• ...Dann geht er von neuem auf und ab, bleibt plötzlich stehen, faltet die Hände vor der Brust, wirft den Kopf zurück und beginnt, aus voller Brust zu singen.

    WLADIMIR: Ein Hund kam in...
    Da er zu tief einsetzt, hört er auf, hustet und fängt von neuem etwas höher an zu singen.
    Ein Hund kam in die Küche
    und stahl dem Koch ein Ei.
    Da nahm der Koch den Löffel
    und schlug den Hund zu Brei.
    Da kamen die anderen Hunde
    und gruben ihm ein Grab...
    Er hört auf, denkt nach und beginnt von neuem.
    Da kanmen die anderen Hunde
    und gruben ihm ein Grab.
    Und setzten ihm ein'n Grabstein
    worauf geschrieben stand:
    Ein Hund kam in die Küche
    und stahl dem Koch ein Ei.
    Da nahm der Koch den Löffel
    und schlug den Hund zu Brei.
    Da kamen die anderen Hunde
    und gruben ihm ein Grab...
    Er hört auf, denkt nach und beginnt wieder.
    Da kamen die anderen Hunde
    und gruben ihm ein Grab...
    Er hört auf, denkt nach und singt dann, etwas leiser, weiter.
    Und gruben ihm ein Grab...
    Er schweigt, bleibt einen Augenblick stehen, ohne sich zu bewegen, geht dann wieder in fieberhafter Eile auf der Bühne hin und her und auf und ab.

    Leider habe ich keine Zeit, täglich hier anzudocken. Jeden Tag ein neues Wort einstellen, das wär was! Kürzlich lernte ich das Wort barfen v. t. kennen. Heißt soviel wie "Hunde biologisch füttern" und wird abgeleitet von BARF, einer Abkürzung für "Biologisch artgerechte Roh-Fütterung", der Köter kriegt frische Leber, Niere und/oder Schlachthofabfälle durch den Wolf gedreht, dazu gemahlene Knochen und gekochte Möhren und dafür kein Diabetes mehr, wie (angeblich) der Prachtkerl dank Schappi. Heute schon bedarft, äh, gebarft? Im Internet gibt es entsprechende Foren, wo man diskutiert, ob Barfen auch auf dem Jakobspilgerweg oder beim Campingurlaub geht, und dass es heute auch nicht mehr so ein Abenteuer ist wie vor 12 Jahren, an Schlachthofabfälle zu kommen.

    Neulich im Theater, wir beeilten uns, weiter zu warten - und nun raten Sie mal, wer nicht kam? Genau. Erst kamen wir zu spät los, weil die Küche noch aufgeräumt werden müsse ("wegen der Aura"), dann rasten wir zur Bahn, statt auf den Bus 133 zu warten, der auch pünktlich ohne uns losfuhr, der andere, 131er, tat desgleichen und von der Linie 12 weit und breit nichts zu sehen: Tödlicher Unfall auf dem Höninger Weg, Ecke Gottesweg, da war ein 50jähriger Radfahrer in der Schienenrille festgeklemmt und gegen die anfahrende Bahn geprallt. Gut, dass mir das nicht passiert ist! Wir nahmen notgedrungen das Auto zum Schauspielhaus, fanden sogar eine kaputte Parkuhr und abends kamen wir mit dem Wagen nur über Umwege, nicht über den Hönigerweg zurück, denn die Spusi war noch um 22.30 am Werk, die Unfallstelle zu sichern bzw. den -hergang zu klären.

