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...unter Reimen begraben
Mir brachte der Ausflug ins schwäbische Landwirtschaftsmuseum vom letzten Samstag noch einige weitere Erkenntnisse, u. a. die, dass die bäuerliche Bevölkerung verdammt konservativ war, was die Einführung neuer Technologien, z. B. auf dem Gebiet der Konservierung betraf. Den Segnungen des Louis Pasteur wurde hier lange der Erntedanksegen vorgezogen. Wäre er ein tüchtiger Pferdedoktor gewesen... Pasteur war nicht mal Mediziner, sondern Chemiker, stammte aus Dôle, hinkte infolge halbseitiger Lähmung und hat sein Ehrendoktordiplom der Bonner Universität aus Protest gegen die Barbarei der Deutschen im 70-71er Krieg zurückgeschickt! - Als er 1895 an den Folgen eines Schlaganfalls verstarb, hatte er 1. die Mikroben als Verursacher von Wundbrand ausgemacht, 2. bewiesen, dass keine Lebewesen aus Dreck gezeugt werden ("Urzeugungstheorie"), 3. die Entstehung von Alkohol durch Gärung erklärt, 4. das Kurzzeit-Erhitzen von Wein, Säften, Bier (noch heute wird Pilsner Urquell pasteurisiert!) und Milch zum Schutz gegen Fäulniserreger erfunden und 5. die Tollwut mit einer Impfung besiegt - aber es dauerte offenbar wahnsinnig lange, bis sich diese doch wahrhaftig nicht zweischneidigen Innovationen herumgesprochen hatten. Hier im Allgäu aber wurden noch bis in meine Lebenszeit Kartoffeln und Rüben in "Mieten" konserviert. In der Nazizeit wurden Vortragsreisende über Land geschickt, die den Leuten das Einmachen in gummiring-verdichteten Gläsern (sog. Weckgläsern) vorführen und beibringen mussten. Übrigens habe ich zu Hause ein Konservations-Lexikon (ja, richtig gelesen, nicht Konversations-, sondern Konservations-, das gab's mal als Reprint beim Billig-Bouvier), in dem alle möglichen Formen von Haltbarmachung bereits in den 1840er Jahren erläutert werden. Naja, wer an die Königskerze im Kräuterboschen als an einen wirksamen Schutz gegen Blitzschlag glaubt, wird die Blitzableiter des Benjamin Franklin für Teufelszeug halten...
Das Landwirtschaftsmuseum in Illerbeuren weist außer Bauernhofgebäuden mit originalen Einrichtungsgegenständen vom 16. bis ins 20. Jahrhundert eine große Anzahl geschmiedeter Friedhofskreuze (sie stehen mitunter auch an Wegrändern) auf, von denen viele mit Reimen auf die Verstorbenen beschriftet sind. Beeindruckend war im gesamten Allgäu die Häufung von selbstgemalten Schildern. Irgendwie wirkt es eindrucksvoller, wenn jemand mit der Hand "Radar!" auf ein Holzbrett malt und dies vor den Ortseingang stellt, als wenn ein Verkehrsschild auf die Überwachung aufmerksam macht. Ich habe hierzu eine Menge Fotos gemacht, die aber noch der Entwicklung harren. Hier auf dem Land zählt auch Gereimtes noch mehr, erinnert an Zauber- und Wahrspruch, eigentlich möchte man viel lieber hier im Dorf Dichter sein, wo man noch gebraucht wird und zu Hochzeits-, Geburts- und Todesfällen seine Carmina abliefert, als in den sündigen Städten. Im folgenden schon mal eine Auswahl von Grabsprüchen aus dem Landwirtschaftsmuseum, eine kleine Anthologie der memento-mori-Findellyrik:
Gewandert bin ich
70 Jahr
Bis ich in diesem
Grabe war.
Oh Wandrer bleib
Ein wenig stehn
Denn so wie mir
Wirds dir ergehn.Wandrer ich bitte dich
stehe still und bet für mich
In Wasser fand ich meinen Tod
wo es Dich trifft
das weiß nur GottMein Stund hat
schon geschlagen
so lieg ich da herunt
Du mußt dich halt
noch plagen Auch für Dich
schlägt die StundEin Baum hat ihn erschlagen,
den wir dahie (...) haben
(...)
daß Gott barmherzig sei
(teilweise korrodiert - der Nachteil handgemalter Schilder)Heute hüpft im Frühlingskranz
noch der frohe Knabe,
Morgen liegt ein Totenkranz
schon an seinem Grabe.Kurz sind unsre Lebensjahre
Von der Wiege bis zur Bahre
ob dich Gold oder Seide schmück
ob dich Kreuz und Elend drück
Alles läßt der Mensch zurück.Gar oft hat er dem Tod
nochmal ein Menschenkind
entrissen
Doch z'letzt hat keiner
eine Wahl
auch er hat mitgehn
müssen.
