• Em Divertissementschen

    Ja, wat es datt dann? Gut, außerhalb Kölns muss man's erklären. Da stelle mer uns janz dumm. Fällt uns Kölnern ja auch sonst nicht schwer. Divertissementchen heißt jene karnevalistische Bühnenkunst, die sich der junge Offenbach angeguckt hat, bevor er mit seinem Bruder (übrigens mit Hilfe von Spenden begeisterter Kölner,Opernvorhang der Stadt Köln die "dat Jaköble" als musikalisches Wunderkind liebten!) nach Paris geschickt wurde, um Cello zu studieren und die Operette zu erfinden. Und wie die städtische Puppenbühne Hänneschen, der Tanz des Funkemariechens, das Zeltlager der Hunnen (und anderer, meist um 1900 von Ethnologen gegründeten Kostümgruppen) sowie das Sitzungswesen bis hin zur Stunksitzung gehört das Divertissementschen zu den Vorvergnügungen der Kölner Karnevalssaison, die sich, was viele nicht wissen, vom 11. im 11. um 11 Uhr 11 bis Fastnachtsdienstag 24.00 erstreckt - zuletzt kommt das Abhängen des Nubbels (mancherorts auch "Peias" genannt),Casting-Show im Kölsche Riviera der vom Giebel über der Kneipe genommen, in einer sonderbaren Schwarzen Messe verbrannt und betrauert wird. Ich bin ja kein geborener Kölner, sondern komme aus Schlesien bzw. bin im Rechtsrheinischen geboren (liegt für hiesige Eingeborene genauso tief im grausen Osten und ebenso verloren), und nehme vom Karneval immer nur in großen Etappen mit, was sich mir anbietet: so habe ich zweimal die Puppensitzung gesehen, fand die knisternde Atmosphäre bei der Aufstellung der Karnevalswagen am Rosenmontag gut (Musikinstrumente auf dem Pflaster abgestellt, kostümierte Funkemarieche laden Bonbonmassen in die Schiffsbäuche, uniformierte Fußtruppen kriegen Suppe aus der Gulaschkanone) und mochte immer die Schull- und Veedelszöch mit ihren kreativ-selbstgebastelten WagenTorte beim Atelierfest (auch wenn selbst der harmlose Kinderkarneval furchtbar repräsentativ geworden ist und inzwischen genauso seine Stars und alternativlinke Stunkfeten zeitigt). Und dieses Jahr war ich - einem gewerkschaftlichen (gut dass meine Liebste noch nicht ausgetreten ist) Kartenkontingent sei Dank -, zum erstenmal beim "Divertissementchen". Erste Überraschung: das Ganze fand im Opernhaus statt, und ich dachte, die residieren doch in der Wolkenburg, einer für Festivitäten mietbaren Prachtresidenz südlich des Neumarkts, weshalb die Spielvereinigung, die aus dem 1842 gegründeten Kölner Männergesangverein e. V. hervorgegangen ist (für den bereits Verdi ein paar Stücke komponiert hat!), sich schon immer "Cäcilia Wolkenburg" nannte, nach der Schutzheiligen für Musik. "Zillche" nennt man wohl auch die Aufführungen hierorts, diesen Begriff habe ich aber erst in einem Prospekt gelesen. Da die Oper in Köln traditionell einen besonders guten Chor hat (Massen von Statisten werden, phantasievoll aufgetakelt und eindrucksvoll gestikulierend, in fast jede Inszenierung eingebaut, das kommt billiger als die teuer einzukaufenden Diven und Solisten),Atelierfest beim Maler Riepenhahn nehme ich an, etliche Mitwirkende - alles Laiendarsteller! - haben diese Bretter schon zuvor betreten. Aber eben nicht alle, und das ist sicher ein Wagnis und aller Ehren wert, wenn man nicht grade beruflich auf ihnen zu stehen gewohnt ist. In der Wolkenburg finden Karnevalssitzungen und Bälle statt, aber mit ihren Singspielen, den "Zillchen" beschlagnahmt der Verein offenbar jedes Frühjahr für ein paar Wochen das Opernhaus, wo infolgedessen Alban Berg, Puccini und Lortzing nix mehr zu kamellen haben. Und jetzt kommt der zweite, unverzichtbare Bestandteil: außer den Sängern des Kölner Männergesangvereins wirken auch noch Balletttänzer (heute mit drei t) mit, die tttraditionell  aus der Belegschaft von Bühnenarbeitern der Stadt Köln rekrutiert werden, weshalb sich dieses besondere Ensemble "Wolkenschieber-Ballett" nennt. Und last but not least braucht man auch noch ein Orchester, das in den Graben passt, in diesem Fall die "Bergischen Symphoniker", die, wenn sie nicht durch Opernmuckenerfahrung ausreichend abgebrüht sind, ihrem Auftritt in dem riesigen Bühnenhaus am Offenbachplatz gewiss auch mit Herzklopfen entgegensehen.

