• Diese neue 3-D-Doku namens "Kathedralen der Kultur", die von  "(Deutschland/Dänemark 2014)" aus nächstens in die Kinos kommt  - ein zineastisches Zuckerschlecken. Wie abgedroschen klingt das denn! Klar, wenn die Regisseure des Films "Wim Wenders", "RKathedralen des Konsumsobert Redford" und "Michael Madsen" heißen. Alliterationen sind ja sooo 1980. Meinetwegen kann der Film von Gustav Gans produziert und von der Dagobert-Duck-Digitized-Documentaries Ltd. finanziert worden sein, ich geh nicht hin. Früher, na schön, da hat sich die Werbung wigela-weia mit Stabreimen durchgemogelt. Heute kehrt man zurück zum guten alten Endreim, wie damals der (doch nicht mehr allen bekannte) kegelförmige Feuerlöscher namens MINIMAX. "Feuer breitet sich nicht aus, hast du MINIMAX im Haus", worauf freche Kinder mit dem Abzählreim antworteten, Minimax sei großer Mist, wenn man nicht zu Hause ist, oder auch: Hast du Minimax im Keller, brennt der Dachstuhl um so heller.

    Der Reim schlägt nicht nur Alliteration und Zeugma, sondern auch die Metapheritis. In einem europapolitischen Manifest der Grünen, verfaßt u.a. von Claudia Roth und einer jungen Dame, die auf einem Bioland-Bauernhof aufgewachsen ist, las ich kürzlich die bedenkenswerten Zeilen: "Viel wichtiger und vordergründiger wird am Sonntag eine andere Frage verhandelt, und zwar: MettschweinGewinnt in Europa die Wurst – oder doch der alte Zopf?" Da war auch die Rede - und ich sah förmlich, wie die RednerIn bei den entsprechenden Worten beide Hände hebt und mit zwei Fingern so eine zweideutig-komische Geste, ein bisschen wie Hasenohrenwackeln macht, kurz, da war auch die Rede "von revolutionären Umstürzen zurück zu 'echten' Volksgemeinschaften, in denen 'richtige' Männer die Gesellschaft prägen, dienende Frauen sich zurückhalten und 'Fremdes' seinen Platz rechte- und würdelos am Rande einzunehmen hat". Dieser "alte Zopf" habe sich irgendwie von selber "schon vor der Wahl bis zu den großen Parteien durchgeflochten", die "identitätsstiftende Idee Europas" werde "aus Angst vor den Rechtspopulisten bereits auf dem Altar des Wahlkampfs ... geopfert", und da "sich selbst die Bundeskanzlerin nun in den Chor der Populisten einreiht", geben ihre Worte "dem alten Zopf also Recht". Aber diesem plumpen Versuch, die Dinge von den Füßen auf den Kopf zu stellen, sollten wir alle beim Urnengang am Tag des Herrn die rote Karte zeigen". Chor einreihen zum Zöpfeflechten und die rote Karte zeigen, indem die Wurst gewinnt? Schmeckt doch sehr nach Bioland, das denjenigen ein Trost ist, die das Motto "ich bin Vegetarierin außer bei Würstchen" ernst nehmen. Schön und gut, aber alleKonsumverweigerers ein bisschen outdated, Baby!

    Kathedralen des KonsumsGanz anders der familienfreundliche Besser-leben-Frische-Lecker-Point-of-Sale (kein Discounter, und zuletzt mit Glanzfotos von apfelrotbäckchenhaften, sommersprossen-rothaarigen Kindern aufgefallen, die sonderbare Wortspiele drechselten wie "dämlich frisch!"), der demnächst am Airport dieser Stadt zu einem gewaltigen Remmidemmi "mit den Highlights: Heino, Circus Roncalli Bühnenshow und DSDS-Gewinnerin 2014 Aneta Sablik" einlädt. Highno als Heileit? klingt natürlich auch wieder nach Assonanz, aber der Prospekt dieser Supermarktkette ist dafür auf den Reim zurückgekommen. Es fiel mir erst auf, als ich im Sonderangebotsprospekt diese merkwürdige Parole las:
    "Ein voller Wagen ist das Ziel".
    Häh? Les ich recht? Die meinen doch wohl den Einkaufswagen, und so viel nackte Gier hätte ich den Lebensmittelkonzernherren gar nicht zugetraut, dass sie schon in ihrer Werbung gleich sagen, worum es ihnen geht, nämlich, dass wir unseren Drahtgitterkorb auf Rädern möglichst hoch auftürmen. Es erinnert mich an das alte Lied der heute vergessenen Deutschrock-Gruppe "Eulenspygel", welches da lautet: 

    Konsumgewäsche in der PresseÄhrenfrau
    ein Image wird hier aufgebaut,
    und Du kriegst eine in die Fresse,
    wenn Du Dich nicht verführen läßt.
    Du mußt kaufen, kaufen, kaufen.

    Kotzt Dich das nicht an ?

    Weiße Zähne und Truthähne
    grinsen Dich von Säulen an.
    Illusionen für ein paar Kohlen,
    Lebensstil für teures Geld.
    Du mußt kaufen, kaufen, kaufen.

    Kotzt Dich das nicht an ?

    Jeden Tag ein neuer Wunschtraum, Mietpreisspirale
    suggeriert durch Wortes Macht.
    Bilder die Dich gierig machen auf
    Dinge die Du gar nicht brauchst.
    Du mußt kaufen, kaufen, kaufen...

    Ein voller Wagen ist nicht das Ziel, sondern natürlich erst am Ziel, wenn die Kasse ebenfalls voll ist, dann darf der Kunde mit dem Trödel abdampfen, bzw. sein Wagen, wenn's nicht grade so ein geländegängiger Großstadtdschungeljeep ist, wird zum Ziel ("ein voller Wagen"). In diesem speziellen Laden übrigens haben sie eine Filmüberwachung, bei der die Kassiererin seitlich sehen kann, ob ihre Kunden eine Laufmasche oder einen stibitzten Flachmann im Strumpf  haben. Die Verblödung und der Konsumidiotismus gehen heute unverstellt und nackt einher. Da können sie sich den ganzen Schnickschnack von "heute mal vegan", "Ernährung und "Krabbensalat genießen. Mit gutem Gewissen..." Noch etwas mehr Gewissen an den leckeren Krabbensalat, bitte. Und eine Prise Kafka!

    Dann aber fiel mir, beim Weiterblättern in dem Prospekt, noch etwas auf. Da waren überall so seltsam formulierte Sprüchlein, nein, ich meine nicht "jetzt tolle Ramba Zampa-Rezepte von Holger Stromberg probieren", sondern den seltsamen Gleichklang von "Pack was Buntes auf den Grill" und "An Pfingsten gibt's was auf den Grill" und "Von diesen Angeboten haben Sie viel" und "Mit jedem Einkauf sparen Sie viel." Merkwürdig eintönig, oder? Und da erst viel es mir wie Schuppen aus dem zertifiziert nachhaltigen Fischstäbchen: Hinter den Sprüchen war immer so ein Logo den Flaggen Deutschlands und Brasiliens, in die der Fotoshop-Grafiker die Worte "Ramba" in die deutschen und "Zamba" bei der brasilianischen Farben hineingeschnippelt hatte, dahinter fanden sich die Worte "do Brasil". Wenig Pril - hilft viel, daher die Reimerei, und zwar im Gertrude-Stein-Stil etwas monophon-seriell wiederholend. Das ganze sollte sich als eine Folge gereimter trochäischer Vierheber lesen, die man als Zweizeiler wie folgt anordnen kann, die jeweiligen poetischen Anlässe nenne ich in Klammern dahinter:

    Pack was Buntes auf den Grill.
    Ramba zamba do Brasil
    (Exquisites Salatquartett und Hähnchen-Grillplatte)Kathedralen des Konsums
    An Pfingsten gibt's was auf den Grill.
    Ramba zamba do Brasil
    ("Leckere Grillangebote im Innenteil")
    Von diesen Angeboten haben Sie viel.
    Ramba zamba do Brasil
    (Delikatess-Hinterkochschinken mild im Geschmack) 
    Große Auswahl. Sparen als Ziel.
    Ramba zamba do Brasil
    (Käsewürfel "mild & nussig")
    Ein voller Wagen ist das Ziel.
    Ramba zamba do Brasil
    (Feinjoghurt versch. Sorten)
    Deutschland spart. Im großen Stil.
    Ramba zamba do Brasil
    (Spargelfertiggericht)
    Deutschland sammelt. Mit viel Gefühl.
    Ramba zamba do Brasil
    ("Pro 10 Euro Einkaufswert 1 Sammelkarte GRATIS", außerdem beim Kauf eines Albums)Heinolieder von Jörg Brummack
    Diese Preise machen das Spiel.
    Ramba zamba do Brasil
    (Hühner- und Buchstabensuppe in Tüten)
    Sich was gönnen kostet nicht viel
    Ramba zamba do Brasil
    (Kindgerechte Schokoriegel und kinderfreundliche Schoko-Bonbons)
    Der beste Preis.
    Von München bis Kiel.
    Ramba zamba do Brasil
    (Sixpacks mit koffeinhaltigem Premium Pilsner Alkoholfrei bzw. mit Alkohol)Kathedralen des Konsums
    Mit jedem Einkauf sparen Sie viel.
    Ramba zamba do Brasil
    (mit C geschriebener Orangensaft)

