• Memento Motti

    Nee, von Eiscrème ist hier nicht die Rede, auch nicht von den kleinen aphoristischen Zutaten auf den Titelseiten von Aufsätzen oder Büchern, letztere sind ohnehin auf dem Aussterbeetat, also nicht die Bücher,Memento Motti d. h. die vermutlich auch, sondern die Motti. In letzter Zeit hat sich das Auftreten von unangenehm gemusterten, mitunter auch schwarz geflügelten Nachtfaltern in der Wohnung deutlich vervielfacht. Memento MottiEs könnte natürlich am Feiertag "Maria Auffahrt" liegen, der morgen stattfinden soll; meine Lebensabschnittsbevollmächtigte will vermutlich wieder einen sog. "Kräuterboschen" mit soundsovielen (17?) wertvollen Pflanzenresten machen, der dann ewig und drei Tage über der Tür hängt, d. h. bis zum "Einmotten" im Keller, weil im nächsten Jahr wieder ein neuer fällig wird. Die Reste von den alten Kräuterboschen dürfen nämlich nicht weggeschmissen werden, bewahre, das hat was mit Ritualen und Reliquienkult zu tun, die müssen verbrannt werden, damit der Segen nicht schiefhängt. (Gesegnet wurde überhaupt nur einer dieser trockenen und allmählich zerbröselnden Büschel, der aus dem Allgäu, den hat sie in die Kirche mit dem Pfarrer mit Dritte-Welt-Appeal getragen, die anderen blieben vom Weihwasser unbenetzt.) Wie auch immer, diesen Plastiksack mit ollen Pflanzenkram drin habe ich im Verdacht, die Motten auszubrüten. Der Kreis um das vermutete Mottennest schließt sich immer enger, seit ich sämtliche Bretter des Speisekammer-Regals geleert und gesäubert habe, offene Packungen wurden gleich weggeworfen, alles, was noch brauchbar schien in Gläser mit Drehverschluß gefüllt, die Regalbretter einzeln mit Scheuermilch abgeseift und anschließend mit Essig begossen. Daher können die Motten eigentlich nicht mehr kommen (vielleicht sind allerdings die jetzt noch auftauchenden von dieser Aktion aufgescheucht worden?). In diesem mit einer Tür verschlossenen Speisekammerregal hängt auch so ein Mottenfang-Leimpapier, das andernorts in der Küche schon ganz schön voll ist, hier drin ist aber keine einzige Motte auf den Leim gegangen. Memento Motti Na, warte! Einzelne Motten, mal zwei, drei, mal vier, erlege ich ja mit der Hand. Die sind so blöde und ruhen nachts, also bei Dunkelheit, auf den weißen Wandflächen oder Zimmertüren oder Bilderrahmen aus, wo man sie ganz gut erkennt, und werden gleich zu Staub zerrieben (am besten hält man ein Tempotaschen- oder Küchentuch in der Hand, dann ist die Sauerei nicht so groß und mit unbewaffneter Hand könnte man sie vorher aufstören, so dass sie wegfliattern, auch wenn sie dabei nicht so raffiniert und fix sind wie Stubenfliegen). Also, wenn ich die letzte Woche mal zusammenzähle, habe ich so Stücker zwölfen auf diese Weise den Garaus gemacht, und da kann man schon von eineMemento Mottir Invasion sprechen, oder? Selbst im Kleiderschrank finde ich keine, dafür lauter Mottenpapier, und unser Schlafzimmer erinnert an eine Lavendelboutique in südfranzösischen Fußgängerzonen. Woher also die verdammte Motteritis, soll mir das ein Memento sein? Mensch gedenke, dass du Staub bist, zu Staub wirst, um dich herum Staub aufhäufst und Zerstäuber nicht in die offene Flamme, sondern in die gelbe Tonne werfen sollst. Ich habe dann angefangen, die Bücherschränke zu entstauben, vor allem im Flur waren schwere Staubhalden angesammelt hinter den alten Schätzchen. Leider habe ich am Abend und in der Nacht danach schon wieder zwei Motten flattern sehen. Aber ein wenig Hausputz ist ja nie falsch, meine Liebste hat derweil Datenmigration und -verwaltung betrieben und den eingestaubten Teppichboden gesaugt. Bei der Gelegenheit habe ich dann gleich ausgemistet und jede Menge ausgelesener Lektüre beseitigt. Gut, also von Lyrik habe ich mich nicht getrennt, das sind ja meist dünne Bändchen, die teuren Klassiker bleiben sowieso - die der Moderne ließ ich größtenteils auch in Ruhe, alles von Böll, Brecht, Enzensberger, Peter Weiss, Arno Schmidt, generell Werkausgaben (darunter selbst solche, in die