich bedient. Und was man beim Hirsch noch findet, im Schaufenster nämlich und das offenbar noch seit Weihnachten: einenTannenbaum, der sich von selber von oben bis unten einschneit, zwar nicht mit richtigem Schnee, aber mit Styroporkügelchen, die aus dem Stamm in der Mitte nach oben hervorsprudeln und den Baum wieder und wieder mit Weiß bedecken, wobei die Kügelchen in eine Auffangschale (umgedrehter Schirm) herabperlen, um von dort wohl angesaugt, hydraulisch nach oben befördert und wieder ausgespuckt zu werden. Tauet, Himmel, den Gerechten, Wolken, regnet ihn herab! Sehr originell, besonders um diese Jahreszeit, wo man sowieso dauernd mit spontanem Schneefall mit anschließendem Räumkommando auf dem Viertelkilometer Bürgersteig vor dem Haus rechnet, und bald auch mit Styroporkügelchen, Luftballons und Bonbonpapieren, denn Ende der Woche beginnt das Karnevalstreiben in unserem Städtchen...


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  • Ja, wat es datt dann? Gut, außerhalb Kölns muss man's erklären. Da stelle mer uns janz dumm. Fällt uns Kölnern ja auch sonst nicht schwer. Divertissementchen heißt jene karnevalistische Bühnenkunst, die sich der junge Offenbach angeguckt hat, bevor er mit seinem Bruder (übrigens mit Hilfe von Spenden begeisterter Kölner,Opernvorhang der Stadt Köln die "dat Jaköble" als musikalisches Wunderkind liebten!) nach Paris geschickt wurde, um Cello zu studieren und die Operette zu erfinden. Und wie die städtische Puppenbühne Hänneschen, der Tanz des Funkemariechens, das Zeltlager der Hunnen (und anderer, meist um 1900 von Ethnologen gegründeten Kostümgruppen) sowie das Sitzungswesen bis hin zur Stunksitzung gehört das Divertissementschen zu den Vorvergnügungen der Kölner Karnevalssaison, die sich, was viele nicht wissen, vom 11. im 11. um 11 Uhr 11 bis Fastnachtsdienstag 24.00 erstreckt - zuletzt kommt das Abhängen des Nubbels (mancherorts auch "Peias" genannt),Casting-Show im Kölsche Riviera der vom Giebel über der Kneipe genommen, in einer sonderbaren Schwarzen Messe verbrannt und betrauert wird. Ich bin ja kein geborener Kölner, sondern komme aus Schlesien bzw. bin im Rechtsrheinischen geboren (liegt für hiesige Eingeborene genauso tief im grausen Osten und ebenso verloren), und nehme vom Karneval immer nur in großen Etappen mit, was sich mir anbietet: so habe ich zweimal die Puppensitzung gesehen, fand die knisternde Atmosphäre bei der Aufstellung der Karnevalswagen am Rosenmontag gut (Musikinstrumente auf dem Pflaster abgestellt, kostümierte Funkemarieche laden Bonbonmassen in die Schiffsbäuche, uniformierte Fußtruppen kriegen Suppe aus der Gulaschkanone) und mochte immer die Schull- und Veedelszöch mit ihren kreativ-selbstgebastelten WagenTorte beim Atelierfest (auch wenn selbst der harmlose Kinderkarneval furchtbar repräsentativ geworden ist und inzwischen genauso seine Stars und alternativlinke Stunkfeten zeitigt). Und dieses Jahr war ich - einem gewerkschaftlichen (gut dass meine Liebste noch nicht ausgetreten ist) Kartenkontingent sei Dank -, zum erstenmal beim "Divertissementchen". Erste Überraschung: das Ganze fand im Opernhaus statt, und ich dachte, die residieren doch in der Wolkenburg, einer für Festivitäten mietbaren Prachtresidenz südlich des Neumarkts, weshalb die Spielvereinigung, die aus dem 1842 gegründeten Kölner Männergesangverein e. V. hervorgegangen ist (für den bereits Verdi ein paar Stücke komponiert hat!), sich schon immer "Cäcilia Wolkenburg" nannte, nach der Schutzheiligen für Musik. "Zillche" nennt man wohl auch die Aufführungen hierorts, diesen Begriff habe ich aber erst in einem Prospekt gelesen. Da die Oper in Köln traditionell einen besonders guten Chor hat (Massen von Statisten werden, phantasievoll aufgetakelt und eindrucksvoll gestikulierend, in fast jede Inszenierung eingebaut, das kommt billiger als die teuer einzukaufenden Diven und Solisten),Atelierfest beim Maler Riepenhahn nehme ich an, etliche Mitwirkende - alles Laiendarsteller! - haben diese Bretter schon zuvor betreten. Aber eben nicht alle, und das ist sicher ein Wagnis und aller Ehren wert, wenn man nicht grade beruflich auf ihnen zu stehen gewohnt ist. In der Wolkenburg finden Karnevalssitzungen und Bälle statt, aber mit ihren Singspielen, den "Zillchen" beschlagnahmt der Verein offenbar jedes Frühjahr für ein paar Wochen das Opernhaus, wo infolgedessen Alban Berg, Puccini und Lortzing nix mehr zu kamellen haben. Und jetzt kommt der zweite, unverzichtbare Bestandteil: außer den Sängern des Kölner Männergesangvereins wirken auch noch Balletttänzer (heute mit drei t) mit, die tttraditionell  aus der Belegschaft von Bühnenarbeitern der Stadt Köln rekrutiert werden, weshalb sich dieses besondere Ensemble "Wolkenschieber-Ballett" nennt. Und last but not least braucht man auch noch ein Orchester, das in den Graben passt, in diesem Fall die "Bergischen Symphoniker", die, wenn sie nicht durch Opernmuckenerfahrung ausreichend abgebrüht sind, ihrem Auftritt in dem riesigen Bühnenhaus am Offenbachplatz gewiss auch mit Herzklopfen entgegensehen.

