• Recept gegen den Schwindel.

    Nimm: drei Drachmen wildaufflammenden Zorn,

    (frisch zu haben an Deutschlands Dichterborn).

    Dann: den Schmerzensschrei ganzer Nationen,

    Weltenschmerz und zerfahrnes Gemüth,

    Freiheitsträume, von Deutschthum durchglüht,

    von jedem, nach Gusto, drei starke Portionen.

    Adde: Katholicismus und Mönchswesen,

    herauf beschworen aus dunklem Schacht,

    längst verfloss’ner Jahrhunderte Nacht,

    wie es in allen Journalen zu lesen;

    dann: ein Drachma von Luther’s strahlendem Licht,

    ankämpfend gegen die feindlichen Geister –

    und (wenn es an gründlichem Wissen gebricht)

    zwölf Gran schöner Worte schwülstigen Kleister.

    Dies alles vermischt – nimm des Abends ein,

    bald wirst du gesund – – wie der Zeitgeist sein.

    Amalie Krafft in: Morgenblatt für gebildete Stände, Nr. 163, 21.8.1838, S. 651.

     

    Und hier noch was Älteres, auch nicht schlecht: Aus den Schlussworten einer Rezension, die Christian Konrad Wilhelm von Dohm einst schrieb (rezensiert wurde ein Buch namens Betrachtungen über den Zeitgeist in Deutschland in den letzten Decennien des vorigen Jahrhunderts)

    "...Charakteristisch und nachtheilig wirksam war die schnelle Verbreitung der Begebenheiten und Ideen des Tages durch Zeitungen, Journale und Flugschriften. Sie ward Quelle der Seichtigkeit, und Nahrung für die Unruhe.

    Das vervielfältigte Zeitungslesen vermehrte die politische Kannegießerey, diese schadete dem Wahrheitssinne. Man haschte nach Neuigkeiten ohne auf Wahrscheinlichkeit, ja physisch-geographische Möglichkeit zu achten.

    Wie die Zahl stieg, so wurden die Zeitschriften seichter. Doch wurden sie Hauptlectüre, ja einzige, und zum großen Nachtheil wahrer Bildung, blieben wahrhaft classische Schriften des Alterthums und der neueren Zeit ungelesen. Es entstand eine Circulation nicht fruchtbringender Art. Oberflächlichkeit und Schalheit, wozu von den neueren Pädagogen der Grund gelegt war, ward noch mehr verbreitet."

    Quelle: Jenaische Allgemeine Literatur-Zeitung Nr. 204, 31.8.1808, Spalte 408.

     

     


