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Was vom Altjahr übrigblieb
Nach dem Motto: "Begrüß das neue Jahr, egal, wie es aussieht", haben wir uns trotz grauem Himmel & Nieselregen heute mittag auf den traditionellen Neujahrsspaziergang gemacht. Wenn nichts besseres anliegt, sind wir am Neujahr fast regelmäßig zum Rheinufer und zum Dom gegangen, um die Kirchen mit ihren originellen Krippen zu besehen, den Pegelstand des Rheins und die Umdekorierung der Schaufenster in der Hohen Straße zu prüfen und irgendwo einzukehren. Wenn der Schnee zu tauen beginnt, trägt er nicht mehr viel zur Verschönerung der Landschaft bei, und manches kommt zum Vorschein, was besser verborgen bliebe. Die Feuerwerksabfälle in meiner Straße halten sich in Grenzen (die Jugendlichen vom Stockwerk drüber, die ihre Mutter besuchten, haben brav gleich nach Abfeuern der Raketen alles in den gelben Mülleimer getragen), aber da in den letzten Wochen keine Flaschencontainer mehr geleert werden (für unseren eigenen Weinkonsum weiß ich einen, der wegen seltener Benutzung noch nicht überquillt), wird Altglas drumherum gestapelt. An der Markusstraße muss eine Gesellschaft von Jägermeister-Abonnenten wohnen, die das Zeug literweise in unterschiedlichen Flaschengrößen verkosten. Hat der Betreiber des dem Container benachbarten Weihnachtsbaumverkaufs seinen Kunden beim Verkaufsgespräch was ausgeschenkt? Oder haben sich die auf dem Zollstocker Südfriedhof mit der sogenannten "Schadwildbejagung" Beauftragten, die derzeit an Samstagen bis 9.30 die Totenruhe durch Schusswaffengebrauch stören, vor dem Anblick des Schadwilds Mut antrinken müssen? Gleichviel, die Schneemassen am Raderthalgürtel sind auch nicht mehr das, was sie mal waren, vermutlich siehts in den Polargegenden, wo probehalber nach Erdöl gebohrt wird, auch nicht besser aus. Und hat man das "Steinufer des Bürgersteigs" (Arno Schmidt) endlich erreicht, sollte man auch aufpassen, denn die Pfützen können ganz schön tückisch sein.
Über solche muss man oft auch an Bushaltestellen springen. Zufällig kam grade die Linie 132 zum Dom, und wir stiegen am Heumarkt aus. Wer glaubt, nach Heiligabend seien die Weihnachtsmärkte allüberall weggeschmolzen, kennt nicht den Heumarkt, wo sich noch immer Glühwein-, Bratwurst- und Lebkuchenherzensbuden um Europas größte Kunsteisbahn gruppieren. Auch der Rentier-Schlitten des Santa Claus auf dem Dach ist vom Altjahr geblieben, ebenso wie ausgebrannte Raketenabschussbasen, Kartonböller und Plastiksprengstoffhülsen, Sektglas- und Flaschenscherben, die der kalte Krieg des Jahreswechsels hinterlässt. An der Rheinuferpromenade hatten die leuchtend-orange Uniformierten das Schlachtfeld schon weitgehend geräumt. Was da alles in dem Kehrichtwagen landet, will man gar nicht so genau wissen. Die Kölner wissen aber, was sie an ihren Kehrmännchen haben, weshalb sie jedes Jahr einen hölzernen Repräsentanten in der ansonsten ständig aktualisierten Weihnachtskrippe im Kölner Dom aufstellen. Während wir die neue Deko im Eingangsbereich des Doms betrachteten, bekam ein kleines Mädchen, das nach dem "bösen Mann" neben Maria fragte ("Der heißt Joseph und gehört zu der Frau, die in dieser Nacht ein Baby bekommen hat." - "Und wo ist das Baby?" - "Das Baby liegt in der Wiege da!"), die Weihnachtsgeschichte erklärt. Es hatte offenbar noch nie davon gehört. Ein paar Schäfer gibt es in der Domkrippe auch, aber nur auf der dritten Etage, auf einem mythischen Steilhang, der - da die Krippe ansonsten Kölner Verhältnisse abbildet - wahrscheinlich das Bergische Land darstellen soll. Die Heiligen Drei Könige sind nicht zu sehen, die kommen erst am 6. Januar ins Bild und sind als Reliquien sowieso schon im Dom anwesend. Heuer steht aber neben dem Straßenreiniger außer der "ahl Möhn" (Kölnerin im vorgeschrittenen Alter) und der blaugewandeten dunkelhäutigen Nonne ein Mensch mit leuchtend reflektierender Sicherheitsweste, und auf dem linken Flügel der Krippenlandschaft hält außerdem ein ein ebenso reflektoren-gestreifter Feuerwehrmann Wache. Für Sicherheit ist also gesorgt, selbst wenn die Halbstarken kommen, diese Skater mit ihren Rollbrettern, die in diesem Jahr auch an der Krippe stehen. Der junge Knabe auf dem Bild in der Mitte bringt dem Jesuskind ein (auf dem Bild ganz links besser zu erkennendes) Skateboard als Opfergabe dar. Dieses Öpferchen ist bestimmt ganz im Sinne der Dombaumeisterin, die sich schon im letzten Januar, also 2010, darüber beklagt, dass - angeblich sogar nachts bis ein, zwei Uhr - die Skater über die Domplatte brettern (ermutigt von entsprechenden Einrichtungen, die man vor Jahren hier städtischerseits aufstellte, um die Jungs von der Straße zu holen). Sie wohnt direkt am Dom, wahrscheinlich, um bei Feuersnot eingreifen und die Security-Truppe von der Krippe herbeirufen zu können, und würde das Treiben der Skater-Brüder am liebsten verbieten bzw. weit ins Rechtsrheinische, nach Köln-Porz verbannen. Näher an der Krippe steht übrigens der Junge mit Geißbock-Button und dem typischen weiß-rot-gestreiften 1. FC Köln-Fanschal, und es sieht nicht danach aus, als wolle er ihn wärmend um das Jesuskind legen, er behält ihn für sich, typisch!
