• In Busch und Bausch und Rautenstrauch

    update:
    Und kaum ist das Museums-Quartier am Neumarkt schlappe vierzehn Tage auf, werden in ganz Köln die lt Eintrittspreise erhöht, um 17 %. Aber die Angaben unten sind schon im Voraus korrigiert und scheinen zu stimmen. Der Pleitegeier wird mal wieder gerupft wg. schönere Federn für den Häuptlingsschmuck, oder?

    Ein weiteres schönstes Ferienerlebnis war am vergangenen Samstag die Eröffnung des Rautenstrauch-Joest-Museums, das zugleich mit dem umgebauten Schnütgen-Museum (oder, wie es sich neuerdings zur vermeintlichen "Internationalisierung" des Namens nennt, Museum Schnütgen - ihr wisst schon: Musée d'Orsay, Musée de Cluny, Museum of Modern Art in New York...!) nach einer exclusiven Promi-Party (vom Catering standen auf Bistro-Tischen noch halbleere Burgunderpullen herum, in der Garderobe "Brotschüsseln" mit Löffel, die ursprünglich Eintopf enthalten hatten) nun auch dem Normalverbraucherpöbel zugänglich wurde. Wir gönnten uns das, Korridor mit Teppichfliesennachdem wir renoviertechnisch wieder auf den Boden der Tatsachen zurückgekehrt waren: Der Boden besteht aus holländischem Nadelfilz und ist blau. In dem von mir übersetzten Buch von E. Todd Williams: Der kluge Hausmann heißt es zwar: "Teppichfliesen sind eine tolle Sache, wenn man zufällig im Pentagon wohnt. Sie benötigen ein Fundament aus gegossenem Beton und einen Stab von rund dreißig Personen, um flach zu bleiben. Ferner weitere dreißig, um die vergammelten zu ersetzen. Und wieder dreißig Mann, um die neuen sechs Jahre alt wie die anderen aussehen zu lassen..." Wer nicht "über eine abgewirtschaftete, von schwachköpfigen Steuerzahlern bevölkerte Supermacht verfügt", solle "Teppichfliesen den ganz großen Tieren überlassen" - trotzdem trauen wir uns da heran. - Das Rautenstrauch-Joest-Museum bevorzugt Klicklaminat; es basiert auf der Sammlung des Völkerkundlers Wilhelm Joest, die seine Schwester Adele Rautenstrauch 1905 der Stadt Köln geschenkt hat, und wurde vorerst nicht auf Neusprech umgestellt. Vielleicht, weil es nach dem Zweiten Weltkrieg jahrzehntelang sein Quartier am Ubierring mit den Kammerspielen des Schauspielhauses teilen, und auch der immer wieder versprochene Neubau 15 Jahre auf seine Realisierung warten musste: vier Kölner Oberbürgermeister, vier Kulturdezernenten und fünf Ministerpräsidenten waren mit dem Vorhaben beschäftigt.Eröffnung Rautenstrauch-Joest-Museum Im Schatten, in dem es bislang sein Dasein fristete, wurde es zwar nicht in "Museum Rautenstrauch-Joest" umbenannt (mir schwant allerdings schon, dass man versuchen will, ihm das Kürzel "RJM" zu verpassen, das schon mancherorts auftaucht), ist aber von einem Völkerkundemuseum zu einem Museum der "Kulturen der Welt" herangeblüht. Da der Eintritt an den ersten beiden Tagen nichts kostete, war mit entsprechendem Andrang zu rechnen. Mehr als 4.000 Personen auf einmal dürften sich laut Risikoanalysen der Brandschutzsachverständigen nicht im Gebäude aufhalten, und tatsächlich wurde noch am selben Tag mehrmals die Bude dicht gemacht - memento Duisburg. Aber wir waren so früh wie möglich vorgefahren, pünktlich zur Öffnungszeit (siehe Foto, das ist keine ALDI-Filiale in der Woche der billigen Heimcomputer-Angebote), so dass wir uns, nachdem wir die Eingang gestürmt hatten, für ein bis zwei Stündchen einigermaßen geruhsam umblicken konnten.

