• Mein Weltbild. (für meine besten Freunde - only)

    von meinem Vater
    zum 16. April, seinem 54. Todestag

    Dieses Weltbild entwerfe ich in Unterhosen, denn ich hatte eigentlich schon vor, ins Bett zu gehen nach einem langen, anstrengenden Tag. Nun, Ihr wißt ja, was ein Mann in Unterhosen wert ist: nicht mehr als eine beschädigte Briefmarke. Aber ich las eben zwei Abhandlungen gelehrter Art, und sie werden mich vermutlich in den Schlaf hinein beschäftigen, so daß ich sie auf diese Weise (und in Ehren) loszuwerden hoffe.
    Nun denn also, frisch gewagt ist halb gewonnen. Es mag sein, daß mir der hohe Flug philosophischen Denkens in dieser Fassung weniger denn je gelingt.
    Woraus baut sich die Welt auf, deren Bild wir zeichnen wollen? Darin haben alle recht, aus dem Gegensatz. Aus dem Gegensatz Gott - Mensch, Mensch - Tier, Belebt und Unbelebt, Geist - Fleisch, Atom - Seele oder was auch immer die Begriffe umschließen mögen. Es ist der Gegensatz, das Gegenspiel, die sie fruchtbar und lebensfähig, die sie zu Weltkomponenten machen. Les extrêmes se touchent - das ist die erste Linie die mir von Bedeutung scheint. Ist dabei von so großer Wichtigkeit, wie wir sie anlegen, ob wir sie horizontal oder vertikal, historisch oder philosophisch anlegen? Genug, im Anfang war der Gegensatz und dieser Gegensatz war bei Gott, wenn Ihr mir eine Variation der Bibel gestatten mögt.
    Aber im Anfang, im gleichen Anfang, nicht früher und nicht später war das Assimilationsbedürfnis. - - se touchent. So heißt es und so war es. Licht war Licht und durchdrang die Finsternis, um sie zu erhellen und Finsternis versuchte ebenso hartnäckig, das Licht einzukreisen und zu verschlingen. Wo immer die Möglichkeit sich bot, trug sich jede der gegensätzlichen Parteien mit der Absicht, sich der anderen zu nähern, anzuziehen und zugleich abzustoßen, zu absorbieren und absorbiert zu werden.
    So etwa stelle ich mir den Werdegang der Welt vor. Aus dem Nichts erwuchs das gegensätzliche Etwas, aus dem Etwas das Alles. Wie immer sich das Leben im All gebildet haben mag, ob es sich schuf oder geschaffen wurde, in jedem Falle balancierte es sich derart aus, aus Gegensatz und Nebenher. (Ihr seht, es wird schon undurchsichtig, mein Weltbild, und damit reif, in die Sammlung philosophischer Systeme aufgenommen zu werden.) Was etwa sich entwickelte, an Festem, Flüssigem und Gasförmigem, an Zelle, Pflanze und Tier, es entstand aus dem Gegensatz und der Angleichung. Und in diesem Sinne scheint mir der Mensch nur ein zufällig letztes Glied der Kette. (Darwin hätte das sicher besser formuliert. Überhaupt, weh mir, daß ich ein Enkel bin!) Jegliche Art ward so, wie sie ist, nach diesem und dem Prinzip der Auslese, das alles Lebensunfähige und Lebensüberfähige durch assimilierenden Kompromiß ausscheidet. Es blieb das Lebensfähige, der beste Durchschnitt.
    Auch die Entwicklung menschlicher Seele und menschlicher Weisheit (homo sapiens laut Brehm) erkläre ich mir in diesem Sinne. Durchaus denkbar, daß neben kriechenden animalischen Vorstufen des Menschen auch fliegende bestanden haben, aus denen sich dann der Erectus ergab.
    Somit treten wir in die Historie ein. Denn obgleich wir seit Anbruch der Neuzeit unser homozentrisches Weltbild aufgeben mußten, haben wir ja doch noch die Geschichte, die den wenigsten Raum für ausweichende Spekulationen und den meisten Stoff für exakte Überlegungen bietet. Zweifellos ist sie alles andere als schön und friedvoll. Aber sie ergänzt dem, der sie zu lesen versteht, das Bild von der Aufwärtsbewegung der Welt, die kaum merklich durch die Jahrmillionen geht, um schließlich - rein mathematisch gesprochen - im Unendlichen, wenn auch nicht - ethisch verstanden - im Vollendeten, zu münden. Die zunehmende Erkenntnis beweist, das Abnehmen der weißen Flecke auf den Karten widerruft nicht eine solche allmähliche Aufwärtsbewegung. Möglich, daß die christliche Zeitspanne darin abgelaufen ist. Kaum denkbar, daß ihr eine eigentlich pantheistische folgen wird. Das Vorhandensein einer übermenschlichen, unfaßbaren, sei es immanenten, sei es transzendenten Allmacht läßt sich schwer ausbuchen. An sie glauben oder an ihr zweifeln, kann - nach der Extremtheorie - gleich viel Religion sein - kann. Denn Religion ist nichts als Bindung, und Bindung wieder muß nicht freiwillig erkannte, freiwillig eingegangene sein. In jedem Falle sind sowohl die vorhandene Ordnung und auch die Aufwärtsbewegung Beweis für eine religiös erreichbare Größe X - ja selbst eine Abwärtsbewegung, behauptete sie einer zu sehen, wäre es.
    Aber was ist es, woran wir uns nun halten können? Christengott, Naturwissenschaft, Ego oder die Seele mit all ihren Errungenschaften als da sind Kunst, Kultur, Humor, Liebe und Intellekt? Merkt Ihr es noch immer nicht? Alles zusammengenommen, das ist es. Das Leben leben, den Tod sterben, die Welt sehen und dennoch ein anständiger Mensch bleiben, den Frieden lieben, die Freundschaft pflegen, die Unwissenheit bekämpfen, die Kunst fördern, die Religionen dulden, die Erfahrungen verwerten - und so, nehmt alles nur in Allem, teilnehmen und mithelfen können und dürfen. Das alles (und noch Einiges, in der Eile unerwähntes mehr) macht und mache unser Weltbild aus. In dieser Weise so gut "Vivre pour la vie" als auch "Vivre jusqu'à la fin" vereinen. Es ist der einzige Weg zu irdischem Glück und himmlischer Unsterblichkeit.
    Womit ich mich in mein Bett zurückziehen und allseits zur guten Nacht empfehlen möchte.

    (als handschriftliches Manuskript überliefert)


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  • Commentaires

    1
    hdorn
    Lundi 18 Avril 2011 à 11:28

    C'est beau, c'est fin et finement compréhensible, de la philosophie ...  von einem anständigen Menschen, wenn auch in Unterhosen ;-)

    2
    Petit Larousse Profil de Petit Larousse
    Lundi 18 Avril 2011 à 11:33

    ...es waren bestimmt long johns, wie ich sie auch im April noch trage.

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