• Andreas Staier beim Musizieren zuzusehen, ist ein Vergnügen, für das man manches andere, vermeintlich vordringliche Pflichten aufschieben sollte. Gestern in der Kölner Philharmonie war es mal wieder so weit. Alles an dem Auftritt signalisiert in stiller Helvetica auf grauem Grund: Nur keinen Rummel um meine Person. Erst einmal sieht man überhaupt nur Staiers Instrument, ein wohltemperiertes Hammerklavier. schmetterling auf der mainauEigentlich kenne ich den Künstler ja vom Cembalo her, dessen hartklöppelndes Gepingel im Musikinstrumentemuseum er bei einer Preisverleihung, der ich (freilich von einer anderen Jury) beiwohnte, so wunderbar schmelzen ließ, dass ich eine doppelsaitige Laute oder die Tischgitarre von John Renbourn zu hören glaubte. Jetzt steht also diese klassizistische Kiste mit dorischen Säulenbeinchen auf der Bühne, die eigentlich ein kreisrunder ebener Platz und sonst völlig kahl ist: keine Blumenarrangements, keine WDR-Mikrophone, kein sonstiger Schnickschnack, übrigens auch keine glutäugige Notenumwenderin, und überhaupt: NOTEN, zusammencollagierte Hefte auf dem Ständer - d. h. also ernsthafte Arbeit am Text bzw. der Partitur, kein "kann ich auswendig"-Virtuosenzirkus (knallhart wie im Brutalo-Western, wie? ein Mann allein und sein Klavier, beim Köln-typischen Zugabewettklatschen am Schluss kriegte er natürlich den obligaten Strauß mit Mädchengemüse und wußte gar nicht, wohin damit, vermutlich kriegt ihn die Garderobiere). Dann kommt er auf die Bühne, grau gekleidet (erinnert an Laborkittel) und straffen Schritts, leicht gebeugten Nackens, Brille Marke Kassengestell, und nicht mal eine Locke könnte er der still aufseufzenden Klavierschülerinnenschar im Parterre zum Andenken zuwerfen. Dann legt er los - Bach mit Schumann abwechselnd, dessen Abegg-Variationen und Fantasiestücke mit jenes Präludien und Fugen aus dem Wohltemperierten Klavier. Cool wie einst Paco de Lucia arbeitet er das Programm ab, schaut beim Applausnehmen sachlich-schüchtern hoch, vergisst auch die andere Seite der Rotunde in seinem Rücken nicht schmetterling auf der mainau, gelb(wir hatten einen erstklassigen Blick, besseres Schussfeld auf den Pianisten als der liberale Bundesminister des Inneren a. D., der mit seiner Ehefrau eine Reihe vor uns, aber am östlichen Ende saß), verbeugt sich knapp und geht energisch ab. Eine (1) Zugabe, noch einmal Bach, weil sich Schumann eben verschiedentlich auf das Wohltemperierte Klavier bezogen habe, deshalb überhaupt die ganze Zusammenstellung, und jetzt die Fuge in f-Moll, das sind die einzigen Worte, die man an diesem Abend von ihm hört. Er zieht nicht die Töne mit magischen Fingern aus dem Elfenbein, grabbelt sich auch nicht genießerisch hinein in die Unterwäsche der Tastatur, sondern hat einen knappen, handwerklichen Anschlag. Andreas Staier zuzuhören, das ist kein Gefühlskitsch-Getändel, das ist wie eine Vivisektion am lebenden Objekt, wir Wohltemperenzler sehen dem Forscher bei der Untersuchung der Schumann- bzw. Bachschen Kompositionen zu, die er fachmännisch in Einzelteile zerlegt und aufs perfekteste neu zusammensetzt, aber so, dass es fraglich wird, ob man sie je gehört hat,peter_lenk_brunnen egal wie vertraut sie einem