    Das war's, danach kam nix mehr Gereimtes in dem Prospekt. Aber ich bleibe dran, vielleicht geht es nächste Woche weiter! Wie bei den Wetterberichten damals in der FAZ geht der wahre Lyriker heimlich zu Werk und bleibt lange unentdeckt. Wie alle guten Gedichte sollte man dieses auch laut lesen, vielleicht am besten ein heiterer Runde, vom alkoholhaltigen Koffeinpils in Stimmung gebracht, sollte ein Vorsänger die erste Zeile intonieren: "Deutschland spart. Im großen Stil..." und dann fällt ein Chor aus voller Kelle ein: "RAMBA ZAMBA DO BRASIL", oder - weil man ja gern mal was vergisst - man wiederholt diese Zeile, jede Zeile des Vorbeters, wie damals auf der Friedendemo ("Atomraketen? vergeudete Moneten!"). Der Erfolgssänger mit dem Markenzeichen Sonnenbrille könnte es singen, auf dem Airport-Remmidemmi ("Kochwettbewerbe"!), der Roncalli-Zirkus mit dem Clown Zippo, letzterer neuerdings zum "Kulturbotschafter des Landes NRW" ernannt, und die Detuschlandsuchtdensuperstar-Mieze machen dazu eine Tanz-Performance. Oder der ganze Kundenstamm (die "family" mit der Glückskarte und den vielen Vorteilspunkten) trifft sich in mondhellen Nächten am Traktorentanzplatz, auf verlassenen Public-Viewing-Thingstätten, entzündet das Lagefkk Vignette Presseschaurfeuer des Medienmarschalls McLuhan, und brüllt im Stil der "Heldischen Feier" eines Gerhard Schumann:

    Einer: Wie Narren sind wir einsam angetreten.
    Grell schwirrte Hohn auf, gellte Schimpf und Scherz.
    Wir aber glaubten. Denn da half kein Beten.
    Wir wußten nur: in uns schlug Deutschlands Herz.Kathedralen des Konsums
    Alle: Wir wußten nur: in uns schlug Deutschlands Herz.
    Einer: Wir haben nicht das Mögliche erwogen.
    Und noch die Sterne schwangen uns zu nah.
    Das Ziel, nach dem uns Traum und Wille flogen,
    Zwang als Gesetz, das über uns geschah.
    Alle: Das Ziel, nach dem uns Traum und Wille flogen,
    Zwang als Gesetz, das über uns geschah.
    Einer: Und was die Weisen mitleidvoll belachten,
    Das schmolzen wir in unsrem Blut zu Stahl.
    Die müden Achseln zuckten voll Verachten.
    Die wurden bei dem Glanz der Waffen fahl.
    Alle: usw.
    Einer: Denn aus dem Raum, wo Blitz und Donner wachsen,
    Und wo die Sterne stürzen aus dem Nichtsalles sauber
    Und wo das Weltall stürmt um seine Achsen
    Fuhr einer zu uns, leuchtenden Gesichts.
    Alle: Hielt leuchtenden Gesichts
    Tafeln des Gerichts!
    Wehende Fahne des Lichts!

    Na, und wer mag das wohl gewesen sein? Das Eichhörnchen war es jedenfalls nicht, und auch nicht Moses, der kam von einem Berg runter und hatte Gesetzestafeln, fürs jüngste aller Gerichte ist demnach noch eine Weile Galgenfrist. Aber das ist eine andere, ungereimte Geschichte...


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  • Malender Osterhase

    Also, eigentlich wollte ich erst mal Frohe Ostern wünschen, aber ich muss der Chronologie halber hier wenigstens andeutungsweise was über das Große Kettensägenmassaker in unserem Genossenvorgarten nachtragen, bei dem zunächst ein in den Hof pinkelnder, gärtnerisch kenntnisloser Lohnsklave erst unseren noch letztes Jahr mühsam gewässerten Flieder niederhieb und anschließend im Verein mit anderen Unifomierten sämtliche Sträucher heraushackte, aber nur auf "unserer" Wohnungsseite, nicht die von der Lieblingsnachbarin gepflanzten. Ich war so sauer, dass sich mir die Finger über der Tastatur sträubten, es zu schildern! - Pinkelnder Hartz-IV-GärtnerAnderntags rottete man sich zusammen, um die 10-Meter-Tanne zu fällen, die meinem Arbeitszimmer und unserem Terrassenbalkon etwas Sichtschutz gab. (Auf Google Street View ist sie noch zu sehen, wie überhaupt die Fassade aus der Ära der Vormieter, denen es gar nichts ausmachte, sich einen entsprechend ausgerichteten Zwei-Stühle-Ausguck auf die Terrasse zu stellen und von diesem Posten aus die Vorgänge auf der Straße zu protokollieren, man hat ja sonst nichtsKahlschlag im Genossenschaftsvorgarten zu tun.) Natürlich geschah die Maßnahme zur Landschaftsgestaltung vulgo "Kahlschlag" ohne jedes Vorgespräch mit den Mietern, geschweige -ankündigung. Die Rose neben dem Terrassenbalkon, die ich liebevoll mit teurem Pilzgift besprühte, ließen sie stehen. Vom Flieder einige Strünke, an der Ostseite des Hauses mag er sich erholen, aber der große Fliederbusch unter dem Küchenbalkon, Anflug-Zubringer für die Meisenknödel, ist wohl für die nächsten zehn Jahre dahin. Nachdem der Sägezahntiger, eigentlich ein kümmerliches Würstchen mit Ohrring, sich erstmal zünftig ausgepinkelt hatte zum Zaun hin, siehe Bild, legte er mit Lust und Liebe los und mähte nieder, was nicht nagelfest war. Für die Tanne brauchten sie einen ganzen Tag. Gut, die war schon alt und wohl auch schiefgewachsen, vielleicht nicht ungefährlich, aber als meine Liebste zum Ersatz ihren Balkontannenbaum einpflanzte, kam sofort ein Anruf des Genossenschaftsbüttels, sicher von den fürsorglichen Nachbarn eingefädelt, die dergleichen nicht dulden können, das Tännchen reichte vorerst kaum bis zum Knie und ob es überlebt hätte, war doch noch gar nicht ausgemacht. Wir haben eReste der Tanne vor unserem Hauss befehlsgemäß ausgegraben und in den Park gepflanzt und uns geschworen, nie mehr war in den Vorgarten zu tun - schon gar nicht mehr dort Unkraut zu jäten, Brache vor unseren FensternMüll zu beseitigen oder dergleichen. Hundescheiße finden wir immer wieder, wogegen wir unsere Balkonkasten-Strategie vom letzten Jahr anwandten und wieder eine Einfassung rings um den Balkon schufen. Prompt kam letzten Freitag ein Brieflein von der blödsten Mitbewohnerin, Tante Denunzianta, die wollte "schnellstmöglich" "ihren" Balkonkasten zurückhaben, wobei es sich faktisch so verhält, dHunde-Anleinen-Schildass ich letztes Jahr die wilde Müllkippe jenseits des Zauns fortschaffte (das Brieflein kommt in meine Sammlung und werde ich euch auch nicht vorenthalten), extra einen Ganzkörperkondom-Radleranzug dafür angezogen hatte - und u. a. gefühlte 3759 Plastikblumentöpfe entsorgte, sowie drei Terracotta-Pflanzkästen, etwas angemoost, die mir aber noch benutzbar schienen.Strunk des abgehackten Flieders Jetzt weiß ich, dass besagte Nachbarin sie über den Zaun geworfen haben muss, ich hätte sie dort auch wieder hingeschmissen, will aber keineswegs mit schlechtem Beispiel vorangehen, sonst wächst die Abfallhalde dort wieder an. Ich bin schon froh, dass das Kleidersammelkistenwesen eingeschränkt wird und wir hier unser "Klohäuschen" (als solches lockte es wohl auch Wildpinkler an) endlich los sind, in welchem T-Shirts & Co., à 99 Cent aus dem Lumpendiscounter, gebraucht eingeworfen und als "Liebesgabe" nach der Dritten Welt expediert werden sollten. Wir besorgten noch am selben Abend Blumenkästen vom Baumarkt und legten das olle Geraffel, auf das unsere Nachbarin plötzlich Anspruch erhebt, in den Hof, wo es bis jetzt vor sich hinschimmelt. Aber wen immer ich dabei ertappe, diese Kästen wieder über den Zaun zu werfen, den zeig ich beim Ordnungsamt an, das hab ich mir fest vorgenommen, ich kann auch denunzieren, wenn mir danach ist! Sodann haben wir uns weitere Strategien gegen Hundezulauf vor dem TerrassenbaWild Knitting im Kurpark von Bad Breisiglkon überlegt. Diese blöden "Kein Hundeklo"- Schilder gefallen mir nicht.Hummelhotel an der Terrassenbalkonwand Den Warnhinweis: "Vorsicht, Rattengiftköder!" haben wir auch wieder verworfen. Und ein Aufkleber mit Scheißhaufen und Totenkopf, der vor kurzem in der Nähe an einem anderen Genossenschaftsvorgarten gesichtet wurde, verschwand nach ein paar Tagen wieder. So ein Schild hinzusetzen ist ja geradezu eine Aufforderung bzw. Verdoppelung der Misere. Wir haben es auch mit "Hundeschreck" versucht, einem Pulver, das auf natürliche Weise schnüffelnde Hunde fernhalten soll, das ist aber ziemlich kostspielig. Jetzt sind wir auf die Idee gekommen, ein anderes Pulver zu nehmen, ebenso natürlich, und in Gatronomiepackungen auch preiswert, ich sag nicht, was es ist, es sieht aber nach sonderbarem Pulver aus, von dem das liebende Frauchen ihren Köter sicher wegziehen wird. Und als flankierende Maßnahme haben wir jetzt ein sog. "Insektenhotel" aufgehängt, auch nicht ganz billig, es steht auch nicht, wie ich wollte, "Hummelhaus" dran, aber ich hoffe doch, es hat abschreckende Wirkung. So eine Wespe oder Hummel kann das liebe Köterlein ja auch mal schrecklich in die Nase stechen. Vielleicht führt das dann doch dazu, dass die Leine etwas gestrafft wird und man sich in angrenzende Parks begibt, wo es eigens von der Stadt ausgeschilderte Urinal- bzw. Kotzonen gibt für Vierbeiner, da können die und ihre Besitzer tun, was sein muss.

