• Alte Mären berichten von einer Frau Holle, welche alljährlich im Lande umgehe, Fruchtbarkeit den Äckern fleißiger Menschen verleihe und Kuchen, Blumen und Obstfrüchte die in ihrem unvergleichlichen Garten unter dem Brunnen wüchsen, denen austeile, die ihr begegneten - und wie die Märchen nun weiter lauten. - Vor einigen Wochen schüttelte sie ihre Betten aus und die Menschen im Süden Deutschlands freuten sich, die kühlen Bettfedern herabpurzeln zu sehen und bald waren Wiesen, Wälder, Felder und Skipisten davon bedeckt wie mit einer Hülle.

    Einige machen Frau Holle zu einer guten, andere wieder zu einer bösen Frau. Bald ist sie eine Unholdin, bald eine Göttin, bald sichtbar, bald unsichtbar; bald erscheint sie den Vorübergehenden, als eine schöne weiße Frau, in oder auf der Mitte des Hollen-Teiches, bald hört man aus dessen unergründlicher Tiefe ein Glockengeläute, bald ein leises, nächtliches Geistergeflüster usw. Es heißt auch, sie bringe die neugeborenen Kinder aus einem schönen Brunnen hervor. Zur Zeit der Rauhnmächte besuche sie die Menschen, um zu prüfen, wer übers Jahr fleißig oder wer faul gewwesen ist, kehre dann aber wieder in ihren Teich zurück und führe die ungetauft gestorbenen Kinder mit sich.

    Karnevalesker domNur der Kleriker Joachim Meisner, der 1989 Erzbischof zu Cöllen wurde, der schwang ebenfalls die Glockenklöppel, denen vor  allem in kirchlich-sittlichen Belangen so viel Bedeutung zugemessen wird und erinnerte an die Verbrechen an den ungeborenen Kindlein, sprach von einem neuen Völkermord, von abtreibenden Frauen verübt. Dafür ließ er an jenem 28. Dezember 1989, Gedenktag des Bethlehemitischen Kindermordes, die Domglocken läuten, dass es landauf, landab hallte und die Frau Holle in ihrem Teich sich die Ohren zuhielt. 2011 wollte derselbe Bischof den 28. Dezember gar zum Staatsfeiertag erheben.

    Heuer aber wird der Dom kurzerhand nicht mehr angestrahlt, wenn unangenehme, wenig erbauliche Botschaften verkündende Demonstranten sich nähern. Der Dom wird ausgeknipst, aber auch das Domhotel, die Brücken und andere öffentliche Gebäude nicht mehr angestrahlt. "Dann gehen die Lichter aus", wie man mich als jungen KKW-Gegner schon früh verwarnt hat. Nicht der Gründer der sog. "Klagemauer" des stadtbekannten Nichtsnutzes W. Hrm. ist damit gemeint, der jahraus, jahrein antisemitische Karikaturen vor dem Dom ausstellt, u.a. eine, in der palästinensische Kindlein von monströsen davidsstern-geschmückten Riesenhänden auf einem Teller mundgerecht zerteilt werden. Dann schweigen die Glocken. Und auch, als die Fußgängerzonen in Köln und anderswo im Sommer 2014 von Hetzparolen gegen Juden ("Kindermörder Israel") widerhallten, oder zuvor schon, als um die Rathauswürde bangende Bürger eine Volksabstimmung über den Nichtbau eines jüdischen Museums anzettelten, erstrahlte der Dom allnächtlich in heller Pracht. Die Heilige Kirche und die mit der Stadt Cöllen verbündeten Versorgungs-Betriebe setzen ein Zeichen im Namen der ganzen Stadt, sie machen einfach die Stadtlichter aus, warum? weil ein paar Trollos aus der Außerparlamentarischen Opposition ihre Grundrechte wahrnehmen? Wie wär's, wenn man auch mal Sturm läuten würde, wenn die Deutschtümelei der Sylvesterknaller mit grellen schwarz-rot-goldenen Verpackungen und der Beschriftung "GERMAN ROCKETS" wieder losgeht?

