• SAMSTAG, 17. März
    Heidelberger Hauptbahnhof, Nahverkehrszug Richtung Osterburken 11 Uhr 22 Gleis 4 b. Ein früherer Anschluß war nicht zu kriegen, von Köln aus. Den Klampfenkoffer ins Gepäcknetz, Beine auf den Sitz. Schulkinder, eine gackernde Meute, stürmten bisweilen das Abteil, um an namenlosen Bahnstationen wieder davonzuströmen. Wenn es Namensschilder gibt, enden sie auf -ach,-au-, -ingen und -burken. Einen guten Wein soll es hier geben. Der Neckar: eine faulbraune Flut; dürre Bettelsträucher hängen voll Trübsinn ihr Gelumpe hinein. Grüngewellte Hügel ringsum, säuberlich mit Obstgärten und Dorfkirchen bestückt. Weiße Magrittewolken werden auf blaßblaue Leinwand getürmt: Postkartenglück für den Großstädter.

    ADELSHEIM (Nord),
    natürlich doch am falschen Ende gelandet. Noch drei Kilometer bis zum Ort, erfahre ich von einem blonden Jüngling, bevor sein Moped ihn murrend wegträgt. Wind zerrt an den Klamotten. Ein frisches Plakat pappt am Wartehäuschen: "Bitte entnehmen Sie die Teilnehmer der Tagespresse". Sehr erfreut (was liest man denn hier so??).
    Der Kongreß macht Mittag im "Löwen". Mich kennt keiner, schmuggle mich an einen Tisch, dämpfe meine Menschenangst mit überlauten Worten (wie sonst mit Liedern - ). Stephan Rögner sieht ganz anders aus, als ich dachte. - Man bringt mir zu essen.

    ABENDS.
    Schon wo viele Gäste sind, ist viel Pack. Dreiundzwanzig aktive Liederdealer versammeln sich hier. Die einen wißbegierig, in Lumpen & Loden, mit mühselig zerfusselten Liedern und wenig Bühnenerfahrung. Die anderen leicht geglättet, den ersten Stapel Platten unterm Arm, Insidergrinsen und mediengerechte Diskussionsbeiträge. Der große Haufe zwischen den Extremen. Das Fernsehen war so, wie das Fernsehen eben ist. Bei fünf Minuten Regionalprogramm bleibt auch von der penetrantesten Profilierung (gottseidank) nichts übrig.
    Allerdings wirkt kein einziger so professionell, daß er ein solches Treffen nicht nötig hätte. Was dem Neuling sehr sympathisch ist.
    Zentral-Haupt-Über-Problem No. 1 (eins): Wie zum Teufel lernen wir, auch in großen Gruppen zielsichere, demokratische Arbeitsgespräche zu führen? Bis jetzt bloß verkrampftes Gehader, in dem der Kaffeeklatsch mit Sahne stark durchschmeckt. Fühlt sich der - stets als Einzelkämpfer ausgebildete! - neukommende Liedermacher in seiner individuell-künstlerischen Zwangsjacke besonders wohl? Liegt es daran, wenn uns das Gespräch so oft in Umwege, Einbahnstraßen, Sackgassen lockt?
    Hier und da dämmert Unmut. Themenvorgabe, straffe Diskussionsleitung etc. wird gewünscht (= der starke Mann?). Einige fahren nach Hause. Die meisten Workshops sind ausgefallen.
    Eben. In unserer Kindheit wurde, selbst bei liberalster Erziehung, alles Organisatorische von Oben entschieden. Heute sind wir erwachsen, wissen alles besser, stellen uns Ansprüche und wollen mitmischen. Kein Wunder, wenn's drunterunddrüber geht: wo haben wir je gelernt, in der Gruppe ohne Führer und Vormacher auszukommen? Also kein spezifisch künstlerisches Problem: in Bürgerinitiativen ohne "Parteiführung" dasselbe. Ein zeitraubender Lernprozeß, über den keiner jammern sollte. Mir ist das unordentlichste Geschwafel lieber als die monophone Vorlesung.
    Zweite Erkenntnis: Wer Stellung nimmt, ohne Bescheid zu wissen, neigt (auch ungewollt) zum Vorurteil. Die allerorts unerfreuliche Entwicklung unseres Staates - heimliches Grundthema in allen Gesprächen - macht es verdammt schwer, Vorurteile zu vermeiden, indem wir den Mund halten, wenn wir keine Ahnung haben. Die Leute im Knast sehen folglich vieles ganz anders und müssen uns zudem noch aufklären!
    Leider sind wir in der Überzahl und hören bloß immer von ihnen. Wer eine Knaststudie machen wollte, ist schlecht beraten. Die reformfreudige Adelsheimer Anstalt - mit Haftstrafen bis höchstens ein Jahr - ist gewiß kein besonders übel-abschreckendes Sozialghetto. Aber grade drum!, wegen ihrer Alltäglichkeit, eine Herausforderung an unser Können (der Durchschnitt ist im Lied viel schwieriger zu gestalten als das Extrem).

    DAS KONZERT.
    Viel zu viel, und von allem zu wenig. Ein friedfertig gewaltloser Sängerkrieg, der nicht mit einer Mundvoll Sätze zu beschreiben ist. Jeder verläßt sich auf das Standard-Material Gitarre / Gesang / Mundharmonika, allenfalls Flötenbegleitung, und versucht damit sein Bestes. Währenddessen stehen wir in Kleingruppen und tauschen den Eindruck aus (nicht ohne zu lästern!). Ich höre hin und stelle fest: Habe noch viel zu lernen. Besonders bemerkenswert: Ein jeder hat einen eigenen Stil, Doubletten gibt es heute abend nicht.
    Mein Auftritt war ziemlich am Ende, bis dahin schnorrte ich allerhand Flüssiges, daß der Sopran geschmeidig werde. Zu diesem Zeitpunkt, elf-halbzwölf, gefiel mir die Stimmung am besten. Die Zuschauer klebten an den Sesseln oder lagerten auf dem Boden, bewunderungswürdig in ihrer Gier und Ausdauer, und ganz Ohr.
    Ungeheure Nikotinschwaden wälzen ineinander, geistern durch den Hitzekegel der Beleuchtung. Drei Tonbänder mahlen unaufhörlich und gleichgültig mit ihren Magnetzähnen. Zuweilen zuckt ein Fotoblitz. Zwischen Instrument und Kabel geklemmt wie ein Astronaut, schwitze ich auf dem Delinquentenstühlchen und gröhle mir einen ab. Viel zu hektisch und nervös - doch der gar kostbare Zwischenapplaus war Salbe für meine zerfransten Nerven.
    Nach dem Konzert wurde im Jugendhaus gefeiert. Unsere hilfreichen Gastgeber standen wieder hinter der Theke. Für ihre Freundlichkeit möchte ich besonders danken. Nach fünfzehnhundert Worten kroch ich treppauf zu meiner Schlafcouch. Mein Hirn schwamm in Rotwein, und ein flüsterndes Bächlein leitete mich in den Schlaf.