    Ansonsten waren wir die letzten Tage am Rhein, haben den Regenbogen über Bad Höningen gesehen (nein, nicht aus eigenem Drang bzw. eigener Kraft gezaubert) und gingen - Regenbogen über Bad Höningenausgerechnet - über eine Wagram-Brücke, die 1813 ein Bauunternehmer namens Henri Fluchard am 8. Juli zum vierten Jahrestag der Schlacht eröffnen ließ.Plakat des Schützenvereins für Ostern Das Wetter war eher mäßig, am zweiten Tag fiel mir eine Krone aus dem Zacken (sonst ist das ja eher umgekehrt) und ich musste den Zackenarzt aufsuchen, aber der Spaziergang an der Burg Rheineck (nicht mehr zu besichtigen) führte zu einem alten Jüdischen Friedhof mitten im Wald, wo der 1799 geborene David Berg (leider kann ich kein Hebräisch, aber es steht in lateinischer Kursive dort gemeißelt) 1873 seine letzte Ruhestätte fand. Wir haben auch den Ort Linz besucht, wo demnächst eine Künstlergruppe ausstellt, und die Künstlerin, der ich angehöre, und Sinzig, wo wir das französische Restaurant besuchten, dessen Maître und Inhaber früher im Radio gesprochen hat, seltsamerweise dachte ich wegen seines medienwirksam übertriebenen Akzents, es hieße "Wirrsinzig", was ich einen sehr, sehr lustigen Namen fände, ich würde dann auch immer ein Wirsinggericht anbieten. Er beruft sich in seiner Küche immer auf NaturprodukteBlumensalat im Vieux SinzigNormandie-Pute und das Ende seiner gastronomischen Medienkarriere war erreicht, als er mit Mikrophonbegleitung seinen Hund auf den Ahrhöhen nach Trüffeln suchen ließ, aber die folgende Sendung war ein Interview mit einem Häscher vom Bund für Umwelt und Naturschutz, der sogleich darauf aufmerksam machte, dass Trüffel in Ober- und Niedergermanien (die Brücke von Wagram bildet die Grenze!) unter Naturschutz stehen.Pont de Wagram in Bad Breisig Infolgedessen bestellte ich mir eine Kohlrabisuppe, ansonsten gab es Normandiegeflügel und Alaskafisch und sehr leckeres, fast etwas zu buttriges Kartoffelpüree im Gläschen, und allerlei Zugaben und Douceurs. Das Beste waren ein Pesto aus Kapuzinerkresse und der Holunder-Cocktail als Aperitif, von beidem nahmen wir im angeschlossenen Gourmetlädchen was mit. Menuekarte im Vieux SinzigDie GRÜNEN mögen das Restaurant, denn sie haben zur rheinland-pfälzischen Kommunalwahl ein Plakat mit der Aufschrift "Hier schmeckt's mir!" direkt vor den Eingang gepflanzt. In Sinzig gibt es auch ein schönes, leider nur vier bis sechs Stunden in der Woche geöffnetes Museum, in einer Art Schloss, das sich ein Fabrikdirektor gebaut hat, mit einem wunderbaren Park, hier würde ich gern mal was veranstalten... Und in Linz auf der anderen Rheinseite ist überhaupt das Zentrum des bunten Fachwerks, während in Bad Breisig, wo wir logierten, eher gründerzeitliche Architektur dominierte. Das Mausoleum, das ein Kölner Hutfabrikant namens Mertés seiner früh verstorbenen Tochter errichtete, er liegt wohl auch selber drin, steht direkt am Bahndamm auf Privatgelände, kann ebenfalls nicht besichtigt werden (nur im Rahmen von Stadtführungen). Na schön, das ist nicht so weit, fahren wir noch mal hin. Weitere Highlights in Breisig sind die Mariensäule über der Heilquelle, das (vermutlich doch bestellte) Wild Knitting im Kurpark, nur von Kurortatmosphäre nicht viel zu merken, z. B. rasen die KFZs immer mit achtzig Sachen durch die City). Aber insgesamt war es doch ein erholsamer und schöner Aufenthalt, wenn wir auch nicht wie geplant wandern konnten. Das Ahrtal ist von dort leicht zu erreichen, die Betten waren gut und es gibt sogar ein Wellnessbad in Bad Breisig. Vielleicht fahren wir jetzt öfters hierher als nach Bad Münster am Stein, was doch immer ein ganzes Stück mehr zu fahren ist und wo die liebe Hotelwirtin sich zur Ruhe gesetzt hat. Hier noch ein paar Impressionen...Grabmal des David BergSchild an der Mariensäule

    Breisig Mausoleum

    Juedischer Friedhof in Bad BreisigBurg nicht zu besichtigen...Jüdischer Friedhof unterhalb der Rheineck-Burg in Breisig


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  • klotzbuecherbrauerei"Ein klotziger Brocken bleibt das Buch dennoch, vielleicht auch ein Kotzbrocken" - mit diesen ermunternden Worten im Schlussabsatz einer Rezension in der Zeit vom 11. Dezember 2010 resümiert Friedhelm Rathjen Zettel's Traum. Diesen klugen, abwägenden Artikel möchte ich allen empfehlen, die sich im Kielwasser des hundertjährigen Geburtstags mit Schmidt beschäftigen. Eine freundliche und didaktisch strukturierte Einführung in den Gesamtkomplex und in einzelne Werke bietet auch Peer Schaefer auf seiner Webseite incl. Kommentarstellen zu Leviathan oder Die beste der Welten. Einen biographischen Abriss bietet Marius Fränzel auf seiner Musagetes-Webseite, dessen Lesehinweise-Blog zu Zettel's Traum über S. 1 noch nicht hinaus ist. Rathjen, Autor einer Chronik zu Leben und Werk (Bargfelder Bote, 3fach-Nummer), weiß zwischen Kritik und Bewunderung die Waage zu halten. Er resümiert, was Schmidt beschäftigte, als er das Werk niederschrieb, und hält es für den Abschluss seiner Ausflüge ins freudianische Analysierwesen. Der Dän in Zettel's Traum, den man unschwer mit Schmidt identifiziert (obwohl das wahrlich nicht immer naheliegt, William T. Kolderup aus der Schule der Atheisten ist beispielsweise Friedensrichter, aus begüterter Dänischer Familie und früher mal zur See gefahren) ist der letzte Ich-Erzähler, allerdings selbst auch nur ein Charakter aus den dramatis personae. Denn die entscheidende Klippe des Leser-Narrenschiffs ist: Früh-, Mittel- oder Spätwerk? wer das erste liebt, schätzt (oft) das letztere nicht - gut, es ist auch eine Geldfrage, und natürlich muss man für die ab Zettel's Traum geläufigen Riesentyposkripte Platz im Bücherschrank freiräumen. Und wer im Spätwerk zu Hause ist und sich auf die versponnene, grandios-einseitige "Etymtheorie" beruft, dem werden vielleicht die doch recht biederen, geradezu innere-Emigration-haften Juvenilia peinlich sein. Apropos: was könnte uns eigentlich sonst von der Lektüre Arno Schmidts abhalten? Hier zehn potentielle Bremsklötze zum Wegräumen:
    Arno-Schmidt-Lektüre: Hürden, die uns hindern würden...# 1 Satzzeichen: Ganz so schlimm ist es doch gar nicht, wenn man sich den Code mit z. B. <eckigen Klammern> und Doppel=Trenn=Strichen draufschafft. Wildwuchs an Ausrufe- und Fragezeichen, Beistrichen, Doppelpunkten ist gar nicht so schlimm, wenn man Comics lesen kann. Da ersetzt ja auch ein Ausrufe- oder Fragezeichen über dem Kopf die Denkblase, die den Erkenntnisweg erst nachzeichnet. Im Comic sind mit z. T. kombinierten Frage- und Ausrufezeichen - manchmal verdoppelt und verdreifacht - Gefühle wie Verwunderung, Verblüffung, Staunen suggeriert bzw. wiedergegeben. Die Reaktion des Lesers auf die Deixis eines isoliertes Zeichens wird bei AS vorab einkalkuliert. Auch als erzählerisches Element werden Satzzeichen benutzt, beispielsweise vorangestellte Kunstpausen-Doppelpunkte : ? Da werden Reden (oder Gesten, oder gar Mimik wie bei den heute allerorts benutzten Chatzeichen) abgekürzt. Einmal, ich weiß nicht mehr in welchem Roman, geht der Held aufs Klo und das Ausrufezeichengetümmel in der Parenthesengirlande lässt nicht grade auf flutschige Entleerung schließen. Eine ähnliche Überschrift „,;.–:!–:!!“  zierte ja auch die Spiegel-Titelstory von 1959 über den Schriftsteller (deren Druck auch das Ammenmärchen von der Unbekanntheit des Arno in der BRD-Literatur entkräftet) - die Zeile war ein Zitat; an der Stelle, von der es stammt, wurde der fragende Ich-Erzähler auf eine Lokalität hingewiesen, Komma und Semikolon deuten ein Zögern, vielleicht ein "äh" an, der erste Gedankenstrich vielleicht die Aussage oder den ausgestreckten Zeigefinger, dann folgt der Doppelpunkt  als eine Art deiktische Einleitung zu !, der schlechthinnig-emphatischen Exklamation, die man gar nicht mit einem Laut (z.B. "da") substituieren muss, um sie zu verstehen - und, weil die Erklärung noch präzisiert wird, folgt nochmal - Zeigefinger - Deixis - und jetzt zwei Ausrufezeichen, jetzt kapiert? unmissverständlich, da geht's lang, worauf im Text ein Ah, Danke schön... erwidert wird.
    # 2 Präpotentes Geniegehabe: Arno kennt, klar, niemanden, der so oft recht hätte wie Arno, und da das unbezweifelbar feststeht (ganz harter OKW-Stil: Wer etwas anderes behauptet, lügt!), lässt er's auch jeden wissen, der es nicht hören will. Andererseits begab er sich freiwillig selbst auf das schlüpfrige Feld der Freud-(wenn auch nur Text-)Analysen. Die Helden von Schwarze Spiegel, Brand's Haide und Faun wollen sogar retrospektiv alles besser gewusst haben, was Ihnen aber wenig half... Doch lässt sich AS nicht 1:1 kongruent mit den Ich-Erzählern austauschen (es sind eher Wunschprojektionen, die anteilmäßig auch bei Nebendarstellern zu finden sind), man darf ihn schon gar nicht mit dem Kultus ("Muhammad Arno Ali"', wie Andersch dichtete) der Fangemeinde verwechseln. Warum soll man sich provozieren lassen? Nicht er hat recht, ich habe recht, u.a. an Sonn- und Werktagen.