    Aber der Dom ließ sich schon immer trefflich politisieren von denen, die sich als die echten Hüter des Abendlandes Das Dimmen des Domsbetrachten. Schon die NSDAP hatte vor 1933 wegen eines Parteitags in diesen Stadtmauern die Rheinbrücken beflaggt, und Adenauer ließ die Hakenkreuzfahnen wieder abnehmen. Als 1989 die Glocken gegen den bethlehemitischen Mord läuteten, weil der Paragraph 218 abgeschafft wurde, bildeten Frauen (und ein paar Männer) eine Menschenkette rund um den Dom. Symbolpolitik allerorten. Hauptsache, wir haben gegendemonstriert, dann ist alles wieder gut, was? Und wenn wir das Licht ausmachen, sehen wir die Bösewichter nicht mehr, die verschwinden und sind dann weg - ebenso praktisch wäre eine Blinden-Demo, bei der wir auf Verabredung zu einer bestimmten Stunde die Augen ganz fest zumachen. So rettet man ein Abendland mit einem Zwinkern. Danke, ihr sauberen Westen, ihr feinen Leute, ihr heiligen Kölner! Das Logo des WDR blieb übrigens an, wie ich heute las.

    Und was ist aus Frau Holle geworden? nachdem sie zwei Au-pair-Mädchen aus der "Generation Praktikum" zu höchst ungleichen Löhnen, ohne die Sozialabgaben zu entrichten, eingestellt und eine von den beiden sogar mit Pech überschüttet hatte, rückten ihr Gewerbeaufsicht und Finanzamt auf die Bude, beschlagnahmten die Spindeln und schlossen den Textilbetrieb, seitdem ist ihre Klage vor dem europäischen Gerichtshof für Mythenrechte anhängig; die ungetauft gestorbenen Kinder holte sich der Rattenfänger von Hameln.


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  • Neujahnusbrauch

    Salvenheul-Batterie mit Knisterschweifaufstieg und Feuertöpfen in Grünglitzerwolken mit Heulpfeifersalven... Effektbatterien mit 156-Schuss-Finale und 7 Premium-Stern-Effekt-Raketen... Prächtige Leucht-Buketts und tolle Brokat-Effekte mit rasant abgefeuerten schrillen Luftheulern... Spezial-Raketen mit herrlichen Silberflimmer-Wolken und imposanten Crackling-Sternen... Kugelbomben und Tri-Color-Effekte mit rubinroten und saphirblauen Leuchtsternen... Rakete mit Schlitz und beigelegtem Zettel für Wünsche, Träume oder gute Vorsätze im neuen Jahr... Tischbomben mit fetziger Überraschungsparty-Füllung... BleigießenFire-Cocktail mit imposanten Vulkanfontänen, römischen Lichtern, Sonnenvögel, lautstarken Reibkopfknallern, Silberwirbeln und trendigen Jugendfeuerwerks-Pyro-Hits... NeujahnusbrauchStepside-Final-Batterie "Hells Bells", optisch besonders auffallend mit unterschiedlichen Abschuss-Kalibern, schrillen Turbo-Heulern und abbiegenden Kometen... prächtige Fontänen gefolgt von 18 Knatteraufstiegen mit rubinroten und smaragdgrünen Sternen... bunter, lauter, präziser: die neue Generation der Feuerwerksbatterie mit ca. 30 m Effekthöhe, mächtigen Spinnen-Wirbeln und herrlich filigranen Goldstern-Buketts... Das fehlte bei uns alles, wie jedes Jahr, auch an diesem Sylvesterabend - nicht etwa, weil ich nicht auch gern mal mit home made explosives zündeln wollte, natürlich ohne anderen schaden zu wollen wie der Berkeley-Absolvent Theodor Kaczynski, sondern weil mir das Zeug einfach zu teuer ist und ich auf keinen Fall die Zündschnur an meine nicht üppige Banknotenbündelsammlung halten möchte. Zur Zeit könnte ich nicht mal das Streichholz aus der Schachtel nehmen, geschweige denn anstreichen, denn ich hatte meinen guten Rrrrrutsch mit nachfolgendem Aufprall schon am 29. Dezember auf einem verschneiten asphaltierten Ufer-Radweg unterhalb von Wiesen, durch die kleine Rinnsale herab in die Mosel tröpfeln und unter der Schneedecke unbemerkt vereisen. Kröver NacktarschBums, lag ich eine Schrecksekunde später auf dem Pflaster, der Kopf summte, blieb aber dran, eine kleine Beule war nach zwei Tagen verschwunden, nicht so der Schmerz im verstauchten Daumen, dessen Ballen ballonartig anschwoll und mir zu der Erkenntnis verhalf, weshalb uns die Delphine bei aller Intelligenz doch nie evolutionär überflügeln werden. Selbst wenn wir uns vorher ausrotten mit all den panzerbrechenden Massenvernichtungswaffen, die jetzt wieder ganz legal in die Ukraine bzw. nach Irak verschickt werden, so lange den Delphinen der oppositionäre Daumen fehlt, erreichen sie rein werkzeugmäßig nix, und dass ich das hier tippen kann, ist nur meinen Fingern und der leichtgängigen Tastatur zu verdanken. Natürlich gab es in dem Moseldorf, wo wir uns aufhielten, weit und breit keine Apotheke, schon gar keine Erste-Hilfe-Station! Anderntags in Trier bekam ich etwas Mobilisierendes gesalbt und noch ein paar Schmerztablettchen, von denen ich mich seitdem ernähre (keine Angst, ins Fondue sind die nicht gefallen). Gut, ich hätte das auch im 11 km entfernten Traben-Trarbach bekommen, wo sogar allerlei Geschäfte zwischen Weihnachten und Neujahr geöffnet sind, selbst an den Feiertagen - (Grund ist ein Wein-Nachts-Markt, der genau so geschrieben wird wie unten am Parkverbotsschild), aber bei dem Schneefall nochmal das Auto zu mobilisieren, war mir zu lästig.

