• Gestern kam ein katholisches Heftchen (Herder Thema) ins Haus. Das Periodikum scheint sich vorwiegend an Glövenixe zu wenden, eine Art Atheisten-Chrismon, ständig wird thematisiert, wie dies oder jenes von Nichtkirchenmäusen wahrgenommen oder beurteilt wird. Ein Artikel heißt Wie areligiös ist areligiöse Kunst wirklich?  Händels Messias; Bachs Matthäus-Passion, heißt es irgendwo, "geben vielen Skeptikern oder Nichtgläubigen Gefühle der Hoffnung", aha. Hoffnung, daß das Weihnachts-, Pfingst- und Ostergezimbel im Radio bald mal wieder vorbei ist und der übliche Hemba-hemba-Schlager wieder auflebt? Martin Walser im Interview mit Marx, äh, Bischof Marx: "Wenn der Atheist sagt 'Gott gibt es nicht', dann hat er schon von ihm gesprochen", ätsch! Thema dieser unverlangt eingesandten Gratisausgabe ist lt. Cover "Freude & Hoffnung, Trauer & Angst im Spiegel der Künste". So weit, so gut aufzumischen. Im Spiegel der Künste (Sonderbeilage des Hamburger Wochenmagazins, der Augstein im eigenen ist das Alpenmassiv in der Pupille anderer) sieht der Betrachter alles spiegelverkehrt. Bei Ausbau einer grammatischen Tiefenstruktur wird's komplexer. Z. B. ein Essay über "die tiefsten Gefühle in der Musik" mit dem Obertitel Trauer bringt oft Hoffnung. Ist nicht auch das Gegenteil richtig? Hoffnung bringt oft Trauer. Erproben wir, ob das mit anderen Überschriften auch geht. Eine heißt Vertreibung: Trauer und Angst. Hm. Trauer: Angst und Vertreibung funzt auch. Ebenso ist Vertreibung: Angst und Trauer kein übler Titel. Schweigen ist Beten ohne Wünsche. Oder vielmehr Beten ist Wünschen ohne Schweigen? Dann kann demnach Wünschen ist Schweigen ohne Beten nicht ganz falsch sein. Bingo! Die haben ihre Titel aus einem rotierenden Phrasometer. Gibt's heute alles als App.


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  • 7 Jahre schlechten 6 soll man kriegen, wenn man beim Zuprosten tief ins Glas schaut statt in die Augen des Gegenübers. Wieviele Leute gibt es, die EXTRA die Augen zukneifen oder weggucken ("immerhin - sieben Jahre überhaupt welchen!"), wenn sie nah genug rangelassen würden zum Zuprosten... Jakob, Sohn eines Flickschusters, später Zwerg Nase genannt (von W. Hauff) mußte, in ein Eichhörnchen verwandelt, sieben Jahre Küchendienst bei der Zauberin Kräuterweis tun, der er die Kohlköpfe nach Hause getragen hatte. Danach roch er an einem Kraut, der Fluch wurde abgemildert und er war kein Eichhörnchen mehr, nur noch ein krüppliger Zwerg, der für einen Herzog kocht. Was hat die Hexe mit ihren verwunschenen Kleinnagern noch angestellt außer die Haushaltsarbeit auf sie abgewälzt? Glaubt man den Iren, schweben Flüche sieben Jahre wie Geier über dem Haupt des Verwunschenen und stürzen sich erst auf ihn herab, wenn dessen Schutzengel mal nicht aufpaßt. 7 ist eine Heilige Zahl, 7 Jahre grünt der Baum des Lebens, dessen Wurzel 7mal geteilt ist, in 7 Jahren erneuert sich das Feuer der Sonne und des Mondes, nach 7 Jahren kommt dieselbe Woge wieder an den Strand, um erneut zu zerschellen. "Sieben Jahre, sieben Meere" singt Roger Whittaker, und wenn die Tochter sieben Jahre lang siebenhundert siebenundsiebzig Hemden spönne, würden die 7 Raben (ihre Brüder) wieder Menschengestalt annehmen. Der Fluch könnte doch abgemildert werden, warum nicht alle 7 Jahre schlechten 6? Dann kämen welche, die extra tief ins Glas oder wegschauen: Immerhin! überhaupt mal alle sieben Jahre 6!