    Schließlich machten wir kehrt, um Didi und Gogo nicht allzu lange warten zu lassen. Die Kölner Inszenierung hat gewaltige Emotionen ausgelöst. "Godot kommt nicht, auch nicht in Köln", stellte der Deutschlandfunk fest; "ergreifend bedrückend", schrieb eine Zuschauerin in den Blog der Bühnen der Stadt Köln. Das Bühnenbild sei eine "Metapher der Aufführung, die sich die Grube zum Stolpern selbst gräbt", frohlockte der Kritiker Andreas Wilink. Und doch: Mich mutet das Bühnengeschehen etwas seltsam an.
    Erstens: Dass ein großes Haus das macht, mit Kronleuchter und allem Klingklanggloria; früher war das ein Kammerspielstück für Studentenbühnen (ich hab es zuerst in einem alten Frachtkahn auf der Rhône gesehen, beim Theaterfestival in Avignon, dargestellt vom Ensemble "la péniche"). Zweitens, mir war einfach zu viel los auf der Bühne, da wurde ständig gemacht und getan, gerannt und gestikuliert und gefuchtelt, um die Langeweile totzuschlagen, die eigentlich das Hauptmerkmal einer zeitgenössischen Inszenierung des Antistücks sein könnte. Und warum nicht auch mal Langeweile, z. B. gegen die ständige Reizüberflutung "der" Medien an-inszenieren. Drittens, und das ist mein gewichtigster Einwand gegen die (sonst gelungene, verdienstvolle, darstellerisch brillante usw.) Aufführung: All die dick unterstrichenen Anspielungen zu KZ und Holocaust waren derart aufdringlich-einseitig, dass es schon wieder störte und wie ein allzu schlichter Schlüssel für's Ganze daherkam. Ich weiß oder habe gelesen, dass Beckett sich durch zwei Juden, die in der Vaucluse auf Papiere zur Weiterreise warteten, zu Wladimir und Estragon anregen ließ. Und es gibt Hinweise genug im Stück selbst: Gogo, der seine Hochzeitsreise nach Palästina machen wollte, "wir haben unsere Rechte verschleudert" und so weiter. Und Köln? Da wird aus dem Fingerzeig ein Ellbogenstemmen und das Ganze noch dicker aufgetragen, schließlich sind wir im Schauspielhaus. Da wühlen sie permanent in Bergen von Altklamotten, wie sie bei der Befreiung der KZs vorgefunden wurden, tragen selbst rutschige OP-Hemdchen, das Herr&Knecht-Nebenpaar Lucky & Pozzo glitter-farbene Zebrakostüme, pardon, Sträflingskleidung, SS-Peitsche darf auch nicht fehlen, fernes Grollen deutet die Artillerie der nahenden Ostfront an, und natürlich dürfen auch jede Menge gestischer Anspielungen nicht fehlen: Zu Beginn des zweiten Akts hebt Wladimir zu singen an, "da kamen alle Hunde und gruben ihm ein Grab", um sich gleich drei- bis viermal mit "piffpaff" in die ausgehobene Sterbegrube (wo er weich landet, unten liegen ja die Altklamotten, die immer wieder per Hydraulik nachgeliefert und hochgehievt werden) fallen zu lassen.
    Gleichzeitig übernahm man aber auch die Mahnung vom Altmeisters Beckett, wonach das Stück komisch zu verstehen sei. Ganz so zirzensisch, wie er es in seiner eigenen Inszenierung im Winter 1974/75 am Schillertheater in Berlin. Er habe das Theater "und besonders Godot leid und satt" schrieb er einem befreundeten Filmregisseur: „Tag um Tag diese Worte hören zu müssen ist zur Tortur geworden." 