    Zwei MoselentenJedenfalls haben wir uns auf die Operation Bleigießen besonnen, wobei wir die Raketenstellungen unserer Nachbarn jenseits des Rasen- bzw. diesseits des Raserstreifens, deren Treiben man anderntags an einem ungeheuren Haufen verschmorten Plastik- und Papiermülls ablesen konnte, gar nicht bombardiert haben. Wir sind schön zuhause geblieben und erhitzten ein bleiernes Glöckchen und ein unkoscheres bleiernes Glücksschwein im Löffel und warfen den verflüssigten Inhalt desselben in ein Wassertöpfchen... heraus kam etwas, das man, nun ja, in einem Fall mit viel gutem Willen als "Blume", im anderen nur als Mrxzkrszfzpriö beschreiben könnte, und beide Begriffe finde ich nicht auf der Rückseite der Schachtel, wo sich eine Liste mit Deutungsvorschlägen fand: Angel - Pack das Glück beim Schopf, Baby -  Familie wird größer, Besen - hüte dich vor der Schwiegermutter, Fächer - Jag den Mief aus deinem Leben, Galgen - Häng nicht so durch, Gurke - hüte dich vor Brillenschlangen, Nikolaus - Du trägst eine schwere Last, und so weiter im Alphabet bis Tasse - Pfeif auf Kartenleger, Ufo - Besuch aus großer Ferne, Vulkan - Bremse deine Leidenschaft, Waage - Erfolg im Rechtsstreit und Ziege - Du wirst gemolken.

    Tja, und heute früh ist das alles auch schon wieder Geschichte und das Neue Jahr hat begonnen (mein Lieblingskarikaturist zeichnete zwei Leute am Böller-Marktstand, der eine: Jetzt ist auch schon wieder ein Jahr rum, der andere: Sushi-Opfer zum Neuen JahrLängerfristig gesehen sind sogar noch mehr Jahre um als nur das eine), und ich hab ein paar dieser Holzstangen eingesammelt, weil ich neue Tomaten daran Köln feiert ordentlichJanusköpfiges Traben-Trarbach-Monumentemporbilden werde, und die Hundehaufen vom Rasen auf den Bürgersteig gekickt, wo sie meiner Meinung nach hingehören. Auf dem Neujahrsspaziergang hat sich nicht nur am vielsprachigen Stimmengewirr erwiesen, dass wir eine echte Multi-Kulti-Stadt geworden sind, sondern auch bei Beobachtung der verschiedenen Neujahrsbräuche. Während sich die Einheimischen verschworen haben, den orangekostümierten Heinzelmännchen möglichst viel Scherbendreck und halbleere Sektpullen am Rheinufer zu hinterlassen, damit die was zum Wegräumen kriegen, begrüßte ein Fernost-Imbiss in der Südstadt die Geister des kommenden Jahres mit einem Sushi-Gericht. Wir fanden dieses Menü auf dem Fensterbrett vor dem Schaufenster, hübsch dekoriert auf einem Tablett, einem prickelnden Glas Sekt und einem langen Räucherstäbchen. Erst dachten wir, das habe sich z. B. ein Taxifahrer bestellt, der beim Warten unversehens einen Kunden bekam und deshalb abwesend war. Das brennendes Räucherwerk ließ aber auf eine Kulthandlung schließen - Opfergaben fernöstlicher Abschieds- und Willkommenskultur für das mit einem Fuß abtretende, und mit dem anderen eben erst eingetroffene Jahr. Zwar gilt dieser Laden als Thailänder, und in Thailand feiert man Neujahr erst im April, wobei man sich mit Wasser bespritzt und mit Babypuder bestreut, um sich langes Leben und Kindersegen zu wünschen (was in größeren Städten angeblich zu wahren Wasser-und Babypuder-Schlachten führt). Aber wer will wissen, welcher Nationalität die Putzfrau oder der Küchengehilfe ist in dem Laden, - die meisten "Italiener" werden inzwischen von Kurden und Syrern betrieben, hab ich mir sagen lassen. Und an den Kalender des Ursprungslandes wären Geister, die man rief und mit einem Sekt und einer Rohfisch-Auswahl auf Reis versöhnen will, ja auch nicht gebunden.