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  • Dunkeldeutschland geht sehr schlecht vorbereitet in die heutige Mondfinsternis, fürchte ich. Erst kürzlich hat Peter Altmaier das neue digitale Endzeitalter verkündet, man müsse die K. I. "zur Erfolgsgeschichte Deutschlands machen... für Wissenschaft, Anbieter, Anwender, Start-ups gleichermaßen....  Schlumpfmützen Egatilémaßgeblich für Wachstum im produzierenden Gewerbe... Bruttowertschöpfung um rund 32 Mrd. steigern..." Der Haken: die Intelligenz meinte er, und zwar nicht, wie ich erst dachte, Schlumpfmützen Libertédie Kritische, sondern die Künstliche will er ganz groß schreiben bzw. fördern. Rohstoffe, die naturgemäß nicht mehr nachwachsen in den ausgepowerten Hirnbrachen, muss man künstlich erzeugen, soviel ist klar. Zuerst brauchen wir mal so ein Samenkorn, aus dem herauswachsen soll, was sich später entfaltet, belaubt und Blüten oder gar Früchte treibt. Nach aller Erfahrung wächst die Intelligenz nicht aus rohen, unverarbeiteten Eindrücken hervor, die führen nur zu Mythos und Glaubenswahn, ich sage nur: Feuersbrunst als Erscheinung höherer Wesen, Trockenheit als Strafe für sündliches Begehren (wer sich auf eine nette Runde freut, kriegt eine lange Dürre), Allegorie der RevolutionMondfinsternisse als der Zorn des Allmächtigen. Und, ehrlich gestanden, wenn ich mich in der Welt so umsehe, habe ich auch den Eindruck. ohne künstliche Eingriffe in die Genstruktur geht da nichts mehr, die Verblödung liegt bleischwer auf dem Land und ist schon festbetoniert und kaum mit dem Preßlufthammer oder der Dampframme zu beseitigen. Nein, die Natur will be- oder verarbeitet sein, bevor sie produktiv wird, wie Marx schon irgendwo gesagt hat, "arbeiten wir uns an der Natur ab", sozusagen. Die Frage ist nur, wie wir dem zarten Keimling so lange einreden können, er wüchse nicht in einer Nährflüssigkeit heran wie in diesen von Robotern bewässerten Farmen, die ich mal in einem dieser Matrix-Filme sehen konnte, sondern in der Original-Hirnzelle eines Durchschnitts-Zeitgenossen, falls der überhaupt noch eine frei hat im Oberstübchen, wo entweder gähnende Leere herrscht oder der blanke Wahnsinn regiert. Haben wir die Wachstumsbedingungen einigermaßen hergestellt, brauchen wir nur hegen, pflegen und behutsam die tägliche Dosis Witzenergie zu steigern. Vielleicht soll man der Intelligenz,Freiheit schaut auf's Meer solange sie noch schutz- und wehrlos ist, gut zureden und kluge Sachen vorlesen? Ich z. B. rede immer mit meinen Tomaten, die sagen mir dann schon, wie oft sie gegossen werden oder zum Friseur wollen - paarmal schlichten, und sie treiben immer üppiger aus. Ich meine, das Jahr 1789 muss trotz allem Scheußlichen, was danach kam, so ein Moment gewesen sein, in dem die mühsam vorbereitete Erleuchtung der Aufklärer in die Politik durchschlug und immerhin dazu führte, dass die Stände sich nicht auseinanderdividieren ließen,Fraternité den Bajonetten nicht wichen und weiter parlamentierten und in einer langen Verhandlungsnacht die Vertreter des Adels vielleicht nicht freudig, aber freiwillig auf alle Privilegien verzichteten! Okay, dass der Egoismus wenig später fröhlich weiterging und die am Überseehandel beteiligten Mitglieder der Nationalversammlung in aller Brüderlichkeit dafür sorgten, dass Freiheit und Gleichheit nicht in den Himmel wachsen bzw. den Sklaven in den Kolonien nicht zukommen sollten, steht auf einem anderen Blatt, aber das macht den Ballhausschwur selbst ja nicht ungeschehen oder verdächtig. So wie auch Mirabeau eine begnadete rhetorische Revolutionslokomotive bleibt, auch wenn er hinterrücks mit dem König kungelte und für Geld alles tat. Zurück zu der denkwürdigen Zurücknahme der Adelsvorrechte: Diesen kostbaren Moment sollte man studieren und erforschen und herausfinden, wie aus diesem unvermutet aufkeimenden Intelligenz-Gen so etwas wie historisches Bewusstsein entwachsen konnte - z. B. die Erkenntnis, dass es ein davor und danach gibt und nichts auf ewig hält, bzw. nicht das Alte, nur weil es alt ist ("das haben wir schon immer so gemacht und es gibt nichts Besseres"), blütemonat maimehr Berechtigung hat als das Neue, auf die jeweilige Situation der Zeit zugeschneiderte ("doch, wir probieren mal aus, was verbessert werden kann"). Mir fielen neulich Briefköpfe aus jener glorreichen Ära in die Hand und ich stellte fest, dass man in bester barockener Tradition Bildelemente der Emblematik neu zusammenzufügen begann. Die Republik muss eine Frau sein, sie trägt ein Liktorenbündel (Vorsicht, Faschismus) und manchmal einen Speer, auf dem ein phrygischer Jakobinerhut sitzt (solange kein abgeschlagener Kopf unter dem Hut grinst, mag das ja noch angehen). Mitunter steht sie neben irgendwelchen schräg abgesägten Baumstämmen, die sich bei genauerer Betrachtung als Tempelsäulen entpuppen, und ein Trikotcoloreskrähender Hahn muss auch in der Nähe sein, während andere Tiere platt am Boden liegen. Das Verhaftungs-BulletinKanonen auf Spatzen(Da fällt mir grade ein, dass die Frau von Neo Rauch, der den Bayreuth-Bühnenprospekt für "Lohengrin" gemalt hat, Rosa Leu heißen soll, komisch, nicht?) Kanonenkugeln nicht vergessen, dazu die Bollerkugeln und jede Menge Zündstoff. Manchmal schwebt auch ein einzelnes Auge oben drüber in der Sonne, soll das jetzt doch ein bißchen Monotheismus sein, oder ist es das Allwissende Auge des Geheimdienstchefs Fouché, dem keine konterrevolutionären Umtriebe entgehen...? Merkwürdig auch, daß "Liberté" und "Fraternité" ebenfalls mit nach links ausgerichteten Schlumpfmützen aus der klassischen Antike repräsentiert sind, und dass der aus dem Liktorenbündel herausstehende Speer genau auf den Mittelpunkt zwischen Schlumpfmütze und (guillotiniertem) Totenkopf zeigt. Das soll dann wohl das juste milieu sein, auf das Altmaier mit seiner Künstlichen Intelligenz zielt, die Anwender und Anbieter gleichermaßen glücklich machen soll. Und das votiert bekanntlich nicht für Fraternité, Egalité oder gar Liberté, sondern für Merkelismus, Macronnerie und force de frappe. - Eigentlich wollte ich mich über Fußball und das Flirten der Gladiatoren mit den Machthabern in der Zirkusloge äußern in dieser Kolumne (siehe Titel), aber jetzt ist was ganz andres draus geworden, weshalb mein revolutionärer Elan gipfelt in der egalitären Forderung: Özil für alle!