    Joseph M. von Babo: Arno. Ein militärisches Drama in zween Aufzügen (1776), aufgeführt in Mannheim, München und Wien: Als der Vorhang aufgeht, schaut der Held auf sein "Degengehänge"... was hätte die Etymtheorie daraus gemacht? "Babo" ist übrigens Jugendwort des Jahres 2013, heißt soviel wie Chef!
    Arno-Schmidt-Lektüre: Hürden, die uns hindern würden...
     # 3 Patriarchalischer Besserwisser: Ich war lange mit mir einig, dass Schmidt, wie ich ihn zu kennen glaubte, eine Art Vaterersatz ist (keiner, nach dem sich Waisenknaben wie ich geradezu sehnen).  Diese seltsam persönliche Verstrickung vieler Schmidt-Fans mit dem Objekt ihrer Bewunderung wäre wiederum eine eigene Psychoanalyse wert. Jedenfalls verkörperte er viele Eigenschaften, die im väterlichen Image der 1950er angelegt waren: Kriegserfahren, physisch stark, praktisch begabt, kennt die Natur wie ein Waldläufer, politisch ein Durchblicker, allerdings keine Ahnung von den "Beatles" oder den Segnungen der sog. Hippie-Gegenkultur, der er (stets einen Lesetipp bei der Hand) Döblin empfahl statt Hesse, intelligent und gebildet, SPD, aber linkslastig, immer auf der Seite der Schwächeren, natürlich gab es weit und breit keinen solchen Vater! Der Hader über die Enttäuschungen, die Schmidt später mit eher rabiat konservativen Thesen bereitete, dazu das immer weniger publikumsfreundliche Spätwerk, war der Rücksturz zur Erde nach dem Höhenflug kultisch übertriebener Selbstadoption. Wie man seinen Vater ödipal abmurkst, polemisierten von da an viele gegen den ollen Haide-Klotzkopf.
    # 4 Fehlurteile: Balzac, Balzac: kein Dichter; kein Verhältnis zur Natur (das wichtigste Kriterium!). Nur alle 20 Seiten einmal etwas wirklich Gutes, eine präzise Formulierung, ein suggestives Bild, eine Initialzündung der Fantasie. Wie lächerlich z. B. seine ewigen, 2 unbeholfene Druckseiten langen, Beschreibungen von den Boudoirs der Haute Volée! : vermag einer die Scherben solch unsinnigen Puzzle-Spiels zusammenzusetzen? Und so oft Gestalten, Motive, Situationen wiederholt, wie nur je ein Vielschreiber. Männer gelingen ihm nie; nur Incroyables, Geizhälse, Journalisten, giftmischende Portiers [...]. Seine Frauen: Kurtisanen oder Mauerblümchen. Psychologie?? : o mei!! : den einzigen 'Anton Reiser' geb ich nicht für Balzac und Zola zusammen! Wohlgemerkt, der so urteilt, heißt Heinrich Düring (der Faun in Aus dem Leben eines Fauns), der ihn so urteilen heißt, heißt Schmidt, allerdings. In einem ständig zwischen Essay, Erzählung und Lyrismen changierenden Werk stehen natürlich auch mal Klöpse dieser Art. Lustigerweise könnte das Fazit auf den Autor zurückweisen: seine Frauen? Kurtisanen oder Mauerblümchen; überzeugend gestaltete er Incroyables & Geizhälse; Psychologie: o mei!

    Arno-Schmidt-Lektüre: Hürden, die uns hindern würden...

    # 5 Wiederholungen: Dabei will ich ja gar nicht Balzac verteidigen müssen, wo ich selbst spät erst entdeckte, wie die Scherben solch unsinnigen Puzzle-Spiels, um es zu genießen, zusammengesetzt sein müssen. Sagen wir's ganz platt, Balzac führt aus meinetwegen sonderbaren Einzelschicksalen nach und nach das komplexe Soziotop des Seconde Empire herauf, ein untereinander vielfältig vernetzter Personenreigen. Ein einzelner Roman mag (je nach Übersetzung) nicht reichen, man muss da durch, das Ganze vornehmen, wo der Mikrokosmos jedes AS-Romans den ganzen Schmidt, im Grunde auch den späten Schmidt schon enthält. Es ist mit selbstähnlichem Personal die immergleiche story, die fort und fort gesponnen wird. Ein meinungsstarkes Wunderkind, ständig an der Doofheit der Mitmenschen verzweifelnd, wird erst innerer Widerständler, der doch angepasst-trotzig seinen Job macht, an Feierabenden Wieland liest, Fouqués Biographie oder das Königreich Hannover erforscht; als geschundener Kriegsteilnehmer und Ostflüchtling, der alles verloren hat, in bitterster Armut eine freiberufliche Einöd-Existenz errichtet, die Bretter zu seiner Hütte mit einem proletarischen Freund zersägt, das dumpfe Bauernvolk hasst, ab und zu Besuch bekommt von biederen Ehepaaren mit Teenie-Töchtern (halbwüchsigen Kurtisanen oder Mauerblümchen); und dann wird auf langen Spaziergängen durch die Haide über unbekannte Autoren und die Etyms bei Poe & Co. geredet, geredet, geredet...
    # 6 Etymtheorie: Irgendwann über der Lektüre von Karl May muss Arno die "präembryonale Tantenliebe" (R. Neumann) aufgegangen sein. Und dass seit Freud ("das feste Ja muss als ein dringendes Nein gedeutet werden") von allem das Gegenteil stimmt. Jedes Wort birgt einen Sex-Kalauer (Etym). Nicht, dass sich der Autor je einer Psychoanalyse unterzogen hätte, wie's jeder redliche Seelenklempner tun muss, nein, er dilettierte munter drauflos und entdeckte so in Sitara und der Weg dorthin, was es mit Winnetous "küßlichem Haar" und mit waldigen Doppelhügelkuppen auf sich hat, zwischen denen tief im Tal Wasserlöcher sind. Und: Von Sam Hawkins bis Halef Omar Peniden, alles Peniden! Eine ubw-Methode, die nur Carroll, Joyce - und Arno Schmidt bewußt anwandten.

    Arno-Schmidt-Lektüre: Hürden, die uns hindern würden...