    Apropos, der ferne Osten im reichen Westen - wusstet ihr, dass Trarbach zweitausend Buddha-Statuen beheimatet? "Die Buddhas benehmen sich übrigens äußerst unaufdringlich, so wie Buddhas eben sind: Tolerant, verständnisvoll und ohne Moses Parkerlaubnisdas geringste Interesse, ihren Gästen irgendwelche Ansichten aufzudrängen. Sie wirken und überzeugen durch ihr bloßes So-Sein. Doch sollten Besucher tiefergehendes Interesse äußern, zur Kultur ihrer Herkunftsländer, zu ihrem bisweilen ungewöhnlichen Habitus, zu ihrem Denken, so haben die Buddhas dafür Personal angestellt, ein kleines engagiertes Team, das darauf wartet und sich freut, Fragen zu beantworten oder auch durch das ganze Haus zu führen. " So weit die Selbstdarstellung... Das Buddhamuseum haben wir aber NICHT besichtigt, weil uns schon das Mittelmoselmuseum auf den achtfachen Pfad geschickt hatte, weshalb wir uns den Besuch für ein anderes Mal aufsparten. Eine fernöstliche Physiognomie zeigt übrigens auch die Doppelkopf-Skulptur, die der Bildhauer Jürgen Waxweiler aus einem 220 Millionen Jahre alten Stein gefertigt hat. Sie steht seit September 2011 am Verkehrskreisel der B 54 (Moselufer eingangs der Grabenstraße), den man benutzen muss, um in Trarbach zu parken. Der Stein trägt noch Spuren von "versteinerten Wellen", die man allerdings nur oben auf dem Kopf sieht, wenn man hinaufklettert. Die beiden Gesichter gucken in verschiedene Richtungen - nach Traben und Trarbach eben, zwei Städte, die in ewiger Hassliebe miteinander verquickt sind wie Leuwen und Louvain, Bensberg und Gladbach, Barmen und Elberfeld. Die Sushi-Portion war für Neujahnus gedacht, den doppelköpfigen Gott, der ins vorige und aufs neue Jahr blickt, aufs asketische Buddhamuseum und in den lichterglänzenden Wein-Nachts-Markt. Möge er euch allen einen guten Aus- und Eingang bereiten - und ein knöllchenfreies Parken obendrein.