    Da Beckett selbst Deutsch beherrschte, griff er damals an vielen Stellen in die Übersetzung von Elmar Tophoven ein, z. B. die Beschimpfungen der beiden Hauptprotagonisten: "Schurke! - Würstchen! - Saftsack! - Giftzwerg! - Rotzlöffel - Rindsknochen!" in "Streithammel! - Querulant! - Stinkstiefel! - Giftnickel! - Brechmittel! - Pestbeule!". Vielleicht hatte Beckett aufgdie Schnelle noch Recherchen in Kreuzberger Hinter- oder S-Bahnhöfen angestellt? Bei Wladimir gipfelte der Beschimpfungsduett in "Mistbiene!" (Tophoven). Beckett änderte in "Scheißkerl" und strich das wieder, um "Parasit" drüberzuschreiben. Diese ironisch-kabarettistische Manier wird auch in Köln genugsam herausgestrichen und begleitet die Holocaust-Grundstimmung: Suchscheinwerfer des Amüsementbetriebs im finsteren Sumpf der Geschichtsmelancholie. Irgendwie peinlich, unpassend, und damit meine ich nicht etwa political incorrect, ganz im Gegenteil, für die gegenwärtige Lage in Nachkriegseuropa total correct, immer mal etwas Holocaustmahnmal und dann wieder ein paar Takte comedy (statt irgendwelcher Musikeinlagen): Hach, wie sind wir doch locker & flexibel, wenn's um Moralismus und Bewältigungsvergangenheit geht. Die Auschwitzkeule als Jonglier-Diabolo.
    Okay, als ich das Stück zum ersten Mal las, reizte es mich zum Lachen. Meine Mitschüler, denen ich es auslieh, auch. Um den Witz zu verstehen, haben wir sogar die dreisprachige Version verglichen und nach weiteren Pointen abgeklopft. Wir haben uns beömmelt, wie man damals sagte, und konnten uns zu 100 % mit dem Stück ("...sie gebären rittlings über den Gräbern...") und der Deutung durch Theodor W. Adorno identifizieren. Das war wenig Jahre vor der Beckett-Inszenierung in Berlin. Wir lasen das Stück in der Schule, unter der Bank! wie man betonen muss, wie Comics oder Lassiter-Heftchen. Mein altsprachlich-humanistisches Gymnasium war so konservativ, dass man um Dramen, in denen Wörter wie "Mistbiene" oder "Saftsack" vorkommen, eher einen Bogen machte, von Schillers Räubern einmal abgesehen, der war ja Klassiker, da mochte das noch angehen. Ja, dieses Stück ohne Handlung, der brutalstmögliche Stillstand entsprach ganz unserer Weltwahrnehmung in der Vor-Punk-Ära. Das hatte natürlich auch was mit pubertärem Unerfülltsein zu tun. Uns gefielen ja auch Led Zeppelin und Yoko Ono. Wäre es durchgenommen worden, hätten wir uns lustlos damit herumgeödet. Wir eigneten uns den Stoff, der nie drangekommen wäre, in der Untersekunda an (später kam wohl Arno Schmidt und dergleichen auf), und meinen Lektüre-Empfehlungen folgte die Clique, deren intellektueller Stichwortgeber ich, der unsportliche, führerscheinlose und technologisch völlig unbedarfte Außenseiter, weiß der Teufel wie, damals geworden war.