    # 7 Sexismus: Na schön, man hätte gern statt einer Zeitmaschine ein Zeit-Megaphon, mit dem der junge Schmidt dem alten Schmidt zurufen könnte, dass es auch noch andere Assoziationen gibt als solche, die mit Arsch, Poe & Titt'n zu tun haben. Aber mal ehrlich, es schärft die Beobachtungsgabe ungemein, obwohl man den Zweck der Übung nicht recht erkennt. Was interessiert es den Leser, ob May schwul und Poe koprophil gewesen sei. Hat nicht Schmidt für sich verlangt, man soll mit dem Werk vorlieb nehmen und den schäbigen Rest des zermürbten Stachanowpoeten gar nicht ignorieren? bzw. in Ruhe lassen? Gut, in den 50er Jahren galt ein strenges Jugendschutzgesetz, heute wird Dirk Kurbjeweits Novelle Zweier ohne als schulische Prüfungslektüre von kleri- bzw. evangelikalen Schwaben bekämpft. Damals war das mit Katz und Maus nicht anders, und es war sicher ein Heidenspaß, wenn Robert Neumann denselben prüden Sittenwächtern, die Seelandschaft mit Pocahontas verbieten wollten, Karl May als jugendgefährdend anzuzeigen versuchte. Dass Schmidt knapp an einer Gotteslästerungs- und Pornographieverurteilung vorbeigeschrammt ist, macht den Tick erklärlich. Ansonsten hat er recht anmutige Geschlechtsverkehre geschildert, wobei Frauen stets auf Augenhöhe beteiligt sind, außer beim schmatzenden Französisch mit einer, äh, Zentaurin in der Gelehrtenrepublik...
    # 8 Atheismus: Das wuchtige Pamphlet Atheist? Allerdings! wurde vor Jahren bei Haffmanns als Flugblatt gedruckt, und zwar weiß auf schwarz in rotem Rand und mit hässlichster Fraktur. Wollte man andeuten, wes Geistes Kind dieser rabiate, sich andauernd erklären müssende Gottesleugner ist? Dem manifest theoretisierenden Atheismus wohnt der Widerspruch inne, dass er mit Schaum vor dem Mund gegen etwas predigt, was ohnehin nicht existiert. Atheisten erlebe ich als fromm und gläubig, während mich Zynismus der Pfaffen aller Religionen mehr ankotzt als 'Gott' & Schöpfung.
    # 9 Politik: Was mich zu dem Schluss bringt, weshalb ich diesen Blogtext angefangen habe. Schmidt als Bildungsstreber, 100-Prozentler, Antimodernist, Gewerkschaftsfeind, Misanthrop, unerträglicher Geili und Wortwitzler, hindert mich all das, seine Bücher gut zu finden? Nein. Man will gar nicht ständig einer Meinung sein, schon gar nicht mit dem, was man liest, das wäre fad!
    # 10 Humorlos: Als Arno Schmidt starb, notierte Elias Canetti: "aus Trotz", und Hans Magnus Enzensberger dichtete den Schüttelreim:
    Der Welt hat er auf Schritt und Tritt geschmollt
    und mürrisch hat sich Arno Schmidt getrollt.
    Es gibt ja sogar ein Suhrkamp-Insel-Buch Arno Schmidt für Boshafte, wie ich kürzlich festgestellt habe, wobei man fragen darf, brauchen wir das und wozu eigentlich die den? Das ist wohl der Grund, weshalb die Arno-Schmidt-Stiftung in den letzten Jahren immer öfter auf den komischen, humorigen, spaßigen Schmidt pocht. Selbst Reemtsma behauptete in einer arte-Sendung, welch ein "sehr freundlicher, zugewandter und höflicher Mensch" Schmidt gewesen sei, wo er selber noch 1986 bekannte, er sei nicht der Typ gewesen, mit man gern in Urlaub führe, und es gebe "einfachere Lebenswege in der Welt als den, die Frau Arno Schmidts zu sein" (Wu Hi? Arno Schmidt in Görlitz Lauban Greiffenberg, S. 237). Danke nein, ich brauch keinen Spaßgenerator im Bücherschrank, ich lache lieber über die Stiftung, denn Reemtsma ist von allen Schmidt-Mäzenen der am ärgsten Gelackmeierte. Das Geld (350.000 DM) gab er als Vorschuss hin für den Roman Lilienthal, von dem Schmidt ihm einredete, der solle sein Hauptwerk werden! (also doller noch als Zettel's Traum), daraus wurde nichts, am Ende blieb nach seinem Tod nur Julia, oder über die Gemälde - nett, aber nur ein Fragment. Auch den zusammengekehrten, jahrzehntealten Lilienthal-Schurrmurr mussten die Stiftungsknechte zu einem Buch zusammenleimen, und wer darin blättert, weiß Bescheid. Schmidt wird sich ins Fäustchen gelacht haben über den money man und hätte ihn früher oder später abserviert wie seine Förderer Michels, Schlotter & Co. Andererseits, wo sollte die Witwe hin mit dem Haus und den Büchern, direkte Erben gab's keine und wer wissen will, wie Arno Schmidts Neffe in USA aussieht und was er so treibt im Leben, hier klicken (Ken heißt er)! Das hat Jan Philipp Reemtsma jetzt davon, ätsch, jetzt ist er Arno Schmidts Frau, es gibt einfachere Lebenswege in der Welt! Seine Stiftung hockt seit Jahren auf all den Rechten, ob man bis 2049, wenn AS gemeinfrei wird, die 350.000 wieder einspielt? Ich fürchte, das war kein lukrativer Deal. Denn der Bildungshintergrund, den man doch mitbringen müsste zur Lektüre, wird immer fadenscheiniger; Suhrkamp ist insolvent, von S. Fischer, der einen interessanteren Klassiker-Kontext hatte, trennte man sich im Streit (in der sog. Suhrkamp-Kultur geht Schmidt neben Hesse, Brecht, Weiss & Co. unter, in Gesellschaft von Freud, Kafka, Döblin, Thomas Mann, selbst Christof Ransmayer und Florian Illies sähe er auf jeden Fall besser aus). Autorenkorrespondenz mit Andersch u.a. liegt längst vor, Familienbriefe, seit Jahren angekündigt, scheinen undruckbar zu sein, vermutlich zu banal; allenfalls von dem Wollschläger-Briefwechsel sind noch neue Aufschlüsse zu erwarten. Wollschläger war auch so ein armes Schwein, nach jahrzehntelanger Verehrung hat er als "Statthalter der deutschen Sprache seit dem Tod Arno Schmidts" (wörtlich so!) kein nennenswertes eigenes Werk hervorgebracht. Die Tagebücher der Witwe sind amüsant, ergeben aber keinen Cosima-Effekt, man liest sie nicht um ihrer selbst willen. Ein Steppenwolf oder ein Siddharta wie bei Hermann Hesse, der sich seit 100 Jahren immer neu als Kultautor vermarkten lässt (ob das je bei AS so wird?), springen aus diesem Nachlass beim besten Willen nicht mehr raus. Und um Gelehrtenrepublik oder Schule der Atheisten als Fantasy verfilmen oder als Comic zeichnen zu lassen, dafür fehlt der Fa. Schmidts Erben der Humor. Dass Schmidt selber das Lachen oft verbeißen musste, ist späten Fotos anmerken, z. B. dem, wo er Belege von Zettel's Traum kriegt und mit seiner Frühstücksmilch winkt (aber das täuscht, nach Erinnerungen der Haushälterin soll er anschließend Gläser randvoll mit Racke Rauchzart rumgereicht haben). Kurz, der war gar nicht so. Er beißt nicht, will nur spielen; glaubt mir, das Grantlertum bei Kraus, Bernhard oder Achternbusch ist auf Dauer viel, viel nervtötender.