     


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  • Obwohl ich immer wieder davor gewarnt habe, hat sich die "Chance auf" inzwischen totalsprachlich durchgesetzt und ist nicht mehr aus dem Wortschatz wegzumäkeln. Man achte darauf, wie häufig der Imperativ "Sichern Sie sich Ihre Gewinnchance auf..." ertönt. Ich wurde kürzlich sogar gefragt, ob es wohl ins Englische übersetzt "the Chance on" hieße! Erstens gibt es nicht viele Chancen, und zweitens sind die so vage, daß man sie nicht "ab origine teleologisch funktional" (Lorenzo Picotti: Zwischen 'spezifischem' Vorsatz und subjektiven Unrechtselementen. Ein Beitrag zur typisierten Zielsetzung im gesetzlichen Tatbestand, Berlin 2014, S. 50 f.) festnageln darf, sonst gehn sie flöten. Das soll nicht heißen, daß man nicht die Chance hätte, im Lotto zu gewinnen oder keine "Chance auf" dem (Dativ!) Arbeitsmarkt hätte. Zum Bleistift die Chance, einen Job zu bekommen. Aber merke: Eine Chance ist keine Option, keine Aussicht, keine Perspektive: wir haben kein Anrecht "auf" die Chance. Sie ist mehr so ein Begehren, eine Utopie, eine Gelegenheit - alles Wörter, die ich auch schon mit "auf" gehört habe, seit die "Chance auf" derart eingerissen ist. (Allerdings habe ich die "Gelegenheit auf eine Remedur" schon in einem Buch von 1796 entdeckt). Es gäbe Genitive, Verbalkonstruktionen, aber nein - der Siegeszug der Präposition "auf" plus Akkusativ ist nicht auf-zuhalten. Rolf Schulmeister hält (in E-learning: Eine Bilanz. Kritischer Rückblick auf Basis eines Aufbruchs, Münster u. a. 2009, S. 317 ff. - allein der Buchtitel reizt auf zum Brüllen) den Computer für ein "Versprechen auf die Zukunft". In Christian Ortner: Hört auf zu heulen. Warum wir wieder härter werden müssen, um unseren Wohlstand zu schützen, Wien 2013 (auch ein Titel, den man nachschmecken sollte), finde ich S. 141 ein "Heilsversprechen auf". Die "Verheißung auf Christus'" treibt theologischerseits schon lange ihr Unwesen, u.a. in Christof Levin: Verheißung und Rechtfertigung. Gesammelte Studien zum alten Testament II, Berlin u.a. 2013, S. 7.  Aus Schuld und Sühne wurde Verbrechen und Strafe. Ich geb's "auf" und schlage vor, den Bestseller von Houellebecq neu zu übersetzen. Die Möglichkeit auf eine Insel. Auf eine Sprachinsel bitte, und dann Ohrenschützer auf.