    Das Buch liegt vor mir, ziemlich abgeliebt, aus der Reihe Suhrkamp Taschenbuch (von der ich damals mehreren Nummern gratis abgreifen konnte, das hing mit einem Rezensenten-Bücherschrank zusammen, in dem nur noch die Taschenbücher waren, Erstausgaben hatten schon andere abgegriffen), Bd. 1. Besonders amüsierte uns beispielsweie diese Passage, wir haben dies und anderes mehrmals in Gespräche eingeflochten:

    ESTRAGON mit todschwacher Stimme: Meine linke Lunge ist sehr schwach. Er hüstelt. Mit Donnerstimme. Aber meine rechte Lunge ist kerngesund!

    oder die hier:

    POZZO: Was habe ich bloß mit meiner Bruyère gemacht?
    ESTRAGON: Ist ja toll! Er hat seinen Rotzkocher verloren! Er lacht schallend.
    WLADIMIR: Ich komme gleich wieder! Er geht auf die Kulisse zu.
    ESTRAGON: Am Ende des Ganges links.
    WLADIMIR: Halt mir den Platz frei. Ab.

    Darauf hieß die Pfeife, die ich damals zu rauchen pflegte, auf ewig so, aber auch der übrige Dialog wurde stehende Redewendung. - Der Übersetzer des Stücks und anderer Werke Becketts, Elmar Tophoven (1923-1989), stammte übrigens aus Straelen am Niederrhein, wo er eine ererbte Hofanlage besaß, die er mit Büchern und Nachschlagewerken und Kollegen füllte und die dann mit Landesmitteln per Stiftung zum Europäischen Übersetzer-Kolleg ausgebaut wurde. Ich war verschiedentlich dort zu Gast (auf den rotwein- und schokoladeintensiven Seminaren des VdÜ) und habe mich sehr wohl gefühlt. Das Tolle, dort kann man - als Übersetzer - auf Anmeldung zeitweise wohnen (gegen geringfügiges Entgelt für den Verbrauch von Strom, Wasser und Kaffee) und vor allem arbeiten, wenn zuhause Kindergeschrei oder der genervte Hausmann (literarisches Übersetzen ist ein Frauenberuf) stören oder eine Baugrube vor dem Fenster zum Arbeitszimmer lärmt. Die Übersetzer leben in den Zimmern der Bibliothek, ich war z.B. in der russischen Abteilung untergebracht. Natürlich klopfen bisweilen Kollegen, die den einen oder anderen Band benötigen. Inzwischen ist aber auch dort der Computer eingezogen; die allgemein zugänglichen internetfähigen Laptops summen und glühen in der Nacht in dem schönen Innenhof, wo man notfalls die ganze Nacht surfen kann. In einer vergleichsweise kleinen Küche kommt man zu den Mahlzeiten, die hier meist individuell genommen werden, mit Kollegen zusammen, vielen Ausländern, die hier stipendienhalber wohnen, um den einen oder anderen deutschen Autor in die jeweilige Landessprache zu übertragen.

    Vom Barfen der Hunde zur ökologisch korrekten Humanoid-Ernährung: Vorgestern verlas eine Sprecherin im Rundfunk die Schlagzeile "Ehekrise führt zu Kompetenzstreitigkeiten bei der Lebensmittel-Kontrolle." Originalzitat! Wörtlich wiedergegeben!