sind. Gut, er leistet sich auch mal einen amüsant-parodistischen Ausritt wie im Schlussteil der Abegg-Variationen, es fängt schon mit Jahrmarktsklavier an (das ist bei Hammerklavieren so: "Vor allem die originalen Hammerflügel sind häufig in keinem optimalen Zustand", sagte Staier 1992 der Zeitschrift concerto, "was die Spielbarkeit angeht. Die Filze und das Leder sind im Laufe der Zeit verschlissen, und das Holz hat gearbeitet, so daß die Mechanik nicht immer zuverlässig funktioniert. Wenn man auf einem solchen Instrument spielen muß, kann man während eines Konzerts eigentlich nur hoffen, daß alles so klappt, wie man es sich vorstellt"). Dann kommt aber plötzlich so ein synkopischer Jazzrhythmus hinein, den keiner dem Komponisten der Rheinischen zugetraut hätte, vielleicht ist das eine Staier-Zutat, man denkt an Scott Joplin, und am Ende hört man gar noch Honkytonk und Saloon heraus, man sieht beinah im Hintergrund die Lassos schnellen und die rauchenden Colts. Meine Begleiterin meinte, Schumanns Lebenszeit wäre ja tatsächlich die Epoche des Großen Trecks nach Westen gewesen, und dem staunenden Publikum hinterließ der Komponist auch eine wahre Calamity Jane in Gestalt der Virtuosin Klara, kann man das nicht mal verfilmen, z. B. als "Bring me the head of Johannes Brahms" - oder besser noch: "Die rechte und die linke Hand des Teufels"? (Brahms' Nachfahrin Helma Sanders hat das wohl schon beinah so gebracht.) Denn es ist schon ganz erstaunlich, wie unterschiedlich die Bewegungen und Pirouetten der jeweiligen Finger ausfallen, wenn man die gegenläufigen Verzweigungen der Fugen ineinanderfließen hört und schon glaubt, im Klavierbauch säße ein ganzes Orchester, das ins angeschlagene Thema einfällt. Im zweiten Teil, vor allem bei den Fantasiestücken, kommt dann die Magie der leisen Töne bzw. das stufenlose Dimmen am Wärmeregler, was nur dieser Meister der alten Musik aus dem schwierigen Instrument herauskitzeln kann.passionswerkzeugblume Die Bechstein-Diven haben damit keine Probleme, im Inneren ihrer Flügel in der Ferne die Geigen anschwellen oder die Flöten im Wind verhallen zu lassen, mach das mal mit einem Hammerklavier (wie der Name schon sagt - mit so einer Tastatur unter der Hand wird die ganze Welt zum Nagel). Wenn ich überhaupt etwas auszusetzen habe an dem Abend, ist es das Tempo. Der "wissenschaftliche" Ansatz der Spielweise verführt Staier mitunter dazu, dann doch die Fugenkunst rascher durchzunehmen und sich nicht auf Einzelnes, Merkhörenswürdiges, dem der Laie lieber etwas ruhiger und gern auch romantischer nachgelauscht hätte, einzulassen. Für den Wissenschaftler ist die Hauptsache, das Problem zu erkunden, festzustellen und - experimentell - einen Lösungsvorschlag zu unterbreiten, klappt das, ist der Fall erledigt. Für überwältigende Stimmungsschwankungen, mit denen die Diven operieren, fehlt dem Interpreten der Sinn. Er weiß ja, wie der Hase läuft, sieht's in der Partitur vor sich. Etwas wehmayerig weniger prestißißimo wäre an manchen Stellen wünschenswert gewesen. Sonst war es ein großer Abend, vom leicht nervenden Sitznachbarn abgesehen, der erst superknapp vor Beginn in die Reihe drängelte und hinterher gar nicht mehr aufstehen wollte.