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  • Sie verzeihen, werte Dame, daß ich es wage, Sie zu ersuchen, mir gütigst zu erlauben, daß ich mir die Freiheit nehme, Sie hierdurch zu fragen: Ob Sie die Gewogenheit haben wollen, mir zu vergönnen, daß ich mich erkühne, Sie zu bitten, mir das Glück zu gewähren, daß ich mich Ihnen nahen darf, um Ihnen freundlichst mitzuteilen, wie ich nichts sehnlicher wünsche als im Stand zu sein, Ihnen zu zeigen, wie sehr es mich freuen wird, wenn das Schicksal mir vergönnt, den Augenblick herbeizuführen, der mir das Vergnügen zu Teil werden läßt, Ihnen zu versichern, daß es mir unmöglich ist, durch leere Worte die Gefühle auszudrücken, die mein Herz bei dem Gedanken ergreifen, Ihre Güte könne mich ermuntern, die Hoffnung zu hegen, Sie überzeugt zu haben, wie tief ich es empfinde, welch ein Vorzug es ist, daß ich die Ehre haben darf, mich in dem Gefühle der lebhaftesten Hochachtung zu empfehlen als der stets Ihrige... (leicht variiert aus einem Briefsteller von 1836)


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  • Die neue 17 kommt angefahrenHurra, ich kann jetzt mit der Bahn fast bis vor das Loch fahren, in dem Bauknechte und -herren, durchwinkende Genehmbeamte und größenwahnsinnige Verkehrsplaner ein nahezu tausendjähriges Stadtarchiv versenkt haben. Angeblich ist fast gar nichts passiert, 70 % des Archivgutes sei geborgen, allerdings "für immer unbenutzbar", kurz, Fasern im Schlamm. Und die U-Bahn-Bauten haben ja massenhaft neue Funde mit sich gebracht, Protestplakat gegen die Eröffung der UbahnAltertümchen, Römerscherben, Öllichter und so weiter, und so weiter. - Aber egal, die sogenannte "Nord-Süd-Trasse" mußte her, weil sei den Weg vom Zentrum in die Südstadt fünf Minuten verkürzt hätte. Jetzt wurde die Strecke mit viel Träterä und Hembahemba eröffnet, jammertönende Jungmannenbands kölschten über die Bühne, Tausende von straßenbahnwaggonförmigen Glitzerballons wurde ausgegeben, und auf den sage und schreibe vier neuen Stationen der neuen Linie 17 durften die Stadtbewohner einen Tag umsonst fahren - dafür lohnt es sich doch, die ollen Dokumente und Urkunden der kontinentüberspannenden, völkerverbindenden Hanse in die Tonne zu kloppen!Auffallenderweise nimmt die ästhetische Gestaltung der U-Bahn-Stationen zum Archivloch hin spürbar ab, die Rolltreppen gehen nur eingleisig, die Treppe wendelt drum herum und einmal unten, fühlt man sich in der Betonversion eines Nürnberger Trichters angekommen, allerdings am falschen Ende. An der Aufenhaltsfläche hat man wohl gespart, bin gespannt, wann hier die erste Oma vom Bahnsteig ins Gleis fällt! Aber laut Ermittlungen unseres Zeitungsmonopolisten sterben Senioren ja andauernd, weil die KVB-Fahrer vorschnell bremsen und ruckig anfahren, und voraussetzen,Hüpfburg auf der Severinstraße jeder Fahrgast ("Insasse" wäre angesichts der Irrenanstaltscharakters unserer Verkehrsbetriebe der bessere Ausdruck) würde sich mit zwei Händen festhalten. Dafür gibt es nicht mal Haltegriffe genug ("das ist kein Haltegriff in der U-Bahn", sagt Marlon Brando, wer weiß noch, in welchem Film und was gemeint ist?). Und wer den Krückstock vulgo Rollator mit der einen, den zu entwertenden Fahrschein in der anderen Hand hält, hat (Kraken ausgenommen) keine dritte und vierte, um sich festen Halt zu verschaffen. - Band beim Straßenfest SeverinsstraßeDafür soll am Chlodwigplatz jede Menge bestellte Graffito-Kunst am Bau zu sehen sein. Das haben wir uns aber