ich noch kaum einen Blick geworfen habe: Max Hermann-Neisse, weil der mal für 19.99 bei Zweitausendeins verramscht wurde!) blieben stehen, aber ich hab so viel Druckerzeugnisse, die ich doch nie wieder anfasse, oder bereits durch übermäßigen oder gar mehrfachen Gebrauch kaputtgelesen habe, dass ich etliche 100 Bände rausgeworfen habe. Nichtvergessendürfer Martin Walser, du mußt jetzt ganz stark sein, ´deine Bücher, u.a. "Halbzeit", deren zwei Bände du mir bei einer Lesung mal so häßlich oberflächlich signiert hast, liegen auch schon in einem dieser Bananenkästen, ungefähr so groß wie Kindersärge, die so handlich zur Buchbeseitigung sind, und Günter Graaaasss, der erst recht, der signierte überhaupt nur mit Filzschreiber und mit einem so gesteilten "ich bin der Größte"-Namenszug. Anderes Signiertes oder von prominenter Freundeshand Gewidmetes hinterlasse ich als kleine Zusatzrente für meine Witwe; - im Fall dass sie mich nicht überlebt oder wir gemeinsam umkommen, geht das alles nach Marbach, verstanden? Ich habe eine mehrzeilige zärtliche Widmung einer Dame aus dem Jahr 1981 oder so (ihre Mutter soll mal was mit meinem Vater gehabt haben, vor dessen Ehe mit meiner Mutter, aber wir hatten nichts dergleichen), die später Verfassungsrichterin wurde in einem Bundesland im Norddeutschen. Aber ich bitte Sie, dieses ganze Engagement-Verantwortungs-Gedöns aus den 1960ern und 1970ern,Memento Motti "Ich klebe an der Bundesrepublik", und "ich lebe nicht in der Bundesrepublik", ich glaube vom selben Herausgeber, Essays für und wider Wiederbewaffnung und Große Koalition und "die" Alternative der SPD-Regierung und Co., in der DDR dasselbe andersrum gewendet, Lyrik 76, Lyrik der DDR und der Schmonzes von der Christa Wolf, die guckte dagegen beim Signieren vorwurfsvoll als wäre ich ein DDR-Deserteur, weil mir zum Dank für (erlaubte) LP-Zusendungen meine Ost-Brieffreunde Erstausgaben aus der Zone schickten, weg damit, na gut, die Günderrode-Sache bleibt, oder Heiner Müller, den hab ich ganz weggetan, x-mal gelesen und damals mal ganz nett gefunden, ist aber gut damit, kann ich mir noch in der Bibliothek ausleihen, wenn ich das wiedersehen will. Memento MottiHeiner Kipphardt, den hab ich behalten, dummerweise, aber wer weiß, beim nächsten Mal springt der auch über die Klinge, mich interessierte noch der Briefwechsel mit Peter Hacks, letzteren schmeiß ich dann auch raus, ich hab so ein Buch mit Theaterschriften und den einen oder anderen Plunder vom Jahrmarktsfest. Selbst von Kempowski hab ich mich getrennt, mein Lieblingsautor, aber ich brauch das nicht mehr, hab ihn genug genossen, will im Alter nur griechische Philosophen und lateinische Tragiker lesen oder die weimarer Klassik und meine erlesene Sammlung unangetasteter Bände von Ludwig Tieck. Aber das ist alles nur der Anfang, erst drei Flurregale von vieren (im vierten nur noch zwei, drei Bretter voll) und ein Schrank im Arbeitszimmer, das an drei von vier Wänden Bücherregale hat, von anderen Zimmern (Ausländisches, Geschichte, Liederbücher, Musik & Kunst) noch zu schweigen. Aber die sind nicht so mottenträchtig, während auf der Wellershoff-Ausgabe von Gottfried Benn schon ein toter Käfer klebte, brauchte ihn gar nicht mehr zu klatschen - eindrucksvolles Totem für den Lyriker des Vergänglichen aus dem von ihm vertretenen Reich. Und wer weiß, welches Ungeziefer noch zwischen den Seiten sein Unwesen treibt, ich sage nur: die Buchstaben, die nachts lebendig werden und wild durcheinander... na, stellen wir uns das besser nicht zu genau vor. Kennt jemand hier die Querelles-Satire vom Streit der alten Bücher mit den neuen von Jonathan Swift? steht hinten in dem Ausländerregal, das kommt auch noch dran, denn ich hab schon vorher Gullivers Reisen gehabt, bevor die drei Swift-Bände aus der DDR kamen.


    Tags Tags : , ,
  • Commentaires

    Aucun commentaire pour le moment



    Ajouter un commentaire

    Nom / Pseudo :

    E-mail (facultatif) :

    Site Web (facultatif) :

    Commentaire :