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  • "Die höheren Forderungen sind an sich schon schätzbarer auch unerfüllt", soll Goethe gesagt haben, "als niedrige ganz erfüllte." Einen Moment überlegen, was das heißt... also die niedrigen ganz erfüllten sind weniger schätzbar als die unerfüllten höheren? oder wie oder was oder wer oder wen? tag der offenen flaschenKürzlich waren wir in einem Restaurant mit dem schönen Namen Fertig, da haben wir geschlagene anderthalb Stunden aufs Essen warten müssen. Auf den Speisekarten stand schon überall, man solle ein wenig Zeit mitbringen, "wir kochen frisch", und ich hatte ahnungsvoll eine Flasche Roten bestellt, der wir glasweise die Flüssignahrung entnahmen. Als das Essen serviert wurde, waren die Bohnen knackig, die Zucchinischeiben roh und das Tafelspitz hatte gerade mal ein lauwarmes Fußbad genommen, war dabei aber sehnig genug, es mit der Elektrosäge zu zerteilen. Ob der Koch eine angelernte Kraft sei, fragte ich die Kellnerin, die meinen Teller fast unberührt abservierte, nein-nein, widersprach sie, voll ausgebildet!, berechnete mir aber das Tafelspitz nicht.

    tag der offenen delikatessenglaeserJetzt hat Frankreich mal wieder den Literaturnobelpreis - und anders als damals bei Sartre, wurde er auch nicht schnöde abgelehnt - , und da stellt sich heraus, dass die Kulturministerin Fleur Pellerin seit Jheine im dichterquartettahren kein Buch mehr vor der Nase hatte. Was für ein schöner Vorname! Der Lyriker Henri 'änn bzw. Heine hätte ihr den folgenden Vers zugedacht:
    Du bist wie eine Blume,
    so schön und hold und rein,
    ...
    mir ist, als ob ich die Hände
    aufs Haupt dir legen sollt',
    betend, daß Gott dich erhalte
    so schön und rein und hold!
    Agostini Ramelli (1531-1600) hätte ihr vielleicht helfen können, er erfand 1588 das rotierende Lesepult, eine Art Mühlrad, mit dem man mehrere aufgeschlagene Bücher auf einmal lesen bzw. erstmal vor dem Gelehrtenstandpunkt abrollen lassen konnte. Aber wer bin ich, mich darüber zu ereifern, wohne ich doch in einem Bundesland, dessen Regierung die mit Steuergeldern erkaufte Kunst einer regierungseigenen, defizitär arbeitenden Spielbank am Oligarchen-Supermarkt Christie's verhökert, um eine neues Casino zu finanzieren. In meiner Schulzeit hieß mal ein Werbespruch bei RECLAM: "Wer Bücher ohne Sinn gepaukt, der hat am falschen Pinn gesaugt", wobei ich schon damals gern eine zweite Strophe hinzusetzte: "wer Reime ohne Sinn gebogen, der hat am falschen Pinn gesogen." Aber mal ehrlich, wer liest denn heute noch Bücher. Mein Schwager zu mir, schon vor Jahrzehnten: Bücher! heute steht doch alles im Internet, spart mehr Platz! Und, sagen Sie mal, Ihre Schwarten da, wieviel verkauft man von denen in der Klicksekunde? Die wenigen von mir betreuten Bücher, von den Übersetzungen mal abgesehen, liegen wie Blei in den Regalen. Jetzt erst recht, wo sogar die Amazonameisen streiken und keine Weihnachts-Buchpakete mehr zum Knausertarif ausliefern wollen.

    Doch an welchem Pinn soll man nun saugen? Über Lernmaschinen hat Max Goldt schon im Jahr 2000 das Nötige abschließend gesagt: "Es handelte sich um einen Raum, in welchem jeder Schülerplatz mit einem Kopfhörer, einem Mikrophon und zwei oder drei Knöpfen zum darauf Herumdrücken ausgestattet war. Der Lehrerplatz hatte noch einige Knöpfe mehr. sprachlaborAlle waren sehr neugierig. Es ging die Kunde, mit dem Sprachlabor würde man irgendwie 'automatisch' oder sogar 'unterbewußt' lernen." Allerdings erwies sich diese automatische Lernanstalt als falsch verkabelt, sie wurde binnen Monatsfrist geschlossen und "diente fortan als Abstellkammer für unvollständige Skelette, nicht mehr leuchtende Leuchtglobusse und revanchistische, weil den Ostverträgen nicht Rechnung tragende Deutschlandkarten. Gelegentlich, bei Raummangel, wurden noch Erdkunde- oder Deutschstunden im Sprachlabor abgehalten. In diesen Stunden zerrten die Schüler an den heraushängenden Kabeln, flochten sie zu Brezeln und pulten die Knöpfe aus den Pulten. Die Lehrer konnten das nicht sehen..."