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  • Man muss früh beim Discounter sein, dann verschenken sie das Pflanzenzeug, was sie nicht mehr verkauft kriegen. Neulich jede Menge Buchsbäume, aber mir fehlt die entsprechende Allee vor dem Haus, ich nahm statt dessen Oleander und irgendwas Margeritenähnliches mit. Gedeiht beides gut. Heute hab ich mir 2 Blumen mitgenommen (ich hätte sechs haben können und ärgere mich jetzt), und zwar eine Salbei- und eine Origano-Variante, aber nur zum Gucken, nichts zu essen. Den schönen Rosenstrauß, der im wasserfreien Verkaufseimer vor sich hin mickerte, hat mir die Oma, die vor mir an der Kasse war, weggeschnappt.
    Gestern stieg ich in die abwaschbaren Radler-Regencapes plus Arbeitshandschule und große Treter und mühte mich ab, die Müllhalde hinterm Brachlandzaun zu bereinigen. An Christi Himmelfahrt war ein Schwarzbauer (so ist das nun mal, es gibt Schwarzarbeiter und -bauern, aber auch Schwarzangestellte und Schwarzunternehmer. Aber Weißarbeiter? da muß ich nachdenken) aufgetaucht und hatte mit seinem quietschbunten Traktor die Wiese gemäht, holte auch mit einem anderen Gerät die "Mahd" ein und ließ das Zauntor offen (eigentlich kann man hinten ganz bequem einsteigen, aber mir war's recht so für den Fall, dass mich jemand von der Schmierfettfabrik erwischt - dann hätte ich sagen können, bitteschön, das Tor war auf). Es gab zuvor ein paar innereheliche Argumente über "Prioritätensetzung" und ob das, was hinterm Zaun vor-, uns etwas angeht, aber mir war nach einer Generalreinigung, auch wenn es nicht "unser" Mietshaus-Grundstück ist. Ich möchte nun mal nicht neben einer Müllhalde wohnen, ich sammle ja auch Bonbonpapier vom Vorgartenrasen weg und bin außerdem Anhänger der "broken window"-Theorie: wenn irgendwo ein Fenster eingeschlagen ist, muß eine Woche später die nächste Scheibe dran glauben und in Nullkommanix wohnt man in einem Elends-Ghetto.
    Meine Nachbarn kennen die Theorie nicht. Offenbar benutzten sie das Brachfeld seit etlichen Jahren zum Entsorgen ihrer Gartenabfälle - na gut, ein bissl "Mahd" von der Vorgartenwiese, das könnte angehen, aber auch Altholz vom Birkenstamm und  abgewelkte Blumentopfinhalte finden sich auf der anderen Seite des Zauns. Sie nehmen nicht mal das Plastikzeug vorher ab! und das stört mich dann wirklich, auch kaputte Schaufeln mit Plastikgriff, der nie verwesen wird, und jede Menge Pöttchen, sogar die Tabletts, wo diese Pöttchen am Blumenmarkt verkauft werden. Ein Blumenhändler war's nicht, dafür ist es wieder zu wenig. Oder es sind nicht die hier aus dem Haus gewesen, eigentlich ganz anständige Leute, sondern die Besitzer der Autos in den Garagen (das ist nicht unbedingt Personalunion, wir haben auch keine Garage). Alte Flaschen, rostige Eimer, Coladosen aus der Vor-Bepfandungsepoche, und allerlei mehr. Ich finde das nicht so ästhetisch und hielt den Zeitpunkt, wo eh schon die Wiese gemäht wurde, für gekommen, Ergreifendes abzumessen bzw. Maßnahmen zu ergreifen.
    Unmittelbar neben dem Grundstück, links von der Ausfahrt des Garagenhofs, steht zudem so ein blöder Altkleider-Container (aus Brettern zusammengeleimt; eine Freundin aus Bayern, die uns besuchte, dachte schon, es wär das Häusel mit eingeschnitztem Herz-Luftloch). Und auch das verführt offenbar die Leute dazu, irgendwelchen Krempel, dessen sie sich gern entledigen wollen, rings um den Holzkasten abzuladen, wo es sowieso am Brachlandzaun steht, vor und dahinter sammeln sich nun regendurchweichte Kinderbücher, Kitschbilder, Geschirr und andere überflüssige Sachen an. Wenn da nichts passiert, haben wir demnächst das Ambiente einer Favela in Rio vor unserer Terrasse. Nicht, dass hier nur Umweltschweine wohnen, so ist das auch wieder nicht, das alte Ehepaar neulich hielt sich eine Viertelstunde lang an dem Holzcontainer auf (ich dachte schon, da will jemand unsere Terrasse ausbaldowern), und las sich genau durch, was mit den Altkleidern geschieht. Endlich fassten sie sich ein Herz und warfen ein schmuddeliges Bündel in die Klappe (hoffentlich war's nicht der in den Anorak des Opas gewickelte neugeborene Enkel...).