Her Doctor Honorath
Biedele
gest. 7. Juni 1862Der Wolken und Winden
gibt Wege Luft und Bahn,
der wird auch Wege finden,
da dein Fuß gehen kann.
(An einem Wegweiser)Weil sie so Süßes schafft,
muß sie so bitter stechen.
Auf Erden ist keine Lust,
die nicht ein Leid wird rächen.
(An einem Bienenstock)Mit einer Sonderausstellung konnte Illerbeuren auch aufwarten, das Thema war "Maria vom Blut - Spurensuche in Italien, Böhmen und Spanien"; dabei ging es um Frömmigkeitsformen auf dem Land, wo man Heiligenbildchen in Herrgottswinkeln verehrte, mit vierblättrigen Kleeblättern im Portemonnaie trug, in winziger Größe (kleiner als Briefmarken) ins Viehfutter mischte als sog. "Schluckbilder" oder sie Sterbenskranken unter die Zunge legte.
Das Museum besitzt einen alten Kleiderschrank mit entsprechenden Bauernmalerei-Motiven: Der Ursprung der "Maria vom Blut" (einer ziemlich ekelhaften Madonnendarstellung mit blutüberströmtem Gesicht) soll auf das 15. Jahrhundert zurückgehen, als in einem kleinen Dorf namens Re in Oberitalien das Marienbild an der Kirchenfassade, das ein ortsansässiger Glövenix malträtierte, plötzlich zu bluten anfing, hier das Zitat aus einer frommen Internetseite: "Am 29. April 1494 warf zur allgemeinen Entrüstung ein gewisser Joh. Zucconi in frevlerischer Weise einen Stein gegen das Bild, der die Stirne der Madonna traf. Am folgenden Tag sah man das Bild mit Blut überronnen. Das Blut floß aus der Stirnwunde der Madonna auf das Jesuskind." Von da an bezeichnete man das Bild "Maria vom Blute", und ein großer Pilgerstrom setzte ein. "Viele Gnadenerweise werden berichtet", heißt es weiter auf der Webseite: "Ein Abbild des Gnadenbildes kam nach Klattau in Böhmen. Am 8. Juli 1685 zeigte sich auch an diesem Bilde Blutfließen. Der Bürgermeister von Klattau, Joh. Jakob Teplitz, sandte eine Kopie dieses Bildes seinem Schwager, dem Pfarrer Johann Michael Müetinger in Bergatreute (1686). Von manchen besonderen Gnadenerweisen berichten die Akten des Gnadenbildes, zu dem allsbald das gläubige Volk vertrauend und Hilfe suchend kam." Dieser Blutmadonnenkult erstreckte sich dann bis Oberschwaben, wo das Motiv auch in Dillingen oder Emersacker bei Augsburg auftauchte und Wallfahrten auslöste. Was aus dem Madonnenschänder Zucconi wurde, ist nicht verbürgt. Er soll sich einige Jahre als Paparazzo am Hof der Medici in Florenz und als Pizzabäcker der Fugger in Babenhausen herumgeschlagen, später, als diese seine Pizza Amerigo Vespucci (mit Ananas und Erdnussbutter) zurückgehen ließen, dem böhmischen Pilsner Urquell ergeben, in unbeleuchteten Winkeln der Dorfschänken mit den Rottenführern der aufständischen Bauernhaufen politisiert und schließlich, als das alles nichts fruchtete, an der fauligen Trauerweide hinter der Kneippanlage von Bad Grönenbach erhängt haben. Man schnitt den Leichnam ab und warf ihn auf dem Schindanger. Kein Geistlicher hat ihn begleitet.
Tags : pasteur, landwirtschaft, blutmadonna, wallfahrt, fugger, babenhausen, grabkreuz
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Commentaires
Ich habe den Artikel noch einmal gelesen, es ist einfach zu schön. Vielleicht gibt es Stipendien für den Stadtschreiber von Bad Grönenbach, da könntest du dann ein Jahr lang umsonst die gute unpasteurisierte Alpenmilch trinken und Bauernsprüche dichten, die die Bauersfrauen dann abends bei Kerzenschein von Hand auf Holzschilder oder Glückwunschkarten schreiben.
Danke für das nette Lob! - Den Grönenbacher Stadtschreiber haben sie noch nicht eingeführt. Aber ich kann mich ja beim "Irseer Pegasus" bewerben, das ist ein Literatentreffen (Einladung ist der Preis bzw. dort dürfen dich dann alle jurieren), einzige Voraussetzung: "Autoren, die sich dem alemannischen Sprachraum verbunden fühlen..."
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Eigentlich hat doch Herr Zucconi Wohlstand und Tourismus in seinen Ort gebracht, undankbares Pack. Und das Blut mussten sie sicher jede Nacht neu auftragen wie beim Gespenst von Canterville. Nur die Pizza mit Ananas und Erdnussbutter halte ich für deine Erfindung, selbst wenn Columbus schon auf seiner ersten Fahrt Erdnüsse entdeckt haben sollte.