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  • Dass man des hundertsten Todestages von Joe Cocker, Sieger der Schlacht von Woodstock, eines Tages im Trubel der Klagenfurter Udo-Jürgens-Festspiele gedenken würde, hätte man auch nicht ahnen können. Hoffentlich geht sein Nachruhm darüber nicht unter wie der des Siegers von Waterloo, Herzog Wellington, dessen Nachkommen zum Dank dafür, dass er Europa vor dem Diktator rettete, bis vor kurzem noch eine Leibrente vom belgischen Staat bezogen haben. Doch dass in Wahrheit Napoleon als Sieger vom Platz ging, kann man allenthalben in den Andenkenläden sehen. Der Sieger von WaterlooAls Ansteckbutton, Kühlschrankmagnet, Aschenbecher und Briefbeschwerer, in Wachs nachgebildet (mitsamt seinem Pferd "Vizier"), kurz, wohin man schaut, Napoleon, Napoleon, Napoleon und nichts wie Napoleon. Von Wellington, na schön, da gibt es so eine Löwenfigur. Aber die Ostmächte konnten ja damals nicht einmal durchsetzen, das die Schlacht nach ihrem Bündnis, der "Belle Alliance" benannt wird. Blücher'n und Co. fühlten sich übel angepisst, wenn in ihrer Gegenwart jemand wagte, die Schlacht mit "Waterloo" zu etikettieren. (Wir vermeiden jetzt mal eine etymologische Tiefenerkundung danach, woher der Name Waterloo stammt...) Der Name, den Preußen bevorzugte, fristet im Kulturgedächtnis ein Schattendasein als Praxisadresse von Dr. Gottfried Benn, und die Belle-Alliance-Straße, wo er die Haut- und Geschlechtskrankheiten der Dadaisten kurierte, heißt heute Mehringdamm. Das Gedicht auf die Schlacht stammt auch nicht von Benn, oder? "Tag war's, doch trüb', in Strömen floß der Regen, / Des Himmels feindlich graues Wolkenheer / Zog geisterhaft auf langen, weiten Wegen / Und lagerte sich tief gewitterschwer. / Fast schien's, als sei für immerdar, umnachtet / Der Sonne Blick, nach dem das Leben trachtet." Nur die schiefe Heer-Metapher hätte nicht zu Benn gepasst - Minna von Strautz hieß die Autorin!

    Überhaupt hätte, wenn wir von "Schlacht von Belle-Alliance" sprächen, dies ohnehin wieder nur an Napoleons Hauptquartier erinnert. Der hatte im Gasthaus Belle-Alliance sein Lager aufgeschlagen, welches angeblich seinen Namen schon nach der Ehe eines jungen Kerls mit einer alten Dame hatte. Ob in dem Gasthaus später Wellingtons Lieblingsspeise serviert wurde? Bereiten wir uns schon heute zünftig auf die kommende Zweihundertjahrfeier von Waterloo vor, und versuchen wir es zu Weihnachten mal nicht mit einer Gans, sondern mit Beef Wellington. Da ich ein Zufallskoch bin und eigentlich immer improvisiere, hatte ich nur die vage Erinnerung an einen Webcomic, über dessen Verlinkung ich auf den Film mit dem Londoner Sternekoch Gordon Ramsey gekommen bin. Klar, in dessen Landhausküche ist alles pingelig sauber (hat er da Geldscheine zum Trocknen auf der Wäschleine am Küchenbord?), nie versagt der Mixer beim Zerkleinern von Kastanien, niemals pappt die Lebensmittelfolie zusammen und die plötzlich auftauchende Bulldogge klaut nicht mal eben das Fleisch vom Teller. Also, wer das perfekt nachstellen will, verlasse diese Chaotenküche auf der Stelle und sehe sich bei Youtube um. Wir hatten, als wir uns gestern kurzerhand - nach vorgezogenem Heiligabend-Ladenschluss - zu Beef Wellington entschlossen, kein Rinderfilet, keinen Blätterteig und keine Kastanien ("Without chestnuts, it is not Christmas", meint der Sternekoch dazu). Dafür hatten wir aus der MHD-Ermäßigungskühlbox unseres Lieblingsdiscounters ein schönes Entrecôte, noch etwas Backhefe und Walnüsse (die wir durchaus nicht alle den Eichhörnchen geben). Man braucht außerdem rohen Schinken, Pilze, Nüsse und Kräuter, ein Ei, grobkörniges Salz und Senf. Das Fleisch herausnehmen, die Schachtelverpackung in den Papiercontainer, den signalroten 30 %-billiger-Kleber vorsichtig abpiddeln und getrennt entsorgen, damit ihn die Nachbarn nicht erspähen... und schon kann's losgehen!