    Kaputte alte Vogelhäuschen liegen auch in dem Brachfeld, daher weiß ich, dass leider auch unser Vormieter (ein echter Vogelliebhaber) am Entstehen der Müllhalde mitgewirkt haben muss, vielleicht beim Auszug und die Sperrmüll-Servicediense der Stadt nehmen ja auch nicht alles mit. Desto dringender mein Anliegen, für Abhilfe zu sorgen. Ich ließ die ebenso liegen wie den gammeligen Schlafsack etwas weiter hinten, wo das Grundstück dieses Hauses längst zu Ende ist. Darum dürfen sich gern die Anwohner von dort kümmern. Aber ich lege mich demnächst mit eingespanntem Film in der Kamera auf die Lauer, wehe ich erwische mal jemanden bei der wilden Entsorgung, das gibt 'ne Anzeige! Bei dieser Gelegenheit haben sich an unserem Teil des Zauns drei Blumenkästen aus Ton gefunden (mein Gott, wer schmeißt denn teure, schmale terracottarote Ton-Blumenkästen weg? anstatt sie an den Straßenrand zu stellen, wo sie sofort Abnehmer finden?), die habe ich mit den blaublüh-tigen Gratis-Pflanzen vom Discounter be"spielt". Dabei erwischte mich ein Hausbewohner, der aus Pflegefallgründen die Wohnung seit längerem nicht mehr verlassen kann. Vom Balkon her wollte er wissen, ob ich sein Tomatenhaus brauchen könnte. Das also ist das Dachlatten-Mikado, das (so eine andere Nachbarin) der Sperrmüll nicht abholen wollte und das - noch? - nicht in der Wildnis liegt, sondern diesseits am Bretterzaun, der die Bank vor Wind und neugierigen Blicken schützt. Das wäre demnach so ein Gerüst nebst einem transparenten Wellplastikdach wie hier (geklaute Abbildung ähnlich)Tomatenhausblog, denn Tomaten soll man offenbar vor direkter Sonnen- und Regeneinwirkung schützen. "Wat glaubense, wat ich da an Tomaten hatte", rief mein Nachbar und stieß ein paar Verwünschungen aus, dass er nicht mehr herunterkommt. Vielleicht mache ichs? Schnecken gäb es angeblich hier nicht, dafür Igel (die den Schnecken wohl den Garaus machen?).
    Der Kleintierzoo rund ums Haus ist wieder um einige Arten reicher. Am Abend meines Müllabfuhrsonntags habe ich auf der Straße eine flinke Ratte im Regen gesehen, die unter einem roten Sportwagen den Regen abwartete und später auf dem Brachfeld verschwand. Vielleicht habe ich die aufgescheucht? Auf dem Brachland entpuppte sich auch der Grund, weshalb sich die Eichhörnchen hier so gern einstellen. Da wächst ein schöner Walnussbaum und trägt auch bereits - derzeit noch flaschengrün & wattiert eingepackte - Früchte. An einer Stelle fand ich eine Eichhörnchen-Nußschalenhalde. Ich dachte erst, das wären Wespennester, da lag eine Walnuss neben der anderen, mit ziemlich großen Löchern drin. Im Beet vor dem Haus, wo wir unsere Blumen stehen haben, entdeckte ich am Sonntag einen größeren krummen Vorderzahn, der könnte von einem Eichhörnchen stammen, oder auch von einem anderen Kleinnager (einer von Raben erlegten Ratte vielleicht).
    Ansonsten sehen wir das Vogelkino jeden Morgen vor dem Fenster: Meisen, Schwalben und ein sonderbarer (rabenähnlicher) Vogel, der dauernd rhythmisch Prr-Prr ruft, der schwirrte gestern Abend hier herum. Echte Raben sowieso, dazu Amseln und Elstern. Ein Rotspecht verscheuchte heute früh kurz mal eine Meise vom Knödel und bediente sich selbst. Und das Besuchskaninchen war am Sonntagmorgen im Hof, und da fiel mir ein, dass es vielleicht doch keine gute Idee war, meine 42 Töpfchen mit Basilikumpflanzen in den Hof zu stellen, die sind vielleicht die rechte Zutat für eine Karnickelsalatmahlzeit! Andererseits stehen die Töpfe auf Behelfspodesten, um auch an die Sonne zu kommen, und von kletternden Karnickeln habe ich noch nie gehört, und so schlau und klandestin wie die Raben, die einander notfalls auf die Schulter steigen, um an irgendwas heranzukommen, sind die Hoppelmänner nicht. Weiter hinten in der Straße wird das Brachfeld auch für Küchenabfälle benutzt, da schmeißt jemand seine Mohrrüben weg, vielleicht aus Angst vor Erregern? Kaninchen, die virenverdächtigen Salat knabbern, möchte ich allerdings auch nicht gern mit Backpflaumen und Rotwein im Römertopf schmoren lassen. Salat ist ja inzwischen rehecabilitiert, aber wie steht es mit Sprossen? Fressen Kaninchen Sprossen? Es wird Zeit, einen Rohkost-Rehabilitationsbestseller zu schreiben. Nach "Makel Maulwurf" nun im selben Verlag, in gleicher Aufmachung "Genosse Sprosse"...