    Und nun finde ich in einem Bücherkasten (seit Jahren ernähre ich mich von Wegwerfbüchern) ein altes Kosmos-Heftchen (Bd. 250) über Lernmaschinen. "Was führt das Schulwesen aus dem Morast der Unfähigkeit in das Licht höchster Wirksamkeit?" fragt hier Dr. rer. nat. Hans-Heinrich Vogt, Studienrat in Ingolstadt: "Die Maschine! Die Lernmaschine!... Sie lehrt ideal und sie erlaubt es auch dem Schüler, ideal zu lernen. 'Deus ex machina' - in höchster Not beschert uns die vielgeschmähte Technik den Retter! Oder täuschen wir uns? Entscheiden Sie selbst!" 1966, das war das Jahr der Intelligenztests (von denen ich mangels guter Noten zahlreiche absolvieren musste - Ergebnis jedesmal dasselbe, wie bei einer Psychologensitzung: HOCHintelligent, aber STINKEND faul, stinkintelligent und höchstfaul wäre korrekt gewesen), es war das Jahr der Lernprogramme und der Fragebögen, selbst die Wochenzeitschrift "Die Zeit" hatte das erkannt, das Evangelium nach B. F. Skinner wurde rauf- und runtergebetet. Ich hab auch mal versucht, meine defizitären Algebra-Kenntnisse durch ein solches Selbstlernbuch zu verbessern, weit hab ich es damit aber nicht gebracht,Uhr in der Barockkirche am Bodensee zum Abi-Durchschnitt 1,4 verhalf mir kein Arschversohlen, kein "Studienkreis Nachhilfe" (wo ich ganz andere Dinge trieb, hübschen Mädchen Liebesbriefe in die Anoraks beförderte, die Maobibel las usw.) und leider auch keine neumodische Maschine, sondern das fromme Religionsabitur, das damals noch möglich war, da durfte man Religion mit Deutsch und Sprachen kombinieren, und das war nun mal das mir gegebene Talent: Religion, Deutsch und Sprachen zu kombinieren, dabei ist es geblieben. Allerdings folgte ich in meiner Faulheit damit all den Fertigkeiten, die sich laut Kosmos-Heft eh nicht programmieren lassen: "Emotionales und Künstlerisches läßt sich nicht in abfragbare Fakten fassen", erklärt Dr. rer. nat. Vogt. Überhaupt seien, fährt er fort, dem programmierten Lernen in Deutschland Grenzen gesetzt. Denn das abfragbare Wissen - in den USA Trumpf - käme "dem Amerikaner mit seiner Leidenschaft für Quiz sehr entgegen". Den Deutschen attestiert der Autor: "Vor lauter Theorie vergessen wir die Praxis - und das wird wohl auch noch eine Weile so bleiben..."  Nach dem Erfolg von Trivia pursuit, dem schmählichen Ende von Wetten dass? und dem Aufstieg von Millionärs-Jauch in die Region der politischen Talkshow ist das doch eigentlich kein Problem mehr, jede Menge Erfahrung hat die Theorie beiseite gefegt. Harald Jähner hat 2003 in der Berliner Zeitung beklagt, wie die Texte von Theodor W. Adorno, schon immer harte Nüsse für den Leser, mit der Zeit immer unverständlicher würden. Er zitiert aus der Dialektik der Aufklärung das folgende (Kommentar von Jähnke kursiv): "Seit mit dem Ende des freien Warentauschs die Waren ihre ökonomischen Qualitäten einbüßten bis auf den Fetischcharakter, breitet dieser wie eine Starre über das Leben der Gesellschaft in all seinen Aspekten sich aus." Dieser Satz ist heute so gut wie unverständlich, weil der Begriff des Fetischcharakters, die erkenntniskritische Pointe des Karl Marx schen Werkes, durch dessen realpolitisches Scheitern gleich mit diskreditiert worden ist und in der philosophischen Versenkung verschwand. Ohne diese Voraussetzung lässt sich Adornos Werk aber in weiten Teilen nur missverstehen.  So also verändert sich, was einer geschrieben hat, es fehlt der Kontext und ohne den hilft auch alles Lesen und Auswendiglernen nichts. Dazu passt die seit letzten Donnerstag vom hiesigen Citizen Kane herausgegebene Terminzeitung für die Jugend der Stadt, sie heißt wie ein Waschmittel von Henkel, was ein bisschen nach "XXL" anklingen soll (1. Jahrgang! steht auf dem Titelblatt) und ihr Layout ist dem der Zeitung, die Oscar Werner als Feuerwehrmann in dem Film Fahrenheit 451 nach getaner Bücherverbrennungsarbeit hochhält, schon verflucht ähnlich. Man frag sich unwillkürlich was diese krisseligen Quadrate unter den Bildstrecken sein sollen, sind das etwa diese sog. "Texte", die man früher in Illustriertenjournalen dieser Art zwischen die Anzeigenflächen schaltete...?? Vorwiegend handelt es sich dabei um die Überführung von Smileys, facebook-Kommentaren und getwitterten Botschaften ins Printmedium. Hauptfinanziers scheinen ein Tierfutter-Discounter, ein Kredithai und ein Opel-Fachhändler zu sein, was über den Zustand der derzeit amtierenden Jugend von heute ja eigentlich alles sagt. Als Cartoonzeichner hat sich ausgerechnet der von 18metzger, der sonst die Linken-Postillen mit Karikaturen versieht, hergegeben. Wie in dem schönen Blues: "Ain't nobody's fault but mine, - If I don't read, my soul will be lost", wie es Blind Willie Johnson damals schon sehr richtig sah.

