• Stein, Schere, Badesee, Preßsack, Tellersülze

    Gestern meinte die Sonne es endlich mal gut mit uns und schien nicht nur zu scheinen, sondern blieb ganztägig dabei. Morgens schon war es bei meiner Frühgymnastik trocken geblieben (dafür hatten über Nacht drei Riesenpilze am Schilderpfahl das Licht der Welt erblickt), Kornelia nutzte die Gunst der Stunde nach dem Frühstück für ihre Walking-Runde (haha, reimt sich) und kam mit einer Mittagsvesper wieder, dann suchten wir die bombastische Trainingsanlage mit 20 Stationen im Schloss-Aktiv-Park auf, absolvierten die Module "Aufwärmen", "Lockerung", etc. etc., aber nicht "Ausdauer", denn wir hatten ja noch das Kneipp-Wadenbad (auf den innerörtlichen Wegweisern "Tretanlage" genannt) und die kreisförmige Fußreflex-Zone nebst anschließendem Besuch im Naturfreibad vor uns. Die sogenannte 4fcircle-Anlage wurde aus Mitteln des Konjunkturpakets I der Bundesregierung errichtet und erst neulich am 30. Juni eröffnet. Den Basisplan eines solchen sportiven Themenparks kann man sich hier ansehen. Am schwersten fällt mir das Modul "Koordination", da soll man u. a. auf einem Seil balancieren oder von einem wackeligen Teller aus, der auf einer Art Feder platziert ist, Bälle in einen Korb werfen. Mein Gott, dieser Ort ist so sportlich, daß es am 6. Juni dieses Jahres sogar eine Sportlerwallfahrt gab, siehe Bild!Nach dem Crash...

    Macht aber nichts, man kann sich ja immer noch um ein paar Jahre jünger machen, wenn man nur ein wenig übt, siehe Goethes "Der Mann von funfzig Jahren". Jedenfalls balanciere ich schon bedeutend besser als beim ersten Mal, und auch das Springen über Punkte, die im boden eingezeichnet sind, oder das Fortbewegen im "Pedalator" will immer besser gelingen. Was den Fußreflexzonen-Parcours über "Stock und Stein", dh. Pflasterung, klitzekleine wehtuende Steinchen, gröberen Kies, Holzbalken, Holzscheiben, weiche Baumrinde usw. betrifft, erklärte eine einheimische Dame, die wir mit zwei Enkelkindern im Wadenbad antrafen, diese Anwendung für "Schmarren", sie ging aber trotzdem barfuß dort herum und wir auch, weil's dann hinterher so schön an den Beinen kribbelt. Für die perfekte fußläufige Selbsterfahrung fehlen allerdings noch "Kohlenglutbereich zum Feuerlaufen", ´"Stoppelfelder", "Stillgelegte Vorort-Bahngleise" "Autobahnzubringer-Asphalt für gesundheitsbewusste Trampreisende",  "New Yorker Broadwaypflaster mit Kaugummiresten".

    Nach ausgiebiger Pause am Entenpfuhl (schwarze Enten gibts auch, mit weißem Brustfleck und schwarzen Schnäbeln, und einem halbstarken, herumpöbelnden Blesshuhn gelang es, ein paar harmlose Enten aus seinem Revier zu verscheuchen) begaben wir uns schließlich zum kostenlosen Badevergnügen im Grönenbacher Naturfreibad "Clevers", das wohl von dem gleichnamigen, am Ufer des Dorfteichs gelegenen, supermondänen Kneipp-Sanatorium (mit)betrieben wird, eigentlich ist ein Förderverein verantwortlich, aber die benachbarte Minigolfanlage heißt ebenfalls Bad Clevers wie das Hotel. Der Naturteich sieht so aus, als hätte die Dorfjugend hier noch vor zehn, zwanzig Jahren ungestört umsonst baden können - gilt wohl immer noch, außer an Wochenenden, jedenfalls verlangte man heute von uns nichts. Alles schick mit Umkleide, WCs, Duschen innen und außen, Springturm mit Einser und Dreier, Kinder-Nichtschwimmerbecken, frei herumtragbaren Liegestühlen etc. ausgestattet, auch mit Zugangstreppen, die allerdings ein bißchen glitschig sind. Ansonsten schwimmt man eben im Teich, es gibt eine komfortable Badeinsel in der Mitte, weiter links hinten auch Entengrütze, und: Das Schilfgelände darf aus Gründen des Natur- und Tierschutzes weder betreten noch befahren werden, als ich dieses Schild an einem Gitterzaun endlich schwimmend lesen konnte, erhob sich mit abschätzigen Schwingenschlägen ein Graureiher in die Lüfte und strich ab.

