• Felchen-Kebap in Lindau

    Die Inkongruenz Berichtszeitraum-Niederschrift lässt auch in diesem Blog nicht nach. Ich komme einfach nicht dazu, pris sur le vif am Tage des Erlebens das Erlebte frisch niederzuschreiben, es mogeln sich immer ein oder zwei Tage dazwischen. Nun bin ich durch ständiges Fortschreiten in die Zukunft beim Gestern angelangt, als uns der Regen wieder einholte (wenn auch, wie mir schien, in verminderter Entschlossenheit und Ausdauer). Wir nutzten den Tag also zum Ausschlafen (immerhin bis fast neun Uhr) und zu unserer schon länger vorhabenden Reise nach Wangen und Lindau. Eigentlich wollten wir nur die kleinen Nebenstrecken nehmen, aber die Bundesstraße nach Wangen vereinigt sich hinter Leutikrch mit der Autobahn, so dass es nicht durchgehends klappte.

    1 Liter Allgäuland - in Duisburg-Hochfeld stand das Tuffi-GegenstückUnterwegs ergaben sich wieder einige schöne Bilder für ein Album "handgeschriebene Allgäuer Schilder", u. a. ein Bauernprotest des Inhalts: "Müller-Milch darf's nicht gelingen / die Bauern in die Knie zu zwingen"; der güllefahrende Blaumann (gestern wie heute roch schon wieder das gesamte Allgäuer Land nach Exkrementen) registrierte mit wohlgefälligem Nicken, dass wir Ausländer abbremsten, um diese Inschrift zu fotografieren. Und dann kam auch schon wieder ein Werksverkauf in Sicht (in dieser Gegend gibt es alles Mögliche: Massage-Sitzmöbel, Ehrmann Yoghurt, Rapunzel), diesmal von der Firma Allgäuland Frische GmbH in Leutkirch, wo wir anhalten mussten, um - natürlich nicht vom Nazimüller, Parteispender der NPD, dessen Buttermilch trinke ich nicht mal für den Discountpreis, und wenn's noch 10 % mehr dafür gäbe - eine Dröhnung Buttermilch zu besorgen, und Käse, und noch mehr Käse, und leckeren Quark.

    Anschließend Weiterfahrt nach Wangen, wo sich aber wieder eine ungünstige Öffnungszeit des Museums herausstellte. Ich wollte das Eichendorff-Museum und das Gustav-Freytag-Museum sehen, eigentlich sind das nur Dependancen der hier jährlich tagenden Schlesier - der sog. "Wangener Kreis", dem meine Urgroßmutter Marie Muthreich Barsch mitgegründet hatte, und der eine Paul Barsch-Plakette an schlesische Nachwuchsautoren verliehen hat, bis in die 1960er Jahre hinein. Eine größere Anfrage an die Stadt Wangen blieb ergebnislos, ich kriegte nach einem Jahr ein getipptes Kärtchen des Eichendorff-Verwalters Meinrad Köhler, ein Nachfahr des schlesischen Mundartdichters Wilibald Köhler, der mir von zwei Barsch-Büchern in seinem Besitz erzählte, meine Fragen aber nicht zu beantworten wusste.Als wir nun erfuhren, dass wir im regnerischen Wangen zweieinhalb Stunden ausharren sollten, um 14.00 bei der Öffnung des Museums dabei zu sein, beschlossen wir die Weiterfahrt nach Lindau.