    Rock und bluesIch muss zugeben, manches von dem Wenigen, was ich selbst geschrieben und z. T. akademisch publiziert habe, ist mir heute selber nicht mehr klar. Verständlich schon, das ja, aber jedesmal rätsele ich herum, wer sich bzw. wann ich das alles ausgedacht und all die darin verbackenen Materialien herangekarrt habe? Gut, ich bin kein Youngster mehr, gehöre nicht mehr zur "50 plus"-Gruppe, sondern muss jetzt endgültig auf eine 60-minus-party, falls es sowas geben sollte. Dann wird es noch ein paar Jährchen dauern, dann wird mir wohl alles mögliche unverständlich, und ich hoffe immer noch darauf, die Ästhetische Theorie und irgendwann dann auch noch die Negative Dialektik lesen zu können. (Aber was ist mit Hegels Phänomenologie des Geistes, bis S. 20 finden sich Anstreichungen, danach sind die Seiten jungfräulich unberührt...?) Aber besser als von vorne nach hinten kann ich es durch wirres Blättern und hier und da festlesen konsumieren. Tatsächlich finde ich dann manchmal Sätze, die vollkommen treffen, wie den folgenden: "Was wahr ist am Subjekt, entfaltet sich in der Beziehung auf das, was es nicht selber ist,ist, keineswegs durch auftrumpfende Affirmation seines Soseins." Echt jetzt - ich war völlig aus dem Häuschen über diesen Satz, weil er einen anderen, höchst verstörenden Satz erklärt, den ich kommentieren wollte. So begeistert war ich von dem Fund, dass ich ihn - eingewickelt in einen thematisch anders gelagerten Sonderdruck - zitierte. graffiti in molasseAllerdings stellte sich im Nachhinein heraus, der Satz ist womöglich ganz anders gemeint, als ich dachte, bezieht sich laut einer nachgelassenen Schrift namens Ontologie und Dialektik auf Heidegger, was ich natürlich ignoriert habe: "Aber Wahrheit, die Konstellation von Subjekt und Objekt, in der beide sich durchdringen, ist so wenig auf Subjektivität zu reduzieren, wie umgekehrt auf jenes Sein, dessen Grenze zur Subjektivität Heidegger zu verwischen trachtet. Was wahr ist am Subjekt, entfaltet sich in der Beziehung auf das, was es nicht selber ist, nicht durch Herstellung blanker Identität mit sich." Verdammt noch eins, den Heidegger sollte ich doch noch zu lesen versuchen, doch in dessen Denkgebäude einzudringen, blieb mir armen Spatzenhirn versagt, obwohl ich es mit Holzwege - das schien vom Titel her gerade wie geschaffen für mich - redlich versucht habe.

    Adorno selbst war übrigens der Meinung, "dass je präziser, gewissenhafter, sachlich angemessener man sich ausdrückt, das literarische Resultat für umso schwerer verständlich gilt, während man, sobald man lax und verantwortungslos formuliert, mit einem gewissen Verständnis belohnt wird". Kurz, wer schlampt, kriegt recht. Und diese Erkenntnis kann ich sowohl als genauer Leser wie als begrifflicher Schlamper vollkommen bestätigen. Immer wenn ich es genau wissen oder erklären will, ahne ich, dass ich für das Publikum erst in hundert Jahren verständlich werde, oder vielmehr nie! Zu deprimierend, diese Analyse? Meinetwegen, aber tröstet euch, der nächste Blogeintrag handelt wieder von Eichhörnchen.


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  • Szenen einer Ehe: Meine liebste (das Wort klingt immer wie "Pausensnack", aber trotzdem:) Lebensabschnittsgefährtin nimmt morgens die Tageszeitung gern in ihre ca. 5-6 Teile auseinander, faltet sie in der Mitte und legt sie aufeinander. Dann könne man, meint sie, die Beilagen besser finden, die man lesen möchte, z. B. "Technik und Motor", ihre Lieblingsrubrik. Ich hingegen würde die Zeitung nach dem Frühstück gern wieder zusammensetzen, in der Reihenfolge, in der sie aufgeschlagen wurde, damit sie unbenutzt und neu aussieht. - Jaja, ich hör schon die Vorwürfe, wie pingelig ich sei, aber der eigentliche Grund ist der, dass ich das Gelesene nach ein paar Stunden verdränge und vielleicht auf bessere Nachrichten hoffe, wenn ich die Zeitung erneut aufschlage.

    zeppelin, gepiekst von kirchturmIn der heutigen Tageszeitung fand ich den Neologismus des Tages. "Schlanklügen", es wurde verheißen, das Verteidigungsministerium werde inskünftig keine Rüstungsprojekte mehr "schlanklügen". Dabei - gerade fürs Schlanklügen bringt der Wähler bestimmt Verständnis auf, warum nicht den Etat der Bundeswehr schlanklügen, das machen wir doch - beim Einpacken der Sommer- und Auspacken der Winterklamotten - letztlich alle.