    Als vom Neubau die zur Stadtbücherei gelegene Wand hochgezogen war, dachte man gleich an das Rathaus von Schilda, wo die Bürger vergessen hatten, Fenster einzubauen und einer mit dem Sack losgeschickt wurde, um Licht hereinzuschaffen. Reisspeicher aus SulawesiAuf der anderen Seite sieht es nicht viel besser aus; das Haus hat praktisch keine Fenster, nur zum Eingang hin eine Glasfront (auf einem speziellen Aussichtsbalkon auf der 2. Etage kann man sich mit Blick auf den Berufsverkehr in der Cäcilienstraße von den exotisch-ruralen Drittweltkulturen erholen). Tatsächlich brauchte man ein Foyer von der Größe eines Flugzeug-Hangars, um das Lieblingsobjekt der Co-Direktorin, den pittoresken Reisspeicher aus Sulawesi unterzubringen. Er soll der Hingucker des Museums sein, nimmt die Aussicht auf den Lichthof und fast zwei Stockwerke ein. Hoffentlich werfen nicht allzu viele Kölner Kleingeld vom Treppenhaus aufs Strohdach, falls sich herumsprechen sollte, dass das Glück bringt. Bei dem hierorts üblichen "magischen Denken" entwickeln sich unversehens die sonderbarsten Rituale, für die sich ja mal die indonesischen Ethnologen von der Universität in Jakarta interessieren könnten. Zweifelhaft bleibt, ob die Einwohner von Sulawesi willens wären, rund um ein niederrheinisches Getreidesilo oder eine Kartoffelmiete ein fensterloses Museum der Volkskulturen Europas zu errichten... Leider ist der Speicher für's Publikum nicht begehbar, man sollte wenigstens die IKEA-Kinderaufbewahrstätte mit einer Kopie dieser Trutzburg ausstatten.

    Jutta Engelhard, die Stellvertretende Direktorin, ist auch für die Neukonzeption zuständig, die jetzt nicht mehr völkerkundemäßig nach Kontinenten gliedert (wie etwa das Ledermuseum in Offenbach, das ich 2008 besichtigt habe), sowas gilt heuer als verstaubt und altmodisch,Indianerzelt im Versailles-Ambiente sondern "große Themen" (Orientierungsplan) präsentiert wie  "Macht", "Rituale", "Magie", "Wohnen", drunter geht's heut nicht. Das fängt bereits im ersten Stock an, wo inmitten der rokoko-nachempfundenen Schleiflack-Möbel auf Holzdielen das Zelt des Häuptlings der Schwarzfuß-Indianer aufgestellt ist und die Mokassins der kleinen Indianerbabys sooo niedlich neben denen des Häuptlings in der Vitrine stehen. Natürlich sind auch Vitrinen verstaubt (nicht grade heute, am Eröffnungstag, versteht sich, aber in ein paar Monaten schon), es gilt vielmehr, jede Menge interaktive Bildschirme aufzustellen, die auf Screentouch reagieren, indem sie wikipedia-ähnliche Allerweltsweisheiten ausspucken. Man sieht dazu in der Vitrine eine Maske, dahinter läuft überlebensgroß und verschwommen ein powerpoint-Film, wo kostümierte 

    Rautenstrauch-Joest interaktivMexiko-SensenmannHindu-Tiergötter

    Schwarzafrikaner mit der Maske herumtanzen, und auf die Wand wird noch ein weiteres, schärfer eingestelltes Filmbild mit einem anderen Tanz projiziert, das allerdings unaufhörlich von links nach rechts und rechts nach links wandert, damit man nicht zu lange davor steht und auch andere mal draufschauen können. Überdies stellt man mitten ins Versailles-Ambiente (das soll wohl an den feudalen Ursprung des Kolonialismus erinnern?) einen digitalen Weltkonferenztisch, auf dem ein weißer Globus mit der Aufschrift "Globalisierung" steht, und wo man Schubladen aufzieht, in denen z. B. T-Shirts unter Glas liegen, und wenn man drauftippt, erscheint eine Statistik zum Kleiderexport auf der Tischfläche. Und das alles mit Balinesische GottheitenHintergrund-Sound, Zwitschern und Quasseln vom Endlosfilm und unaufhörlicher Trommelmusik, als hätten sie die sonst üblichen Kopfhörer-Führungen alle auf Lautsprecher umgestellt. Unten war dazu noch live-Party, wo das "afrikanische Kollektiv Mama Afrika" vor sitzendem (!) Publikum spielte, nachmittags kamen "Klangimpressionen" von Markus Stockhausen und eine Bollywood-Performance hinzu, abends der leider unvermeidliche Wolfgang Niedecken und der noch unvermeidlichere Martin Stankowski als Talk-Duo zum Thema: "Kölsche, historische Perspektiven zum neuen Rautenstrauch-Joest-Museum".