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  • "Die, die die, die die Dithyramben

    Einst erfunden und die Jamben,

    Nicht dem Namen nach gekannt,

    Mögen es beim Flacchus lesen,

    Daß es sei Archilochus gewesen,

    der aus Wuth den Jambus einst erfand.“

    A Münde in Der Gesellschafter, Jahrgang 1836, Mai

     Ich weiß, in der koprophilen Nachwende-, Titanic- und Heute-Show-Ära lachen alle nur über den Namen Archilochus und denken, ich hätte den erfunden. Er hatte den 9 Musen mal eine Kuh verkauft, und das führte dazu, dass er ziemlich ungläubig und unwillig unter die Dichter ging. Er erfand daraufhin das Schmähgedicht, das erst in diesem Jahr Eingang in den DUDEN fand, die stets über jeden aktuellen, in der neuesten Auflage zu verewigenden Sprach-Quatsch informierte Redaktion hatte offenbar nach verkaufssteigernden Aktualitäten gesucht und einer von denen hörte vom Fall Böhmermann, so kam es zu der Kenntnis und Auflistung. Bekannt sein dürfte, dass die Brieder Grümm ihr Wörterbuch in sehr viel langsameren Etappen veröffentlichten und nie "fertig" nannten - als Wilhelm Grimm starb, war grade der Band A bis Biermolke erschienen, und schon damals wußte kein Mensch mehr, was Biermolke eigentlich war, so eine Art Brottrunk -, und im Manuskript war Jakob Grimm grade mal bis "Frucht" gekommen, als er das Zeitliche segnete. Einzelne Lieferungen, das war die Erscheinungsweise, nicht immer wieder erneuernde Auflagen. Halt, bis G wurde auch noch eine neue Auflage in Anspruch genommen, dann aber von der Akademie der Wissenschaften unterlassen, weil die Finanzierung fehlte.

    (Der eigentliche Gag an dem Gedicht ist, dass es alles keine Jamben, sondern Trochäen sind, aber da habt ihr ja eh gemerkt, oder?)