    Kohl ist der Held des Tages, weil er u. a. gesagt haben soll, Angela Merkel hätte mit Messer und Gabel nicht essen können bei Staatsbanketten. Man muss sich mal vorstellen, wie so ein Staatsbankett bei Kohl vorgegangen ist! Gab es da nicht immer wieder Pfälzischen Saumagen, von dem ich jetzt auf die Schnelle gar nicht wüsste, ob mit Messer, Gabel oder Löffel...? Und die Hummerzange immer schön in Griffbereitschaft. Aber die in der ehemaligen DDR, denen gab man keine Messer oder Gabel, schon damit sie sich nicht wehtun - oder anderen man weiß ja, wie die Bauernaufstände angefangen haben! Die Ossis haben doch höchstens mit dem Löffel aus der gemeinsamen Suppenschüssel geschlürft (ich hab noch so einen, im Knast geschnitzten Holzlöffel), oder benutzten, wie bei Asiaten üblich, Ess-Stäbchen oder solche Piekser wie die Kartoffelesser von Van Gogh! Ich hätte jedenfalls gewusst, was zu tun ist, wenn mir der Sitzriese Helmut Kohl damals im barschen Ton den Gebrauch von Messer und Gabel bei Tisch anbefohlen hätte... ich wäre aufgestanden, von hinten an ihn herangetreten und... nein, nicht was ihr jetzt denkt, ich hätte ihn mit der Gabel mal in die Wampe gepiekt, um zu prüfen, ob bei Perforierung die Luft aus diesem Ballon entweicht oder ob das massives Fett ist.

    Ferner las ich in der heutigen Tageszeitung die Rezension eines Buchs vom Leiter des Kölner Stadtmuseums Mario Kramp, Vom Traum zum Alptraum. Köln und der Beginn des Bombenkriegs in Europa, Greven-Verlag, 12,80 €. Der hat herausgefunden, dass das erste Bombardement einer städtischen Zivilbevölkerung von Köln ausging, hier startete am 5. August 1914 das Luftschiff Cöln (Z 6), das die ersten Bomben auf Lüttich abwarf. Hier ein Bericht aus der Innsbrucker Zeitung vom 30. August

    Bei dem Kampfe um Lüttich spielte auch ein Zeppelin-Luftschiff eine Rolle. Die Tätigkeit des Luftschiffes wird von einem Oesterreicher, der in Lüttich von Belgiern gefangen genommen worden war, der „Grazer Tagespost" wie folgt geschildert: Es verging eine Schreckensnacht. Als die Sonne aufstieg, sah man 'im Osten ein Luftschiff, das die Deutschen an seinen Umrissen als einen „Zeppelin" erkannten. Alles schrie und weinte. Es herrschte eine große Panik in der Stadt. Während alle Bewegungen des Luftschiffes mit Furcht und Aufregung beobachtet wurden, sah man unter den Gondeln einen weißen Rauch aufsteigen. Es war eine Bombe, die aber versagt hat. Der „Zeppelin" war in einer Höhe von 600 Metern. Plötzlich senkte sich die Spitze des LuftschiffesRechnung mit 'Gottes Segen' und der „Zeppelin" ging auf etwa 300 Meter herab. In diesem Moment wurde aus den Forts auf das Luftschiff ein mörderisches Feuer eröffnet, in das sich das Gewehrfeuer der Infanterie mischte. Das Luftschiff warf Bombe auf Bombe herab, die unter donnerähnlichem Knall explodierten. Dann beschrieb das Luftschiff noch mehrere Schleifen über der Stadt und warf noch weitere 10 Bomben herab, die alle wirkten. Aus den Häusern, überall wurden die Gewehrläufe gegen das Luftschiff gerichtet, das aber unbeirrt seinen Lauf nahm. Plötzlich sprengte aus einer Straße ein Totenkopfhusar in vollem Galopp heran. Kaum sahen ihn die Leute, als sie auch schon das Feuer auf ihn eröffneten. Er riß sein Pferd herum und verschwand. Gleich darauf stürmte ein Infanterie-Offizier um die Ecke, in der Rechten seinen Degen, in der Linken die Pistole; hinter ihm eine Abteilung deutsche Infanterie. Die Furcht vor den „Sepplihns" Frankfurt, 25. Aug. Die hier untergebrachten französischen Gefangenen erzählen von der ungeheuren Furcht der Franzosen vor den Zeppelinluftschiffen. Die Furcht der Franzosen vor diesen Luftschiffen sei gar nicht zu beschrei­ben. Man fürchtet in den Nächten des Neumondes unvermutete Angriffe. Der „Sepplihns" ist der Kinderschreck der französischen Jugend, die Angst der Erwachsenen und die Furcht der Soldaten bis in die Generalität.