    mon blog retrouvé...Nachdem wir den Teich mit starken Stößen durchmessen hatten, war es Zeit, sich ein wenig in die Sonne zu legen und Volkskunde zu betreiben. Da war der Bademeister von der "Wasserwacht", der sich, schlank, braungebrannt und muskulös, Bauch, Rücken, Arme und Beine von seiner aschblonden schlaksigen Freundin gegen Sonnenbrand einkremen ließ. Anschließend machte er sich auf seiner Strandliege mit Extras (Klapptafel am oberen Ende, die das Gesicht gegen übertriebene Sonnenbestrahlung absichert) bequem und genoss eine Fußmassage. Den Rest des Nachmittags bis Punkt 18.00 verbrachte der Wasserwachtmeister mit Klönschnack mit seinen Kumpels, die ihre Abhängematten steuerbord anlegten, Rettungsaktionen für Ertrinkende fielen nicht vor, und er hob auch kaum den Kopf, um mal nach dem Rechten zu sehen. Da es an unserem Lagerplatz zu den Versorgungseinrichtungen der Badeanlage ging, wanderten alle Badegäste vorüber, die neu Einströmenden (viele waren's nicht), und die hungrig zum Ausgabeschalter von "Leo's Imbiß" Strebenden. Dort gab es außer Bier, das von unbehelligten Rauchern auf der Terrasse reichlich konsumiert wurden, der "Tasse" und dem "Haferl" Kaffee (das ohne Pfandgeld hergegeben wurde) ein Speiseangebot, das jetzt als Findelgedicht hergesetzt wird:

    Tellersülze
    mit Semmel

    Schweizer Wurstsalat
    mit Semmel

    Saurer Preßsack
    mit Semmel

    Currywurst
    mit Pommes frites oder Kartoffelsalat

    Schnitzel
    mit Pommes frites oder Kartoffelsalat

    Fleischküchle
    mit Pommes frites oder Kartoffelsalat

    Blechkuchen

    alle Sorten
    mit Sahne

    usw. usw.  - An unserem Platz wanderte tatsächlich eine in der hohlen Hand getragene Riesenportion Pommes vorbei. Als nächtes kam ein pickelnarbiger Rucksacktourist mit schulterlangem Grauhaar in Charles-Bukowski-Optik, mit Tigerfell-Badehose, in der Hand ein Cornetto (nein, ein "Mucki" Nuss von der Firma Schöller-Nestlé, die das Monopol über den hiesigen Schwimmanstaltenverzehr hält), das er unter der schattigen Weide vertilgte. Bei einem anderen Badegast lappte das Bauchfett eindrucksvoll über den Bund der Badehose, dass es ihn züchtig bedeckt hätte, wäre jener gerissen oder diese nicht vorhanden gewesen, und der steatopygische Achtersteven ragte raketenabschussbasis-ähnlich andererseits empor.

    Neben unserem Platz hatten sich drei junge, allesamt grazile Mädchen niedergelassen (die in Köln das Stadtbild prägende Moppelgestalt fehlt hier bei Kindern fast ganz), die später auch eine geteilte Luftmatraze aufbliesen. Die älteste war wohl zwölf, dreizehn Jahre alt und hieß Dodo, von ihre jüngeren Gespielinnen hieß die eine Amelie, den Namen der Dritten verstand ich nicht wegen des Dialekts, vielleicht "Birte". Jedenfalls fiel mir auf, dass diese recht sportlichen und jedenfalls schwimmkundigen Jungdamen, bevor sie ins Wasser gingen, erst mal ein paar Runden "Stein, Schere, Papier" spielten (zu meiner Zeit auch als "Schnick, schnack, schnuck" bekannt) - wohl um auszulosen, wer von ihnen als erster ins kalte Nass steigen werde. Mich wunderte das ein wenig, denn in meiner Jugend rannte man entweder voraus, um "Erster!" zu sein, oder schubste einander hinein, oder blieb halt bibbernd und zagend zurück, um sich "Memme" und "wasserscheu" titulieren zu lassen. Ich hätte meine Aufmerksamkeit auch längst anderen Gegenständen zugewandt, wäre da nicht eine Dreiergruppe von wesentlich kleineren Dreikäsehochs erschienen - der dicke Kevin als Anführer, ihm hing der NATO-grüne Bundeswehrrucksack seines Vaters oder älteren Bruders deutlich in den Kniekehlen, ein schmächtigerer Junge und ein kleines Mädchen mit pinkfarbener Schultasche auf dem Rücken. Als die an der Treppe anlangten, ging die Knobelei von vorne los, und dauerte eine geschlagene Viertelstunde. Schließlich kamen noch die zwei vorher isoliert herumgeisternden Mädchen dazu und spielten das "Schere, Stein, Papier"-Nullsummenspiel mit. Uns war es längst zu heiß geworden und wir schwammen bereits im Teich, als wir die Rasselbande noch immer knobeln hörten, ohne dass irgendwer von den Kiddies auch nur mit dem linken großen Zeh die Wasseroberfläche berührt hätte. Es dauerte noch geraume Zeit, bis die drei den Sprungturm erklommen hatten, dort aber, anstatt zu springen, allerlei Wipp-Gymnastik ausführten. Endlich, nach einer Stunde, hatten die drei ihre Schwimmhilfen ausgepackt und warfen diese ins Wasser, um vom Rand des Springturms hinterher- und draufzuspringen. Da waren sie endlich drin!

