• Nachtleben in Bad Grönenbach

    Im fernen Kempten beginnt grade die "Allgäuer Woche", das ist der jährliche August-Auftrieb der Landbevölkerung zu einem eigenen Oktoberfest. Auf dem Programmheft des Memminger Anzeigers sieht man eine fröhliche Bauernfamilie auf dem Traktor über die Autobahn preschen, und eigentlich sollte es auch eine Messe sein, die aber weniger den Landwirten und ihrem Beruf, als den Häuslebauern und Hausfrauen dient, von der Alu-Tür mit Sicherheitsrahmen über die neueste Cappuchino-Maschine bis zum Öko-Gartenteich kann man da alles kaufen. Außerdem ist es der Heiratsmarkt der Dorfjugend, wie es scheint, schon vorige Woche wurde "pro und contra" Dirndl und Tracht diskutiert, wobei der notgedrungen-auftragsgemäß das "contra" vertretende Jungjournalist echte Argumentationsprobleme hatte. Aus Respekt vor der Tracht solle man sie im 'Disco-Zelt' nicht tragen, so oder ähnlich drückte er sich aus. Dafür wirbt ein Milchzelt dafür, dass sich die Geschlechter an der Milchbar einander zwangloser kennenlernen könnten, denn die Milch mache "mutig" (und der Quark stark?). Selbst der Kommissar Kluftinger, der in dem Allgäu-Krimi ermittelt, welchen Kornelia grade liest, hat seine Frau bei Allgäuer Wochen kennengelernt, so typisch ist das für die Region. mon blog retrouvé...Da aber das Gelände immer wieder wegen Überfüllung geschlossen werden muss und ja nicht das ganze Allgäu nach Kempten übersiedeln kann, haben auch andere Märkte oder Kleinstädte ihre Festivitäten. In Bad Grönenbach war es gestern das "italienische Weinfest". Es bestand aus einem - zweisprachig per Megaphon kommentierten - deutsch-italienischen Fußballspiel im Alfred-Leimer-Stadion am Vorabend, einem Zeltausschank ab 18.00 mit Wein aus den Abruzzen (drei Sorten, ein Rotwein wurde - wir haben's gesehen! - fleißig vom 10-Liter-Aluzapfschlauch in Flaschen gefüllt und verkorkt, die man dann wohl für 9.80 € per bottle kaufen sollte) und aus einer Bude mit Käsewürfeln, garantiert Allgäuer, aber garniert mit deutschen und italienischen Fähnchen. Wir gönnten uns davon einen Teller und zwei Gläser Montepulciano als Apéro und kauften dann beim Bratwurststand, den's auch noch gab, zwei Portionen Pommes, die wir uns daheim als Beilage zu steack frites servierten. Inzwischen dürfte der Gemeindesaal "Alte Post" beim Vortrag des italienischen Duos getobt haben (siehe Bild - da trug grade einer "Guantanemera" zur Guitarra vor, was mir eher spanisch vorkam), dort hatten sich wegen Regens die Festteilnehmer (übrigens nur wenige Trachten- oder Dirndlträger im heiratswilligen Alter) zum Essen versammelt.
    Aber ich wollte ja über das echte, ungeschminkte Nachtleben von Grönenbach berichten, und das findet für mich vorwiegend im Schlaf statt, der hier zumindest mir guttut: Die Betten der Bookcrossingzone sind nicht zu weich und nicht zu klein und meine Traum-Intervalle viel länger als sonst, was aber auch zu komplexeren, schwerer zu merkenden Träumen führt. Im folgenden eine knappe Auswahl dessen, was ich nicht gleich verdrängt habe:

    2./3. August
    Ein Blinder begegnet mir, außer dem Blindenstock trägt er einen Karton in der einen und ein seltsames grünes Plastikteil in der anderen Hand. Er kommt einen Waldweg herab. Beim Näherkommen sehe ich, dass es das Gehäuse eines tragbaren Fernsehgeräts ist, ohne Bildschirm und Elektronik, damit könne er, behauptet der Blinde, sich besser orientieren. Ich erkläre ihm, dass es nur ein kaputtes portables TV ist, "ohne Sie jetzt enttäsuchen zu wollen", aber er besteht darauf, es in der Hand zu behalten.mon blog retrouvé...