    Erstmal fiel uns auf, dass die Mehrzahl der Gäste ein durchaus ungewohnt-kleinbürgerliches Bild bot. Man war nicht heftig kostümiert, sondern geschmackvoll festlich gekleidet, mit dem einen oder anderen symbolischen Karnevals-Accessoire von der Pappnas bis zum Kapotthut. Und alle waren gleich schon guter Laune, vielleicht war hier und da schon dem Gott Schampus gehuldigt worden. Dann war da ein wirklich hübsches Bühnenbild, dWolkenschieber-Ballerinasas die meiste Zeit über eine Kölner Hotelgastronomie zeigte, die "Kölsche Riviera", direkt am Rhein gelegen, über den später auch allerlei Rheintöchter einschwebten (Ballerinas), mit König Ludwig von Bayern im Schlepp, der sich allerdings nicht im schwanförmigen Nachen, sondern in einem überdimensionalen Quietscheentchen einschiffte. Das wäre doch auch mal was für eine modern aufgefasste Lohengrin-Aufführung! Nun zur Handlung des Divertissementchens. Erstes Bild: In dem Hotel ist das Wahlbüro der deutschlandweit ersten Oberbürgermeisterin (wir schreiben das Jahr 1900 und nur wenige Zerquetschte). Ulla von den Sinnen hat durch Einführung eines "Männertags" am Vorabend ihrer Wahl, mit Freibier bis zum Umsinken, die Wahlbeteiligung auf ein so niedriges Niveau gedrückt (13 %), dass die an die Urne geeilten Suffragetten eine überwältigende Mehrheit ernteten. Nun will Ulla eine Frauenquote einführen und dafür sorgen, dass im Kölner Dreigestirn die "Jungfrau" wirklich von einer Jungfrau gegeben wird (muss man sicher auch erklären: also, Prinz, Bauer und Jungfrau werden im Kölner Karneval traditionell von Männern verkörpert. Und wo wir grade dabei sind, muss noch was erklärt werden, denn ausnahmslos ALLE Rollen im Divertissementchen werden von Männern gespielt, in dem ganzen Ensemble gibt's nur 4 Frauen: einzig und allein Souffleuse, Kostüm- und Maskenbildnerin sowie die Choreografin, die das Ballett mit den Herren der Schöpfung einstudiert!) Weiter geht's im Handlungsstrang: Man beginnt ein Casting, dabei werden von 111 Jungfrauen 108 wieder nach Haus geschickt und die übrigen 3 für nichttauglich erklärt, eine davon ist die Nichte der Oberbürgermeisterin. Jetzt bringt einer aus der Jury, der Kölsch-Professor Jan op de Hippt, das neue Modell des (mit Rockermanieren und Pferdeschwanz den Aktionskünstler HA Schult abkonterfeienden) Malers Cajus Riepenhahn ins Spiel: die Dresdnerin Eleonore Pagensteert, die aber leider nur säggsisch spricht und daher erstmal einen Crash-Kurs in Kölsch absolvieren soll. Cancan der KöniginnenReigen der KöniginnenFolgt natürlich die übliche Henry-Higgins-Pygmaliongeschichte. Natürlich ist Professor Higgins auch hier ein Hagestolz, der es im Eifersuchtsdialog mit dem Maler zuerst weit von sich weist und erst ganz am Schluss merkt, wie er sich in die Schülerin verliebt hat. Auf Eleonore, die sich in Lilly Schmitz umbenennen muss, sind viele scharf, auch der sprachfehlerbehaftete Schuhfabrikant Heinz Harald Herkenrath, der ihr einen Stöckelschuh nach dem anderen und zum Schluss ein paar Hauspantoffeln andienen möchte. Am Schluss versagt sie bei der 2. Strophe eines sonst perfekt einstudierten Karnevalslieds, trotz Hilfe der Professor-Higgins-Mutter und ihrer Freundinnen Finchen Knirps und Walburga Schimmelpfennig. Die OB setzt ihre Nichte durch, die sich dann als schwanger entpuppt, war also nichts mit "Jungfrau"; die Sächsin wird per Akklamation gewählt, dankt aber ab und will abreisen, aber in letzter Sekunde eilt der Kölschprofessor jappend zum Bahnsteig und...