    Sonst war es in Wangen sehr angenehm, die historische Stadt scheint in ihren Grundstrukuren erstaunlich gut erhalten, allerdings will man wohl wegen der Anzahl origineller Brunnen in Wangen ins Guinness-Buch der Rekorde eingehen, jedenfalls steht an jeder Straßenecke ein mal mehr, mal weniger beweglicher Brunnen, und der originellste begegnete uns gleich zu Beginn. Spuckbrunnen in Wangen (Allgäu)Die "Verdruckten Allgäuer" - ein Brunnen wider die Humorlosigkeit - nehmen sich da selber auf die Schippe, mit zum Teil lustigen Sprichwörtern aus der Gegend und mit einem "Wasserspeier", der hinter seiner Maske hervorlugt und alle paar Minuten den ahnungslosen Betrachter mit einem Sprühregen (laus einem winzigen Schlitz im Bronzemund) begießt - angesichts des ohnehin nassen Wetters nicht wirklich ärgerlich, und bei Hitze wohl ganz erfrischend, nehme ich an. Der Park unterhalb der Stadtmauer, das Ensemble mit Wehrturm und Museum und Brückchen über den Fluß Argen (hier hat endlich mal die Redewendung "es liegt etwas im Argen" wirklich Sinn, ha, ha) ist auch ganz schön. Weniger erbaulich ist die Straßenbrücke darüber, man muß, um auf die andere Seite zu kommen, über die Parkplätze eines öden Einkaufsbetongeländes, dann kann man aber an der Argen entlang wieder durch Ufergrün zurück in die Stadt. Vor der St.-Martins-Kirche steht ein sogenanntes "Seelen-Mal", eine begehbare Skulptur, zu der außer einer auseinandergespaltenen Gußform mit Frauensilhouette und einer Art Doppelhelix auch ein bronzener Totenschädel gehört, der wie weggeworfen auf dem Boden platziert ist. Obwohl Kinder über den Platz tollten, gelang es mir nicht, ein Kind zusammen mit dem grusligen Schädel zu fotografieren...

    Weiterfahrt nach Lindau, im Regen über die Dörfer, Ankunft dort unter Vermeidung der teuren "Parkanlage" am Europaplatz, wir suchten uns etwas neben dem Bauhof, der nicht weit von der Jugendherberge liegt. Das erste und wichtigste Gebäude, das man von Lindau zu sehen kriegt, ist die Spielbank, die architektonisch dem Geldspeicher von Onkel Dagobert in Entenhausen nachempfunden ist. Auf der Brücke war eine Beflaggung mit der Aufschrift "Provinz", mindestens 20-30 mal. Vielleicht lag's am schlechten Wetter, aber Lindau machte mir einen widrigen, wenig einladenden Eindruck. Der Spaziergang durch die "Insel", auf der die eigentliche Altstadt liegt, war ebenso abtörnend wie der Empfang durch unsere Freunde Aldi, Lidl & Co in Bahnhofsnähe. Einzig die Kinderschaukel am Leipzig-Einundleipzig-Denkmal war eine Attraktion für die lieben Kleinen, sie ist sehr hoch aufgehängt und die Eltern mit Kindern standen Schlange davor. Und dann kamen wir an einem second-hand-Sonderverkauf des Bayrischen Roten Kreuzes vorbei, wo wir Klamotten - Kornelia eine Bluse für 2 EUR und ich ein schickes grünes Sakko, wohl fast unbenutzt, für 6 EUR - erwarben. Der Yachthafen wird gerade mit schicken Eigentumswohnungen mit "fast unverbaubarem" Seeblick von französischen Balkonen aus ergänzt. Zum Ufer sind es fünf Meter, wenn's hochkommt, aber: Die Bestverdiener unter den Besserverdienern haben ihre Yachten in kleine Holzhäuschen verbracht, vielleicht kommen da noch größere, protzhaftere "Boatports" hinzu und deswegen heißt es vom Ausblick auf den See "fast" unverbaubar. Am Rathaus wurde der dazu passende Film gedreht, großer Auflauf mit Wohnwagen für Catering und Maske. Jemand hielt ein gigantisches Galgenmikrophon hoch, Herren in schicken Anzügen schritten wiederholt (welcher Regisseur gäbe sich auf Anhieb mit einer Aufnahme zufrieden?) die Holztreppe herab, wandten sich einer dort wartenden blonden Dame zu und einer sagte vernehmlich den bedeutungsschweren Satz "Das Grundstück ist allerhöchstens 150.000 Euro wert!" Lindau, wie es leibt und lebt - demnächst in eurem Pantoffelkino.