    SONNTAG, 18. März.
    Bahnhof Waiblingen. Schmatzende Wolkensaurier werfen die ersten Regentropfen. Halbe Stunde Aufenthalt, während die Müdigkeit mein Denken eintrübt.
    Die Diskussion heut vormittag, zwischen Publikum, Knastleuten und Liedermachern war gewiß die ergiebigste. Neben einer nützlichen Kritik ging es mal wieder um Lieder & Politik. Ob im Lied die Gesellschaft kritisiert werden müsse. Ob auch Alternativen geboten werden sollten. Ob der Sänger in den Pausen (oder in den Texten) zur massenhaften Unterstützung realer historischer Bewegungen (DKP) aufrufen solle. Da flogen die Fetzen. Und manche Tür stand sperrangelweit offen, um eingerannt zu werden.
    Ich war erstaunt: hier war keiner, der sich um die Notwendigkeit politisch engagierter Lieder drücken wollte. Niemand hat vor, im stillen, fensterlosen Kämmerlein beglückende Blümchenverse zu schmieden. Jeder fühlte die Verantwortung vor dem Publikum so überschwer, daß seine Zuschauerin über zu viel Stirnfaltigkeit in den Problemliedern vom Samstagkonzert klagte.
    Und genau da liegt der Haken. Vom Lied wird allerhand verlangt: aufrichtig und kritisch, musikalisch einwandfrei und originell etc. soll es sein (möchte wissen, wieviele Bestseller-Literaten sich vergleichbaren Ansprüchen aussetzen!).
    Aber das Lied ist doch keine politische Medizin, hat doch keine schlüsselfertigen Lösungen zu verschenken - da muß der Zuschauer schon selbst für sorgen. Oder sind wir die großen Polit-Gurus? Seid doch mal ehrlich: Wir können bloß Nasen, Augen, Ohren offenhalten, unsere Erfahrungen wiedergeben, unsere - ganz persönliche - Parteilichkeit vermitteln. Möglicherweise machen es sich manche mit ihrem Handwerk zu leicht! Man darf von uns erwarten, daß wir über unseren mittelständischen Alltagshorizont hinausgehen. Wir müssen unserem Publikkum von der geschichtsabgewandten Seite der Gesellschaft berichten können (z. b. Knast), selbst wenn es das nicht gern hört. Doch ein allzu aufgeblähter Anspruch verhindert den Spaß an der Sache, ohne den keiner mitgeht.
    Mit solchen Ansätzen im Kopf liefen wir nach dem Mittagessen auseinander. Vorher wurde noch manche Telefonnummer ins Notizbuch tätowiert, und Festivals werden verabredet. Man sollte ganz andere Sachen organisieren... mit Puppen und Masken arbeiten... endlich mal über Auftrittsbedingungen sprechen...
    Alles fürs nächste Mal.

    Nachtrag: DIENSTAG, 3. April.
    Und schon schwimme ich wieder in der kleinlichen Alltagsarbeit, finde kaum Zeit zum Musizieren... Vor einigen Tagen trafen freundliche Briefe ein, aus Offenbach, Frankfurt und Berlin... Sogar ein Teller Kartoffelsalat ist mir sicher, da sag ich nicht nein. Für mich eine Neulingserfahrung, denn hier herum hat's kaum Liedermacherkollegen oder wenn, dann spielen sie mehr Irish Folk oder Rockjazz. Und im Großstadtlabyrinth verläuft man sich. Ich werde Nichtkölner!!!
    Zwei Zitate:
    1. Wo man singt, da laß dich ruhig niederschlagen. Deutsche Sänger lieben keine Zwischenfragen. (Arnfried Astel)
    2. ...muß gestehen, daß mir diese melodischen Popsongs mit ihren differenzierten Stimmungen und den manchmal sentimentalen Untertönen legitimer erscheinen als die oft verlogenen Produkte deutschsprachiger "Liedermacher" mit ihrer "Aussage"-Wut und dem dilettantischen Geklimpere auf Gitarre oder Klavier. (Franz Schöler über die neue George-Harrison-LP, ZEIT 2.3.1979)
    Müssen wir uns das bieten lassen? Ich denke nein. Das Treffen hat gezeigt, daß zumindest die Newcomer bereit sind, einem hohen Anspruch an ihr Können nachzukommen.