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  • Jetzt haben wir schon wieder Februar und große Dinge kündigen sich an - zufällig waren wir in dieser und der letzten Woche im Konzert und gehen bald wieder hin. Briefkästen zugesperrt wegen KarnevalDadurch hatte ich unvermutet einen Eindruck von den Vorbereitungen zu den Bacchanalien, die Köln als Event-Metropole in diesem wie in (gähn) allen andern Jahren ausrichtet. Urinal für den Kölner KarnevalEs ist schon irre, dass ausgerechnet ich, der ich am liebsten in mönchischer Abgeschiedenheit der Ruhe pflege und meiner philologischen Lieblingsbeschäftigung nachgehe, in einer angesagten Freiluftkneipe leben muss. Von dem Köln, wie ich das noch kannte und wo allenfalls mal am Weiberfastnacht morgens die ersten konstümierten Mädels auftauchten und am Aschermittwoch auch wirklich alles vorbei war, ist nicht mehr viel übrig. Bezechte Mitreisende in Bussen und Bahnen sind seit 11.11.2017 die Regel, und abends verwandelt sich die Altstadt in eine Hemba-Hemba-Zone, noch bevor die Stadtschlüssel an das närrische Prinzbauerjungfrau-Regime übergeben worden wären. Briefe einwerfen, die man lieben Bekannten schicken will? auf dem Heumarkt Fehlanzeige, schon letzte Woche und bis übernächste sind die Briefkästen zugesperrt, damit niemand Stimmungsbomben darin deponiert. Und die Brunnen,Vor der Flut Denkmäler etc. sind hinter hohen Brettern versteckt. Als ich vor einigen Monaten einer polnischen Studentin die Stadt zeigen wollte, das gleiche Bild, der Friedrich Wilhelm III. ist inzwischen nur noch selten ohne graffittifreundliche Holzkiste drumrum zu sehen, und ein nahes Herankommen unmöglich: Altstadtfeste, Soli-Konzerte für jeden mehr oder minder guten Zweck, Demos für und gegen alles mögliche, Schlittschuhbahn, Weihnachtsmärkte, Weinfestbuden, Kölschfestbuden, Jahrmarkt, was du willst, jedesmal wird alles verpackt wie von Christo und Jeanne-Claude persönlich. Diese Selbstbeauftragte für Denkmalschutz, die man in Zeitung, Film, Funk und Fernsehen andauernd den Zustand der Kölner Baudenkmäler beklagen hört (ich glaube, sie hat den sprechenden jagiello Chmielak-BierNachnamen "Schock") sollte mal ausrechnen, an wievielen Tagen von rund 365 im Jahr Friedrich Wilhelms III. Reiterstandbild überhaupt frei zugänglich ist. D. h. das Pferd kann man noch fast erkennen, nicht aber die interessanteren Seitentafeln mit den liberalen Musikern, darunter Mendelssohn und Meyerbeer, Dichtern, Historikern, Ingenieuren, Arbeitern und Wissenschaftlern. Dafür haben wir jetzt Mahnmäler anderer Art. Dass im Karneval eine gelbe, leicht schaumige Flüssigkeit in Hektoliterströmen rinnt, ist allgemein bekannt, aber ausnahmsweise ist jetzt mal nicht das Kölsch gemeint. Damit die schönen teuren Pflaster (Millionenmillarden hat eine Rheinspazierstraße gekostet) nicht verätzt und ausgegilbt werden, möbliert die Karnevalsverwaltung die schönsten Plätze mit Klo-Wagen und blauen Dixiesärgen. Aber halt, was ist dies? eine neue Art Brunnen, wo die alten doch versiegt und eingekistet sind? Offenbar handelt es sich um ein zum Längenvergleich anregendes Urinal, das man zu viert (!) gleichzeitig bdixiklos vor der Philharmonieenutzen kann, na, wenn das nicht abführt! - Mach in Köln eine Eisdiele, ein Schnellrestaurant mit Sitzgelegenheit (und nicht nur so eine nach oben offene Dönerbude wie der Lukas Podolski, die mit endlosen Warteschlangen von der ungebrochenen Beliebtheit des ehemaligen FC-Balltreters zeugt) oder eine Galerie mit Teestube auf, egal, es kommt das Ordnungsamt und misst nach - nicht deinen Zapfhahn als Gastwirt, bewahre, aber den Abstand zwischen den Pissrinnen im Keramiktrakt, und wehe das sind unter soundsoviel komma soundsoviel Zentimeter. Dann muss die Eröffnung verschoben werden, und nicht nur die des Hosenstalls! Dann machen sie dir die Bude dicht! Nicht so diese Urinale, die haben ja nicht mal diskrete Sichtblenden an den Seiten, und zum Händewaschen ist weit und breit nichts zu finden, also vorsicht, lieber keine "Kamellen" annehmen,podolskis dönerbude die von fremden