    3./4. August
    Ich bin ein Bettler, strecke den Leuten eine Schale entgegen, in der schon Münzen sind, stelle sie irgendwo ab und wende mich um, jemand nimmt ein oder zwei Euro-Münzen heraus, ich stelle ihn zur Rede, es ist ein ehemaliger Schulkamerad, ich gehe mit ihm und einem anderen aus meiner Schule weiter, den Ring entlang zum Barbarossaplatz oder Rudolfplatz, düstere Gegend, viele Leute, sie mögen mich nicht, ich bin den beiden peinlich.

    4./5. August
    Ich bin auserkoren, einen Nachruf auf eine linke Kölner Theologin oder Pfarrerin zu halten, sie war 68-erin, blonde Helmfrisur (Dorothee Sölle war's nicht), ich weiß gar nicht, was ich über sie sagen soll, und gebe nur ein paar Allgemeinplätze zum Besten. Später habe ich eine Restaurant- oder Caférechnung zu zahlen von 30 oder 50 €, zwar habe ich etwas Geld dabei, aber es reicht nicht, ich zähle Münzen vor, meine Geldscheine mit Bildnis von Alice Schwarzer sind nichts wert, sie wurden irgendwie s/w fotokopiert und die Beträge mit der Hand draufgemalt, sogar ein paar angekokelt, diese Scheine trage ich zusammengeknüllt in einer Plastiktüte mit mir.

    undatiert, vielleicht 8./9. August
    Ich erbe die nachgelassene Bibliothek von Walter Benjamin, muss aber dafür in den eigenen Bücherwänden Platz schaffen und zahlreiche Belegexemplare verschenken, darunter merkwürdige weiße albumähnliche Bände, als hätte ich nach "Dilbert" noch irgendwelche Comics übersetzt. Die Bücher, die Benjamin gesammelt hat, sind alt, aber oft billige Drucke, winzige Duodezbändchen mit Petitdruck, Taschenbuchausgaben des 18. und 19. Jahrhunderts.

    undatiert, vielleicht 9./10. August
    Ich bin im Viertel meines Cousins, der auf Wahlkampftournee unterwegs ist, und mich und Kornelia zum Haus seiner Mutter führt, er ruft sie auch, sie kommt ans Fenster und ich stelle ihr Kornelia vor - dabei ist sie doch schon vor Jahren verstorben, und Kornelia sieht mich merkwürdig an, weil ich ihr das immer erzählt hatte. Ich erkläre ihr, dass es sich wahrscheinlich um einen Traum handelt, da aber die ganze Handlung unglaublich realistisch wirkt, mutmaße ich, es handele sich um das Einsprengsel oder Segment eines Traums innerhalb der Realität. Auch mein älterer Bruder ist schon tot, der mit meinem nächstälteren - dieser aber ganz verfremdet, mit schwarz gefärbtem Haar und Bart, und einem Sprachfehler - in einem Kino-Café herumsitzt und die ich offensiv frage: sagt mal, ist denn Tante L. nicht dann und dann gestorben? der ältere, auch schon verstorbene meiner Brüder, meint nein. Wir sehen in dem Kino - eine besondere Attraktion, die mein Cousin vorführen will - den neuesten Film von Walt Disney, der irgendwie in China spielt und mit echten (aber nicht "verfilmten") Puppen arbeitet. Diese Puppen werden vor der Leinwand entlanggeführt nach Art von Glockenspielfiguren (der Hintergrund ist ein Film), die im Kreis laufen, ich sehe zwei Friseure mit schnappenden Scheren, vor ihnen zwei Kahlköpfe, und in der Mitte des Kreises den Sensenmann, im Hintergrund der Kölner Dom als mittelalterliche Kulisse. Außerdem sehen meine Brüder den Film nur durch ein Loch in der Decke, das auch noch mit Kirschblüten wie bei den faux terrains der Panoramen garniert ist.

