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Adventsprintjob_2018#12
Halbzeit im Adventskalender - bald ist die Zeit der sog. "bunten Teller" angebrochen, von dem sich jedes brave Kindlein das begehrte Naschwerk nehmen darf. Was mag es enthalten? Wenn's nicht grade meine selbergeplatzten Bäckchen sind - etwas Farbe, Geschmacksstoffe und -verstärker und ansonsten 98 % Zucker, wenn ich recht irre. Deshalb thematisieren wir heute mal das nackte Grauen: Lebensmittelchemie! Mit Synästhesien, Synekdochen und synthetischen Zusätzen soll man vorsichtig sein. Wir können Schwarz- und Weißbrot unterscheiden, aber schwarzes Mehl unterm Nudelholz oder auf dem Backblech würden wir uns wohl verbitten. Ganz zu schweigen von der schwarzen Milch der Frühe, die wir abends und morgens nur hinter elektrischem Stacheldraft und mit vorgehaltener Waffe eines Meisters aus Deutschland trinken würden. Achten Sie mal drauf, wieviel Oxymoron im sogenannt-original Dresdner Weihnachtsstollen versteckt ist - in der DDR gab es das nicht, ebensowenig wie Saccharin, Orangeat und Buntmacher, da blieb der Stollen grau in grau wie die Waschkaue des Steigers und das Waschbeton des antifaschistischen Schutzwalls, der westlicherseits schrill angesprayt wurde. Aber denken Sie bitte nicht, es hätte keine Lebensmittelchemie gegeben! Die stand in schillerndster Blüte, seit Gottfried von Boullion auf dem ersten Kreuzzug mit "jüdischem Penicillin" (Hühnersuppe aus koscherem, bei Pogromen erbeutetem und gargekokeltem Federvieh) experimentiert hatte - Gerüchte von einer Vergiftung des selbsternannten Königs von Jerusalem beim Brühwürfelspiel halten sich bis heute. Und was Justus Liebig in seinen Laboratorien auf Rindfleischbasis ausköcheln und -gießen (so der Name der Uni!) ließ, machte in den Maggi-Kochstudios ("unsrerseits gut zubereitet, Ihrerseits perfekt gekocht") als perfekte Symbiose von Herd und Nerd bebrillte Weißkittel und dankbare Hausfrauen glücklich. Im Adventskalender vom vorigen Jahr war ja schon vom persischen Blausalz aus der Wüste Dascht-el-Lut die Rede, aber Blausäure, Blaukehlchen und Blaukraut auf Brautkleid klingt nicht besonders appetitanregend. Und Blauzucker? Aus unerfindlichen Gründen kam um die Mitte des 19. Jhds. die Mode auf, Zucker blau zu färben, der zuvor einen eher gelblichen Ton hatte - der Rohr-Ohr-Zucker wurde noch aus den Sklavenplantagen von Havanna importiert, nehme ich an, es war ja noch nicht die Zeit des massenhaften Rübenanbaus, der zur Erntedankzeit die mautfreien Nebenstrecken Niedersachsens verstopft. Der leichte Stich ins Blau führte im Mai 1856 zu einer heftigen, in den Eingesandt-Kolumnen der Spenerschen und der Vossischen ausgetragenen Kontroverse. Professor Friedlieb (!) Ferdinand Runge, nach dem heute ein Gymnasium in Oranienburg benannt ist, hatte offenbar schwefelhaltiges Aluminiumsilikat im blauen Zucker entdeckt (wird in der Glasherstellung benutzt, vielleicht glitzert der Zucker dann schöner?) und empfahl, dem "süß einschmeichelnden Zucker" zu misstrauen und sich lieber an gelbbraunen Kandis zu halten. Professor Wilhelm Lindes, 1833 Chemielehrer an der Friedrich-Wilhelms-Realschule in Berlin und als Tatort-Peiniger in der Spusi tätig (schrieb Beiträge zur gerichtlichen Chemie, "Ueber die Auffindung des Arsenites in Leichen"), hielt das für Panikmache und verteidigte die blaumachenden Zuckersieder. Der lange Riemen, den ich aus technischen Gründen unten ansetzen muss, schildert einen geradezu woyzeck-haften Menschenversuch mit dem Arbeitsmann Baumerl, der zur Entkräftung der Vorwürfe das den Nachgeschmack von faulen Eiern erzeugende Giftzeug in hochkonzentrierter Form schlucken musste - wenigstens hätten sie es (wie Max von Pettenkofer die Cholera-Phiole seines Intimfeindes Robert Koch) selber trinken müssen. Hoffentlich hat das arme Versuchskaninchen einen Überlebensbonus bekommen! Die Antwort Runges 4 Tage später war bestimmt noch nicht das Schlusswort. Jedenfalls lief's alles wie heute, wenn Günter Wallraff in einer Filiale seiner Lieblings-Imbisskette Schadstoffe im Schabefleisch oder Salmonellen im Sardellensalat ausfindig macht und Quizmaster Kulenkampff wurmstichigen Kabeljau oder mancher Politiker in der Tagesschau tschernobyl-kontaminierten Salat futtert. Da funktionierte die Skandal-Angriff-Abwehr-Desinformations-Maschinerie wie geölt! Erst enthüllt ein angeblich völlig unabhängiger, konsumkritischer Wissenschaftler die grauenhaften, potenziell massenvergiftenden Umstände in der Lebensmittelproduktion, dann wirft sich ein anscheinend ebenso objektiver, völlig nüchterner und sachlicher Gegengutachter vor die gebeutelte Lebensmittelbranche, und am Ende weiß man nicht, was davon zu halten ist, mustert mit argwöhnischen Blicken den schneeweiß-harmlos wirkenden Inhalt der Zuckerdose und kippt sich künftig nur noch Xylit (oder, weil das nach Sommer, Sonne, leisem Gesäusel von Zephyr in den Zweigen, kurz, nach Naturprodukt klingt, "Birkenzucker") in den Tee. Das ist nach Wikipedia ein "Stereoisomer des Zuckeralkohols Pentanpentol", dabei habe ich gar keine Stereoanlage, nur ein Transistorradio als sog. "Welt-Empfänger", mit Auszieh-Antenne. Aber der Birkenzucker soll angeblich toxisch bei Hunden wirken, das macht ihn für weitere diabolische Experimente interessant - ratet mal, wofür ich ihn verwende bzw. wo ich das völlig harmlose Zeug mit Vorliebe ausstreue, har, har!
Tags : Zucker, Aluminiusmsilikat, Chemie, Menschenversuch
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