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  • "Schließlich gibt es neben dem Kino noch andere wichtige Dinge im Leben - die Familie
    zum Beispiel... Oder den Tod. Ja, der ist mir auch sehr wichtig: Ich wäre
    ziemlich sauer, wenn ich mein Leben beenden müsste, ohne tot zu sein!"

    Terry Gilliam, FAZ-Interview, 28.5.2011

    Eine Freundin hat mir grade am Telefon erzählt, dass die spanische Landwirtschaftsministerin in einer Videoaufnahme beim Verzehr einer Gurke zu sehen ist. Hat eigentlich jemand mal alles zusammengestellt, was Politiker stellvertretend für die von ihnen regierte Bevölkerung taten, nur um zu zeigen, wie ungefährlich es ist? Salat auf dem Bonner Markt kaufen, ein Glas schwarze Milch der Frühe im TV trinken oder im Rhein schwimmen... Wieso kauft Frau Süßmuths Nachfolger jetzt nicht mal einen Kopfsalat? Der Bundespräsident musste neulich im Kreml doch sogar einen Salat mit Regenwürmern essen, wie ein gut informiertes Nachrichtenmagazin berichtete (jaja, die Russen haben auch schon Adenauer & Ulbricht manche Kröte schlucken lassen). Mich, der ich das 20. Jahrhundert überlebt habe und den eigentlich nichts mehr wundern sollte, mich erstaunt die gegenwärtige Gemüsehysterie. Salate, bis vor kurzem noch fast teurer als Fleisch gehandelt, sind Schleuderware; bergeweise liegen Gurken beim Discounter herum und gehen auch für 15 Cent nicht mehr weg. Und obwohl sonst Fleisch mein Gemüse ist, kriege ich Lust auf was knackiges, rohkostartiges mit vielen leckeren Kräutern und, lechz, Tomaten! Meiner Tomate im (Blumen-)Topf geht's übrigens gut, allerdings hat der Fernsehonkel gestern gesagt, ich solle "ausgeizen" d. h. nach sogenannten "Geiztrieben" unter der Achselhöhle suchen und die abschneiden, weil sie keine Früchte bilden (nicht, dass ich mit viel Ersparnis rechne, falls sich ein oder zwei Paradiesäpfelchen an der Pflanze ernten lassen...) Und den Salat soll man vor dem Verzehr abkochen. In irgendeinem expressionistischen Drama - oder war's in Robert Neumanns Parodie auf Georg Kaiser? - findet sich der Ausruf: "Gekochter Salat? Igitt!" Früher nannte man einen Freund, der sich als nicht ganz zuverlässig entpuppte, "untreue Tomate" (das war aber eigentlich noch ganz nett gemeint, als Scherzwort). Verfeindete Parteien bezeichnen sich in letzter Zeit gern untereinander als "Gurkentruppe", ein Ausdruck, der bisher für minderklassige Sportmannschaften und militärische Einsatzkommandos ohne rechten Drill und Schliff reserviert war.

