• Türchen #4: Ab- und Zumahnung

    Nachdem ich meine erste "Abmahnung" erhalten habe, wohlgemerkt nicht durch den Arbeitgeber, dagegen könnte ich klagen, sondern durch meine Hauswirtin, ist mein Rechtsempfinden in den Grundfesten erschüttert. Vermieter sind offenbar noch besser dran als Verleger. Ursprünglich wollte ich Verleger werden, um ungestraft Möchtegern-Autoren und Sprachquäler durch ironische Absagebriefe mit meiner ätzenden Kritik quälen und beleidigen zu können. Vemieter haben's noch besser, können nach Herzenslust rufschädigen, verleumden und ehrabschneiden. Es genügt, anonyme Stimmen zu zitieren, die angeblich oder tatsächlich diese oder jede Beschwerde vorbringen: Man habe nachts um halb 3 bei offener Flamme lauten Rock'n'roll gehört, sei nackt, in Kriegsbemalung und mit Indianer-Kopfschmuck in die Wohnung einer Hausbewohnerin eingedrungen und dort ausfällig geworden, der Klatschtrine vom zweiten Stock sei das Wort abgeschnitten und sie selber die Kellertreppe runtergeschmissen worden... dagegen kannst Du nicht klagen, nicht mal auf Unterlassung, das wird erst relevant, wenn die angedrohte Kündigung kommt, DANN erst müssen Vermieter Beweise für den vorgetragenen "Sachverhalt" beibringen. (Allerdings genügt dann auch kein Winken mit eidesstattlichen Erklärungen mehr, die Denunzianten/-innen müssen ihre Unterstellung vor dem Richter wiederholen, und das könnte ins Auge gehen.) Seit deren Anwalt der Schmuddeltante das Zauberwort "bedrohliche Haltung" eingeredet hat, schreit sie mich nachts an, sobald ich es wage, nach 22.00 - wenn sie den Hund auf der Wiese kacken lässt - auf meiner Terrasse zu stehen und wortlos-stumm die warme Novemberluft zu genießen, brüllt: ich solle da weggehen, ich bedrohe sie ja schon wieder usw. usf. - Kurz, Abmahnung ist das probate Mittel, seine Mitmenschen als Straftäter hinzustellen. Die einzige Gegenwehr besteht in neuer Abmahnung, der Anti-Anti-Raketen-Rakete, oder soll man es Gegen-, Auf- und Zumahnung nennen? Mein Anwalt hat also jetzt seinerseits die Vermietern "abgemahnt", d.h. verlangt, dafür zu sorgen, daß wir im Haus nicht mehr von Damen behelligt werden, die ihre ereignisarmen Tage damit verbringen, ihre Nachbarn zu drangsalieren. Geändert hat das nichts, aber vermutlich werden jetzt keine beleidigenden Zettel mehr an den Stromkasten gepinnt, die als gerichtsverwertbare Beweise gelten könnten. Man muß das an sich abperlen lassen wie Wasser an der Ente, meint mein Anwalt. So wie in Goethes Gedicht vom Ein- und Ausatmen: Luft stauen und sich ihrer entladen, Systole und Diastole, wie das Meer anbrandet, so wechseln die Gezeiten der sozialen Neurose: Aufgeklärt, abgeklärt, abmahnender und zumahnender Mond. Mein Anwalt würde weitere Mahnbriefe schreiben, notfalls Mietminderungsdrohung, aber das bringe nichts, ich soll aber alles aufschreiben. Na gut...


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