    undatiert, vielleicht 10./11. oder 11./12. August
    Traum von einem Hippiepärchen wie aus den Siebziger Jahren (mir aber ganz unbekannt), das mich und einen anderen Kongressteilnehmer in Düsseldorf im klapperigen Auto mitnimmt, wir wollen eigentlich zum Bahnhof, um nach Hause zu fahren, der Fahrer sieht ein bisschen aus wie Wolfgang Thierse, so ein bäriger Bart-Typ, die Frau mit Stirnband und Folklorekleid. Hinten ein Schild mit dem Hinweis, man möge aus Solidarität einen Beitrag zum Knöllchenzahlen leisten; ich will eigentlich nicht, weiß auch von keinem Knöllchen, habe nur Kleingeld in fremder oder veralteter Währung und ein paar Pfandflaschen bei mir. Außerdem erzählt mir der Fahrer, während seine Frau ihn verständnislos anschaut, intime Details aus seinem Eheleben: ich versichere der Frau, ich hätte gar nicht zugehört, um ihr die Peinlichkeit zu ersparen. Sie fahren uns erst mal zu einem Knast, wo man auch aus Solidarität irgendwen besuchen solle, schließlich sei der im Knast, nicht wahr? Warum er verurteilt wird, erklärt er nicht. Als wir endlich am Bahnhof sind, tauschen wir Visitenkarten aus, der Mitfahrer, der bisher geschwiegen hat, will meine auch, ich gebe ihm eine, darauf ist aber schon mit der Hand was notiert, und als ich eine weitere hervorziehen will, ist der Bogen noch nicht geschnitten und das Teil viel zu groß...

    13./14. August
    Heute wurde ich im Traum als neuer Direktor oder Abteilungsleiter an die Stadtbücherei Augsburg berufen, ich bekam es mit der Post mitgeteilt, das Gehalt soll 2500 € im Monat betragen, es ist aber nur ein Aushilfsjob, eine Vertretung für Dr. W., der mir den Zeitvertrag zugeschustert hat. Überlegung, ob es sich lohnt, dafür meine Wohnung in Köln aufzugeben oder in Augsburg eine zu suchen, vielleicht kann man pendeln.

    14./15. August
    Ich lese in einem Archiv, eine aufmerksame Bibliothekarin hat mir eine Zeitschrift aus der englischsprachigen Romantik herausgesucht und auf den Arbeitsplatz gelegt. Die Zeitschrift ist auf billigem Papier gedruckt, mit schlichten Grafiken illustriert (Gedichte mit Vogel-Dekor), Lyrik findet sich auch auf den Seiten, ich will nachher mal nachsehen, ob was von oder über mein Lieblingsthema drin ist, vorher gehe ich mir im Obergeschoss den zweibändigen Kürschner holen, in dem ich irgendwas nachschlagen wollte. Dort stehen im Freihandbereich auch noch weitere Zeitungsbände, vor allem aus England, die ich mir auch gern noch ansehen würde, aber die Zeit drängt. An der Ausgabe des Lesesaals stehe ich plötzlich der Schriftstellerfunktionärin E. M. gegenüber, die sich auszieht und mir ihren (sie ist im wirklichen Leben weit über 60) weißen, blau geäderten, schwammigen Körper anbietet - ich wende mich angewidert ab und gehe zu meinem Platz zurück, wo ich einer Bibliothekarin zeigen will, dass ich im Kürschner stehe, aber ich finde weder mich, noch den Verein, den ich gegründet habe, es ist auch eigentlich der Oeckl (das Taschenbuch des öffentlichen Lebens), aber die Bände sehen wie der Kürschner aus.