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  • Anmarsch zum VeedelszochKundeninformation der KVBZum kleinsten Zoch von Kölle in der Schulze-Delitzsch-Straße sei hier noch ein Link mit Bildergalerie nachgetragen. Für diesen Kleinen Umzug muß die KVB nicht ihren "Zugweg" unterbrechen wie hier die Linie 16, denn er ist nur 12 Minuten lang zu sehen - so oft fahren bei uns die Busse nicht! Wir hatten uns verpflichtet, am (darauffolgenden) Sonntag die traditionellen Kölner Schull- un Veedelszöch zu unterstützen, zumindest die Gruppe No. 13: "Das blaue Wunder von Kölle"- die aus einem Schulprojekt hervorgegangen war, Untertitel:Veedelszoch der da-Vinci-Schule "Blau ist auf jeden Fall grüner als gelb". Was wir beisteuerten, hatte meine Frau eigentlich für unsere Versorgung in den tollen Tagen vorbereitet, nämlich ein paar Liter seMona-Lisa-Kostümgruppelbstgebrauter Erbsensuppe, in die wir dann noch jede Menge Wurst würfelten. Bei dem Schulprojekt drEruocchio im Veedelszochehte sich alles um die Farbe Blau, der Kölner Stadt-Anzeiger berichtete über die wunderschönen Bildideen, blaue Produkte wurden verkauft, die wiederum der Finanzierung des Projekts dienten.  Für den Spaß, im Zug mitzugehen, musste jeder Studierende 5 EUR investieren, Geld, das der Beschaffung von Kostüm und Kamellen diente, über die vom Erlös angeschafften Kisten mit plastikverpackten Popcorn-Portiönchen hinaus hatte der findige Zug-Projektleiter, der zugleich die Schülerband organisiert hat, die auf einem vom Hausmeister gesteuerten Kastenwagen spielte,Chinesische Delegation auch noch Gratis-Quellen für Halsbonbons entdeckt ("die können wir dann nach dem Zug selber brauchen"). In der Zeitung steht dann wohl so eine winzige Notiz, bei den Roten Funken sei am Freitag um zwölf Wurfgut abzuholen, man fährt hin und bekommt sackweise Reklamepröbchen irgendeiner sponsoring-werbenden Markenfirma. Das erzählte mir der Lehrer, während wir die Suppe in mitgebrachtePapp-Dom vom KarnevalszugDom mit Geißbock im Veedelszoch Plastikteller auskellten und die hungrige, seit Stunden im Kalten ausharrende Truppe mit Brot, Servietten und Plastiklöffeln aussstatteten. - Danach packten wir Dampfkochtopf und "Kochkiste" (Styropor-Ummantelung mit herausnehmbarem Kochtopf), mit denen wir die Suppe beim Transport sehr gut warm halten konnten, auf unsere Drahtesel, verketteten die am Chlodwigplatz und sahen uns mal wieder bei der Aufstellung des Zugs um. Dabei hätten wir sogar "Tribünenkarten" haben können, die uns der Initiator der Veedelszochbeteiligung aus lauter Dankbarkeit für den Suppeneinsatz geben wollte, aber den ganzen Tag da herumzuhängen, womöglich die idiotische Lokalzeit-Kommerzkacke und den schwachsinnigen Moderator zu hören, der sich bei seiner kölschsprechenden Partnerin erkundigt, wie man "in den Rhein reinwerfen" auf Kölsch sagt - nee. Letzteres bezog sich übrigen auf das wirklich hübsche Ensemble, das die an der Hohenzollernbrücke klemmenden Vorhängschlösser thematisiert und schon im letzten Zug unterwegs war, ich glaube sogar, im Rosenmontagszug - ein besonders auffallend schön dekorierter Prunkwagen wird vom festordnenden Komitee in der Regel damit prämiiert, dass die armen, hundemüden und durchfrorenen Schul- und Viertelskinder mit ihren erwachsenen Betreuern - viele Liebesschloss als Karnevals-Themapensionierte Lehrer, die nochmal das Saxophon oder den Schellenbaum mitbringen - am Rosenmontagmorgen schon wieder um 6.00 früh auf die Walz gehen müssen, um den ganzen Tag mit den "offiziellen" Funken und PrinzengardenKölner Veedelszoch gegen Atomkraft und Musketieren etcetera herumzumarschieren. Ein zweifelhaftes Vergnügen, das nach meiner Meinung die Mona-Lisa-Kostümgruppe vom  Leonardo-da-Vinci-Gymnasium am meisten verdient hätte, ich musste schallend lachen über den Einfall und vor Bewunderung Bauklötze staunen, wie toll das umgesetzt wurde: Alle Kinder hattenKölschgläser in der Schule einen Mona-Lisa-Rahmen am Kopf befestigt, und das sah wirklich lustig aus, stellt das Thema "wer war Mona Lisa" intelligent zur Schau (auch kleine Jungs steckten hinter den Bilderrahmen) und spielt noch subtil auf die Bilderfälscher-Affaire an, die sich hier in Köln am Kölner Auktionshaus Lempertz bzw. bis November 2011 am Landgericht Köln abgespielt hat. "Wat wollt ihr vom Beltracchi, mir sin die Orijinale!", hätten diese Kinder ihre Gruppe auch betiteln können.

    Die Stimmung in der Zeit zwischen morgendlichem Vorbereiten - Aufbau der Wagen, Eintreffen der Gruppen, Lagebesprechungen, Dicke Bertha-GlockentruppeWarmspielen der Musikanten und Einüben von Tanzschritten bis hin zum eigentlichen Abmarsch um 11.11 Uhr ist voller Spannung und Verheißung. Eine süße Mischung von Vorfreude und wichtigem Ernst, mit dem alle Teams zusammenarbeiten. Einen Superstar würde man hier vergebens suchen, alle müssen sehr diszipliniert sein und sich auf Absprachen verlassen können, wenn das Ergebnis gut sein soll. Da werden Kostüme zurechtgezupft, die ja aufs Haar gleich aussehen sollen, da werden Taschen und Körbe mit dem begehrten Kamellenzeug gefüllt, ich liebe diese Atmosphäre. Veedelszoch der Friedrich Wilhelm-GymnasiastenBei den Schull- und Veedelszöch kommt noch dazu, dass nicht alles so perfekt organisiert ist, dass die Gruppen nicht so hermetisch abgeschlossen sind und nicht misstrauisch geguckt wird, ob man wohl von der Schokolade oder den Blumensträußen vorab was mitgehen lassen will. Übrigens laufen jede Menge "Zugordner" herum, fast für jede Truppe ein bis zwei, und einen hörte ich schimpfen: "Dat hat mit Spaß an d'r Freud nix zu dunn...", der musste bestimmt irgendeinen Karnevalisten zur Schnecke machen, weil er die brandpolizeilichen Konditionen nicht beachtet oder seinen Prunkwagen zu weit in den Bürgersteig hinein geparkt hatte, was weiß ich. Eine Schnecke, gewunden aus Spanholz, hatte übrigens ein Lieferwagen aus dem Quäker-Nachbarschaftsheim auf dem Dach (ich musste eine Weile nachdenken, bis ich merkte, dass es eine Schnecke ist).

    Sterne und SonnenBeim Durchgang durch die Zugaufstellung fiel mir auf, wie der ökologische Gedanke auf vielen dieser Themenwagen im Mittelpunkt steht. Fischesterben im Rhein, von Uran, Giftmüll undRheinverschmutzung als Karnevalsthema anderem Teufelszeug verseuchtes Wasser, eine Schule hat sich ganz der geplanten Einführung von Sonnenkollektoren zugewandt (entsprechende Dächer trugen die Verkleideten MS Colonia und das Fischsterbenals Hüte) und sagt "Atomstrom-nein-danke" ("Fott domet"). Einige gingen direkt als Sonne oder Sterne, und wir erlebten es, dass die heranmarschierenden Sonnen- mitten in die sich mopsenden Sternenkinder hineinliefen, was sich farblich sehr hübsch ausnahm. Das Thema Wasser wurde mehrmals angegangen, auch mit einem Loblied auf die Kölner Brunnen und den Vater Rhein, dessen kleine Gefolgschaft in blau-silbrige Tropfenkostüme gehüllt auftrat. Wie immer verliehen manche auch einfach ihrer patriotischen Emphase für Streichholz-Kostümgruppe im Veedelszochihre Heimatstadt poppigen Ausdruck, indem sie sich als "Dicker Pitter" (die Glocke des Kölner Doms) verkleideten, den Dom mit und ohne Pappnase aus Pappe nachbildeten oder den Dom selber als Jecken verkleideten, neben einem weidenden Geißbock namens Hennes (Wappentier des 1. FC Köln). Aber auch die Bildungsmisere wurde thematisiert, von einer Privatschule "Colonia Agrippina", deren Studierende als Feuerlöscher verkleidet herumliefen und "den Bildungsbrand" löschen wollten, die Finanzkrise ("Eurocchio") lieber spielen als daddelnund daraus folgende Sparmaßnahmen, "da sparste disch kapott", und Kritik an facebook übte die Gemeinschaftsgrundschule Irisweg, indem sie die Kinder als Mensch-ärgere-dich-nicht-Puppen oder Würfel verkleidete ("Echte Fründe spiele zesamme") und dem Computer-Nerd (Brille, häßlich) ein hand volleyballspielendes multikulturelles Duo gegenüberstellte. Alles diese Fußgruppen und Prunkwagen waren farbenreich und mit viel Liebe zum Detail gestaltet. Nur eine einzige, die etwas seltsam auf dem Chlodwigplatz herumtanzte (ein Rollstuhlfahrer war auch dabei), die hatte sich auf Schwarz-Weiß kapriziert, ich nannte sie die "Gruftie-Gruppe", weil mich ihre Deko an mexikanische Allerheiligen-Skelettbilder erinnerte, aber letztendlich dann doch irgendwie avantgardistischer wirkte.