gespart beim Bummel durch das "KVB-Bürgerfest" in der Severinstraße, da kommen wir noch ein andermal hin. Für Kioske, Copyshops, Nagelstudios und Tattoo-Brennereien, welche die seit Beginn des U-Bahn-Baus pleite gegangenen Traditionsgeschäfte zunehmend ersetzt haben, war das ein verkaufsoffener Sonntag. Als erstes sahen wir eine busförmige Hüpfburg mit Rüttelfunktion, in der Kinder schon Hüpfburg mit Comicfahrermal üben konnten, wie sie als Renter im Nahverkehr bremsbedingte erdbebenähnliche Schwankungen überstehen. An Kinder, die das schwindelfrei aushalten konnten, wurden zum Lohn Heliumballons ausgegeben, die zu Dutzenden aufflogen und jetzt vermutlich als verschrumpelte Alu-Plastik-Masse in den Straßen und auf den Wiesen der Grünanlagen liegen oder die Rinnsteine verstopfen. Nett war natürlich, wie mit großzügigen Anzeigetafeln und Informationsschildern Ubahnstation Severinstraße - gewöhnungsbedürftignolens volens immer wieder darauf hingewiesen wird, dass es wirklich nicht mehr als vier Stationen sind, zwar geht die neue Linie 17 dann noch drei Stationen bis Rodenkirchen weiter, aber das tut die 16 schon lange und zwar vom Chlodwigplatz aus ebenerdig, und wenn ich jetzt - sagen wir - von Rodenkirchen nach Höhenhaus will, kann ich zwischen zwei Stationen zum Umsteigen wählen. Denn diese Linie endet in einem Sackbahnhof, nicht mal eine Sackgasse ist das zu nennen. Beim Archivloch ist natürlich Schluß,Severinskirche und Luftballon ursprünglich sollte das zum Heumarkt weitergehen, wo die Busse, die hier sonst verkehren, zu Stoßzeiten tatsächlich immer viel zu  lange brauchen, bis sie mit der Zeitlupen-Blechlawine des Individualverkehrs das rettende Ufer der Haltestelle "Heumarkt" erreichen. Und bis zur Marktstraße fährt nichts, da ist die Haltestelle noch immer verwaist und man hat sogar die Anzeigentafeln abgebaut (obwohl ich vorgeschlagen hatte, hier statt dem stumpfsinnigen Außer Betrieb einen Countdown anzubringen: Bahn kommt in 2.459.654.921.195.203 Minuten)! Geplant ist hier bis 2023  eine Straßenbahnlinie, die an der Marktstraße aus dem Tunnel herauskommt und über die Bonnerstraße bis zum Autobahnverteiler fährt. Dort sollen motorisierte Köln-Besucher ihren fahrbaren Untersatz stehenlassen und mit dieser Bahn, wenn das Archivloch endlich mal vertunnelt ist (bzw. die jetzt dort vorhandenen gerichtsverordneten Baustellen zu verwertbaren Beweisen geführt haben) in die Einkaufsparadiese der Innenstadt düsen. Und natürlich dürfen die Rodenkirchener dasselbe tun auf der anderen Abzweigung, Unterm Pflaster der Strand, hinterm Loch die EndstationUnterm Pflaster der Strand, hinterm Loch die Endstationdie jetzt fertig ist. Aber die hatten wohl Recht mit ihrer Skepsis gegen die Eingemeindung, noch heute werden die gelben Ortsschilder "Köln" von Lokalpatrioten mit Freie-Stadt-Rodenkirchen-Schriftzug überklebt. Dafür müssen allerdings noch etliche Dutzend Bäume gefällt, die Bonnerstraße komplett neu gepflastert, in die künftige Fahrspur hineinragende Häuser abgerissen und ein Tennisplatz am Grüngürtel beseitigt werden (wo dann das Park & Ride-Parkhaus stehen soll), denn die Straßenbahn in der Mitte drängt die Autos zur Seite, die nur noch einspurig zur Autobahn kommen, was mit Sicherheit zu neuen Nadelöhr-Stauungen führen wird. Kurz, viel Baustellenkultur wird uns die nächsten Jahrzehnte hier begleiten, mal sehen, was noch versenkt oder, wer weiß, zu Tage gebracht wird!


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