    Das Fleisch, von dem meine Lieblingsköchin noch hier und da etwas Fett absäbelte, ließ sich gut in zwei Hälften zerlegen, weil man es ja nachher in den Teig rollen muss. Gordon's Filet hat schon diese passende Walzenform. Das Teil mit Senf einpinseln ("English mustard", so'n Blödsinn, wir haben welchen aus Dijon genommen und Rüsseldorfer Mövensenf täte es auch). Aus der ins Mehl (fünf Tassen davon waren nicht zuviel, da wir ja nun 2x Fleischkuchen hatten) gebröckelten Hefe, etwas Zucker und einem Klecks warmem Wasser den Vorteig anrühren, Handtuch auf die Schüssel, stehenlassen; nach 15 Min kann man mit noch einer Tasse Wasser und etwas Öl einen Hefeteig kneten. Der hat bei den folgenden Vorbereitungen auch Zeit genug zum Gehen: das allseitig gut gepfefferte und gesalzene Fleisch muss nämlich allround in sehr heißem Fett gebraten werden, nach Der Sieger von WaterlooGordon Pym Ramsey muss es mitunter an den Rand der geschrägten Pfanne geschubst werden, damit Unter- und Oberseite sich auch gut verschließen, alles klasse, wenn man auf dem Lagerfeuer brät, anstatt auf einem öden Elektroherd-Ceranfeld. Wie vermiss' ich meinen guten alten Russengas-Herd! Nun die "Füllung", eigentlich Quatsch, denn das Fleisch ist die Füllung und dieses Zeug sowie der Schinken- und Teigmantel bleiben außen: Champignons hatten wir nicht, nahmen also Dosenpilze und noch ein paar getrocknete, die wir immer vorrätig haben (sehr praktisch für die im Alltag so oft erforderliche spontane Nudelsoße), das kam alles mit den Walnüssen, Mandelsplittern und schon geriebener Haselnuss in den Mixer, Gordon schüttelt den nur kurz, bei mir war das ein endloses Gefrett, bis alles zerkleinert und herausgelöffelt war - weiß der Teufel, wie er das mit vorgekochten Kastanien macht, und ich finde, da wir sie sowieso nicht hatten, die schmecken auch gar nicht, weil sie nachher zu penetrant sind - , und mit dem "Zauberstab" musste ich später nachhelfen, dass so ein graubrauner Haufen Gebrösel daraus wurde. Das aus Pilzen und Nüssen gewonnene Geröllzeug kommt in eine fettlose Pfanne und soll darin vor allem trrrrocken werden, um das Trocknen geht's, nicht um's Gebratenwerden. Damit es auch nach Weihnachten schmeckt, haben wir Anis drangetan, ferner Rosmarin (Gordon nimmt Thymian) und noch den Rest einer italienischen Kräutermischung.

    Der Sieger von WaterlooJetzt rollen wir die Frischhaltefolie auf dem Tisch oder einem größeren Tablett aus, die auf Youtube ist riesig, wir haben sie daher rot-kreuz-förmig verlegt, auf die Folie schichten wir den Schinken - statt "parma ham" der Schicki-Micki-Gastronomen hatten wir ordinären Landschinken - nebeneinander breit genug, dass nachher das Fleisch draufpaßt. Auf diese Schinkenfläche - halt! vorher nochmal ordentlich pfeffern! - verteilen wir flach das erkaltete Pilz-Nußzeug aus der Pfanne, darauf kommt dann der Fleischbatzen. Und jetzt der Clou, wir rollen das jetzt von der Folie her, die nachher umgeschlagen wird, ganz eng zusammen wie den Bundeswehrschlafsack, damit der Spieß uns nicht anbellt, und zwirbeln die Folienhaut wurstartig an den Enden fest zu, man könnte es mit so Tiefkühltüten-Knipsern schließen, die fanden wir grade nicht, aber es ging auch so. Diese hübsche gutverpackte Wurst, nach außen sieht man nur den Schinken, versteht sich, kommt mindestens 15 Min. in den Kühlschrank (müßig herumzuliegen ist eigentlich die wichtigste Aufgabe, die ein Stück Rindfleisch in dieser Phase der Zubereitung hat, und das kann nie schaden, im Ofen liegt's dann ja auch nur herum). Inzwischen wurde der Hefetieg nochmal durchgehauen und warmgestellt und endlich möglichst dünn ausgerollt, diese Fläche mit Handtuch zudecken und nochmal gehen lassen. Dann wiederholt sich die Prozedur mit der Frischhaltefolie, neue kreuzförmige Auslegung und auf die kommt nun aber der Teig mit viel Rand. Wir holen die Schinken-Pilznuss-Rindfleischwurst aus dem Kühlschrank, entfernen die olle Folie und legen das Teil auf die Teigfläche. Und nun erneut einrollen, immer an den Bundeswehr-Schlafsack denken, schön vom Folienrand her einrollen, nach hinten eng umschlagen, aufpassen, dass der Teig an den Seiten das Fleisch gut einschließt, notfalls anfeuchten und "flicken", und wieder ein pickepacke-kompaktes Päckchen daraus machen. Die Folie seitlich zwirbeln und als Wurst - je gleichmäßiger es liegt, sagt Gordon Ramsey, desto gleichmäßiger gart es nachher - erneut in den Kühlschrank. Ofen inzwischen auf 150 bis 180 Grad vorheizen, keine Umluft, das ist zuviel des Guten, und inzwischen vom Weiß getrenntes Eigelb verrühren, die Teigwurst nach 15 Min. wieder hervorholen und mit Eigelb einpinseln (Folie natürlich vorher abmachen, oder wollt ihr das Fleisch im Ofen mit Plastik gratinieren?). Dann soll man auf dem Teigling vorsichtig nur mit dem Messerrücken (ich hab's übertrieben, oben fiel später die Teighülle auseinander beim Aufschneiden) einen Längsstrich ziehen und in scheibenbreitem Abstand viele Querstriche. Wo nehmen wir jetzt  noch grobkörniges Salz her, verdammt! Aber wir hatten doch im Oktober diese Aufback-Brezeln mit einer Beipacktüte mit groben Salzkörnern, es waren zuviele, da bleiben immer welche übrig und das Tütchen hatten wir aus Geiz aufgehoben. Auf der mit Eigelb gepinselten Teighülle verteilen, und ab in den Ofen, etwa 45 bis 60 Minuten, wenn das Rindfleisch, sagen wir, säuglingsschenkeldick ist. (Die korrekte Zubereitung eines Säuglings hat Gottfried Keller mal in einem Brief an junge Eltern erläutert.)