    Nach dem Crash... Jetzt hatte ich Kornelia soviel von den "Felchen" erzählt, die man hier am Bodensee fängt und vom Kampf der Bodenseefischer gegen den Kormoran, den auch Gerhart Polt schon im Kabarett verbraten hat, und unweit der Bahnschranke fand sich tatsächlich ein Hinweisschild auf den Fischerei-Fachverband. Offenbar gibt es trotz Kormoranplage noch genug von den zarten Süßwasserfischlein - in der "Nordsee" von Lindau gibt es Felchen mit Beilage für 11,90 €, im Bedien-Restaurant nebenan für einen Euro teurer. Aber wir zogen eine off-broadway-Döner-Kebap-Bude vor (von denen es neben Eisdielen und China-Imbissen auf der Insel nur so wímmelt), wo wir uns vegetarische türkische Pizza und Ayran genehmigten, bevor wir den Rückweg antraten und wieder an dem Fischereiverbandsschild ankamen: Kornelia entdeckte auch hier einen "Werksverkauf", jeweils Donnerstag und Freitag kann man die Felchen geräuchert, am Stück oder als Filet hier beim Fischer syn Fruu käuflich erwerben. Wir nahmen vier Filets zu 5.90 € mit - sie sind in der Tat etwas klein - und verzehrten sie abends in Kräuterbutter gesotten zu Kartoffeln und Remouladensoße.

    Vor der Abreise von Lindau besuchten wir noch meinen Freund Fritz Reutemann, seines Zeichens abgewählter Sprecher des VS-Bezirks Oberschwaben (aber noch stellvertretender Sprecher), und Organisator des Autorenwettbewerbs "Irseer Pegasus", den die Schwabenakedemie in Irsee ausschreibt. Bei Fritz Reutemann (rechts im Bild) zu BesuchDas nächste Treffen, u. a. mit Lesung von Dagmar Leupold, findet 3. bis 5. November 2011 statt, Bewerbungsschluss ist der 30. Oktober 2010. Mein Bekannter, den ich seit fast 30 Jahren nicht mehr gesehen hatte, war inzwischen Erster Sprecher für den Bezirk Unterschwaben im VS Bayern geworden, und kennt auch viele Leute aus dem Werkkreis Literatur der Arbeitswelt, auch die besonders Bekloppten aus Köln, die ihre eigene, bis vor einem Jahr noch sehr gut aufgestellte Bezirksgruppe kaputtgemacht haben, mit Hilfe korrupter Altgenossen  im Vorstand des Landes-VS von NRW und von ver.di-Funktionären. Fritz und ich warne uns einig, wie heruntergekommen und bedeutungslos der VS geworden sei, auch über Bayern, das ich immer noch einigermaßen geschätzt hatte, wusste er nichts Gutes zu berichten. Wir lasen uns dann noch ein paar neuere Gedichte vor, ich sang ein Lied zur mitgebrachten Gitarre. Auf Lyrikwelt und auf e-stories findet man Werke des immer politischen, aufrührerisch-provokanten Schriftstellers Fritz Reutemann, der uns vor allem "Ästhetik à la Mang" ans Herz legte, eine beißende Polemik gegen den Schönheitschirurgen Prof. Dr. Dr. Mang, dem halb Lindau und ein Châlet auf der Schweizer Seite des Bodensees gehört und der sich kürzlich als "Fachmann" über Berlusconis Schönheits-OPs im TV äußern durfte.


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  • Commentaires

    1
    Kornelia
    Vendredi 13 Août 2010 à 16:38

    Ja so war es - die Fische aus dem Bodenee waren sehr schmackhaft, von festem, zartem Fleisch mit ausgprägtem Eigengeschmack (anders als Wels oder Forelle).

    Heute habe ich erfahren warum Lindau so einen unschönen Zugang auf die Insel hat. gerade heuer isr ein jahrelanger Streit mit der DB beigelegt und die am Ufer verlaufende Trasse wird untertunnelt bzw. für Fußgänger verschönert. Na ja, vielleicht geben wir ja Lindau in ein paar Jahren nochmal eine Chance (glaube 2012 soll es fertig sein). Diese Insel-Innenstadt Touristen-Neppland Gegend wird aber auch nicht durch eine Ufergrünanlage schöner.

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