• Glaubenskrieg mit Diszipleen

    Ruhebank am Böll-WanderwegKatholische Güllepumpe von rechtsHeinrich Böll und Köln? Was liegt näher, als ein Besuch im Bergischen Land? Über Köln hat sich der Nobelgepreiste doch eher despektierlich geäußert, mit gutem Recht. Ich zitiere nur die (wörtlich) "Scheiß-Nord-Süd-Fahrt, die eine ganze Stadt zerschneidet", oder in den fünfziger Jahren im TV zu Friedrich Luft: "Es ist eine sehr vulgäre Stadt, mit allem Negativen und den Vorteilen der Vulgarität", oder das späte Gespräch mit Heinrich Vormweg, Thema: "Warum uns die Stadt so fremd geworden ist" usw. usw., das Wohlstandswunderköln war damals längst nicht mehr das, was es in Trümmern oder lange davor mal war. Böll war immer unstet und placeless, in Müngersdorf war ihm der Schreibtisch zu klein, ein eigenes Schreibatelier musste her, das in Bayenthal besetzte Haus war mehr was für die Übergangszeit, zwischen Raderberg und Raderthal wohnte er sowieso nur kurz in der Kindheit, dann muslime ermorden nonnenweilte er länger in Erklärtafel zu Bölls Leben und WerkIrland im Cottage und später im Heinrich-Böll-Haus in Langenbroich, wo nach Peter Hacks auch  Wolf Biermann "in seinem Bett übernachtet" hat, "und ich hoffe, er hat nicht Solschenizyns Läuse darin gefunden..." Am Schluss wohnte Henirich Böll in Alfter, wo er auch begraben ist.

    Eine nach dem Großen Sohn benannte Straße hat es nie gegeben, das wollten die Kölner nur, wenn ganz sicher festgestellt wird, daß auch ja niemand dort wohnt (oder gar die U-Bahn dort noch eine Erklärmichtot-Tafelgebaut und womöglich eine Station nach ihm benannt würde), da verfiel man auf ein militärisch nicht genutztes Sperrgebiet (nicht mal Weihnachts- oder Kinderflohmarkt könnte man da veranstalten) zwischen Domkloster und Roncalliplatz. wo Rollschuh- und Kickbrettfahrer unterwegs sind. Aber die und jeder Fußgänger wird zu normalen Tages- und Nachtzeitern von finsteren Security-Sbirren im städtischen Auftrag vor Absperrzäunen aufgehalten, sobald jemand die Philharmonie, deren Deckel dieser Platz aus Ersparnisgründen zugleich sein sollte, durch achtloses staatsgefährdendes "Begehen" des Heinrich-Böll-Platzes klanglich beeinträchtigen will (warum eigentlich? Sollte das Schicksal, das in Beehovens Neunter an die Tür klopft, nicht gleich ein Heer nagelstiefelbewehrter Uniformierter mit sich bringen, und in Kuh auf Wiese lagerndder Zugabe die Götterdämmerung aufführen helfen?). Und darf man wirklich mal drauf, frage man einen der wild fotografierenden Touristen oder auch Einheimische, wie der Platz heißt, kein Mensch weiß, dass es mit Literatur zu tun hat, das ist der Domplatz, weiter nichts, einige ganz Vorwitzige sagen "Museum-Ludwig-Platz", das Museum steht nämlich da, hatte aber früher nie die Heinrich Böll-Adresse, die erst vor ein paar Jahren wohl auf Druck der Obrigkeit adoptiert wurde.  

    Heinrich Böll Weg neben FlaschencontainierAnders jedenfalls im Bergischen Land, hier darf, sollte, ja muss man den Heinrich-Böll-Weg "begehen" und wird auch nicht daran gehindert, wenn er durch Kuhweiden, Kirchhofsgelände und Kartoffelhalde neben den AutoreifenKartoffelhalden führt. Als uns aber am Wochenende das allerletzte freie Halloween (bitte nicht Geistes- mit Geisterfreiheit verwechseln) vor dem Lockdown (nebst anschließendem Ragnarök?) angekündigt war, sagten wir uns, vorher unbedingt an Böll denken und die letzten Oktobersonnenstrahlen ausnutzen. Unterwegs kamen wir noch an dem Landgasthof vorbei, der einen spleenigen Spruch mit der Halloween-Einladung plakatiert hatte.