Wir nahmen uns dann noch Zeit für einen kleinen Rundgang, unter anderem zum Fenster des Künstlers Gerhard Richter. Er malt sonst eher grau in grau, Schwarz-Weiß-Fotos mit Bildstörung, ein bisschen wie meine fotographischen Schneematsch-Studien, die ich oben eingestreut habe. Das Domfenster ist jedoch aus transparent-kunterbunten viereckigen Mosaiksteinchen gestaltet (nach geheimnisvollen aleatorischen Prinzipien angeordnet) und ein echtes Kunstwerk, das die Dombaumeisterin wiederum gut, der Kardinal Meisner aber geradezu skandalös fand ("passt eher in eine Moschee!"), also gar nicht fromm, anstelle mal vernünftige Heilige oder Märtyrer im Bilde darzustellen, nur so abstraktes Zeug?! - weshalb er sogar der Einweihung fernblieb. Dummerweise hat der Erzbischof in seiner eigenen Bischofskirche nicht viel zu kamellen, das macht alles das Domkapitel auch ohne sein Einverständnis.
Da ich nun aber gar kein großer Dom-Fan bin, sind wir dann noch in eine der schönen romanischen Kirchen gegangen, für die Köln im Mittelalter, als weit und breit noch keine Kathedrale in Sicht (nur Bauruine), so berühmt wurde. Und zwar in eine romanische Kirche, die praktisch leersteht, während sich alle Touris im Dom drängeln. Die Kirche des 1802 säkularisierten Kunibertsklosters liegt nämlich dann auch noch fernab der magischen Dreiecks Hauptbahnhof - Rhein - Altstadt, ein ganzes Stück hinter dem Bahnhof, wenn man die Johannisstraße entlanggeht - an dieser liegt das Weinrestaurant, wo Kornelia ihren vorletzten Geburtstag gefeiert hat. Früher, um 1900 und in den Jahren danach, war das Rheinufer praktisch unzugänglich, ein einziger Bahnhof zum Güterverladen, und integriert das Reichsbahngebäude. Ich vermute, der Eingang zur Innenstadt war damals gar nicht so sehr die Dom-Rückseite oder das Gelände an der Hohenzollernbrücke, sondern bei Sankt Kunibert (weshalb die Straße "Unter Krahnenbäumen" von Willy Ostermann und Chargesheimer verewigt wurde). Diese Kirche war noch zu meiner bewußten Lebzeit eine ausgebrannte (Bomben-)Ruine, ich habe sie nur schrecklich zerstört in Erinnerung, und wurde erst in den siebziger, achtziger Jahren des Vorjahrhunderts aufs Schönste restauriert. Inzwischen ist auch eine Orgel dazugekommen, an der gerade heftig geprobt wurde, als wir kamen; die dunkelschönen Bassblubber takteten in der Tiefe, darüber jubelten die schmelzenden süßen Flöten der oberen Tonlagen ("gedackt") und der Klangfilm waberte zum Himmel des eindrucksvollen Kirchenschiffs empor, dessen Rundbögen mit bunten Randornamenten ausgemalt sind. Neben einer mittelalterlichen Pietà-Darstellung hat diese Kirche auch eine Sammlung von Reliquienköpfen buddhistisch grinsender Heiliger aus der Parler-Werkstatt aufzuweisen, die ich wegen der Glasvitrine leider nur ohne Blitz und daher unscharf aufgenommen habe. Die frommen Damen - mit einem etwas feminin wirkenden Bischof in der Mitte - waren aber wirklich entzückend und lächelten verheißungsvoll ins Neue Jahr hinein, so dass ich mir die Erinnerung unbedingt mitnehmen wollte.
Tags : sylvester, neujahr, kölner dom, müllmänner, krippe, tauwetter, romanische kirchen, gerhard richter, kardinal meisner, skateboard
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Commentaires
2neveDimanche 2 Janvier 2011 à 17:21Mir hat die Beschreibung der Krippe im Dom sehr gut gefallen. Das erinnert wirklich an die Tradition der Santons in der Provence.
Man sollte aber die Krippenfigurenschnitzer - und bemaler doch darauf hinweisen, dass nicht alle deutschen Müllmänner "türkische" Schnurrbärte haben!
Was ist denn Schadwild? Mäuse oder Ratten doch wohl nicht? Hasen? Da müssen doch die Chinesen einschreiten, oder?
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Ein optimistischer Jahresbeginn und die Leitfarbe ist orange.