    Okay, selbst wenn ich den Dienst an der Waffe - damals in der Gustav-Heinemann-Ära, der grinste mich Klo für Klettermaxenlustig-listig an vom schwarz-weiß-Foto im Bergisch-Gladbacher Kreiswehrersatzamt - nicht verweigert hätte, wär mir der Gestellungsbefehl im kalten Krieg erspart geblieben. Aber der statt dessen drohende Atompilz am Fulda Gap oder der friedlich-giftgeschwängerte Himmel über Rhein und Ruhr waren auch nicht grade Stimmungs-Aufheller. Dann kamen Harrisburg, Jülich, (genau, das zwischen Köln und Aachen gelegene Jülich ist gemeint!), Tschernobyl, Fukushima... Als Schüler warfen wir mit vollmundigen Sprüche um uns wie "intensiv leben - früh sterben, aber vorher noch eine rauchen". Und wenn ich ehrlich bin, wenn's eine einigermaßen schmerzlose Macht's-gut-und-danke-für-den-Fisch-Pille gäbe, könnt ich mir manche stille Stunde vorstellen, in der ich sie einwerfe, sooo überzeugend finde ich mein Dasein nicht, dass ich dran kleben täte wie Kaugummi. Ich bin wahrscheinlich noch aus dem Jahrhundert des Erasmus von Rotterdam übriggeblieben und finde, ohne ein Frömmler oder Weltverneiner zu sein, ein bißchen Todesnähe sollte einen einigermaßen aufgeklärten Menschen nicht in Panik, sondern in heitere, verheißungsgewärtige Stimmung versetzen. Ist doch sowieso alles Schiet hier unten, vielleicht wird's oben bzw. anderswo besser? Allerdings: Θνάτοισι μὴ φυναι φέριστον (Der beste Grund zu feiern wär der Nichtgeburtstag gewesen).

    Gerade, wie ich dies schreibe, kommt die Nachricht: "Zahl der EHEC Fälle in Deutschland steigt weiter an..." Mindestens 470 Menschen seien erkrankt. - Tod im KirchenstuhlIch bin ja mathematisch völlig unbegabt und absolut kein Statistikfan. Was nutzt es mir, wenn soundsoviel Prozent der Leute jeden Weg zum Zigarettenautomaten mit dem Auto zurücklegen und Kernenergie völlig in Ordnung finden? Ein faules Ei verdirbt den ganzen Kuchen. Aber wenn man sich mal vorstellt, dass Deutschland rund 82 Mio. Einwohner hat... während sich schlappe 470 Leute mit EHEC-Viren infizierten, hatten im gleichen Zeitraum 43.393 Patienten die Grippe (nicht nur so ein bisschen Schnupfen und Husten, richtig fiese, möglicherweise tödlich ausgehende Grrrrrippe! - die heißt nicht umsonst so ähnlich wie Sklett... Kennt hier jemand The Stand von Stephen King oder wenigstens seine Kurzgeschichte Nächtliche Brandung?) und allein 5.134 haben sich an Salmonellen infiziert, auch kein Spaß! Es ist auch noch immer nicht belegt, ob die Nutzung von Mobiltelefonen Krebs auslösen kann, aber im abschließenden Bericht der WHO-Experten wurde festgestellt, dass ein Risiko nicht ganz ausgeschlossen werden kann und empfohlen, möglichst selten handyzutelefonieren und wenn überhaupt, dann mit Freisprechanlage. Und wer unter so einer Antennenanlage wohnt, kann sich beizeiten das Knochenmark numierieren... Ich finde das alles übertrieben (ein Handy hab ich nicht und zweifle, ob ich diese neueren Versionen mit ihren Applets und dergleichen überhaupt bedienen könnte), und es ist offenbar wieder mal an der Zeit, zu Defoes Tagebuch aus dem Pestjahr zu greifen. Oder zum Lob der Torheit. "Als überlegener Sieger wird der Geist den Körper aufzehren, und er wird es um so leichter tun, weil er den Körper im Leben schon längst auf diese Verwandlung hin geläutert hat, dann aber wird auch der Geist von jenem höchsten Geist auf wunderbare Weise aufgezehrt, da dieser ja unendlich mächtiger ist."

    Erasmus


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