    Vom Schwimmen im Grönenbach bzw -teich ist nicht viel zu sagen; an der Oberfläche war das Wasser angenehm, unterschwellig kamen kühlere Strömungen an, die auf guten Austausch schließen lassen, und jedenfalls hat man gut zu tun und entgeht der Gefahr des unverbindlichen Herumplantschens, wie sonst in Wellnessbädern. Auf dem Rücken schwimmen kann man jedenfalls ohne Ende und läuft nicht Gefahr, anzuecken - außer uns waren höchstens fünf bis sechs Erwachsene im Nichtschwimmerteich. Eine russische Familie hatte sich in der Nähe von uns Platz gesucht, die Herren der Schöpfung gingen auch mal ins Wasser, und der Wasserwart bevölkerte kurzzeitig mit seiner Blondine und seinen Kumpels die blaue Schwimminsel. Ein fiedriges Jung-Blesshuhn rödelte fiepend auf dem Teich, als hätte es die Mutter verloren, und tatsächlich kam ein großes, lauter trötendes Blesshuhn herangepfeilt - aber nicht so ein Rüpel wie am Entenpfuhl an der Kneipp-"Tretanlage" - , worauf für eine Weile Stille herrschte. Sonst war praktisch nichts los.

    Im Laufe des Nachmittags hörten und sahen wir noch andere Kinder "Schere, Stein, Papier" spielen, wobei mir klar wurde, erstens, dass es das Saisonvergnügen der hiesigen Jugend sein muss (und nicht etwa nur der wasserscheuen), zweitens, dass sich die Regeln inzwischen verändert haben. Die beiden etwa achtjährigen Mädchen, die wir beobachteten (und die übrigens gar nicht ins Wasser gingen, sondern nach Art der Franzosen, angetan mit Taucherbrille und mit Köcher und Eimerchen bewaffnet, vergebens am Ufer auf und ab spazierten, um Elritzen oder andere Fischli zu fangen - die Kleine von den Russen rechts von uns wollte es ihnen gleichtun, hatte aber nur eine Plastiktüte statt eines Köchers), diese Mädchen also machten ganz merkwürdige, mir fremde Gesten, eine hingestreckte hohle Faust beispielsweise oder die nach oben zeigende, mit den Fingern grabbelnde Tellerhand. Später erfuhr ich aus wikipedia, daß es sich hier um die Symbole "Brunnen" und "Feuer" handeln dürfte, die man wohl eingeführt hat, um die zum "Patt" führenden gleichartigen Gesten zu vermeiden: Papier deckt den Brunnen ab, aber Stein und Schere können hineinfallen (hörte ich das eine dem anderen Kind erklären); Feuer verzehrt Papier, nicht aber Schere und Stein.

    Nach dem Crash...

    Ein weiteres Zeichen - die Grabbelfinger des Handtellers von oben gehalten - könnte "Wasser" bedeuten (höhlt den Stein und lässt Scheren rosten), aber da bin ich mir nicht sicher, und vollends rätselhaft ist mir, dass eines der Mädchen die Hände an den Handgelenken aneinander legte und die beiden Handteller schmetterlingsartig nach außen spreizte. Wer dies liest und Bescheid weiß, was es bedeutet, bitte melden! Auf dieser ChaosZone-Webseite finden sich übrigens noch zahlreiche weitere Kombinationen - ich glaube, ich bleibe aber bei meiner guten alten Dreierregel, die Schachfiguren wird man ja auch hoffentlich nicht plötzlich durch Neu-Figuren wie "Amazone", "Partisan", "Kampfdogge", "Embedded Journalist" und "Gulaschkanone" ergänzen...

    Wir amüsierten und dann noch sehr über unsere drei Nachbarinnen, die entschlossen waren, die Luftmatraze (die danach jedesmal sorgfältig getrocknet, ja abgerubbelt werden musste) ohne dabei zu kentern, zu dritt zu belegen, vom Treppenrand des Teichufers abzustoßen und sich drei Meter weiter an der Nichtschwimmer-Schnur entlangzuhangeln. Der kleinen Amelie, deren Vater das Teil wohl murrend und stirnrunzelnd ausgeborgt hatte, war eingeschärft worden, die Luftmatraze nicht im Schwimmerbereich zu benutzen - fürchtete man, sie könne in die verbotene Schilfzone abdriften? Dauernd hörten wir es tuscheln: "Wenn dein Vater das erlaubt..." Zwischendurch hatten die Mädels natürlich auch endlos Haare zu kämmen und große Mengen von Speiseeis zu verzehren, wobei ihnen ein leicht debil wirkender Mann mit weißem Hut und T-Shirt, der in Bad Grönenbach möglicherweise die Rolle des Dorfnarren einnimmt, Gesellschaft leistete. Und dann wurde es auch schon Abend, die Sonnenglut verlor an Kraft, wir zogen uns fröstelnd an, Kornelia wollte noch "Gnocchi" besorgen, damit wir den Gorgonzola aufbrauchen, und brachte statt dessen Schupfnudeln aus dem Nettomarkt mit (siehe Karinkornelias Karyatiden-Blog), produits de la région, die es genauso gut taten (ebenfalls aus Kartoffelteig).


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