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  • Jetzt ist also der 100. Geburtstag von Arno Schmidt vorüber, und vermutlich darf das Presseecho, wie ja schon 1979 die reichhaltigen Nachrufe, darauf hindeuten, dass der Autor in die deutsche Nachkriegs-Literaturgeschichte eingebürgert wurde. Inklusion, yeah, gewissermaßen, und das war auch nötig, denn als Wortmächtiger Rebell ließ Arno, so Klaus Bellin im Neuen Deutschland (18.1.2014) nicht mit sich spaßen: "Wer Mäßigung von ihm verlangte, ein paar Zugeständnisse vielleicht, war an der falschen Adresse." Im selben Blatt hatte am 14.1. Martin Hitzius festgestellt: "Heute würde ein Arno Schmidt als Asperger-Autist mit erschwerender Hochbegabung diagnostiziert und integrativen Maßnahmen zugeführt werden."
    Ein "Grantler mit riesiger Zettelwirtschaft" war Schmidt laut Roland Mischke im Südkurier (18.1.2014), und auch Ulrich Rüdenauer in der Zeit  (18.1.2014) ist der große Grummler, Misanthrop und Grantler eine aufmunternde Betrachtung wert: seine "leicht missmutige, misanthropische Stimmung gepaart mit unbedingtem Schreibwillen", der "Gesichtsausdruck [...] meistens: trocken, sachlich, mürrisch", der "stiere Buchhalter-Blick": da ist am "Geniestatus kaum zu zweifeln". Und Leser mögen, fordert der Journalist auf, "sich ranhalten und getrost mal einen Bogen um den neuen Dan Brown oder Daniel Kehlmann" machen, dies illustriert mit der extrem unscharfen Aufnahme (oder braucht es dazu eine Brille von "28 Dioptrien", taz v. 17.1.2014) eines Zettelkastens.
    Mein Elvis hieß Arno, lautet das Bekenntnis eines "abgeklärten Jüngers" und "Ex-Fan, der nun lächelnd auf die Torheiten der Jugend zurückblickt" namens Kurt Scheel ("als Literaturwissenschaftler selbstverständlich" - selbstverständlich? - "Avantgardebefürworter") in der taz vom 18.1.2014. In jüngeren Jahren, Oktober 1971, war derselbe Scheel nämlich bei einer von Jörg Drews veranstalteten Tagung in Bargfeld gewesen, hatte ein Bier nach dem andern in Bangemanns Gastwirtschaft gesoffen und sein Bild kam in den Spiegel: "Ich bin der zweite von rechts, dieser schlanke Jüngling im weißen Anorak." Rückblickend auf das Romanwerk beklagt er sich aber "kopfschüttelnd über die Enge des dort herrschenden Denkens und die Aggressivität des soziophoben Intellektuellen". Ein Scheelm, wer Böses dabei denkt! Manche suchen in der Literatur die Bestätigung eigener Ansichten und Weltanschauungen, und so blieb Schmidt bei Scheel vor allem ein "missgelaunter Misanthrop, ein Angstbeißer mit leichtem Asperger-Syndrom" und, als besonders übel, als "Beatles-Hasser" in der besonnten Erinnerung. - "Je nach Lust und Laune warf dieser Schriftsteller alle bekannten Rechtschreibregeln über den Haufen, die uns gerade eingepaukt worden waren", erinnert sich auch Wolfgang Müller im Freitag (17.1.2014): "Dabei sah Schmidt eigentlich selber aus wie ein Stereotyp des spießigen Studienrates", und die Beatles habe er gar als "Krampfhennen" bezeichnet.
    Der unvermeidliche Dietmar Dath in der Frankfurter Allgemeinen findet "Löcher in jenen Konzeptarchitekturen", die Schmidt mit den gemäß seiner Berechnungen verfassten Romanen hinterlassen habe; der Kritiker selbst hält sich zurück, beschwört aber, Leute zu kennen, die sich beschweren, "dass das, was bei Schmidt anfangs charmante Tricks sind, später monomane Ticks werden, oder darüber, dass er am Ende so wenig an einem Gegenüber auf gleicher Höhe interessiert war, dass auch sein erotisches Ideal nur mehr das unmündige Mädchen sein konnte, das ihn anhimmelt".  Andererseits sei er "für allerlei Schrullen, die aus der splendid isolation folgten, kultisch geliebt" worden (Feuilletonredaktionen sollten jedesmal, wenn im Zusammenhang mit Arno Schmidt ein Begriff aus dem Wortfeld "Kult" fällt, ans Autorenversorgungswerk der VG Wort einen Cent abführen). Im Übrigen habe Schmidt - bei Datmier Dieth geht alles immer ein wenig von hinten durch die Brust nach vorne - als "der größte je vorhandene deutschsprachige Science-Fiction-Autor" einen Code vorgetäuscht und "musste so tun, als gäbe es den Code, der seine Versuche absichern konnte, aber seine Versuche zerstörten diesen Code immer gerade da, wo sie glückten".
    In der Süddeutschen Zeitung machen mir die Stichworte Spaß, unter denen ein namenloser online-Arno-Schmidt-Artikel, für den der Volontär eigens in die Lüneburger Heide auf die Pirsch geschickt wurde ("Irgendwo in der Ferne brummt der Motor einer Landmaschine") thematisch verlinkt ist; man könnte sie auf Zettel schreiben und wie Spielkarten mischen, bevor man mit der Niederschrift des Artikels beginnt, aber auch in alphabetischer Reihenfolge hintereinander gelesen ergeben sie den abgeschlossenen Kurzroman: "Arbeitszimmer, Auto, Celle, Erde, Film, Grundstück, Günter Grass, Hamburg, Heinrich Böll, Herzinfarkt, Jan Philipp Reemtsma, Kaffee, Lüneburger Heide, Museum."
    Malte Bremer auf literaturcafe.de ist Arno Schmidt nie begegnet und "wollte das auch nicht; er war wohl sehr miesepetrig, wenn nicht gar menschenfeindlich!" Dafür war Leviathan das "einzige Buch, dass ich jemals geklaut habe", heute ist es Malte peinlich; er büßte es durch Ankauf der Bargfelder Ausgabe der Arno-Schmidt-Stiftung.
    Vielleicht aus ähnlichen Motiven sang Götz Alsmann im Hamburger St.-Pauli-Theater und in der Bar jeder Vernunft ausschließlich "Schlager, die Arno Schmidt hasste" - bisschen gemein, oder war das nur ein Versuch, mit dem ohnehin vorgeplanten Repertoire "auch vom Arno-Schmidt-Jahr profitieren" zu wollen, wie 1979 Oswald Wiener (den Wolfgang Müller im Freitag zitiert), bzw. etwas Aufmerksamkeit abzusahnen?
    - Als "spleengeschüttelter Sprachzerknackungskauz", als " hinter Bildungssperrmüll verbunkerter Menschenfeind, ein frustrationszerfurchter Lebenswegentgleister mit herrenmenschelnden Titanenallüren" wird Arno Schmidt von Thomas Klingenmaier in der Stuttgarter Zeitung (19.1.2014) gewürdigt. Aber! Damit ließe er sich wohl beschreiben, jedoch "nicht fassen", fährt der Autor versöhnlicher fort. Er versucht es daher andersherum und beschreibt ihn "als polymorphes Bildungswunder, als Neugierkrake" im "Schreibstubensoziotop", der den "Absprung aus dem häuslichen Wohnküchenmief in ein geisteswissenschaftliches Studium" nicht geschafft habe. Bis zu Kaff, auch Mare Crisium, jenem bereits mehrspaltigen Roman, bei dem auch Kurt Scheel von der taz aufgehört hat, bildeten die Schmidts Werke ein "faszinierendes Konglomerat aus Kleinbürger­ressentiment, Anarchistentrotz, Patriarchenpeinlichkeit, Hirnkometenglanz, Bildungshuberei, Denkmalstürzerwut, Natur- ­begeisterung, Sprachanalyse, Genialität und Taschenspielerei". Dann aber kam mit Zettel's Traum eine "jahrelang die Produktivkraft bindende Selbstkarikatur" des Romanciers zum Vorschein, der sich "in den eigenen Methoden, Besessenheiten und Gaukeleien" verfangen hatte. - Auch für Lutz Wendler vom Hamburger Abendblatt (18.1.2014) ist Schmidt als "Autor des größten, schwersten und schwierigsten deutschen Romans berüchtigt. Das Buch- und Sprachungetüm wurde zum Synonym für unzugängliche Literatur".
    Überhaupt, Zettel's Traum macht den Geburtstagsartikelschreibern zu schaffen: Ein "kryptisches Über-Buch", "eine Obskurität mit Garantie auf Wertsteigerung", meint der MDR auf seiner Webseite: "Allein dieses Mammutwerk macht ein Viertel seines Gesamtwerkes aus. Neun Kilogramm 'Hardcore-Literatur' in acht Büchern". - "Es wimmelt von einzelnen Buchstaben, Zahlen, Plus- oder Auslassungszeichen", stellt Thomas Groß im morgenweb für den Rhein-Main-Kreis fest: "Spröde wirkt es, doch etwas näher betrachtet auch ungemein plastisch, sinnlich, oft witzig, immer hintersinnig - so wie alles, was der literarische Außenseiter zu Papier brachte." - Da habe man es mit "einer literarischen Abrechnung" zu tun, "in der die Auseinandersetzung mit dem amerikanischen Schriftsteller Edgar Allen Poe und dessen Werk eine zentrale Rolle spielt" (NDR-Webseite). -  "Schmidt hält sich immer weniger an die deutsche Rechtschreibung", wundert sich Ronny Arnold auf der Deutsche Welle-Webseite, "vielmehr erfindet er einen eigenen, ungewöhnlichen Schreibstil, spielt mit Worten und Kalauern, orientiert sich an Dialekten". - "Das Buch ist nicht unlesbar", begütigt Ralf Stiftel im Westfälischen Anzeiger, "wie manche behaupten. Aber es überfordert sicherlich den unvorbereiteten Leser. Und das nicht nur wegen des Schriftbilds. Die Seiten sind in drei Spalten aufgeteilt, drei Textflüsse, die sich gegenseitig kommentieren." - Gabi Wuttke von der Neuen Zürcher Zeitung machte es sich leicht und verabredete sich mit einem Menschen, der das Buch auf jeden Fall komplett gelesen haben muss, dem 71-jährigen Amerikaner John Wood, der es ins Englische übersetzt hat: "Glücklich die Momente, wenn er möglichst viele Bedeutungsschichten der Etyms zu fassen bekam; besonders die Aha-Momente, in denen in einem englischen Äquivalent eine Bedeutung aufblitzte, die dem zweisprachigen Schmidt im Deutschen offensichtlich entgangen war."
    Aber es müsse, wenn man partout etwas lesen wolle, "ja nicht unbedingt Zettel's Traum sein", mit dem sich "sich Arno Schmidt in eine Sackgasse geschrieben hatte. Er hatte den Kontakt zum Leben und zu den Lesern fast gänzlich abgebrochen", wie Jürgen Strein in den Fränkischen Nachrichten (18.1.2014) beklagt, wortgleich sekundiert von Martin Willems in der jungen welt (16.1.2014): "Es muß ja nicht sofort der klobige Textbrocken 'Zettel's Traum' sein." Und was gibt es sonst? Wir wollen auch vom Arno-Schmidt-Jahr profitieren! die Duisburger Stadtbibliothek zeigt Pocahontas-Illustrationen und lässt Reemtsma vorlesen, 5.2.2014, 16.30 h., nur: Jan Philipp Reemtsma muss es auch nicht unbedingt sein.