    Auch Antwerpen wurde per Zeppelin bombardiert - eine der Bomben traf die Gasanstalt, und bei Explosion des Gaskessels lag die ganze Sadt im Dunkeln. Am Bodensee produziert, mit Maybach-Motoren ausgestattet, an Bord sechs Maschinengewehre, Vorrichtungen zum Bombenabwurf, Torpedo-Raketenwerfer, das war das eine richtige Vollfett-Rüstung, die keineswegs schlankgelogen wurde! Im Frühjahr 1916 weitete man die Zeppelinflüge und Bombenangriffe auf England aus. Das hätte man vor dreißig, vierzig Jahren wissen sollen, wenn einem die alten Kölner in ihrer Larmoyanz vorgreinten, dass Großbritannien noch immer nicht die "Menschenrechtsverletzung" der Flächenbombardements ächten wollten und dem Kommandanten, genannt Bomber-Harris, sogar ein Denkmal setzten. Der OB musste eigens nach London reisen und protestieren, was aber nichts half. In der 1000-Bomber-Nacht vom 30./31. März 1942 hatten die Briten aus Köln das gemacht, was Brecht "eine Radierung von Churchill nach einer Idee Hitlers" nannte. Die Opfer - vielmehr was von ihnen übrig war, - wurden auf dem Zollstocker Friedhof unter seriell produzierten Betonkreuzen beerdigt. NS-Ehrenhain der Kölner BombenopferEiner, der das als Schüler mitmachen musste, berichtete, dass man nicht viel Wesens darum machte, ob die Identitäten alle stimmten, in manchen Fällen wurden Phantasienamen auf die Kreuze geschrieben. Aber - "you asked for it and you got it!" - das erste derartige Bombardement, dem die Zivilbevölkerung eines noch am Krieg ganz unschuldigen, von Deutschland ohne Kriegserklärung überfallenen Landes ausgesetzt war, ging von Köln aus, der Zeppelin, der Lüttich bombardierte, startete in Köln. Bei der Rückkehr havarierte das Luftschiff über Walberberg, die Besatzung konnte mit knapper Not das Leben retten, aber davon stand nichts in der Kölnischen Volkszeitung - hier wurde dreist ein zukunftsloses Rüstungsprojekt (oder übergewichtige Generäle in der fliegenden Zigarre?) schlankgelogen:

    Berlin, 10. August. Mit Genehmigung der Militärbehörde gibt das „Berliner Tageblatt" die Schilderung der „Kölnischen Volkszeitung" über das hervorragende Eingreifen des „Zeppelin VI" bei Lüttich wieder. Aus 600 Meter Höhe wurde die erste Bombe geworfen, die versagte. Das Luftschiff ging dann auf 300 Meter herunter und schleuderte weitere zwölf Bomben, die sämtlich explodierten. Infolgedessen brannte die Stadt an mehreren Stellen. Sämtliche Bomben warf ein Unteroffizier der Besatzung aus der hinteren Gondel. Er war nach der Landung Gegenstand begeisterter Ovationen.