Händen ausgewickelt wurden. Grundsätzlich waren aber die Konzerte sehr gut, auch wenn das Dixi-Sperrgut an der Philharmonie besonders dicht aufgestellt ist. Vorige Woche war das WDR-Sinfonieorchester, dirigiert von Marek Janowski, mit der Alpensinfonie von Richard Strauss dran, die mir aber zu dick aufgetragen war, Hörnertröten und Sonnenaufgang und Gewittersturm (inklusive künstlichem Theaterdonner wie von Franz Hohler), was mir nicht imponiert, wenn schon Tonmalerei, gefällt mir mehr Also sprach Zarathustra vom selben Komponisten, von dem alle immer nur das Pam-pam-pam kennen wegen Stanley Kubrick und 2001 - Odyssee im Weltraum, aber das geht noch weiter und die Fortsetzung ist viel besser. WC-Wagen in der AltstadtrJetzt war also der Abend mit B, B und B, nämlich Sinfoniekonzerte von Boulez, Beethoven und Bartók, und das letztere war ein tolles fünfsätziges Werk, das der in ärmlichen Verhältnissen im US-Exil lebende Béla Vor der FlutBartók vom Bostoner Sinfonieorchester 1944 uraufführen ließ, kurz bevor er an Leukämie verstarb. Der zweite Satz ist ein Scherzando, der dritte eine elegische Trauermusik, die wirklich ergreift, und zwischendurch schlägt der eine von den Trommlern den Kriegstakt vor und man ahnt schon, das geht nicht gut. - Aber auch Beethoven, Konzert Nr. 2 für Klavier und Orchester, das wie die Dauerwurst in zwei Brötchenhälften gebettet lag (damit keiner vor der Pause wegläuft, wie man sich denken kann) ließ sich hören. Das Gürzenichorchester, der Gürzenich ist ja bei uns so eine Art Volkskammer oder Palast der Republik, die Kölner nennen es ihre "gute Stube", hier hat sich der erste Arbeiterverein im Frühjahr 1848 gegründet usw. und vor diesem Parlament trat jetzt Son Altesse Roi François Xavier I., der mit dem Bleistift dirigiert, und als Flügeladjutant sein Governor Grosvenor auf, der beherzt in die Klaviatur griff, nicht übel, hat uns gefallen. Seine Zugabe hat ihm allerdings geschadet, das war so der publikumsübliche Kitsch, vorher ließ er die Töne viel klarer und einzeln erkennbar herunterrieseln, das Zugabending dagegen "schmelzend" wie von Geigen geschluchzt, nein danke. Normalerweise breche ich schon beim zweiten Applaus auf, damit ich nicht den schönen Eindruck im Ohr verdorben habe durch Zugabe nach dem dritten. und die Kölner sind sowieso klatschgeil und woillen eine Zugabe nach der andern erbetteln, noch schlimmer wenn der WDR überträgt, dann brüllen und grölen sie noch, damit sie im Radio späteJan-und_Grief_Brunnenr stolz sagen können, hörst du, das war ich! (echt wahr, das hat uns mal ein entfernter Verwandter gesagt, er gehe grade deshalb nur in Konzerte des Radiosinfonieorchesters!) Das Gürzenich-Orchester spielt am Sonntag den 18.2. wieder, wenn Gastdirigent Nicholas Collon meine Lieblingsstücke in Szene setzt, und zwar auf der Hitliste Platz drei ist Prélude à l'après-midi d'un faune von Debussy, Flöte solo, hab ich mal mühsam einstudiert - allerdings dann doch bar jeden Erfolges auf der Querflöte ("zum Teufel erst das Instrument, zum Teufel hinterdrein den Sänger"), dann Platz zwei, Reiterdenkmalvon Györgi Ligeti Atmosphères (1961), das ebenfalls aus Stanley Kubrick's 2001 bekannt ist - die Szene wo der Computer HAL schon durchgedreht ist und der Astronaut am Schluss so eine Art Vision seines  rückwärts abgespulten Lebens hat, bis er wieder zum Embryo vor der Weltkugel mutiert, und  schließlich und alles überragend Platz 1, tusch!, Maurice Ravels Daphnis et Chloé, das erste Klassik-Werk, von dem ich per Radio hörte u. vollkommen verzückt war (mit zehn oder elf, ich bekam die LP mit Ernest Ansermet und Orchestre de la Suisse romande). Sie spielen hier nur die 2. Suite und ohne Ballett, aber das macht nichts, ist auch konzertant schön. Außerdem noch das Liebestod-Dingens von Isolde-Tristan, Wagner, und nochmal Bartók, kann nicht schaden, aber das alles ist gottlob erst nach Karneval und bis dahin, hoffe ich, sind die Urinale wieder weitgehend zurückgebaut und die Stadt - von Baustellen abgesehen - nicht mehr das mit Brettern vernagelte Ende der Welt.


