• Thermae Agrippae

    Heute früh war ich - statt eine Stunde im Grüngürtel mit Laufen in der Unendlichkeitsschleife und Herumhüpfen zur Lockerung zu verbringen - mal wieder im Agrippabad, zum Frühbucherrabatt. Da muss man spätestens Punkt 7:29 Uhr das Billet gelöst haben, wenn man für den Jugend-Preis von 3,50 € baden will, (ab 7.30 kostet es 5 €) - gültig für einen Aufenthalt von immerhin zweieinhalb Stunden - soviel will ich gar nicht. Billet? Man bekommt eine kleine runde Plastikmünze, die man in den Automaten am Drängelgitter wirft, dann darf man durch, darf aber nicht vergessen, die Plastikmünze mitzunehmen, sonst kommt man anschließend nicht heraus. Diese Münze dient dann auch zum Verschließen der Spinde, in die man seine Klamotten samt Rucksack einschließt: man steckt die Münze auf den Plastikgriff des Schlüssels, den man anschließend ums Handgelenk gürtet. Alles recht kompliziert. Anschließend Dusche und Haarwäsche, und auf geht's ins feuchte Nass.
    Leider ist trotz früher Stunde schon viel los; natürlich nutzen viele den Frühbucherrabatt. Zwar findet gegen viertel vor 8 eine Art Schichtwechsel statt - wer vor Arbeitsbeginn eine Runde schwimmen geht, macht sich dann auf den Weg, und Senioren strömen ein, die daheim noch gefrühstückt haben -, aber die Bahnen sind gut gefüllt. Es gibt auch nicht viele Alternativen. Der Namensgeber des Agrippabades zählte in Rom um das Jahr 31 v. Chr. 170 öffentliche Bäder - von den privaten mal abgesehen. Damals war Rom bereits eine Millionenstadt, in der Spätantike soll es 1,5 Mio. Einwohner gehabt haben. Köln betreibt für seine 1 Million Einwohner 14 Bäder, und von denen sind mindestens 2 wegen Umbaus auf Jahre geschlossen, andere von der endgültigen Schließung bedroht.  Soviel zum Thema "nördlichste Stadt Italiens"...Nach dem Crash...
    Da ich mit Vorliebe auf dem Rücken schwimme, die Arme nach hinten gestreckt rudernd, und zwar eine Bahn nach der anderen (gegen die Bahnen zu schwimmen oder sonstwie zu plantschen, hat hier gar keinen Zweck), muss ich mich alle paar Züge umdrehen, um nicht irgendeinen Zeitgenossen zu touchieren. In den schwimmnachbarfreien Zonen kann man mit den Armen rudern, wie ich es immer tue, den Kopf zurücklegen, die Uhr beobachten oder das Bademeisterhäuschen und nachsinnen, ob das Rostrot-auf-Grün-Geflecke an der Wand gegenüber eigentlich "Kunst am Bau" oder Korrosion der Wandverkleidung darstellt, oder ob die an der Decke fehlenden Kacheln wohl irgendwann mit Karacho ins Becken gefallen sind, um arglosen Rückenschimmern das Gesicht zu zertrümmern. Witzig ist der Kleinkrieg zwischen Blindcrawlern, die ihre Bahnen in Höchstgeschwindigkeit zurücklegen, Kopf unter Wasser und wenn über Wasser, mit einer sichtbehindernden Schwimmbrille ausgestattet, und den Rückenschwimmern, die selbst bei größtmöglicher Umsicht mit derartigen U-Boot-Attacken nicht rechnen können. Freilich gibt es keine Bahn-Card-Reservierung, allenfalls für irgendwelche Sportvereine, die zu gewissen Stunden die Hälfte des großen Beckens für sich beanspruchen.
    Da ist mir eine andere Spezies sympathischer: die sog. Klaavbotzen. Sie ziehen die Badehose (Botze) hauptsächlich an, um ins Wasser zu steigen und in traulichem Plausch (Klaav) am Beckenrand zu verharren. Dort sind sie gewissermaßen auch Kläävbotzen, stehen also herum wie festgeklebt und verhindern das Andocken der Bahnenschwimmer. Dafür bekommt man beim kurzen Berühren der Stange und neuerlichem Abstoßen gelegentlich aufschlussreiche Gesprächsfetzen mit. "Ich jebe Ihnen mal dat Mittel zur Linderung, natürlich janz unverbindlich, hät der Aaz för misch jesaht", heißt es dann, oder "dä knöselige Laumann, dem schick ich ne Jerichsvollzieher op de Hals, wenn dä nit bald zahlt", oder "hör ens, dä Häbäät-Theo, dä wolld doch auch ahl komme mit singem Claudia, wo stecke die dann blohs?" (nur in Köln gibt es gehäuft Mitmenschen, die auf den Vornamen Herbert-Theo hören, ob das ein Lokalheiliger ist?), und "die han sisch all, der Moder zeliebe, noh däm Bejräbniss versammelt und sin noh dojeblivve" - wutsch, hat man sich umgedreht, abgestoßen und ist schon wieder unterwegs. Die Herrschaften tragen natürlich volle Montur - Badehaube auf dem bemoosten Haupt, Schwimmbrillen und topmodische Badehosen - aber falls sie überhaupt mal eine Bahn schwimmen, dann nur, um das Plaudereckchen am einen Beckenrand für die nächste halbe Stunde mit dem gegenüberliegenden Beckenrand zu vertauschen. Nun, auch im antiken Rom waren die Thermen Treffpunkte gesellschaftlichen Lebens. Aber wo sind dann heute die Bibliotheken, Gewürz- und Olivenölhändler, freiberuflichen Masseure aus Nubien, die ihre Dienste feilbieten? Allenfalls kann man zu einem saftigen Aufpreis die Muckibudengeräte im 2. Stock oder die Höhensonnenlandschaft benutzen.