    Bemerkenswert waren, neben der Chinesischen Delegation, die wir gleich zu Beginn anrücken sahen (Köln hat eine Partnerschaft mit Peking Kostümierte Karnevalistenund dieses Jahr ist da irgendein Jubiläum zu bedenken), die vier bis sechs monumentalen Streichhölzer, die wir durch die Straßen wanken sahen, und die wir später bei ihrem Mottowagen (irgendwas mit "Feuer Wagen des Quäker-Nachbarschaftsheimsund Flamme für", auf Kölsch, versteht sich) wiedertrafen. Und ein mir wohlvertrautes rechtsrheinisches Gymnasium hatte, angesichts des Karnevals-Mottos "Jedem Jeck sing Pappnas'", auch den Dichter Hölderlin umstandslos als solchen definiert und ihm diese aufgesetzt. Und dann war da noch die Rentner-Apotheke, die allerlei Süßigkeiten in beschrifteten Medikamentengläsern aufbewahrte und vermutlich ebenfalls ins Publikum warf. (Die "Kamellenschleuder" einer Schülergruppe, von der im Radio erzählt wurde, haben wir übrigens nicht in Aktion gesehen...) Kostümgruppe zum Thema WasserBesonders anrührend war das Motto "mer jonn heim" des Friedrich-Wilhelm-Gymnasiums - ihre Schule wäre um ein Haar ebenfalls in den U-Bahn-Abgrund gekarnevalistisches Hölderlin-Schulplakatrissen worden, ganz hier in der Nähe, als das Kölner Stadtarchiv einstürzte, und sie haben ihren Unterricht an verschiedenen Ausweichplätzen in Köln durchgezogen.

    Wenn ich mir's recht überlege, ist das gar kein Sakrileg, dem Hölderlin eine Pappnase aufzusetzen. Handeln nicht germanistische Doktorarbeiten ständig vom "Dionysischen" bei Hölderlin, Nietzsches und wem nicht alles? und dass der Winter am angenehmsten verlebt wird, wenn man ein bisschen feiert, hat der Dichter selber in einem seiner Wintergedichte anklingen lassen: "Doch glänzend ist der Tag vom hohen Sonnenstrahle / Es glänzt das Fest den Städten aus den Toren."schwarz-weiß-Kostümierung im Karneval Damit kann doch auch die Versammlung kostümierter bunter Schul- und Vereinsbevölkerung vor dem Severinstor am Chlodwiglatz gemeint sein. Jedenfalls blieb die Witterung, anders als angekündigt, während der gesamten Zugstrecke sonnig und einigermaßen trocken, von winzigen Nieselphasen abgesehen, und als man den Hagel hier fallen hörte, waren die Feierlichkeiten längst vorbei und die Protagonisten in der warmen Kneipe.

     


