• Warum ich unterschrieben habe...

    Gestern um 13.30, ungefähr 15 Minuten, nachdem ich die Nachricht erhalten hatte, dass der Verteidigungsminister zurückgetreten ist, habe ich auch diese Protest-Liste unterschrieben, die an Frau Merkel ging und auf der heute mittag schon 62.500 Unterschriften stehen. Natürlich ließ ich mir nicht nehmen, den Punkt "Ich habe selbst einmal eine Doktorarbeit verfasst" anzuklicken.

    Guttenberg und das Internet

    Es sind aber bei weitem nicht nur Doktoranden oder Wissenschaftliche Mitarbeiter auf dieser Liste, sondern man konnte und kann sich auch als "Unterstützer" ohne entsprechenden akademischen Hintergrund einbringen. Normalerweise unterschreibe ich nichts und schicke auch keine Schneeball-Protestmails weiter. Ich laufe ja auch nur ganz ausnahmsweise in Demos mit, und an Ständen mit politischer Propaganda wird man mich nicht finden, weder beim Flugblattverteilen noch beim Entgegennehmen derselben. Zwar habe ich mich die ganzen 12 Tage, die der Fall mittlerweile währt, maßlos aufgeregt und immer wieder Nachrichten und Kommentare gehört, im Radio und im TV, und entsprechende Passagen in Zeitungen und im Internet gelesen,

    Guttenberg und der Einzelhandel

    aber mir kam das alles - nach einer Formulierung des Betreffenden selber - zuerst selber ohnehin "absurd" vor. Ich bin ja aus meiner wissenschaftlichen Tätigkeit gewohnt, dass z. B. Lexikonschreiber immer wieder auf ältere Texte zurückgreifen, statt selber zu recherchieren, weshalb Falschangaben (und mehr noch Fehlurteile!) immer weitergesponnen werden, bis sie so verfestigt sind, dass kein Mensch mehr wahrhaben will, dass es anders sein könnte. In der Literaturgeschichte gibt es da zahlreiche Beispiele, und nur in ganz seltenen Ausnahmefällen wird so etwas später korrigiert. (Ulrike Meinhof und Che Guevara waren keineswegs das politische Vorbild einer ganzen Generation, Nietzsche ist kein Frauenfeind und Benn kein eingefleischter Nazi gewesen, Hans Baumann schrieb nicht das Lied "heute gehört uns Deutschland, und morgen die ganze Welt", und nein, die Vandalen haben am 2. Juni 455 nicht alles kurz und klein geschlagen in Rom!) - Nachdem ich zuerst sowieso höchstens an ein paar ungeschickt umformulierte Entlehnungen dachte, die sich Guttenberg in seiner Dissertation genehmigt hätte, war ich baff von dem Vergleich, den man ziemlich schnell in der Süddeutschen auch online präsentierte: da stellte man jeweils die Seite der Dissertation und das Original gegenüber, mit entsprechend farbig hinterlegtem Text. In dem Moment war klar, dass hier ein dickerer Hund begraben ist. So frech geklaut, wörtlich und absatzweise, das hat man selten, das kommt vielleicht mal bei Redenschreibern vor, aber bei gedruckten Büchern kaum (und wäre die Dissertation bloß in der Pflicht-Anzahl kopiert worden, ausschließlich für Seminare und Universitätsarchive bestimmt, statt dass die Eitelkeit des Ministers noch einen Verlag dafür suchte, wüßte man wohl bis heute nichts davon). Guttenberg und die Kinder und SeniorenIn meiner Zeit als Wissenschaftlicher Assistent an einem Lehrstuhl habe ich in einer der vielen durchzusehenden Hausarbeiten auch mal einen geistigen Diebstahl aufgedeckt, aber der war viel, viel geschickter camoufliert. In den Zeiten vor "google" ging das so: Ich entdeckte eine Literaturangabe - eine verschimmelte kommunistische Flugschrift vom Beginn des 20. Jahrhunderts - , so entlegen, dass es mir seltsam erschien, dass die Universitätsbibliothek sie führen sollte, und tatsächlich, sie war nicht vorhanden, sie war fast nirgendwo in ganz Deutschland vorhanden (das ließ sich in Mikrofiche-Katalogen recherchieren), nur im ehemaligen Parteiarchiv der SED, und da kam ich ins Grübeln - für eine Hausarbeit macht man gewöhnlich keine Archivreisen - ,