    Lieblingssätze, die in dem Stück fallen: "Wo Jungfrau drop steiht, muss auch Jungfrau drin sinn", "Kann dat dat dann?", "Nett ist die kleine Schwester von doof"; "Sag mal: 'Halleluja - Wellblechteller halten länger" oder der Dialog der Riviera-Wirtin mit einem Gast: "Servieren Sie mir heute mal etwas, was ich noch nie hatte! - Dann würde ich's mal mit Hirn probieren", und noch einige andere. Bühnenbild: Botanischer GartenEin paar aktuelle Anspielungen auf den Streit des (gegenwärtigen, ziemlich männlichen) Oberbürgermeisters mit dem Opernmeisterbürger, der sich wegen der Etatkürzungspläne krank gemeldet hat, blitzten auch noch auf. Alles, alles gespielt von Männern, die kräftig singen und beim Cancan reichlich Bein zeigen müssen. Der Rest ist eine Abfolge von Kostüm-, Chor- und Ballettorgien: Nacheinander kommen ein Atelierfest mit der aus einer Torte springenden Eleonore (dazu das Ballett der "Tortenheber aus Nippes"), die nicht nur "Happy Birthday, Mistah President" ins Mikrophon haucht, sondern zugleich das sich im Aufwind aus dem Tortenausstieg nach oben bauschende Plisseeröcklein lotrecht nach unten halten muss, damit der Marylin-Monroe-Auftritt nun wirklich von jedem verstanden wird; eine bajuwarische Einwanderungs-Szene Bayern-Ballett und Ludwig II.(Reisende im Hotel) mit Schnadahüpfln, Schuhplattler, Jodeln; eine Modenschau mit Gastauftritt von "Karl Laberfeld" in der Flora (wo Kornelia im Juli ihre Scherenschnitte ausstellt) - noch ein tolles Bühnenbild! - , eine Pressekonferenz und ein Festbankett der Frauenhilfe e. V. mit Vorstellung der Dreigestirn-Kandidatin, dazu Zwischenakte mit Krätzchensängern (wat en Krätzchen is, dat krieje mer später). Die Musik ist eine Abfolge parodistisch interpretierter Opern-, Operetten-, Walzer- und Schlagermelodien. Beim Bayern-Chor werden die hochdeutschen oder bayrischen Texte übrigens mit dem Untertitel-Leuchtschrift-Generator, der sonst für das Verständlichmachen italienischer Opernlibretti gedacht ist, ins Kölsche übersetzt! Das Wagnerlibretto vom Lohengrin wurde dementsprechend umgedichtet und endet in der uralten Beschwörung des Kölschen Boor und seiner reichsunmittelbaren Rechtsstellung, an der er gefälligst festhalten soll, "et fall süß öv soor", ob's ihm schwer oder leicht fällt.

    "Seht! Seht! Welch ein seltsam Wunder! Wie? Ein Schwan?
    Ein Schwan zieht einen Nachen dort heran! Ludwig II. als Lohengrin
    Ein Ritter drin hoch aufgerichtet steht!
    Wie glänzt sein Waffenschmuck! Das Aug' vergeht
    vor solchem Glanz! Seht, näher kommt er schon heran!
    An einer goldnen Kette zieht der Schwan!"

    "Wä kütt dann do?
    Dä kom doch fröher met enem Schwan.
    Et stemp, dat dä als lang nit mieh kann.
    Heil Ludwig, König, herzlich sei gegrüßt!
    Bleib unser Sonnenkönig, auch wenn's gießt!
    [...] Och mir han jedes Johr ne neue Prinz.
    En Kölle!
    Dä heiß bei uns dann: Tollität!
    Nit nur en Düx. Nä, och en Neppes!
    Frei es uns Stadt un soll et sin en alle
    Iewigkeit. Su soll et sin in Iewigkeit
    Halt fass, halt fass, hat fass am Rich,
    do kölsche Boor!"

    Für die Kölner war der Kaiser eben immer weit weg. Und weil Köln nie erobert worden ist, lässt es seine Stadtfreiheit im Bild der "Jungfrau" Colonia Jahr für Jahr feiern. Warum aber die regierende Jungfrau wie Prinz und Bauer ein Mann ist? Im organisierten Karneval der Stadt Beuel wurde schon 1824 (!) ein Damenkomitée gegründet, und ein Aufstand der Beueler Waschweiber soll zur Einführung des Feiertags "Wieverfastelovend" (Weiberfastnacht) geführt haben. Das Kölner Tanzmariechen ist hingegen eine Erfindung der Nazis, die 1938 und 1939 auch eine weibliche Jungfrau ins Dreigestirn abkommandierten. Denen war die transgenderöse Machtübernahme (immerhin erhält das Dreigestirn um 11.11 an Weiberfastnacht die Stadtschlüssel!) wohl verdächtig. Trotzdem, Köln ist weiblich wie das rheinische Matriarchat, schließlich heißt die Stadt ja eigentlich "Altar der Agrippina". Colonia - Soldatenkolonie - ist bloß ihre Funktion gewesen. Und wahrscheinlich haben schon die Soldaten bei ihren Saturnalien unter Verzicht auf weibliche Rollenbesetzungen tanzen müssen. Daher gibt es heute das Wolkenschieberballett und die Cäcilia Wolkenburg...

     


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  • Commentaires

    1
    Kornelia
    Dimanche 12 Février 2012 à 15:51

    Das alle Rollen von Männern besetzt, gesungen und getanzt werden ist schon gewöhnungsbedürftig. Einem konservativen Kollegen von mir hatte es auch gar nicht gefallen. In meiner Familie - katholisch und rheinisch - geniesst diese Aufführung des Männergesangsvereins größten Respekt - eben pure rheinische Tradition. Es ist halt gar nicht klamaukig, aus dem Welchselspiel ergibt sich ein Humor und Lachen, das warm ist, weil es die Heimatstadt umschreibt. Vielleicht fällt damit ja doch etwas von der unverkrampften Tolleranz ab - auf die wir Kölner so stolz sind.

    Entspannte Karnevalstage wünscht sich und Euch

    Kornelia



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