• WestöstlicherKonsequenz-Kalender # 16: d

    Ich hatte mehrere Deutschlehrer. Einer, der in fließendem Kölsch vorwiegend maritime Erzählungen u.a. von Hans Leip durchnahm (Dichter der Lili Marleen, die vor der Kaserne stand, an dem großen Tor), hatte einen feinsinnigen Humor. Einen Klassenaufsatz zum Thema Analysieren von Werbesprüchen gab er mit der Bemerkung zurück "hier ging wieder der große Manipul um" - damals war "manipulieren" das Schlagwort der Stunde. Vor zwei Jahren war es "vulnerabel", die vulnerablen Gruppen sollen geschützt werden - Greise und Gebrechliche, Kinder und Kranke, gut und schön, aber sind die anderen etwa unverwundbar? Neuerdings steht alles dermaßen "im Fokus", dass der Fokus schon vollgestellt, unübersichtlich zugemüllt wird mit Krempel, wer hat bei soviel Fokussen ein Auge für den Tiefenblick in den Brennpunkt der Zentralthematik? Inzwischen fokussiert man jeden Tag mehrmals im Radio, z.B. russische Bombenangriffe hätten Kiew wieder im Fokus, und für Ralf-Rainer Rygulla, Altersgenosse von Hanna Schygulla (nur drei Wochen auseinander), hat gar nicht "den Fokus auf Gewalt gerichtet", als er mit seinem Freund Marco Sagurna für die Anthologie Der Osten leuchtet Gedichte von 93 Dichtern in 21 Ländern durchsah. Trotzdem versuchte er heute im Radio sozusagen eine Landser-Ausgabe der Lyriksammlung herbeizureden, da war von Dichterfreunden in der Ukraine die Rede, die beim Telefonieren jetzt grüngefleckte Tarnanzüge tragen, bei Alexej Bobrownikow trieft die Uniform von Blut, von der so gar nicht zu unterschätzenden Aufgabe der Dichtung im Krieg ist die Rede. Und das passt ja prima zur ACID-Lyrik, die Rygulla in den post-Vietnam-Jahren (aus London, nicht aus den USA) nach Europa brachte. "Dort ist von Leben und Tod, von Liebe und Krieg die Rede, erstaunlicherweise ohne Peinlichkeit", behauptet Rygulla und peinblich war es auch all den 68er-Veteranen nicht, die damals die Schüsse auf Benno Ohnesorg und Rudi überlebten, voll auf LSD amerikanische Lyrik lasen. Aber jetzt - die Windrichtung dreht sich! Wie der Osten von Raketenfeuer leuchtet, versetzt Marco Sagurna in Extase, bei ihm trieft die Druckerschwärze, der langjährige Zeitungsredakteur - Karl Kraus lässt grüßen! - kriegt Gänsehaut, wenn er (über Skype?) den ukrainischen Dichterkollegen zwischen Trümmern sieht, mit vibrierender Stimme teilt er's mit, "Poesie made in Germany" könne "vor lauter Ästhetik und Tiefe doch kaum mehr laufen", dass er "wirkliche Kraft nur noch in der Poesie Ost" verspüre, wobei die Augen flackern "wie das Feuer in den Fensterscheiben brennender Irrenhäuser" (Arno Schmidt). Kommt aus den Federbetten, ihr Dichter, rein in den Fokus der Wollkniestrümpfe, bis alles von Granaten und Inseraten durchsiebt ist!

    _ D _ _ T_ k _ _ ∃ n_ ELateinisches R N e Lateinisches I N D a Ν _ e

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