    Hinterher ist das natürlich ein tolles Eventfuttern, wenn man die Rolle zu Feldsalat o. ä. serviert, mit Blätterteig sieht es sicher noch besser aus, aber unser Hefeteig hatte den Vorteil, nicht so durchzusuppen, er nimmt den Fleischsaft an, lässt ihn nicht raus und wird nicht hart, und die Scheiben, mit Minzsoße serviert (hält sich angebrochen ewig, wann hatten wir die letzte Lammkeule, das ist doch Monate her!), mir war die Senf-Preißelbeer-Marmelade nicht scharf genug. Wie man auf dem leider auch nicht grade scharfen Foto sieht (inzwischen durch Handybild meiner Liebsten ersetzt), war es sehr stimmungsvoll! Nächstes Weihnachten verlangt die Mitbewohnerin nach "Boeuf Stroganoff", damit auch andere Aliierte von Waterloo mal zum Zuge kommen - aber da hören wir uns natürlich vorher nochmal das von Friedrich Hollaender in Reime und Musik gebrachte Rezept an. Und zum Jahrestag der Schlacht am 18. Juni gibt's Teltower Rübchen, den Preußen zu Liebe, die alles ausbaden mussten.


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  • So, jetzt habe ich es doch sage und schreibe 4 Wochen hintereinander geschafft, jeden Tag was hier einzustellen. Ob das ab jetzt so weitergeht, möchte ich bezweifeln. In solcher Fülle purzeln mir auch nicht die nötigen Ideen durch die Birne, und ohne Einfall keinen Ausfall. Und ein Bildmotiv flattert mir auch nicht alle Tage ins Haus wie neulich - was ich für das große Finale aufbewahrt habe, voll knisternder Verheißung...

    Türchen vierundzwanzig - geschafft!