    Erstmal fiel uns auf, dass die Mehrzahl der Gäste ein durchaus ungewohnt-kleinbürgerliches Bild bot. Man war nicht heftig kostümiert, sondern geschmackvoll festlich gekleidet, mit dem einen oder anderen symbolischen Karnevals-Accessoire von der Pappnas bis zum Kapotthut. Und alle waren gleich schon guter Laune, vielleicht war hier und da schon dem Gott Schampus gehuldigt worden. Dann war da ein wirklich hübsches Bühnenbild, dWolkenschieber-Ballerinasas die meiste Zeit über eine Kölner Hotelgastronomie zeigte, die "Kölsche Riviera", direkt am Rhein gelegen, über den später auch allerlei Rheintöchter einschwebten (Ballerinas), mit König Ludwig von Bayern im Schlepp, der sich allerdings nicht im schwanförmigen Nachen, sondern in einem überdimensionalen Quietscheentchen einschiffte. Das wäre doch auch mal was für eine modern aufgefasste Lohengrin-Aufführung! Nun zur Handlung des Divertissementchens. Erstes Bild: In dem Hotel ist das Wahlbüro der deutschlandweit ersten Oberbürgermeisterin (wir schreiben das Jahr 1900 und nur wenige Zerquetschte). Ulla von den Sinnen hat durch Einführung eines "Männertags" am Vorabend ihrer Wahl, mit Freibier bis zum Umsinken, die Wahlbeteiligung auf ein so niedriges Niveau gedrückt (13 %), dass die an die Urne geeilten Suffragetten eine überwältigende Mehrheit ernteten. Nun will Ulla eine Frauenquote einführen und dafür sorgen, dass im Kölner Dreigestirn die "Jungfrau" wirklich von einer Jungfrau gegeben wird (muss man sicher auch erklären: also, Prinz, Bauer und Jungfrau werden im Kölner Karneval traditionell von Männern verkörpert. Und wo wir grade dabei sind, muss noch was erklärt werden, denn ausnahmslos ALLE Rollen im Divertissementchen werden von Männern gespielt, in dem ganzen Ensemble gibt's nur 4 Frauen: einzig und allein Souffleuse, Kostüm- und Maskenbildnerin sowie die Choreografin, die das Ballett mit den Herren der Schöpfung einstudiert!) Weiter geht's im Handlungsstrang: Man beginnt ein Casting, dabei werden von 111 Jungfrauen 108 wieder nach Haus geschickt und die übrigen 3 für nichttauglich erklärt, eine davon ist die Nichte der Oberbürgermeisterin. Jetzt bringt einer aus der Jury, der Kölsch-Professor Jan op de Hippt, das neue Modell des (mit Rockermanieren und Pferdeschwanz den Aktionskünstler HA Schult abkonterfeienden) Malers Cajus Riepenhahn ins Spiel: die Dresdnerin Eleonore Pagensteert, die aber leider nur säggsisch spricht und daher erstmal einen Crash-Kurs in Kölsch absolvieren soll. Cancan der KöniginnenReigen der KöniginnenFolgt natürlich die übliche Henry-Higgins-Pygmaliongeschichte. Natürlich ist Professor Higgins auch hier ein Hagestolz, der es im Eifersuchtsdialog mit dem Maler zuerst weit von sich weist und erst ganz am Schluss merkt, wie er sich in die Schülerin verliebt hat. Auf Eleonore, die sich in Lilly Schmitz umbenennen muss, sind viele scharf, auch der sprachfehlerbehaftete Schuhfabrikant Heinz Harald Herkenrath, der ihr einen Stöckelschuh nach dem anderen und zum Schluss ein paar Hauspantoffeln andienen möchte. Am Schluss versagt sie bei der 2. Strophe eines sonst perfekt einstudierten Karnevalslieds, trotz Hilfe der Professor-Higgins-Mutter und ihrer Freundinnen Finchen Knirps und Walburga Schimmelpfennig. Die OB setzt ihre Nichte durch, die sich dann als schwanger entpuppt, war also nichts mit "Jungfrau"; die Sächsin wird per Akklamation gewählt, dankt aber ab und will abreisen, aber in letzter Sekunde eilt der Kölschprofessor jappend zum Bahnsteig und...