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  • Der Allgemeine Deutsche Autorenclub ADAC hat zugegeben, dass die Umfragen zum "gelben Schutzumschlag" des Jahres gefälscht waren. Der Chefredakteur der Zeitschrift "Autorsport" hat bereits seinen Rücktritt erklärt, nachdem herausgekommen war, dass die Teilnehmerzahl bei der Umfrage bedeutend von seinen Angaben abgewichen war: Keine bombastischen "35.000" Leser hatten für Daniel Kehlmann als beliebtesten Autor Deutschlands gestimmt, sondern grade mal 3.500. Dabei war die Berechnungsgrundlage längst gelegt, man Arno_Schmidt_Buechertischmuss nur Arno Schmidt nachschlagen: Bei der Gesamtzahl der deutschsprachigen Nicht-Analphabeten kann man nur die dritte Wurzel aus P ziehen, um die "Kulturträger" zu ermitteln, die sich mit viel Mühe, Ausdauer und Kosten in Dichtung vertiefen (und einen pannenfreien Lieblingsautor haben), bei 60 Millionen "wären es 390 etwa, 390, mehr sind es nicht", so Arno Schmidt, Ehrenmitglied (ungelogen!) im ADAC-Motorsportclub Uckermark-Prenzlau e.V. Und selbst diese 390 "sind schon Amateure, wenn Sie jetzt die eigentlichen Kulturerzeuger von mir wissen wollen, dann müssen Sie daraus noch mal die dritte Wurzel ziehen, das sind dann sieben bis acht, höchstens." Aber unter diesen 7 bis 8 den Lieblingsautor der Deutschen zu küren, muss ich nur the one and only kennen - meinen eigenen!

    "Auch ein unsichtbares Motorrad sprudelte auf und zog dann die kleiner werdenden Schallperlen hinter sich her", Alter DDR-Wechselscheindieser Satz aus dem Taschenbuch Sommermeteor, bzw. der mich noch heut nicht kalt lassenden short story Nachbarin, Tod und Solidus hat mich, das muss 1971 oder 72 gewesen sein, ergriffen, ich arbeitete damals in einem Seifenlager von 7.00 morgens an, wenn es noch dunkel war, und kam aus dem Werk heraus, gegen halb fünf, wenn es gerade wieder dunkel wurde. Das Seifenlager war das Kellergeschoss einer Kurzwarenfabrik, die angesichts wachsender Konkurrenz immer weniger produzierte und deren Besitzer in weiser Voraussicht in den Speditionshandel eingestiegen war. Von hier wurden die Waschmittel, Niveadosen und Kosmetika an die Drogerien (gab es damals noch) der Stadt ausgeliefert. Nach einer Liste zählte ich die schönstduftenden jugendstil-dekorierten Roger & Gallet-Spezereien ab, ich liebte diese Schmuckschachteln so sehr, dass ich mir am liebsten welche mitgenommen hätte, stapelte sie in schnöden Pappkartons, die in vergitterte Rollcontainer kamen ("Container" sagte damals noch keiner, das rechte Wort weiß ich nicht mehr!) und wenn alles fertig war, schob man die parfümierten Käfige zum wartenden LKW auf den Hof. Der Fahrer half nicht dabei, der qualmte sich unterdessen eins, vielmehr half man ihm beim Entladen, wenn neue Ware kam. Den obengenannten Satz aber las ich während der Mittagspause in einer Werkswohnung auf der Toilette, die ich netterweise benutzen durfte (der Sohn des Personalchefs hatte mir diesen Job verschafft). Drei TramperDer eigentliche Hausherr war nicht da und ich lieh mir das Buch, nachdem ich jenen mich geradezu umwerfenden Satz gelesen hatte - nie hatte jemand in meiner Umgebung meine (Miß-)Wahrnehmung der Welt so plastisch ausgedrückt - , bis auf weiteres aus. Die Arbeit war hektisch, ab ca. 14.00 ließ das nach, dann war Zeit totzuschlagen. Ich konnte mich also hinter die Seifenkistenregale verziehen und lesen!, und mein Vorarbeiter, dem ich eigentlich nur beigesellt worden war, weil er eine Kriegsverletzung am Bein hatte, pflegte zu sagen, "wenn jemand kütt", wisse ich Bescheid (auf deutsch hieß das, ich solle mich beim Auftauchen anderer Werksangehöriger  darauf besinnen, dass der Boden auch mal wieder gekehrt werden müsse, was ich dann, das Buch rasch hinter den Warenkisten verstauend, übereifrig tat, um anschließend die Lektüre wieder aufzunehmen). Meine Existenz hing sowieso nicht davon ab, das war nur ein Ferienjob, sonst besuchte ich die Obersekunda, wohnte noch (aber nur mehr für ein Jahr) im Elternhaus, das ich mit Kindergeld und Waisenrente munitioniert mit 17 zu meinem Segen verließ. Das Geld wurde übrigens noch in Lohntüten ausgegeben, obwohl ich sogar - wegen Gründung eines Science-Fiction-Clubs - mit 12 bereits ein Girokonto hatte.

    Natürlich gab es auch andere Hammersätze in dem Buch (eigentlich waren diese Sachen vorher in Zeitungsfeuilletons und dann 1966 in Trommler beim Zaren veröffentlicht worden), "wie das Klavier unter Emmelines Pfötchen nervös brüsselte, dicke Blasen stiegen auf; im Baß blubbte es manchmal suppen", las ich in der Titelgeschichte Sommermeteor, einer der schönen Stürenburg-Erzählungen, die großenteils aus Tieck-Novellen und anderen Quellen des 19. Jhds. transformiert wurden; oder diese Erkenntnis: "Im Allgemeinen bin ich am liebsten allein", nichts konnte mir mehr entsprechen in meiner pubertären Schwerstkrise (die eigentlich seitdem anhält), oder der letzte Absatz einer Prosaarbeit Was soll ich tun?, die zwischen Essai und Kurzgeschichte schwankt: "Schlafbücher müßte es geben; von zähflüssigstem Stil, mit schwer zu kauenden Worten, fingerlangen, die sich am Ende in unverständliches Silbengekringel aufdrieseln; Konsonantennarreteien (oder höchstens mal ein dunkler Vokal auf <u>): Bücher gegen Gedanken. Was soll ich bloß tun?!" Ich wußte, was zu tun war, und las dann auch bald Romane, in denen die einzelnen Absätze snapshots eines Fotoalbums waren und von kursiven Einstiegs-Schlagzeilen eingeleitet werden. Ich las die alten Spiegel-Artikel und die Pardonheftchen meiner Brüder, in denen sich Essays oder Polemiken oder Rezensionen von Arno Schmidt fanden. Ich las das frühe Oeuvre mehrmals, alle paar Jahre fing ich wieder von vorn an, denn man konnte ja unmöglich alles auf einmal aufnehmen, immer wieder fanden sich neue übersehene Details. Ich las mehrspaltige Romane mit unterschiedlichen Handlungssträngen, eingeklebten Bildchen oder Rundfunkdialoge, im Verhau der Satzzeichen ! - !! - !!! die mathematischen Formeln und obskuren Theorien, das Dickicht der verrücktesten Fremdwörter, Langzitate aus entlegensten Schwarten,  - da stimmte einfach alles, selbst die merkwürdige Orthographie, die nur von einem stammen konnte, der Comics gekannt oder den Computercode vorweggeahnt hat - und ihr könnt mich totschlagen, ich verstand auch das meiste mit meinen Siebzehn!