    Ein Vorhang, der sich langsam öffnet, und Bretter, die die Welt bedeuten mögen ... was mag sich da Gleißendes hinter dem Vorhang verborgen halten... grell aufblitzend wie die Halogenscheinwerfer einer auf dem Radweg in Gegenrichtung auf uns zu rasenden Benzinschleuder, mit SUV-Kopp am Steuer... flackernd wie in schwärzester Nacht die Scheiben brennender Irrenhäuser... und weshalb linst es geifernd durch die muffigen Vorhänge der offenbar ziemlich heruntergekommenen Striptease-Bühne, man sehe nur auf die ausgeleierten Bodendielen, anstatt in aller Ruhe den nächsten großen Auftritt zu erwarten? wieso bleibt es nicht in der Garderobe und schminkt sich, bis es aufgerufen wird? Hat es gar keine Angst, noch vor dem Gongschlag ausgepfiffen und mit Tomaten und faulen Eiern beworfen zu werden? Eins ist sicher, wir werden vom Kunstlicht geblendet, wenn es vorn an die Rampe tritt. Könnte ein Film ein... z. B. Hobbit? der Endkampf der Orks mit Zwergen, Elfen und Aragorn, Arathorns Sohn? Buchstaben sind zu erkennen... steht da etwa FUCK? oder AFD? oder FRAGIDA? oder alles zusammen, wie auf der Postkarte, die mir eine aufstrebende Spaßpartei geschickt hat? Oder ist es eine andere, aufstrebende F-Partei, die mich mit diesem Bildmotiv zu ihrem traditionellen Neujahrsempfang (aber erst am 12. Januar, wenn das neue Jahr schon voll im Gang und Fass' Rum ist) ins Düsseldorfer MARITIM einlädt? Wenn es das ist, was ich vermute, dann bleibt es vorerst im Zuschauerraum sitzen, auf den billigeren Rängen. Den Vorhang zu, und alle Frager hoffen!


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  • Okay, gestern habe ich meine Patientenverfügung formuliert, wonach einzig und allein Felix Wuff vorgelassen werden soll, der auch über das Schicksal meiner transplantationsfähigen Organe entscheiden darf, wenn mein Kontroletti-Selbst, das schlechtere Ich im Nebel der Verblödung entschwunden ist. Aber dann machte ich eine fasche Bewegung auf dem Laptop, um etwas zu korrigieren, und schwupps war der ganze Blogeintrag verschwunden. Dass ich ihn dann einigermaßen rekunst-roieren konnte, zeigt doch, dass es mit neuronalen Netzen und synaptischer Verbindung in der schwappenden grauen Hirnmasse noch einigermaßen fluppt. Dass soll aber nicht heißen, ich könne mich annähernd vergleichen mit dem seltsamen Heiligen, den ich nicht in einem buddhistisch-tibetanischen Kloster vorgefunden habe, und der hier im Bilde zu sehen ist:

    Türchen dreiundzwanzig

    Habe ich schon erwähnt, dass in Oberschwaben die Wiege der deutschen Kultur zu suchen ist? Althochdeutsche Glossen, mittelhochdeutsches Minnelied, barocke Puttenengelstrompetenchöre mit echten Instrumenten, rebellische Bauernführer, die unter Berufung aufs göttliche Recht die Gleichheit der Menschen einforderten, aufgeklärte Fürstbischöfe mit Schlossgärten, durch die ein Wieland mit Sophie von La Roche lustwandelte und in Duodezbändchen lateinisch-griechische Erotik-Klassiker las, hier ist so ziemlich alles versammelt, was gut und (mir) teuer ist! Aber gestern habe ich mir - vorgezogenes Weihnachtsgeschenk - einen sog. Datenport gekauft mit 1 000 000 000 000 Byte Speicherplatz, und werde darauf die geschätzten 15.000 jpegs Manuskript, das ich aus grottenschlechten, über- oder unterbelichteten Mikrofilmen der 19-siebziger Jahre transkribiere, gesammelt aufspeichern. Mein Datenport für 79,90 (zurück: 0,10 €) ist intelligenter als ich! Verdammt, ich weiß immer noch nicht, an welchem Abend ich die Mülltonnen in der Ausnahme-Weihnachtswoche rausstelle und ob die mit gelbem (Verpackungsmüll) oder blauem Deckel (Papier) dran sind. Derartigen Routinequatsch muss ich im "Abfuhrkalender" der Entsorgungsbetriebe nachschlagen oder im Internet suchen, wo es für Doofe bei Eingabe von Straße und Hausnummer erklärt wird. Diese Daten kommen auf den NSA-Müllberg zu den anderen soundsoviel-99 Bytes, die über meine armselige Existenz versammelt sind. Jedenfalls kann ich nicht gleichzeitig zurück- und in die Zukunft sehen, während ich die Gegenwart ins Auge fasse wie der Heilige - oder ist es der Dreieinige himself? - aus der Benediktinerabtei Ottobeuren. Hier möge er jeweils den "Geist der vergangenen, der gegenwärtigen und der zukünftigen Weihnacht" verkörpern, von dem der arme Scrooge bei Charles Dickens geplagt wird.

     


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