    15./16. August
    ...und heute nacht ging's gleich weiter, ich traf einen bärtigen Pfarrer in Jürgen-von-der-Lippe-Optik, der sich mit einem ehemaligen Schulkameraden von mir (Atheist) unterhält und offenbar Tondokumente sammelt. Jemand kommt, der ihm die Wohnung saubermacht (eine Art offenes Holzhaus, zugleich die Kirche) und ein paar CD-Roms oder dergleichen mitnimmt, um sie zu "überspielen". Auf einem großen alten BASF-Tonband entdecke ich meinen Namen auf einer Beschriftung, es ist eine WDR-Sendung, bei der ich offenbar als Sprecher fungiert habe (hab ich nie gemacht, ich war Regieassistent). Außerdem betreut der Pfarrer einige Gräber in seinem "Kirchhof" (rund um das Holzhaus), eines der Gräber ist noch frisch, nicht mit Grabstein, nur zwei schwarze Damenstiefel liegen verstreut auf dem Grab, es ist das meiner 1995 verstorbenen Schwägerin! - Zweiter Traum: Ich habe eine Wohnung in Berlin, eine Art Dachkammer, man kommt mit der Leiter rauf, unten wohnen meine türkischen Nachbarn, Familie Hazer, aus einer früheren Wohnung, sie haben aber nicht reagiert, als drei junge Frauen meine Wohnung okkupiert haben, die jetzt fliehen wollen, als ich mit Freunden nach Berlin zu dieser Wohnung komme. Ich brülle sie an, sie sollen ihre Siebensachen mitnehmen, sie packen rasch ein, lassen aber allerhand Müll, leere Eistee-Tüten oder so, zurück - ich brülle sie wieder an, und sie sammeln alles ein. Irgendwie stellt sich heraus, dass sie eine Antifa-Gruppe sind, ein Flugblatt taucht auf, das sie dort verfasst haben. Ob sie mich für einen Faschisten halten, schimpfe ich, aber sie wollen mir partout nicht sagen, was sie in meiner Wohnung gemacht haben, ich spüre auch wieder, obwohl ich mich im Recht fühle, totale Machtlosigkeit, was würde es auch nützen, die Polizei zu holen? Eine der Frauen händigt mir schließlich eine an mich (oder die literarische Gesellschaft, die ich mitgegründet habe) gerichtete Büchersendung aus, jetzt haue ich auf den Tisch: "Das ist Postdiebstahl!" Über dem folgenden gerät der ganze Vorgang der "Hausbesetzung" in Vergessenheit. Der Umschlag enthält ein Buch, das merkwürdig kastenförmig ist wie der "Briefsteller", den ich besitze, es ist alt, aus dem 18. oder 19. Jhd., ich blättere darin, im ersten Teil enthält es die faksimilierten Schriftzüge meines Lieblingsschriftstellers, ich kenne das nicht, als ich weiter nach hinten blättere, sind Löcher in den Buchblock geschnitten, ornamentierte Ritzen in der Art von Streich- oder Saiteninstrumenten, in den Löchern sind grüne Blätter, ich denke: ist des das Herbarium von Alexander von Humboldt? aber nein, in einem Herbarium sind die Kräuter flach gepresst und bräunlich, diese quellen frisch und grün hervor, als seien sie in den ausgeschnittenen Buchblock-Löchern gewachsen.

    16./17. August
    ...und heute nacht noch schlimmer, u. a. stehe ich vor dem marmornen mausoleumsähnlichen Grab von einem meiner Brüder, der "1949 bis 2004" gelebt haben soll, sich aber hoffentlich noch immer seines Lebens erfreut. Der Friedhof ist auch merkwürdig, indoor und an ein Parkhaus erinnernd, das Grab des Bruders ist im 1. Stock an prominenter Stelle, gleich neben dem Treppenaufgang rechts, und plötzlich steht auch mein Doktorvater davor und schaut sich das an, wir sprechen miteinander, ich frage, wie's ihm so geht, und er meint, er müsse jetzt in seinem H. C. Andersen-Seminar den Film "der kleine Vampir" zeigen, und alle Studenten hätten einen Computerarbeitsplatz. - Später war ich in einem kostenlosen, sehr groß angelegten Schwimmbad und musste in Badehose nach Hause, was mir natürlich peinlich war, aber das sei nun mal in Berlin so wie in Amerika, wurde ich getröstet, den Leuten sei egal, wie man angezogen ist. Später war ich aber irgendwie angezogen, als ich versuchte, ein barockes Eckschränkchen in einer Niederflurbahn nach Kreuzberg zu transportieren, erst als Schwarzfahrer. Als ich dann doch nervös werde und 2 € in den transparenten Fahrkartenautomaten im Mittelteil des Waggons werfe, sagt mir eine Berlinerin mitfühlend, da müsste ich wohl noch 2 € reinwerfen, die Fahrt wär teurer. Da fuhren wir grade am Flughafen Schönefeld vorbei, ich sah die sonderbar altmodischen, grau und rot bemalten Propellermaschinen starten. Leider konnte mir keiner sagen, wo ich in die "8" oder "81" umsteigen konnte, die angeblich nach Kreuzberg fährt.

    mon blog retrouvé...

     


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  • Commentaires

    1
    karinkornelia Profil de karinkornelia
    Dimanche 15 Août 2010 à 12:11

    Interessante Träume, mir gefällt das Geld mit Alice Schwarzers Konterfei und den aufgemalten Beträgen. Ob man dafür wenigstens ein Emma-Abo bekommt?


    Ich leide in den Träumen auch immer darunter, dass ich die Realität eigentlich kenne, sie aber nicht durchsetzen kann, aufwachen geht auch nicht so einfach.

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    2
    karinkornelia Profil de karinkornelia
    Mardi 17 Août 2010 à 10:24

    Verdammt, heute Morgen hatte ich so einen tollen Traum, aus dem bin ich dann ausgerechnet aufgewacht.



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