    Natürlich gibt es hier tolle Exponate, darunter vieles, was ich noch nicht aus dem alten Museum kenne. Aber die überdimensionierten Themenschwerpunkte (wie will man "die" Religion oder "den" Tod in allen Weltkulturen angemessen "präsentieren"?) führen im Verbund mit dem medialen Schnickschnack zur Reizüberflutung, alles wirkt wie die Abteilung Oberbekleidung der Kaufhof-Galeria beim Winterschlussverkauf. Shiva und sein PhallusDas macht sich speziell beim Lemma "Religion" störend bemerkbar. Ein Karneval aus bunten Skulpturen und Altären und Heiligtümchen - vielarmige Tiergötter neben Buddha-Figuren, Shivas Riesenphallus, der sich auch am Strand von Dangast behaupten könnte, Tempeltänzerinnen aus Kambodscha, balinesische Dämonen, ist halt alles irgendwie Übersee, nicht wahr? -, Buddha Amithabaeine Ratatouille mit viel Curry, Knoblauch und sauer-scharf-Soße, ohne zwischen den Erlösungskonzepten und Kosmologien, die doch erheblich voneinander abweichen, zu differenzieren. Eine der Unsterblichen, barbusig und würdevoll, konnte man wohl nicht identifizieren, es steht "unbekannte Gottheit" dran und wäre ich plus pieux, würde ich sie, wie einst die Römer, in ihrer gelassenen Distanz als dea abscondita verehren. unbekannte GöttinSchöne bunte Globalisierungswelt, dieser Eindruck bleibt haften, alles ein Bausch und ein Bogen. Vielleicht widme ich mich künftig wieder mehr dem Zen und der Kunst des Bogenmachens (und mache einen Bogen um das Museums-Archipel) - dem Buddha Amithaba aus Japan ist der ganze Trubel völlig wurscht, der sitzt mittendrin wie Archimedes ("störe meine Kreise nicht") und meditiert weiter. Oder soll man sich im Raum der "Rituale" ein schönes Hochzeitsritual aussuchen und ihn mit der unbekannten Göttin verpartnern? Überhaupt, wo bleiben grenzüberschreitend-interkulturelle Phänomene, die weniger spektakulär sind, wie "Bundeswehr-Komasaufen", "Schwulenehen", "Bußopfer für Verkehrssünder", "Vereinswesen"?