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  • DollarpiratinJa Moment, wat is datt dann? Eine nett kostümierte Piratin mit Dollarzeichen in den Augen, okay. Da werden aufstrebende Politiker aus kleinen, durchaus nicht mehr ganz harmlosen Jung-Parteien durch den Kakao gezogen. Aber neben ihr, der Typ da: Geht da einer als SDS - Sozialistischer deutscher Studentenbund? Passen täte es zum Karneval dieses Jahres, denn "Alle reden vom Wetter. Wir nicht." StraßenschildAber das SDS meint hier ausnahmsweise kein politisches Kürzel, sondern ist die griffige Bezeichnung für die Schultze-Delitzsch-Straße, die in unserer Gegend ein besonders interessantes 'Soziotop' ausmacht. Schon im vorigen Jahr fiel einem hier der kleinste Karnevalszug der Welt auf - der geht nämlich nur die eine, unspektakulär kurze Straße lang. Die hat allerdings einige recht hübsche genossenschaftliche Ein- bis Zweifamilien-Häuser aus der Werkbundepoche, so um 1905 erbaut, und man feiert hier gern zusammen, veranstaltet Kinderflohmärkte und proklamiert im Karneval sogar ein eigenes Prinzenpaar - was die Kölner können, können die Raderthaler schon lange bzw. seit vorigem Jahr auch. In dieser Saison gibt's es ein neues Dreigestirn. Diesmal wurde der Burgherr zum Prinzen gemacht.Imbissbude in Raderthal Der Imbisswirt des "Happy Happi" von der Markusstraße Ecke Schultze-Delitzsch (bzw., weil es für einen Nichtpreußen ja auch schwer auszusprechen ist, Ecke SDS) hatte im letzten Jahr seine Frittenbude, wo er sonst die gestresste Jugend der nahe gelegenen Europaschule verköstigt, zur "Residenz" erklären lassen. Heuer ist er selbst Prinz Maki I., ein echter Grieche mit ungebrochenem Selbstbewußtsein ("Ich bin en Grieche un' dunn nit kriesche", reimte er in seiner ersten Ansprache, wobei kriesche nicht "kriechen" heißt). Leider habe ich den kürzesten Veedelszoch (der sich allerdings mit dem Raderthaler Veedelszug zusammentat, um die Straße abzumarschieren) schon wieder verpasst, weil wir den Karneval bei Schwiegerelterns und Schwägern/innen ebenfalls sehen wollten, da geht der Zug fast zeitgleich und es ist hoch im Norden. Aber bei der Prinzenproklamation in der Schultze-Delitzsch-Straße waren wir dabei, und da wurde nicht nur geredet, sondern auch das Tanzbein geschwungen,Imbiss an der Markusstraße und zwar mit einem zünftigen Sirtaki von Prinz, Bauer und Jungfrau - da paßte der Männertanz natürlich richtig, denn die Jungfrau (in diesem Fall hieß sie Jupp) ist im rheinischen Karnevalsgeschehen traditionell ein Mann. Der Happy-Happi-Imbiss blieb übrigens die ganze Zeit offen, Makis Frau versorgte die Frittenhungrigen, während ihr Mann sich von der erschienenen Weltpresse fotographieren ließ. Schulzestraße würde übrigens ausreichen, der Mann hieß nur Delitzsch, weil er in diesem Ort geboren wurde (als Bürgermeisterssohn) und setzte den Ortsnamen dazu wie Hoffmann von Fallersleben oder der von Loriot erfundene Müller-Lüdenscheid. Schließlich wollte Proklamation des Dreigestirnssich Schultze-Delitzsch von anderen Politikern dieses Namens - er wurde in die Preußische Nationalversammlung gewählt - unterscheiden. Da die meisten Gebäude in unserem Viertel irgendwelchen Genossenschaften gehören, ist es naheliegend, wenigstens eine Straße nach dem Gründer des Genossenschaftswesens zu benennen. Er hat schon in Delitzsch und später in Berlin sein Leben lang Konsum- und Sparvereine und Produktionsgenossenschaften propagiert, ein Versuch, die Versorgungsprobleme angesichts der Massenzuwanderung der land- und mittellosen Arbeiterfamilien zu lösen. Der Gedanke, der dahintersteckte, war "Hilfe zur Selbsthilfe", nicht auf den Staat solle man sich verlassen, sondern eigenständige Vereine gründen, die für ihre Anteilseigner und Einzahler billiger Einkaufen, Häuser bauen oder Spargelder investieren konnten. Ferdinand Lassalle hat ihn wegen seiner Ablehnung der Staatshilfe als "Manchester-Mann" bekämpft, und tatsächlich war HDS sicher kein Sozialist oder Kommunist. Immerhin aber er ein Wirtschaftstheoretiker, der die Probleme ernst nahm,Kleinster Karneval der Welt wie eine Meldung der Neuen Preußischen Zeitung (auch "Kreuzzeitung" genannt, ultra-reaktionäres Monarchistenblatt in Berlin), zeigt (Nr. 55 vom 5. August 1864):Handytelefonieren im Karneval "Herr Schulze-Delitzsch hatte den Handwerkerverein aufgefordert, eine Tabelle der hier üblichen Lohnsätze der Arbeiter und Handwerksgehülfen nach einem bestimmten Schema auszufüllen. Nach den bisher ermittelten Resultaten haben den höchsten Erwerb unter den Arbeitern die Fuhrwerkführer, monatlich 36-44 Thlr., die Steinträger, die nur im Accord arbeiten, 36 Thlr., doch haben sie häufig Nichts zu thun und oft eine Tagesarbeit von 16 Stunden und darüber. Die Berschäftigung und Löhnung der Getreideträger ist zu ungleich, als daß irgend ein auch nur annähernder Satz sich angeben ließe. In den Zuckerfabriken und Färbereien besteht das Abkommen, daß der Arbeiter bei bei 12stündiger Arbeit, die auch Nachts eintreten kann, mit mit 13 Thlr. beginnt und von 2 zu 2 Jahren um 1 Thlr. gesteigert wird bis zur Höhe von 25 Thlrn., welche die sogenannten Meister beziehen. Frauen verdienen in Färbereien, in Kattun- und Tabacksfabriken, wo sie als Wickelmacherinnen arbeiten, zwischen 6 und 10 Thlr., Kinder (14 bis 16 Jahre alt) zwischen 4-6 Thlr., werden aber nur in Kattunfabriken beschäftigt. Sackträger verdienen im Durchschnitt 24 Thlr. Arbeiter bei Mauer- und Zimmerarbeiten, und auch nur im Sommer, 14 Thlr., Cigarrenmacher 12-14 Thler., aber nur im Accord."

    Verkleidet: Neffe und NichteHeimersdorfer VerwandtschaftAber wir wollten ja nicht von der Arbeit reden, sondern vom Gegenteil, vom rheinischen Karneval, der aber, jedenfalls wie ich ihn manchmal erlebe, weniger mit Häme, Humorigkeit und Humtata zu tun hat, sondern - glaubt's mir oder nicht - mit tiefer Melancholie und Trauer um das Vergebliche. Man hört es manchen Liedern an. Aber die Leute singen nicht mehr so viel, im Norden, wo wir den Umzug mit Familienanschluss erlebten, fast gar nicht, meine Schwiegermama sang ein bißchen mir mir, ansonsten plärrten Brings aus dem Lautsprecher und das war's. Der den Lautsprecher in seinen Kofferraum Kostümidee für Tatzengestellt hatte, war übrigens, wie meine Liebste mir sagte, "der Nachbarsjunge", als ich ihn dann sah und grüßte, war er auch schon fast fünfzig wenn nicht drüber! Doch, einmal spielten die Spielmannszüge "wenn dat Trömmelche jeht, dann sinn mer all parat", da sangen ein paar mehr Leute mit. Ansonsten sahen wir hübsch kostümierte Kinder: als Frösche, Tiger, Maikäfer (eine ganze Familie davon), weitere Verkleidungen als Prinzessinnen, Derwische, Schneemann und sogar als Kameramann, wozu aber hauptsächlich nur die vom anderen, in Dresden studierenden Neffen gebastelte Pappkamera herhielt. Cowgirl und RaubkatzenDie haben dann abwechselnd die Eltern und ich getragen, weil der Junge ja schwer an einer Stofftasche mit Süßigkeiten schleppte. Die wurden massenhaft geworfen, - das geht hier anders zu als in Kleve, wo, wie ich grade telefonisch erfuhr, die Kinder an den Türen betteln müssen, hierzulande kommt der Prunkzug vor ihre Haustür und wirft die Goodies massenhaft herunter! (den Kleinsten, wenn sie ganz vorn stehen, stecken die kostümierten Fußtruppen das Zeug gleich in die aufgehaltenen Tüten.)Kleinster Karneval der Welt Und alle Anrainer und Umstehenden bückten sich nach zuckrigen Lutschern, Popcorntüten, Billigschokolade, die im Hals kratzt, nach dicken Kamelle werden geschmissenharten Kaugummis, bunten Billigbonbons, Gummibärchen (ein Neffe ging als blaues Gummibärchen, ich hab das Kostüm aber nicht erkannt) und anderem Kram, einzig eine Schachtel Mon Chérie und ein Lebkuchenherz mit der Aufschrift "Hab dich lieb!" stach aus diesem Pfennigsangebot heraus und waren etwas hochpreisiger und begehrenswerter. Ich knöpfte meinem kamerascheuen Neffen für's Tragen auch noch ein "Strüßjer" ab, das ich meiner Frau schenkte. Ach ja, in der Schulze-Delitzsch-Straße fand ich 2x Glückspfennige, noch bevor der Zug losgegangen war: ein 2-Cent- und ein 1-Cent-Stück! Geld brauchten wir übrigens nicht, da es nichts zu kaufen gab; an Büdchen vor den Türen der SDS hätte man mit Bons Liedtexte in Fotokopie und Kölsch erwerben können, in Heimersdorf hatte jemand Kölsch in Flaschen besorgt, das offenbar neuerdings eine geographische Herkunftsgarantie mit einem Qualitätssiegel besiegelt. An den Kostümen fiel mir ins Auge, dass recht geschickte Kostümschneider nicht nur Raubkatzenfelle nachahmten, sondern auch entsprechende Tatzen aus Handschuhen genäht hatten, die man über das Schuhwerk legen Karnevalskostümekann - richtig gute Idee! Von den Zug-Gruppen waren übrigens die "Verliebt in Kölle" die schönsten, Moderne Bierflaschen-Tüvsiegeldie hatten eine stilisierte goldene Hohenzollernbrücke im Haar und waren über und über mit Pappschlössern behängt, die versuche ich morgen zu fotografieren. Meine Kamellen-Funde hatte ich an die Kinder abgegeben, da ich kein Biertrinker bin, war ich stocknüchtern, eine Käsesuppe verursachte bei mir Magendrücken und Laktose-Unverträglichkeit bei meiner Frau, und hundemüde war ich auch. So war alles in allem unser erster Karnevalstag in diesem Jahr beschaulich, das Vergnügen übersichtlich, das Wetter zwar nicht regnerisch, aber nicht grade warm, aber die Stimmung okay und das Veedel, in dem wir wohnen, auch zur Humba-täterä-Saison richtig angenehm. Im nächsten Jahr aber will ich wirklich den kleinsten Veedelszug in unserem Viertel sehen!