    Nach dem Crash...


    Während ich meinen Vorsatz, 45 min. ohne Pause zu schwimmen, auf 60 Minuten aufstocke, ist das Becken etwas leerer geworden. Schöne orientalische Jünglinge stehen melancholisch und nach heutiger Mode komplett enthaart am Rand und möchten wohl gern den Gleitsprung wagen, was der Bademeister allerdings mit wachsamem Blick verhindert; junge und nicht mehr so junge Studentinnen begeben sich auf die Wasserpiste; man sieht einen furchterregend Ganzkörper-Tätowierten, der für den Harpunier Queequeg in Moby Dick oder den Rahmenheld von Ray Bradburys Storysammlung Der illustrierte Mann Modell gestanden haben könnte. Vor vielen Jahren, als ich selber noch Student war, traf ich beim allmorgendlichen Schwimmen im Sülzer Nikolausbad (bevor es zu meinem Leidwesen geschlossen wurde) von 7.00 bis 8.00 Uhr immer auf einen ziemlich alten Herrn, der beim Kraulen wie ein Sterbender röchelte (ohne Schnorchel) und an Land auch durchaus hinfällig wirkte, aber immer noch mit selbst für Jüngere kaum einzuholendem Tempo seine Runden drehte. Der Bademeister pflegte seine Schwimmkünste als Peripatetiker am Rand mitzuverfolgen, um für den Fall einer notwendigen Wiederbelebung rechtzeitig zur Stelle zu sein, wie mir schien. Aber der Alte hatte es noch immer geschafft und trottete später, wieder angezogen, ganz gemütlich, freilich langsam, seines Weges durch die Sülzer Vorstadt. Möge er sich seines Lebens bei bester Fitness immer noch freuen!

