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Adventsprintjob_2018#09
Bekanntlich starb Ingeborg Bachmann in Rom, nach einem von ihrer letzten Zum-besser-Einschlafen-Zigarette ausgelösten Schlafzimmerbrand, an der Einnahme und dem anschließenden Entzug der gewohnten Kombination minderwertiger Pharmazeutika - ihrem Spätwerk wurde in einer Auswahl aus dem Nachlass der Titel "Todesarten-Projekt" zuerkannt. Medizin-Historiker aufgepasst: ein derartiges, aber faktenorientiertes und quellenkritisches Projekt könnte man auch aus der Fülle der Todesanzeigen rekonstruieren, die sich in Tageszeitungen des 19. Jahrhunderts finden. So unverblümt in den Kleinanzeigen Namen, Adressen, Hausnummern und Etagen mit Orientierungstipps genannt werden, so wenig scheut man sich, wenn es um die letzten Dinge geht, die den lieben Dahingegangenen beschäftigt haben. Nicht, dass uns die Lieblingsthemen Krankheit und Tod nicht auch heute noch beschäftigen; es ist das auch jahreszeitlich passende Thema für das aktuelle Chanson des Monats von Pigor & Eichhorn, übrigens das letzte seiner Art, das man hier abhören kann. Aber Partygeschwätz hinter vorgehaltener hohler Hand ist doch noch was anderes als die öffentliche Annoncierung der oft minutiös aufgezählten Krankheitsübel, die einen Angehörigen in der letzten Lebensphase heimgesucht haben und die heutzutage, zumindest jedenfalls im Kleinanzeigenteil, wolkig umschrieben werden. Steckt ein Rest des rücksichtslosen Forschungsinteresses aus dem Zeitalter der Aufklärung dahinter? Wilhelm von Humboldt war so neugierig darauf, der Amputation einer Hand beizuwohnen, dass er sich pünktlich im OP einfand, dann aber vom Wundarzt abgewiesen wurde, - angeblich bot er ihm Geld an, wenn er die Hand doch amputiert (letzteres vielleicht bloß erzählt, um die Zuhörer zu choquieren). Oder wollte man Erleichterung signalisieren, dass die Verstorbenen es hinter sich haben, und deshalb nochmal an die Symptome erinnern, unter deren Einwirkung sie diese Welt verlassen mussten? Dass die Dichterin Louise Brachmann, wie die Spenersche Zeitung am 12.10.1822 zu berichten wusste, in einem Nachtkleide, am linken Arm einen Feldstein befestigt, ins Wasser ging, nun gut, das kann ja von biographischem Interesse sein, aber weshalb muss die Nachwelt wissen, dass Felix Mendelssohns Schwager, der wohl auch ganz gern dem übermäßigen Weingenuß zusprach, 1861 einer Lungenlähmung zum Opfer fiel? Muss ich wissen, dass der Hauptmann Bender seit dem 47sten Lebensjahr infolge seiner Kriegswunden an Geistesschwäche litt und am Ende der Wassersucht erlag? und die Hämorrhoidalbeschwerden des Königlichen Rechnungsraths Dantziger, und gleich darunter in derselben Ausgabe (Spensche Ztg-vom 18.5.1822) des Oberstleutnants Kunow, wen juckt das noch? Manchmal wird der komplette Hergang eines Unfalls nacherzählt, der für einen Familienvater "sehr tödlich" endete. Es ist, als habe man früher intensiver gelebt und sei denn auch ausdrucksstark gestorben - und immerhin konnten sich die überlebenden Abonnenten der Zeitungen tagtäglich entsprechend gruseln und sich eine eigene Todesart ausmalen, am liebsten vielleicht die, der die Gründerin der Schauspieler- und Sängerdynastie Galster-Taglioni zum Opfer gefallen ist. Da beklagten die hinterbliebenen Kinder und Enkel vor allem, dass ihnen bei der "grausig schnellen Trennung" - das konnten auch keine Binde-Striche wiedergutmachen - der "Abschieds-Gruß" verwehrt und nur die "Rück-Erinnerung" geblieben war.
Tags : Todesarten, Hirnverletzte, Hämorrhoiden, Lungenschlag, Unfall
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