    Lieblingssätze, die in dem Stück fallen: "Wo Jungfrau drop steiht, muss auch Jungfrau drin sinn", "Kann dat dat dann?", "Nett ist die kleine Schwester von doof"; "Sag mal: 'Halleluja - Wellblechteller halten länger" oder der Dialog der Riviera-Wirtin mit einem Gast: "Servieren Sie mir heute mal etwas, was ich noch nie hatte! - Dann würde ich's mal mit Hirn probieren", und noch einige andere. Bühnenbild: Botanischer GartenEin paar aktuelle Anspielungen auf den Streit des (gegenwärtigen, ziemlich männlichen) Oberbürgermeisters mit dem Opernmeisterbürger, der sich wegen der Etatkürzungspläne krank gemeldet hat, blitzten auch noch auf. Alles, alles gespielt von Männern, die kräftig singen und beim Cancan reichlich Bein zeigen müssen. Der Rest ist eine Abfolge von Kostüm-, Chor- und Ballettorgien: Nacheinander kommen ein Atelierfest mit der aus einer Torte springenden Eleonore (dazu das Ballett der "Tortenheber aus Nippes"), die nicht nur "Happy Birthday, Mistah President" ins Mikrophon haucht, sondern zugleich das sich im Aufwind aus dem Tortenausstieg nach oben bauschende Plisseeröcklein lotrecht nach unten halten muss, damit der Marylin-Monroe-Auftritt nun wirklich von jedem verstanden wird; eine bajuwarische Einwanderungs-Szene Bayern-Ballett und Ludwig II.(Reisende im Hotel) mit Schnadahüpfln, Schuhplattler, Jodeln; eine Modenschau mit Gastauftritt von "Karl Laberfeld" in der Flora (wo Kornelia im Juli ihre Scherenschnitte ausstellt) - noch ein tolles Bühnenbild! - , eine Pressekonferenz und ein Festbankett der Frauenhilfe e. V. mit Vorstellung der Dreigestirn-Kandidatin, dazu Zwischenakte mit Krätzchensängern (wat en Krätzchen is, dat krieje mer später). Die Musik ist eine Abfolge parodistisch interpretierter Opern-, Operetten-, Walzer- und Schlagermelodien. Beim Bayern-Chor werden die hochdeutschen oder bayrischen Texte übrigens mit dem Untertitel-Leuchtschrift-Generator, der sonst für das Verständlichmachen italienischer Opernlibretti gedacht ist, ins Kölsche übersetzt! Das Wagnerlibretto vom Lohengrin wurde dementsprechend umgedichtet und endet in der uralten Beschwörung des Kölschen Boor und seiner reichsunmittelbaren Rechtsstellung, an der er gefälligst festhalten soll, "et fall süß öv soor", ob's ihm schwer oder leicht fällt.