    Geparkt haben wir passenderweise illegal auf dem Gelände des sog. "Fitness-Hotels", das schon vor der für Bäume ineinander verzwirbeltnächste Woche verfügten Generalschließung die Ponyhofmädels nach Hause geschickt hat, und machten uns auf den Weg. War Böll, zitiert nach Peter Hacks, wirklich "Herbergsvater für dissidierende Wandergesellen", dann hätte man auch das Hotel nach ihm benennen Betzbach Erklärtafeloder dort wenigstens obergäriges, kühles Böllsch ausschenken dürfen ("anderes Bier macht Sie besoffen, dieses Bier macht Sie betroffen!"). Es gibt Tafeln mit Fotos, Briefen, Buchtiteln, die mit parallel verlaufenden Waldmaus- und Bach-Lehrpfad-Informationen konkurrieren, es gibt eine "Hörstation", auf der man kurbeln muss wie in alten Filmen an den Telefonen, damit man einen O-Ton von Heinrich Böll abspulen kann: eine Ohren- auf der Kuhweide! (wunderbare, sonore Stimme und immer dieses zweifelnd-behagliche Verfertigen der Gedanken beim Reden, das hab ich bei Böll am meisten bewundert... der hatte immer so eine Saftruhe, wenn er redete, und man spürte, wie es unter der ruhigen Oberfläche brodelte...) Was würde der wohl zu Hygiene-Vorschriften, zu Mundschutzpflicht und Abstandsregeln sagen, zu dem Statistik-Joch, unter das sich demokratisch gesalbte Häupter willig seufzend beugen, zum selbst-installierten "Corona-Kabinett", das alle Beschlüsse schon im vorhinein verabredet, anschließend verwässert oder verschärft und am Ende umsetzt, was den Interessen wahlkampfeifernder CDU-Größen dient? "Es geht alles so dunkel und trickreich zu wie bei der Wiederaufrüstung, die uns diese unselige Bundeswehr beschert hat", war Bölls Kommentar zu den Notstandsgesetzen am 28. Mai 1968.Wegkreuz im Bergischen Land

    Betet für michDie Bundeswehr, die ja ihre Traditionen gern pflegt, war noch kein sündiger Gedanke (oder nur ein ganz kleiner im hintersten Winkel der Hirne der Militaristen, die das baldige Kriegsende ahnten), als Böll zur Reichswehr gehörte und sich in der Gegend von Much mehr oder minder verborgen hielt, den Urlaubsausweis immer wieder verlängern ließ und, als das nicht mehr ging, fälschte; am Ende stellte er sich doch den Behörden, um kurz darauf in Kriegsgefangenschaft zu kommen. Ohne diese geordnete Individual-Abrüstung konnte man leicht zum Kugelfang werden, sei es als Deserteur oder als Partisan erschossen, und allen Berichten zufolge waren die Kriegsverluste in den letzten Wochen und sogar kurz nach Kriegsende noch besonders hoch. Bölls Ehefrau Anne-Marie lebte dort in Marienfeld, bekam einen Sohn und verlor ihn wieder, als er nur wenige Monate alt war, er liegt in Marienfeld auf dem Kirchhof neben dem Kind einer russichen Zwangsarbeiterin begraben. Sie Fliegenpilz im Laubhaben dem kleinen Pawel und dem eigenen Sohn Christoph Paul wohl später, in bessern Zeiten Denksteine setzen lassen, aber die Gemeinde muss es gewust und der Pfarrer gebilligt haben. Das bekommt man alles unterwegs erzählt von den Tafeln und kann sich in der Landschaft umblicken. Hier kann man sich nirgends verstecken, "Fremde im Ort" werden als solche sofort identifiziert. Unfassbar, dass ein Bauer, der die Familie mit Milchsuppe versorgte, auch zwei Deserteure versteckte, ohne dass es bei mißgünstigen oder gar womöglich noch hitlerbegeisterten Nachbarn ruchbar und denunziert wurde.Bauer Peters in Betzdorf