    Der krönende Abschluss meines Agrippabadbesuchs ist der Ausflug in den "Badegarten", wo man sich den leicht ausgekühlten Körper wahlweise in einem Warmwasser- oder Solebecken aufwärmen kann. Ich wähle das Solebecken, das meiner derzeit gereizten Haut hoffentlich wohltut, und kriege sogar einen Platz "unger dä Schwalldusch" (diese Sprüche mit weichem s und gg statt k auf "hessisch" abzulassen, ist ein unfehlbares Mittel, Kornelia zum Lachen zu bringen: "Isch saach Ihne, die Waahmwassäbegge do hinne, jo die midde Schwalldusch, sin allweil mo widder nur fier die Bessävädienä un ned fier uns ahme Kassepaziende, da kriech isch de Fuhspilz, des saach isch Ihne"). Die Schwalldusch ist so ein Segen wie der von C. F. Meyers Römischem Brunnen ("Aufsteigt der Strahl, und fallend gießt / er voll der Marmorschale Rand"), damit kann man sich, halb in die Hocke gehend, den Nacken massieren lassen oder auch, in gebückter Haltung, Schultern und Rückenmuskulatur bespülen. Die Sole, ein mäßig salziges Sprudelzeugs, erfrischt trotz des warmen Wassers, man soll sie auch nicht sofort abtrocknen, sondern einwirken lassen.
    Anschließend Rückkehr in die Duschenzone und in die Umkleidekabine, wo mal wieder irgendein Proll, diesmal (vermutlich, leider) weiblich, die gebrauchten Qu-Tips liegengelassen hat, um sie nicht die drei Schritte zum nächsten Mülleimer mitnehmen zu müssen. Sich die Ohrkanäle zu säubern, gut und schön, aber diese Ohren, so reinlich sie sind, würde ich dann doch gern mal langziehen. Allerdings höre ich auch schon wieder den Singsang der Reinigungskräfte mit Migrationshintergrund, da heißt es aufpassen, wenn man mit blanken Sohlen über die Fliesen läuft, schon mancher ist da unfreiwillig hingeflogen. Und worum geht's? Ein Mädchen hat ihr teures Duschgel in der Dusche liegengelassen und will noch mal rein, soll sich aber dafür die Schuhe ausziehen. Sie möge einfach reingehen und sich den vermissten Gegenstand holen, meint die Putzfrau. Und wenn eine Konkurrentin sich das Duschgel genommen hat und damit duscht? "Dann sagen einfach, ist meines. Haben wir schon alles gelebt!" 
    Aber ich hab noch nicht alles gelebt. Darum rasch anziehen, zwischen den Zehen abtrocknen, Strümpfe und Turnschuhe an. Die Münze in den Schlitz am Drängelgitter, jetzt wird sie natürlich einbehalten, ein Gruß an die Kassiererin und ab geht's per Fahrrad nach Haus.

     


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  • Commentaires

    1
    karinkornelia Profil de karinkornelia
    Jeudi 29 Juillet 2010 à 21:37

    Ha, sieh da, du frönst der spätrömischen Dekadenz. Viva Colonia! Hier auf dem Lande gibt es nur noch teure Spaßbäder mit Tropenflair und Restauration. Das kompliziert-einfache Verfahren mit den Münzen oder Schlüsseln als Armbändchen gab es in Bonn schon vor 20 Jahre, keine Billets. Die Wandfarbe ist ja echt frappierend, sieht aber nicht wie Kunst aus, eher wie riesige Blutflecken. Ist da mal ein Wal beim Schwimmen gegen die Wand gesprungen?

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    2
    Petit Larousse Profil de Petit Larousse
    Vendredi 30 Juillet 2010 à 12:21

    Die Armbändchen machten mir vor 20 Jahren keine Probleme, weil ich noch keine Brille brauchte, um sie anzufriemeln. Und als Lesebrille hab ich sie dann ja schon eingeschlossen. und der einzige Wal, der Köln lebend erreichte, ist gleich nach Bonn weitergereist, verfolgt von einer schnellen Eingreiftruppe des Duisburger Zoodirektors Dr. Gewalt (hieß wirklich so, netter Typ - die Blindzeitung titelte damals : "Jagen Sie Dr. Gewalt!"). Er schaffte es am 13, Juni 1966 bis nach Bonn zum Bundestag und dann verlor sich seine Spur. Hier mehr darüber...



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