    Ich bin dann kein allzufanatischer "Fan" geworden, habe nie den Bargfelder Boten abonniert und wollte mich auch gar nicht "Jünger" nennen. Es gab ja auch andere Götzen: Lyriker, U-Comix, Surrealismus, Herr der Ringe, Liedermacher, Sri Aurobindo, Landkommunen, die Frankfurter Schule, ZEN, der ganze Popmusikkram, das habe ich alles wohl aufgenommen, allein von den deutschsprachigen Autoren, deren Gesamtwerk mir einigermaßen vertraut ist, wären einige zu nennen. Aber Arno Schmidt, mit dem habe ich durch Vorlesen, Aufdrängen, Empfehlen und Immerwiederdraufzurückkommen - seufz, stand in der Denkblase meiner Schulkameraden, die schon meine Ausgabe von Becketts Warten auf Godot unter der Bank lesen mussten - alle möglichen Leute behelligt und dabei einige Schmidt-Leser und, manchen wird's wundern, gerade Leserinnen gewonnen Seite aus dem Tagebuch 1973und begeistern können (eine hat sich mal zum Abholen eines der von mir zugesandten Spät(groß)werke von der Poststation eigens ein schickes Kleid angezogen, wie zur Verlobung, nicht mit mir, ich war nur das Schadchen oder der Schlattenschammes, sondern mit dem Solipsisten mit dem freudianischen Etym-Tick!). Natürlich unternahm ich den obligatorischen Ausflug ins Mekka der Lüneburger Heide, nach Bargfeld, als der Mann schon nicht mehr lebte, und habe ganz köstliche olle Heidekartoffeln mitgebracht, welche sich die Bäurin fast schämte zu verkaufen, die waren die leckersten meines Lebens und schmeckten mir und meiner Liebsten wie dem König im Märchen, der sie mit Eidottern vergleicht! - Deckel Literaturquartett mit Arno SchmidtSelbst Ernst Krawehl, mit dem ich an seinem eigenen S. Fischer-Schmidtspezialstand der Frankfurter Buchmesse mal gesprochen hatte, gab ich mich nicht als Eingefleischten zu erkennen, sondern tat so, als hätte ich keine Ahnung. Inzwischen selber in einem Buchverlag tätig, fragte ich ihn, ob er Schmidts Prosa redigiert habe, da sah er mich strafend an und entgegnete so etwas wie: "Einen Arno Schmidt redigiert man nicht, da wird vielleicht alle 100 Seiten mal auf ein fehlendes Komma aufmerksam gemacht" etc. - Ich las natürlich alles im Taschenbuchformat. Mein Gott, 1972, 1973 gab es noch alles in Erstausgaben zu kaufen (ich erwarb Abend mit Goldrand zu Lebzeiten des Autors in einer signierten Subskriptions-Ausgabe, die ich allerdings in einer Pleitephase verkaufte und gegen eine nichtsignierte eintauschte), die dann später so maßlos im Antiquariatspreis emporschnellten, dass der Hype bald zusammenbrach wie die Amsterdamer Tulpenhysterie von 1634. Natürlich folgte ich auch Leseempfehlungen des Meisters, wenn auch nicht in alle Winkel (kein Karl May, Frenssen, Wilkie Collins, und nur in homöopatischen Dosen Schefer, Verne, Herder oder Bulwer-Lytton) und las bis in die 80er Jahre so ziemlich alles von ihm selbst, dessen ich habhaft werden konnte. Aber ab wann nahm der Schmidt-Stil Einfluss auf mein eigenes Geschreibsel? Denn dass sich der Autor dieses Artikels von 1979 ganz schön an Arno Schmidt heranwanzt, war doch wohl unverkennbar.

    Es muss zwischen Lebensjahr No. 15 und 17 gewesen sein, dass ich meine Arno-Schmidt-Initiation (Inkubation, Infektion, Injektion) erhielt, meine Tagebücher vorher sind eher umschmidtsch, z.b. hier vom 15. August 1970, da war ich vierzehn:

    Dritter Tag, nachmittags. Ich befinde mich in den Dünen Zandvoorts. Die hügelige Landschaft, die aus Sand, Erde und großen Grasnarben besteht, übt einen seltsamen Einfluß auf mich aus. Ich habe manchmal das Gefühl, als wäre es besser, wenn es keine Städte gäbe und nur wenige Menschen. Es ist merkwürdig, sich vorzustellen, man wäre allein an den Dünen, allein mit der Sonne, den Wolken, der Musik des Windes und des Meeres, ohne Minen, die das Betreten von manchen Landstrichen lebensgefährlich machen, Stacheldrahtzäunen, die das Betreten verhindern, ohne Abfall, der herumliegt, ohne die Geräusche der Flugzeuge und Motorräder und ohne eine Stadt, die hinter der Hügelkuppe auftaucht. Manchmal habe ich das Bedürfnis, kilometerweit, ja, Hunderte von Kilometern zu wandern, ohne ein Zeichen von Zivilisation zu sehen außer ein oder zwei Bauernhöfe, die sich freuen nach langem wieder ein menschliches Wesen zu sehen und ihm Nachtlager zu gewähren. Schade, daß so etwas nicht mehr möglich ist

    ...und hier ein Beitrag vom 19. März 1973:

    Ich liege wach und erwarte den Schlaf. Um nur die Wartezeit zu verkürzen, tue ich so dies und das. – Ich denke nach, stehe am Fenster und  rieche die kühle Nachtluft, schreibe im Schein der Petroleumfunzel ein paar Zeilen. In Wirklichkeit weiß ich aber, dass der Schlaf  sich um so mehr Zeit läßt, je mehr ich mir die Wartezeit vertreibe. Er fürchtet sich vielleicht vor Büchern, Fenstern, Gedanken und Petroleumfunzeln (wie überhaupt vor Lampen). Weiß ich?
    Ich habe in letzter Zeit viel geschrieben. Leider muß ich wohl den Füller mit grün und violett verloren haben, das wird euch vom Lesen abhalten. Ich habe in der Tat die letzte Woche über mehr geschrieben als den ganzen Monat davor. Zumal habe ich Angst, es könnte Unüberlegtes und zu Spontanes dabei sein. WARUM GERADE AUSTRALIEN erkenne  ich voll an, auch die Notizen unter den Datumsangaben - sie sollen ja gerade spontan sein. Aber VERSUCHE, TO A LADY, I WISH und das andere Gedicht –  ich weiß nicht recht. Ich bin mir nicht sicher. Ist das die Oberfläche der Sonne? Sind dies Strahlen, staubige Flecken? Vielleicht sind es Sonnenflecken. – Vieles ist auch zu verstehen, weil ich krank bin.
    Leise Geräusche der Nacht sind zu vernehmen, ich meinen Ohren summt das Blut seine ewige Melodie, die am Tage ungehört verhallt. Werde ich heilen?

    Im Herbst 1973, nach einer Bootstour mit Freunden, bei der wir beinahe von einem sog. "Euro-Container" überfahren worden wären, notierte ich dann dies:

    Stromabwärts. Eine Segeletappe Nachts - Fockleine war fest gestellt, und der Nachtwind blähte das geisterhafte Segel nur schwach - durch den schwarzen Strom gleitend unter tausend unbekannten Sternen. Dieselbe Nacht eine Nacht der tierischen prähistorischen Angst, des dumpfpochenden Urtriebs; als der Saurier mich zu töten versuchte, wäre ich nicht unbald über der Wupper gewesen. Die Rückkehr in Regen und Wolken, auf dem schnellen Rhein 1 Tag 60-70 km (gerudert) , aber auch jeder einzelne Stofflappen war naß. Die alte Hexe, die uns im Audi 80 nach *** fuhr, war wohl zum ersten Mal überrumpelt worden (ihre Kristallkugel war beim Polieren in der Werkstatt).

    Und zum Schluß noch vom 6. August 1978 ein Eintrag in mein "Lesetagebuch", das ich mir als frischgebackener Student vorgenommen hatte zu führen und auch ein paar Bände lang durchhielt:

    Schmidt, Arno Berechnungen I

    Habe mir den 2001-Nachdruck der Anderschzeitung TEXTE UND ZEICHEN ausn 50igern besorgt, und was tu' ich? Drin rumschmökern (anstatt den J[ean] P[aul] fertigzukriegen, Tristan anzufangen oder Fontane zu vertiefen) – Heyhey, mein lieber, schnakisch schnakisch was Er da schreibt, gehört mit bei Weitem zum nützlichsten + besten was mir von dem Herrn geläufig ißt (und mir ist (beinah) Alles geläufig!) – Er hat  da ne interessante Formanalyse des eigenen Werkes gemacht: Entscheidend ist Bewegungskurve + Tempo der Handelnden im Raum, d.h. Bei Umsiedlern hektisch-eisenbahnig, bei Pocahontas einkreisend-umzüngelnd, soso. Das kann ich evtl. guten Zwecken dienstbar machen: DAS müßte ich doch auch können? M. Wissens hat das noch keiner so gesehen (= genial, genial!). Wie hat er das denn dann zum Dialogroman weiterentwickelt? Da ist er sich doch spätestens im Goldrand (auch schon Z[ettels] T[raum], der Scheuß*) untreu geworden, denn soviel langsätzige literarische Reflexion in so enger Handlung wie z.B. Abfahrt von Franziska oder Walburgißnacht, dazu iss doch gar kein Platz? Da beschreibt er doch immer noch umständelnd weiter? = Aber vielleicht ist das die Lynkeus-Position, er sitzt im Bargfelder Leuchtturm und nimmt selbst das Getümmel seiner Personnage nur noch zähflüssig-greiselnd wahr!! Aber für's überschaubare bis Caliban [auf Setebos, eine Erzählung] herphoragent und ich will sehn, ob ich damit nich'n bißchen experimentiere. Es ist so klar und einsichtig-dödlig wie irgendn Rätsel, wenn man die Lösung kennt. Der Meister verrät seinen Zauberspruch, dz! Nur gut, daß es das in Taschenbuchform noch nicht gibt.

     *kein Verschreiber für "Scheiß", das soll "Joyce" heißen, nach dem Wortspiel "Schäms Scheuß".

    Lieferschein zu Zettels Traum


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