    In der Eigenwerbung wird vom Böll-Wanderweg gesagt, er finde auf "gut ausgebauten Wirtschaftswegen" statt, in Wahhreit ist man drei Viertel der Strecke auf Asphalt unterwegs, über den die Einheimischen, (die - ich kenn mich hier aus - mit 16 Führerschein machen und mit 18 das erste Auto kriegen) wiLandgasthof am Weg nach Seelscheide von Furien gehetzt rasen, der Schleichweg abseits der Landstraße von Wackelrode nach Hohenthal-Holzheim. Leider sind die Um- und Abwege, die zwischen kleinere Wäldchen führen, eher selten. Außerdem war der Weg relativ stark frequentiert, von Seniorenpärchen, zu denen wir ja inzwischen selber gehören, über Einzelgänger mit Hund zu Wandergruppen mit ökosozialistischer Anmutung - auf 100 Metern Entfernung erkennt man schon, wer die Wege Bölls wegen geht und wer stattdessen dem parallel verlaufenden "Bergischen-Panorama-RuLesesaal der Bonner UBndweg" folgt. Anfangs leuchtete uns die blaue Silhouette des Siebengebirges von hinten, fast wie alpines Panorama vom Allgäu aus, später entdeckten wir die vielen Wegkreuze, bei denen mir immer einfiel: "Ein Hakenkreuz am Wege steiht / stumm kniet davor Heinz Steguweit", wie Böll einmal auf einen ursprünglich ostpreußischen, von der katholischen Jugend- zur völkischen Hitlerjugendbewegung gewechselten und nach dem Krieg als vermeintlich völlig harmloser Jugendbuchautor im Westfälischen tätigen Kollegen schüttelgereimt hat.

    Statt unterwegs nach einer Einkehr zu suchen, die es ohnehin nicht gab (obwohl man Frittenbudenwägelchen und Lokale sah, scböllweg zwischen Kirche und Ortsschildhien alles weit und breit alles verrammelt und verschlossen), kauften wir uns bei einem Bäcker in Marienfeld Brot und verzehrten mitgebrachte Frikadellen mit Thermoskannentee auf einer Bank - die natürlich weder links noch rechts so etwas wie einen Aschenbecher aufwies, wie man auf HeinrichApfelbaum im Herbstlicht Bölls Weg doch erwarten durfte. Einige nette Fliegenpilze unterwegs ließen wir für andere Leckermäuler stehen, welche Tierart mag das sein, die sich an dem "bewußtseinserweiternden" Giftzeugs delektiert? Aber auch die Kartoffeln klaubten wir nicht vom Feld und der Apfel, den ich von weitem sah, wollte partout nicht weit vom Stamm fallen und blieb stattdessen fröhlich in der Sonne hängen, um noch weiter zu erröten. Am Ende hatten wir den Böllpfad quasi unter den Füßen verloren und gingen statt dessen einen kleinen Rundweg, nicht ohne die katholischen, am Reformationstag den Mist Siebengebirge von hintenausfahrenden Bauern zu bewundern (und heute an Allerheiligen sind die Protestanten dran, die es hier auch gibt - wer's nicht glaubt, kann am Karfreitag und Ostersonntag dasselbe Spektakel bewundern), so ist das hier im Bergischen! Meine Böllweg-Begleiterin wollte es nicht wahrhaben - sie meinte allerdings, wenn das vor dem Westfälischen Frieden mal so gewesen sein mag, gilt das in der moderenen Agrartechnologie nicht mehr. Weit gefehlt, nichts hält länger also solche Bauernregel: Mist ausfahren grundsätzlich am hohen Feiertag der Andersgläubigen, so läuft das hier!


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  • Commentaires

    1
    Dimanche 8 Novembre 2020 à 10:32

    Der Titel für eine Bonner Dissertation ist genial, hoffentlich greift den jemand schon vor den 50er Jahren auf.



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