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  • Tag der Deutschen

    Gut, das klingt jetzt etwas merkwürdig, aber diese Klappkarte mit den Hoheitszeichen zweier deutscher Staaten habe ich vorhin in der Sauna mitgehen heißen, genauer gesagt, im Erfrischungsraum bzw. der "Gastro-Ecke", wie man das heute nennt, des Wellnessbades, wo alle Tische mit diesen Karten dekoriert waren. Grund war der dritte Oktober, da hatte es wohl gestern eine lange Sauna-Nacht gegeben und es war noch nicht alles abgeräumt. Ich war etwas erstaunt, die Symbole des Unrechtsstaats hier vorzufinden, und erst recht war ich baff, dass man das Zusammenwachsen dessen, was zusammengehört, durch einen Besuch in der Schwitzhütte feiern kann, im heißen Dampf des keltischen Kessels oder in der Zisternensauna mit dem Amphorenimitat vor dem Ofen. Immerhin wurde das Deutschlandlied bei einem Helgoland-Urlaub des Hoffmann von Fallersleben gedichtet, da liegt das Wellnessen und Baden ja nicht ganz fern. Hatetepeh, De, Eh und Tusch! Deutscher Schweiß und deutscher Sang, uns in jedem Bad begeistern...
    "Deutscher Aufguss, deutsches Handtuch,
    Deutsche Holzbank, deutscher Schweiß
    Sollen in der Welt behalten
    Unterpfandes Glücksbeweis!
    Wie ein Heer von Bademeistern,
    Fahnen schwenkend mit Gesang,
    uns zum edlen Bad begeistern
    Unser ganzes Leben lang..."
    Es sollen laut Bedienung rund 100 Leute dagewesen sein, (während am Samstagmorgen, als die Stammgäste noch ihren Vereinigungsrausch ausschliefen, höchstens fünf bis sechs, später vielleicht das Doppelte an Besuchern zugegen waren). An der Theke dieser Cafeteria, deren Servierpersonal man extra heranklingeln musste, gab es heiße Milch mit Honig, auf Wunsch (auch so ein deutsches Wort) "frischgepressten" Orangensaft, alko-freien Cocktail oder notfalls Bier, "Kleinigkeiten, Salate und Imbißgerichte", sogar Schwarzwälder Kirschtorte. "Auch die Mieterpressertanten im Café Kranzler, Torte futternd, Leiber breit wie Kisten" sang einst Wolfgang Neuss, eine echte Horrorvision, sich das in der Sauna vorzustellen! Bei den Aufgüssen werden manchmal Obsthäppchen herumgereicht oder kleine Becher mit  Eis oder (äußerlich anzuwendendem) Honig, mit dem man sich wohl einschmieren soll, was ich zum ersten Mal gemacht habe, etwas seltsam, ich weiß ja nicht, wie Dermatologen davon denken, aber in einem Ameisenhaufen möchte ich in diesem Zustand nicht vergraben werden! Der Verzehr mitgebrachter Speisen und Getränke ist übrigens dort verboten, ausgenommen Wasser, aber davon gibt es ja auch genug umsonst. Die Karten konnte man rückseitig im Querformat aufstellen, jeweils die DDR- oder die BRD-Seite nach außen richten. Später haben wir erfahren, dass begleitend zur Event-Sauna ein Kabarettprogramm lief. Eventuell sollten die in ihrer Nacktheit oder Bademantelkuscheligkeit ja wenigstens politisch identitätslosen Besucher des Event-Programms eine Art Rollenspiel machen, und man durfte sich aussuchen, ob man an einem BRD- oder DDR-Tisch sitzt. Man kennt das ja, "das Publikum spielt mit", und alle ducken sich, um nicht dranzukommen. Jedenfalls habe ich mir die Klappkarte zum Andenken mitgebracht und über die deutsch-deutsche "Mitternachtssauna" nachgedacht, wobei ja schon das Wort "Themenaufguss" als Sprachzeugnis ein Kleinod deutsch-deutscher (wo ist dieses Doppelwort geblieben?) Kultur darstellt. Aber wie muss ich mir den "Themenaufguss zum 3. Oktober" vorstellen? Blasmusik und schwarzrotgoldene Badetücher? Einreibungen mit Sauerkraut und Löwensenf? Bayerisches Bier oder Bommerlunder auf die Glühsteine kippen? Immerhin war ich darüber ins patriotische Gegrübel gekommen, was ja wohl der Sinn des Feiertages ist, an dem selbst eigentlich nicht viel Originelles zu erleben war, wenn man mal von dem Mann mit Nordic-Walking-Stöcken absieht, der in rabenschwarzem Dreiteiler mit Jackett usw. durch den Grüngürtel schritt, als müsse er nachher gleich an einer Beerdigung oder bei einem politischen Empfang zum Gedenktag teilnehmen. Dieser Mann müsste mit seinen Walking-Stöcken die zwei, drei Kilometer über die Kappesbauernpampa wandern bis hin zur Saunalandschaft und, statt nackend wie die anderen, den "Themenaufguss" im Dreiteiler mitmachen, das wäre mein idealer 3. Oktober.


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