    "Seht! Seht! Welch ein seltsam Wunder! Wie? Ein Schwan?
    Ein Schwan zieht einen Nachen dort heran! Ludwig II. als Lohengrin
    Ein Ritter drin hoch aufgerichtet steht!
    Wie glänzt sein Waffenschmuck! Das Aug' vergeht
    vor solchem Glanz! Seht, näher kommt er schon heran!
    An einer goldnen Kette zieht der Schwan!"

    "Wä kütt dann do?
    Dä kom doch fröher met enem Schwan.
    Et stemp, dat dä als lang nit mieh kann.
    Heil Ludwig, König, herzlich sei gegrüßt!
    Bleib unser Sonnenkönig, auch wenn's gießt!
    [...] Och mir han jedes Johr ne neue Prinz.
    En Kölle!
    Dä heiß bei uns dann: Tollität!
    Nit nur en Düx. Nä, och en Neppes!
    Frei es uns Stadt un soll et sin en alle
    Iewigkeit. Su soll et sin in Iewigkeit
    Halt fass, halt fass, hat fass am Rich,
    do kölsche Boor!"

    Für die Kölner war der Kaiser eben immer weit weg. Und weil Köln nie erobert worden ist, lässt es seine Stadtfreiheit im Bild der "Jungfrau" Colonia Jahr für Jahr feiern. Warum aber die regierende Jungfrau wie Prinz und Bauer ein Mann ist? Im organisierten Karneval der Stadt Beuel wurde schon 1824 (!) ein Damenkomitée gegründet, und ein Aufstand der Beueler Waschweiber soll zur Einführung des Feiertags "Wieverfastelovend" (Weiberfastnacht) geführt haben. Das Kölner Tanzmariechen ist hingegen eine Erfindung der Nazis, die 1938 und 1939 auch eine weibliche Jungfrau ins Dreigestirn abkommandierten. Denen war die transgenderöse Machtübernahme (immerhin erhält das Dreigestirn um 11.11 an Weiberfastnacht die Stadtschlüssel!) wohl verdächtig. Trotzdem, Köln ist weiblich wie das rheinische Matriarchat, schließlich heißt die Stadt ja eigentlich "Altar der Agrippina". Colonia - Soldatenkolonie - ist bloß ihre Funktion gewesen. Und wahrscheinlich haben schon die Soldaten bei ihren Saturnalien unter Verzicht auf weibliche Rollenbesetzungen tanzen müssen. Daher gibt es heute das Wolkenschieberballett und die Cäcilia Wolkenburg...

     


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