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  • Ja, wat es datt dann? Gut, außerhalb Kölns muss man's erklären. Da stelle mer uns janz dumm. Fällt uns Kölnern ja auch sonst nicht schwer. Divertissementchen heißt jene karnevalistische Bühnenkunst, die sich der junge Offenbach angeguckt hat, bevor er mit seinem Bruder (übrigens mit Hilfe von Spenden begeisterter Kölner,Opernvorhang der Stadt Köln die "dat Jaköble" als musikalisches Wunderkind liebten!) nach Paris geschickt wurde, um Cello zu studieren und die Operette zu erfinden. Und wie die städtische Puppenbühne Hänneschen, der Tanz des Funkemariechens, das Zeltlager der Hunnen (und anderer, meist um 1900 von Ethnologen gegründeten Kostümgruppen) sowie das Sitzungswesen bis hin zur Stunksitzung gehört das Divertissementschen zu den Vorvergnügungen der Kölner Karnevalssaison, die sich, was viele nicht wissen, vom 11. im 11. um 11 Uhr 11 bis Fastnachtsdienstag 24.00 erstreckt - zuletzt kommt das Abhängen des Nubbels (mancherorts auch "Peias" genannt),Casting-Show im Kölsche Riviera der vom Giebel über der Kneipe genommen, in einer sonderbaren Schwarzen Messe verbrannt und betrauert wird. Ich bin ja kein geborener Kölner, sondern komme aus Schlesien bzw. bin im Rechtsrheinischen geboren (liegt für hiesige Eingeborene genauso tief im grausen Osten und ebenso verloren), und nehme vom Karneval immer nur in großen Etappen mit, was sich mir anbietet: so habe ich zweimal die Puppensitzung gesehen, fand die knisternde Atmosphäre bei der Aufstellung der Karnevalswagen am Rosenmontag gut (Musikinstrumente auf dem Pflaster abgestellt, kostümierte Funkemarieche laden Bonbonmassen in die Schiffsbäuche, uniformierte Fußtruppen kriegen Suppe aus der Gulaschkanone) und mochte immer die Schull- und Veedelszöch mit ihren kreativ-selbstgebastelten WagenTorte beim Atelierfest (auch wenn selbst der harmlose Kinderkarneval furchtbar repräsentativ geworden ist und inzwischen genauso seine Stars und alternativlinke Stunkfeten zeitigt). Und dieses Jahr war ich - einem gewerkschaftlichen (gut dass meine Liebste noch nicht ausgetreten ist) Kartenkontingent sei Dank -, zum erstenmal beim "Divertissementchen". Erste Überraschung: das Ganze fand im Opernhaus statt, und ich dachte, die residieren doch in der Wolkenburg, einer für Festivitäten mietbaren Prachtresidenz südlich des Neumarkts, weshalb die Spielvereinigung, die aus dem 1842 gegründeten Kölner Männergesangverein e. V. hervorgegangen ist (für den bereits Verdi ein paar Stücke komponiert hat!), sich schon immer "Cäcilia Wolkenburg" nannte, nach der Schutzheiligen für Musik. "Zillche" nennt man wohl auch die Aufführungen hierorts, diesen Begriff habe ich aber erst in einem Prospekt gelesen. Da die Oper in Köln traditionell einen besonders guten Chor hat (Massen von Statisten werden, phantasievoll aufgetakelt und eindrucksvoll gestikulierend, in fast jede Inszenierung eingebaut, das kommt billiger als die teuer einzukaufenden Diven und Solisten),Atelierfest beim Maler Riepenhahn nehme ich an, etliche Mitwirkende - alles Laiendarsteller! - haben diese Bretter schon zuvor betreten. Aber eben nicht alle, und das ist sicher ein Wagnis und aller Ehren wert, wenn man nicht grade beruflich auf ihnen zu stehen gewohnt ist. In der Wolkenburg finden Karnevalssitzungen und Bälle statt, aber mit ihren Singspielen, den "Zillchen" beschlagnahmt der Verein offenbar jedes Frühjahr für ein paar Wochen das Opernhaus, wo infolgedessen Alban Berg, Puccini und Lortzing nix mehr zu kamellen haben. Und jetzt kommt der zweite, unverzichtbare Bestandteil: außer den Sängern des Kölner Männergesangvereins wirken auch noch Balletttänzer (heute mit drei t) mit, die tttraditionell  aus der Belegschaft von Bühnenarbeitern der Stadt Köln rekrutiert werden, weshalb sich dieses besondere Ensemble "Wolkenschieber-Ballett" nennt. Und last but not least braucht man auch noch ein Orchester, das in den Graben passt, in diesem Fall die "Bergischen Symphoniker", die, wenn sie nicht durch Opernmuckenerfahrung ausreichend abgebrüht sind, ihrem Auftritt in dem riesigen Bühnenhaus am Offenbachplatz gewiss auch mit Herzklopfen entgegensehen.

