• Zwischen Bier und Bièvre

    Kein Bierey gelegtGottlob Benedikt Bierey war ein Breslauer Theaterpächter, Kapellmeister und Komponist im 19. Jahrhundert; er ist zumindest bei Wikipedia vertreten. Mit meinem alten Freund, dem genußsüchtigen Vielfraß und Shakespeare-Rezitator Karl Schall, hat er sich angeblich dauernde Fehden geliefert.

    Er schrieb Opern mit Titeln wie Donauweibchen oder Die Nixen-Königin. Dritter und letzter Theil. Ein romantisch-komisches Volksmärchen, Liebesabenteuer oder Wer zuletzt lacht, lacht am besten, Elias Rips Raps und Almazinde oder die Höhle Sesam.

    In seiner Oper Die Ehestandskandidaten, oder die Parodie aus dem Stehgreif  fallen Sätze wie "Sag mir, Mädchen, was soll das bedeuten? Hat die letzte Hundstagshitze meinem Onkel das Gehirn verbrannt?", und ein für allerlei alchemische Experimente aufgeschlossener Herr namens "Schwindel" probiert die Wahlverwandtschaften aus:
    "Nimm Lapis, tapis, crinis, cinis,
    Verbind's mit matis, salis, spinis
    Und lege Sulphur auch daran...
    Und was kömmt durch ihre Verbindung heraus?"
    worauf ein junger Mann, eben der Ehestandskandidat, antwortet:
    "Des schwarzen Raben goldenes Haus"
    während Röschen (beiseite) murmelt:
    "Ein Hochzeitkranz, ein Bräutigamstrauß."

    Der Komponist kommt sogar im Goethe-Zelterschen Briefwechsel vor, allerdings meint Zelter am 14. bis 15. Juli 1824 zu seinem Weimarer Freund: "Der Bierey ist weit genug davon, etwas Ordentliches vorzubringen.Schlussapplaus zur Oper Solange die Leute ernsthafte Opern schreiben, finden sie in den sogenannten Leidenschaften Gelegenheit und Entschuldigung für alles Reißen und Schmeißen, womit sie sich und andere quälen. An humoristischen Gegenständen erkennt man jedoch sogleich die ärmliche Natur, und so ist's auch mit der genannten Komposition..." Und die Allgemeine Musikalische Zeitung Nr. 20 vom 19.5. 1813, Sp. 338, mag ein von Bierey komponiertes Trinklied "weder gut noch schlecht nennen".

    Im Schlesischen Tonkünstler-Lexikon, enthaltend die Biographieen Vorhang der alten Kölner Operaller Schlesischen Tonkünstler, Componisten, Cantoren, Organisten, Tongelehrten, Textdichter Orgelbauer, Instrumentenmacher etc. etc. Nebst genauer Angabe aller Schlesischen musikalischen Institute, Vereine, Musikschulen, Liedertafeln etc. etc.  von Carl Kossmaly und Carl Heinrich Herzel ("Carlo"), Eduard Trewendt: Breslau 1846, S. 18 steht allerdings auch:

    "Biereys erstes Bestreben war, das Orchester zu verbessern, um so mehr da die Unordnung so groß war, daß die Musiker sogar nicht selten während der Vorstellung das Orchester verließen, um in einem benachbarten Bierhause ihren Durst zu stillen, und gewöhnlich zu spät oder gar nicht wiederkamen."

    Das erinnert dann gar sehr an den Fürsten Esterhazy, für den Bierey eine Messe Tanz um die Hochzeitstorteund einige Psalmen komponiert hat, die in der Esterhazy'schen Kapelle von Joseph Haydn aufgeführt wurden. Haydn lässt in der Sinfonie Nr. 45 (Hoboken-Verzeichnis), der sog. Abschiedssinfonie, die Musiker einen nach dem Anderen den Saal verlassen, vielleicht gehen sie zum Bier?

    Das Ende des Bierey war von Trinkkuren begleitet: "Nachdem er die Theaterpacht abgegeben hatte, suchte er seine, durch Arbeit – und mancherlei Kränkungen – gestörte Gesundheit, in Ruhe und Zurückgezogenheit, theils in Bädern theils in Weimar wiederherzustellen, kehrte aber im Jahre 1834 mit einem unheilbaren Asthma nach Breslau zurück, woselbst er am 5. Mai 1840 in einem Alter von 68 Jahren, in den Armen seiner Gattin ruhig und verpasste_schildersanft entschlief", schließt das Schlesische Tonkünstlerlexikon den ihm gewidmeten Artikel. (Sie hieß Sophie de Morell, und war eine tüchtige Sängerin bei der Secondaschen Truppe, für die er das "Donauweibchen 3. Theil" komponiert hatte.) Und jetzt kommt der Clou, allein seines Namens wegen schaffte es Bierey auch in das Konversationslexikon von Brockhaus, dem Wikipedia inzwischen den Garaus machte:

    Friedrich Arnold Brockhaus. Sein Leben und Wirken nach Briefen und andern Aufzeichnungen geschildert von seinem Enkel Heinrich Eduard Brockhaus. Zweiter Theil,  F. A. Brockhaus: Leipzig 1876, S. 141 f.

    Wie ein komisches Seitenstück zu diesem Erscheinen des Namens Metternich an der Spitze der dritten Auflage des Klotzbuecher Bier"Conversations-Lexikon" sei hier eine Anekdote eingeschaltet, welche dieselbe Auflage betrifft. In ihr befindet sich nämlich auch der Name eines Mannes, der diese Auszeichnung nur einem eigenthümlichen Umstande verdankte. Brockhaus, der jeden Bogen vor dem Drucke durchsah, fand, von einer Reise zurückkehrend, daß der Artikel "Bier" viel zu ausführlich behandelt sei; der Bearbeiter und auch der Redacteur Hain hatten sich dabei wahrscheinlich durch ihre persönliche Vorliebe bestimmen lassen. Brockhaus strich den Artikel zusammen, aber – der nächste Bogen war in einer andern Druckerei schon gedruckt! Da gab es nur das Mittel, einen Artikel ausfindig zu machen, der im Alphabet zwischen "Bier" und dem folgenden Artikel "Bièvre (Marschall)" hineinpaßte. Man suchte und – fand einen Componisten Bierey, Musikdirektor zu Breslau. Rasch wurde er eingeschoben, freilich um aus dem Werke, in welchem er unbeschadet seiner sonstigen Verdienste doch nur als Lückenbüßer gedient hatte, bald wieder zu verschwinden.


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