    Guttenberg und die Arbeitswelt

    sah mich weiter um und stellte fest, dass in einem Standardwerk der Sekundärliteratur zum Thema dieselbe Flugschrift im Literaturverzeichnis auftauchte, und bingo!, das Zitat hatte in der studentischen Arbeit genau denselben Umfang und an derselben Stelle 3 eingeklammerte Auslassungspünktchen wie in dem Standardwerk. Okay, einmal fündig geworden, erwachen die Jagdinstinkte, und da stellte sich raus: Tatsächlich hatte sich der Verfasser der Hausarbeit, statt eigene Gedanken zu entwickeln, von Zitat zu Zitat gehangelt, die sich in dem Buch fanden, und die einfach samt Fußnote kopiert, und dazwischen einen kaum eigenständigen, nur mühsam zusammengestoppelten, die Thesen des Standardwerks mit nur leicht abweichender Wortwahl umspielenden Text geschrieben, der sich wie eine schlechte "Interlinearübersetzung" des Originals las. Und das war ein Lieblingsstudent, einer, in den große Hoffnungen gesetzt wurden, der schon ins Colloquium eingeladen worden war und so weiter... Aber es half alles nichts: Die Entdeckung musste dem Lehrstuhlinhaber offenbart werden; der Betreffende verließ nicht nur das Colloquium, sondern das Seminar und die Uni und hat, dem Vernehmen nach, mit einem anderen Fach weiterstudiert. Guttenberg und das Ehrenamt- Was in den folgenden Tagen bei Min. a. d. ex-Dr. K. T. v. u. z. G. lief, hatte natürlich viel teuflischere Dimensionen, besonders wenn man die Konsequenzen zieht, die sich aus der Verteidigungsstrategie der Kanzlerin, der CSU-Vorstände und anderer Regierungsmitglieder ergeben. Er war als Minister, nicht "nur" als wissenschaflicher Mitarbeiter, die offenbar astreinen Lebenslauf und ordentlichen Fußnotencomment benötigen, eingestellt. Anti-Gutenberg-DemoQuod licet Jovi, non licet bovi; der Mitarbeiter muss korrekt zitieren, der Minister jongliert nach Bedarf mit fremder Leute geistigem Eigentum? Ein Minister darf demnach auch ungestraft Titelbetrüger sein. ("Betrüger" wurde z. G. mehrmals im Bundestag und zuletzt vom Nachfolger seines Doktorvaters in Bayreuth geheißen, der Doktorvater selbst sprach kurz vor Toresschluss von Plagiaten, - ich wette, dass sich Justiziare und Anwälte die Handys heißtelefonierten, um zu klären, ob das irgendwie geahndet werden kann - das Wort "justiziabel" hatte Guttenberg ja schon selber gebraucht, als spielerisch-freundliche Andeutung in dieser Bundestagsdebatte - nach dem Motto: wenn ihr mir so kommt, Kerls, ich kann auch anders! - schade, Schwieger-Ururgroßvater Bismarck hätte die wissenschaftlichen Korinthenkacker wegen geringerem Anlass zum Duell gefordert - und einer seiner Imageberater nahm ihn wohl hinterher beiseite: Karl-Theo, lass es...) Auch auf die Freunde, die ihn verteidigten, möchte ich, falls ich je in vergleichbare Umstände geraten sollte, gern verzichten. Sollte man nach Guttenberg einst eine Sackgasse benennen, was in seinem Heimatdorf bestimmt längst in Planung ist, wird Annette Schavan einen "U-Turn" für sich beanspruchen dürfen wegen ihres Herumeierns, anfangs alles kleinzureden, den Spieß immer gegen die Entlarver zu wenden und sich ganz am Schluß für Guttenberg zu "schämen". Das gegenseitige Hoch- und Niederabstimmen der zeitunglesenden Bevölkerung (die ja nur einen sehr geringfügigen Prozentsatz der Wählerschaft ausmacht), war genauso unappetitlich und wo der Werbeetat der Bundeswehr schon an die Springerpresse vergeben worden war, in seiner Motivation auch bei denen durchsichtig, die schlechte meteorologische Werte für den Minister feststellten. Wo doch KEINE dieser sogenannten Statistiken, ebensowenig das stumpfsinnige Facebook-gefällt-mir-Anklicken, auch nur die geringste Aussagekraft hat, mal ganz abgesehen, dass über Titelbetrug und Diebstahl sonst auch nicht abgestimmt wird und Sympathiewerte (man sehe sich mal am Karfreitag die von Barrabas gegenüber Jesus an) weder vor Gericht noch vor Prüfungskommissionen etwas gelten.