    Erstmal fiel uns auf, dass die Mehrzahl der Gäste ein durchaus ungewohnt-kleinbürgerliches Bild bot. Man war nicht heftig kostümiert, sondern geschmackvoll festlich gekleidet, mit dem einen oder anderen symbolischen Karnevals-Accessoire von der Pappnas bis zum Kapotthut. Und alle waren gleich schon guter Laune, vielleicht war hier und da schon dem Gott Schampus gehuldigt worden. Dann war da ein wirklich hübsches Bühnenbild, dWolkenschieber-Ballerinasas die meiste Zeit über eine Kölner Hotelgastronomie zeigte, die "Kölsche Riviera", direkt am Rhein gelegen, über den später auch allerlei Rheintöchter einschwebten (Ballerinas), mit König Ludwig von Bayern im Schlepp, der sich allerdings nicht im schwanförmigen Nachen, sondern in einem überdimensionalen Quietscheentchen einschiffte. Das wäre doch auch mal was für eine modern aufgefasste Lohengrin-Aufführung! Nun zur Handlung des Divertissementchens. Erstes Bild: In dem Hotel ist das Wahlbüro der deutschlandweit ersten Oberbürgermeisterin (wir schreiben das Jahr 1900 und nur wenige Zerquetschte). Ulla von den Sinnen hat durch Einführung eines "Männertags" am Vorabend ihrer Wahl, mit Freibier bis zum Umsinken, die Wahlbeteiligung auf ein so niedriges Niveau gedrückt (13 %), dass die an die Urne geeilten Suffragetten eine überwältigende Mehrheit ernteten. Nun will Ulla eine Frauenquote einführen und dafür sorgen, dass im Kölner Dreigestirn die "Jungfrau" wirklich von einer Jungfrau gegeben wird (muss man sicher auch erklären: also, Prinz, Bauer und Jungfrau werden im Kölner Karneval traditionell von Männern verkörpert. Und wo wir grade dabei sind, muss noch was erklärt werden, denn ausnahmslos ALLE Rollen im Divertissementchen werden von Männern gespielt, in dem ganzen Ensemble gibt's nur 4 Frauen: einzig und allein Souffleuse, Kostüm- und Maskenbildnerin sowie die Choreografin, die das Ballett mit den Herren der Schöpfung einstudiert!) Weiter geht's im Handlungsstrang: Man beginnt ein Casting, dabei werden von 111 Jungfrauen 108 wieder nach Haus geschickt und die übrigen 3 für nichttauglich erklärt, eine davon ist die Nichte der Oberbürgermeisterin. Jetzt bringt einer aus der Jury, der Kölsch-Professor Jan op de Hippt, das neue Modell des (mit Rockermanieren und Pferdeschwanz den Aktionskünstler HA Schult abkonterfeienden) Malers Cajus Riepenhahn ins Spiel: die Dresdnerin Eleonore Pagensteert, die aber leider nur säggsisch spricht und daher erstmal einen Crash-Kurs in Kölsch absolvieren soll. Cancan der KöniginnenReigen der KöniginnenFolgt natürlich die übliche Henry-Higgins-Pygmaliongeschichte. Natürlich ist Professor Higgins auch hier ein Hagestolz, der es im Eifersuchtsdialog mit dem Maler zuerst weit von sich weist und erst ganz am Schluss merkt, wie er sich in die Schülerin verliebt hat. Auf Eleonore, die sich in Lilly Schmitz umbenennen muss, sind viele scharf, auch der sprachfehlerbehaftete Schuhfabrikant Heinz Harald Herkenrath, der ihr einen Stöckelschuh nach dem anderen und zum Schluss ein paar Hauspantoffeln andienen möchte. Am Schluss versagt sie bei der 2. Strophe eines sonst perfekt einstudierten Karnevalslieds, trotz Hilfe der Professor-Higgins-Mutter und ihrer Freundinnen Finchen Knirps und Walburga Schimmelpfennig. Die OB setzt ihre Nichte durch, die sich dann als schwanger entpuppt, war also nichts mit "Jungfrau"; die Sächsin wird per Akklamation gewählt, dankt aber ab und will abreisen, aber in letzter Sekunde eilt der Kölschprofessor jappend zum Bahnsteig und...

    Lieblingssätze, die in dem Stück fallen: "Wo Jungfrau drop steiht, muss auch Jungfrau drin sinn", "Kann dat dat dann?", "Nett ist die kleine Schwester von doof"; "Sag mal: 'Halleluja - Wellblechteller halten länger" oder der Dialog der Riviera-Wirtin mit einem Gast: "Servieren Sie mir heute mal etwas, was ich noch nie hatte! - Dann würde ich's mal mit Hirn probieren", und noch einige andere. Bühnenbild: Botanischer GartenEin paar aktuelle Anspielungen auf den Streit des (gegenwärtigen, ziemlich männlichen) Oberbürgermeisters mit dem Opernmeisterbürger, der sich wegen der Etatkürzungspläne krank gemeldet hat, blitzten auch noch auf. Alles, alles gespielt von Männern, die kräftig singen und beim Cancan reichlich Bein zeigen müssen. Der Rest ist eine Abfolge von Kostüm-, Chor- und Ballettorgien: Nacheinander kommen ein Atelierfest mit der aus einer Torte springenden Eleonore (dazu das Ballett der "Tortenheber aus Nippes"), die nicht nur "Happy Birthday, Mistah President" ins Mikrophon haucht, sondern zugleich das sich im Aufwind aus dem Tortenausstieg nach oben bauschende Plisseeröcklein lotrecht nach unten halten muss, damit der Marylin-Monroe-Auftritt nun wirklich von jedem verstanden wird; eine bajuwarische Einwanderungs-Szene Bayern-Ballett und Ludwig II.(Reisende im Hotel) mit Schnadahüpfln, Schuhplattler, Jodeln; eine Modenschau mit Gastauftritt von "Karl Laberfeld" in der Flora (wo Kornelia im Juli ihre Scherenschnitte ausstellt) - noch ein tolles Bühnenbild! - , eine Pressekonferenz und ein Festbankett der Frauenhilfe e. V. mit Vorstellung der Dreigestirn-Kandidatin, dazu Zwischenakte mit Krätzchensängern (wat en Krätzchen is, dat krieje mer später). Die Musik ist eine Abfolge parodistisch interpretierter Opern-, Operetten-, Walzer- und Schlagermelodien. Beim Bayern-Chor werden die hochdeutschen oder bayrischen Texte übrigens mit dem Untertitel-Leuchtschrift-Generator, der sonst für das Verständlichmachen italienischer Opernlibretti gedacht ist, ins Kölsche übersetzt! Das Wagnerlibretto vom Lohengrin wurde dementsprechend umgedichtet und endet in der uralten Beschwörung des Kölschen Boor und seiner reichsunmittelbaren Rechtsstellung, an der er gefälligst festhalten soll, "et fall süß öv soor", ob's ihm schwer oder leicht fällt.