    Das synästhetische Tohuwabohu ließe sich ausstellungstechnisch wohl vermeiden - durch diskretere Lichtregie, vernünftige Trennwände, leisere "Medien" und detailliertere Beschriftungen. Als man noch durch die Museen flanierte und nicht dem vorgeschriebenen sens de la visite folgend, mit Kopfhörern von einer "Hörstation" zur nächsten eilte, waren Tafeln oder Beschriftungen auch ein Anlass, innezuhalten. Hier dachte man sich, um die Sphäre der Religion vom Totenkult abzugrenzen (wieso eigentlich?) Rautenstrauch-Joest-Vitrine ein Vorhang-Labyrinth aus - ja, genau wie damals in der WG, als  es schick wurde, Türen auszuhängen und sich Kettenvorhänge aus Makkaroni zu basteln, die dann mit Silberlack besprayt wurden. In dem Gewirr dieser Vorhänge stolpert man unversehens über zwei von diesen schneeweißen, kalbsledernen Sofas, auf denen ich so gern (gekochte) Nudeln mit Tomatensoße und Rotwein verkleckere. Und wenn mal ein Fetisch nicht ganz jugendfrei ist, hängt so ein Vorhang vor der Vitrine und will gelüpft werden wie der Schleier am Bildnis der Isis zu Sais. Wer sich nach solchen EnthüllungenMuseum Schnütgen auf die Werte des christlichen Abendlands besinnen will, werfe unbedingt noch einen Blick ins benachbarte Schnütgen-Museum oder nein, "Museum Schnütgen". Das Schönste daran ist, dass es die Kirchenkunst, die Alexander Schnütgen angesammelt hatte, auch in einem (ehemaligen) Kirchenraum ausstellt. Als Kind mochte ich den Geruch nach altem Stein und die bunten Glasfenster, deren Originale hier beleuchtet zu sehen sind (man hat sie aus konservatorischen Gründen in den meisten Kölner Kirchen durch Repliken ersetzt). Empfehlenswert ist das "Archivzimmer" des Domvikars Schnütgen, da darf man auch Schubladen aufziehen - in denen finden sich aber keine Globalisierungssymbole, sondern Zeugnisse der Volksfrömmigkeit, vom Schluckbildchen über liturgische Kelchgläser, illuminierte mittelalterliche Handschriften und Siegel bis hin zum Reliquienschmuck. Man darf aber nur unter Aufsicht indischer oder afrikanischer Security-Leute dran - sie sind auch nebenan im Haus ihrer Heimatkulturen tätig und scheuchen Besucher, die sich auf der Suche nach den Klos (sie sind im Keller) verirren, aus verbotenen Zonen wie dem hinteren Treppenhaus (Lernspiel zum Thema Tabu). In ihren Phantasieuniformen ähneln sie der Leibgarde des Roi Christophe und passen auf, dass man die Schubladen im Schnütgen-Archivzimmer nicht zuknallt (wobei Gläser zerbrechen könnten). Der Eintritt - natürlich nicht am Eröffnungstag - kostet einen Euro weniger als im "RJM" (Kombitickets gibt's auch), und von der Weltkultur des Mittelalters, die ja noch allerorten in Europa lebendig ist, hat man wenigstens schon einen blassen Schimmer.

    Ich fürchte aber fast, die Kaufhausramsch-Ästhetik mit der Themenabend-Sortierung wird mit der Zeit auch hierhin überlappen, schon hat man sämtliche "Madonnen mit Kind" in einer besonderen Ecke gruppiert (sieht ein bisschen aus, als wäre hier die IKEA-Kinderverwahrstelle!), was nur Kunsthistorikern Freude macht, die eh schon alle Stile unterscheiden können. Anstatt Besuchern aus bildungsferneren Milieus wenigstens behutsam eine Vorstellung vom Kontext zu geben: Romanik, Gotik, Parler-Werkstatt, Renaissance, Barock... Hier und in der vorschnell abgerissenen Kunsthalle (das traurig-berühmte "Kölner Loch") hat es in den siebziger, achtziger Jahren großartige, historisch anspruchsvolle Ausstellungen gegeben (unter wenig medienkompatiblen Titeln wie Monumenta Annonis, Ornamenta Ecclesiae, Die Parler), mit den damals noch verhältnismäßig billigen Katalogen voller herrlicher Abbildungen und satt angereichert mit Aufsätzen, in denen ganze Epochen fundiert dargestellt wurden. Das war für mich Kölns museale Glanzzeit (und in die Dauerausstellungen Kölner Museen kam man mit Schülerausweis dienstags, mittwochs und donnerstags ganz umsonst rein). Wird man künftig, zur Weihnachtsmarktzeit, die Kulturgeschichte des Krippenbilds nach Öchslein und Eslein getrennt zeigen? Wehret den Anfängen, kann ich da nur sagen!


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  • Commentaires

    1
    karinkornelia Profil de karinkornelia
    Jeudi 28 Octobre 2010 à 23:01

    Das sieht doch schon ziemlich gemütlich aus, jetzt können die Bücher kommen, oder? Übrigens kann man einzelne Teppichfliesen auch ersetzen durch völlig andere Farben und Muster, das gibt dem ganzen einen künstlerischen Touch.

    2
    karinkornelia Profil de karinkornelia
    Vendredi 29 Octobre 2010 à 14:47

    Sehr gut beobachtet, diese tollen neuen Trends versauen nicht nur die Museen, sondern auch die Schulen. Aber das ist ein zu weites Feld.
    In Museen geht es mir oft so, dass ich verzweifelt suche, wo denn der Eingansflur endlich endet und das Museum anfängt, bis ich merke, dass der Flur das Museum ist. Nur eins kriegen sie fast nie hin, die Toiletten in das Große Ganze zu integrieren. IKEA hat das besser drauf!



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