    Guttenberg und die Statistik

    Dass die meisten Leute gern schummeln - und, wenn es ihnen verwehrt ist oder sie damit auch keinen Blumentopf gewinnen würden, andere für sich schummeln lassen - , hat sich schon oft gezeigt, bei der Begeisterung für Berlusconi etwa, den die Italiener meiner Meinung nach wählen, weil er ihnen als in jeder Lebenslage strahlendes Vorbild das schlechte Gewissen nimmt, das sie immer haben, selbst wenn sie gar keine Steuern oder nur Kleckerbeträge hinterziehen oder ihre Frauen nicht oder nur bei seltenster Gelegenheit betrügen sollten. Den meisten Leuten kann man schon noch vermitteln, dass man sich nicht mit fremden Federn schmücken oder mit raubkopierten zusammengeleimten Texten einen Titel erschleichen darf. Aber wie dem auch sei, all das hat mich auch noch nicht bewogen, irgendeinen Leserbrief zu schreiben (obwohl ich daran gedacht hatte, mich bei der Universität Bayreuth zu erkundigen, welche Kriterien für die Bewertung einer Arbeit mit "summa cum laude" in der juristischen Fakultät üblich sind) oder eine Abstimmung mitzumachen. Über alle Hindernisse hinweg...Nein, was mich am Schluß wirklich aufgeregt hat und was mir noch immer den Schlaf raubt (wirkliche Erleichterung will sich daher gar nicht einstellen), ist DIESER Abgang des Betreffenden, sein Schlussmonolog (mit dem das Drama aber vermutlich noch nicht zu Ende ist), die Siegerpose, das Immer-noch-Spieß-umdrehen, als handele es sich um eine nebensächliche Rangelei mit wichtigtuenden Widersachern in einer ansonsten völlig glatten, kometenhaften Karriere, dieses idiotische Grinsen, das Fingerzeigen auf andere, und letztlich noch die Berufung auf die angebliche "Mehrheit der Bevölkerung", die ihn im Amt zu halten beschworen haben soll, der Bevölkerung! nicht bloß seine Wähler sind gemeint!!! und dann die Drohgebärde mit den starken Jungs, die er auch noch zur Verstärkung holen kann, wenn es ihm beliebt, die Instrumentalisierung der Soldaten in Afghanistan, die ja außer von ihm völlig vergessen werden bei all dem Trubel um ein paar dämliche Fußnoten, dieser ganze narzistisch-verzückte Cancan mitsamt allen Verrenkungen, um für den eigenen Dreck im Kopf und an den Fingern andere verantwortlich zu machen, und der Schlusssatz ("Ich war immer bereit zu kämpfen, aber ich habe die Grenzen meiner Kräfte erreicht"), der nicht nur mich an die Dolchstoßlegende von 1918 erinnert: "Im Felde unbesiegt!" Solch unbeirrte Frechheit haben zuletzt vor 1933 die Nazis an den Tag gelegt, die sich vor Gericht und Parlamentariern, vor der öffentlichen Meinung und noch im Reichstagsbrandprozess verantworten sollten. Hoffentlich feiert dieser Langfinger nicht noch ein fröhliches Comeback als Reichsmarschall von und zu G.


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