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  • Grade blättere ich im hiesigen Lokalblatt, da springt mir die Todesanzeige für einen netten akademischen Lehrer entgegen: Gabriel Jüssen starb den 3. Januar mit 81 Jahren, Akademischer Rat (kein Prof oder so) am Philosophischen Seminar B der Uni Bonn. Seinen Kurs über "Praktische Philosophie - Ethik" hatte ich als Einführungsveranstaltung fürs obligate "Begleitstudium" vor nunmehr 40 Jahren belegt, und ich glaube auch noch eine Art philosophische Lektüreübung über Descartes - war es so? Ich denke; also bin ich (nicht ganz sicher). Brambachs-Grab für Sängertourneeplakat eines liedermachersMir ist's jedenfalls noch gegenwärtig, wie gern ich seine Kurse besucht habe, grade weil dem Lehrer jeder akademische Hochmut fehlte und die Studierenden bei ihm ungescheut reden und fragen konnten, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist, ohne von älteren Semestern mit Allerweltsweisheiten gedemütigt und zum Schweigen gebracht zu werden ("aber Schleiermacher hat das religiöse Erleben doch sehr zentral gesetzt, mein Lieber!"; diesen herablassenden Spruch eines Conoisseurs hörte ich mal anderen Orts und in einem viel, viel späteren Seminar, da war ich schon weit über dreißig). Aber bei Jüssen kam ich, noch grün hinter den Ohren, zur Vereinbarung eines Referatthemas in die Sprechstunde und hörte zu meiner Verblüffung, dass er mich nach meinem Künstlernamen fragte - "ob ich mit demunddem Liedermacher irgendwie verwandt sei"? Etwas beschämt wie immer, wenn man meine Jugendsünden kennt, gab ich zu, ja, ich bin das selber, und zwar zur Gitarre mit eigenen Texten. Vermute mal, er hatte den Namen gelesen, weil ich einige Zeit vorher für eine psychiatrische Jugendhilfeeinrichtung in Bonn ein Benefiz-Konzert gegeben hatte, zum Besten dieser Teestube. Ich erinnere mich, mit einem Lied von Ralf Huwendiek bei einem Pärchen sehr gut angekommen zu sein, das Lied behandelte einen Flipperspieler, und der Junge von dem Pärchen war irgendwie spielsüchtig. Nun ergoogele ich, dass AOR Jüssen selbst gesungen hat, und zwar im Männerchor von Metternich-Weilerswist, und für die 50jährige Mitgliedschaft 2011 sogar eine Ehrung bekam. Vielleicht hat er sich deshalb für mein künstlerisches alter ego interessiert, von dem ich mich doch grade ein wenig verabschieden wollte, um "erwachsen" und ein toller Student zu werden, heißemagister, heißedoktorgar!, einer, der nächtelang in verrauchten Bibliothekszimmern herumsitzt (das Rauchen war, glaubt es oder nicht, noch ganz lange in der Germanistischen Seminarbibliothek erlaubt!) und versucht, "die anderen Intellektuellen auszuintellektualisieren" (Fritz the Cat). Ich hab es dann redlich versucht die nächsten Jahre, und gelernt und gelesen und geschrieben was das Zeug hält, die Gitarre ist eher untätig geblieben, aber manchmal hab ich sie doch noch herausgeholt und dies und jenes Konzert gegeben. Aber ein gescheiter Beruf wurde weder aus der einen, noch aus der anderen Tätigkeit, ich musste mich mit allem möglichen durchmogeln und das ist mir (Stichwort praktische Philosophie / Ethik) ja auf Silhouette von Bloßfeld, Gitarrenprügelei einigermaßen legale und nach meinen Begriffen geistig unkorrumpierte Weise gelungen, bisher. Andere sind Professor, Pfarrer, Bischof geworden, aber Jüssen hat sich mit dem Lehren beschieden. Morgen werden in Metternich-Weilerswist die "Rosenkranz-Exequien" gebetet (habe ich schon gesagt, dass das Philosophische Seminar B so eine katholische Sonderabspaltung infolge der preußischen Gründung der Universität Bonn war, um auch katholisch gesonnene Einheimische zu guten preußischen Verwaltungsbeamten auszubilden? die machen viel mit Thomas von Aquin und Co., von dem Gabriel Jüssen auch einige Disputationes übersetzt hat: " Ist das Lehren eine Tätigkeit des praktischen oder kontemplativen Lebens?" - Vita activa, natürlich, nach thomistischer Einsicht, auch wenn man es noch bei nachlassenden Körperkräften ausüben kann). Übermorgen wird er beerdigt. Immer wieder mal hatte ich an ihn gedacht, den netten, an meinem Liedermachergedöns so freundlich interessierten Dozenten.


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