    "Seht! Seht! Welch ein seltsam Wunder! Wie? Ein Schwan?
    Ein Schwan zieht einen Nachen dort heran! Ludwig II. als Lohengrin
    Ein Ritter drin hoch aufgerichtet steht!
    Wie glänzt sein Waffenschmuck! Das Aug' vergeht
    vor solchem Glanz! Seht, näher kommt er schon heran!
    An einer goldnen Kette zieht der Schwan!"

    "Wä kütt dann do?
    Dä kom doch fröher met enem Schwan.
    Et stemp, dat dä als lang nit mieh kann.
    Heil Ludwig, König, herzlich sei gegrüßt!
    Bleib unser Sonnenkönig, auch wenn's gießt!
    [...] Och mir han jedes Johr ne neue Prinz.
    En Kölle!
    Dä heiß bei uns dann: Tollität!
    Nit nur en Düx. Nä, och en Neppes!
    Frei es uns Stadt un soll et sin en alle
    Iewigkeit. Su soll et sin in Iewigkeit
    Halt fass, halt fass, hat fass am Rich,
    do kölsche Boor!"

    Für die Kölner war der Kaiser eben immer weit weg. Und weil Köln nie erobert worden ist, lässt es seine Stadtfreiheit im Bild der "Jungfrau" Colonia Jahr für Jahr feiern. Warum aber die regierende Jungfrau wie Prinz und Bauer ein Mann ist? Im organisierten Karneval der Stadt Beuel wurde schon 1824 (!) ein Damenkomitée gegründet, und ein Aufstand der Beueler Waschweiber soll zur Einführung des Feiertags "Wieverfastelovend" (Weiberfastnacht) geführt haben. Das Kölner Tanzmariechen ist hingegen eine Erfindung der Nazis, die 1938 und 1939 auch eine weibliche Jungfrau ins Dreigestirn abkommandierten. Denen war die transgenderöse Machtübernahme (immerhin erhält das Dreigestirn um 11.11 an Weiberfastnacht die Stadtschlüssel!) wohl verdächtig. Trotzdem, Köln ist weiblich wie das rheinische Matriarchat, schließlich heißt die Stadt ja eigentlich "Altar der Agrippina". Colonia - Soldatenkolonie - ist bloß ihre Funktion gewesen. Und wahrscheinlich haben schon die Soldaten bei ihren Saturnalien unter Verzicht auf weibliche Rollenbesetzungen tanzen müssen. Daher gibt es heute das Wolkenschieberballett und die Cäcilia Wolkenburg...

     


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  • Wenn man nicht grade auf dem Land lebt, gibt's eigentlich immer in der Nähe irgendwelche Kulturangebote, bloß geht man nie hin. Wer selber gelegentlich zu Lesungen, Ausstellungen und dgl. einlädt, kennt das. Immer ist irgendwas anderes wichtiger. Selbst wenn es nix kostet, die Theaterkarten gleichzeitig für Busse und Bahnen gelten und man schon eine Ewigkeit nicht mehr in der Stadt war - gähn, irgendwie geht der Feierabend vor, und ein andermal ist ja auch noch Gelegenheit. Dabei sind die meisten Kunstmomente ausschließlich im Hier und Jetzt möglich, und wer nicht kommt & live dabei ist, kriegt das Beste nicht mit. Nehmen wir nur die Musik! Und da wollen die meisten auch nur, wenn schon, denn schon, ins Musicaldome oder zur Arena in Verona oder aufs Heavy-Metal-Festival nach Wacken (oder in den Film zur Musik) oder zu diesem TV-Kabarett-Heini hart an der Grenze, dessen Programm sie doch von Rundfunk und Fernsehen schon in- und auswenig kennen. Erlebt man auch bei Lieblingsfilmen: Manche NacLandesjugendorchester Schleswig-Holsteinhbarn bewegen die Lippen, weil sie den Text mitsprechen. Klar, keiner will als verschnarcht gelten, alle haben das neueste App auf dem Ultra-Smartphone. Aber wehe, jemand kommt ihnen mit sogenannten "Neutönern" (von Klingeltönen ist hier nicht die Rede), grusel, grusel! Wenn sie sich überhaupt mal in ein e-Musik-Konzert verirren, soll das schön Tschaikmozarthoven und Händelsohn-Bacholdy sein. Das allermodernste, was sie sich antun, ist vielleicht ein klitzekleiner Strawinsky, der muss aber auch schon zwischen zwei dicke Ohrwurmbrötchenhälften mit Klassikertunke gepackt werdAuftritt des LandesJugendEnsembles Schleswig-Holsteinen, am besten gleich als zweites, oder drittes Stück (damit nicht alle schon bei den ersten Takten türenschlagend rauslaufen) und erst nach der Pause kommt der Promiteufelsgeiger mit der Punkfrisur und dem entzückenden Vier-Jahreszeiten-Vivaldi. Wie gut, dass es die GEMA gibt. Wenn die Leute, die über GEMA-Gebühren stöhnen, wüssten, WAS damit alles finanziert wird, sie würden sich noch vor dem Grabe rumdrehen bzw. freiwillig reinhopsen: z. B. Konzerte für (brrr!) zeitgenössische Musik! Aus einem besonderen Fond kann sich der Künstler,"Thoughts of ChAnGEs" von Krampe der es mit einer Komposition der Gegenwart aufnimmt, was abholen, um die Aufführung zu finanzieren! Dasselbe mit den Rundfunkgebühren, die GEZ-Kohle ist auch nicht nur dafür da, die Dienst-LKWs zu betanken, mit denen hochdotierte Intendanten tonnenschwere Ladungen von Bambis, Grimme- und Echo-Preisen zur Abwurfstelle transportieren, sie finanzieren damit auch, höret und staunet, Musik der Gegenwart! Selbst der Bundesbeauftragte für Kultur und Medien hat dafür eine offene Börse, und bezahlt mit den so dringend für die Bankenrettung benötigten Steuergroschen das atonale und unrhythmische Gefiepe, Gejaule und Getrommel.... Und weil das ja bekanntlich kein Mensch hören will außer ein paar Frequenztechnikern, bekifften Dadamaxen (die sich hierzulande gern mit einem fröhlich schallenden "Max Ernst!" verabschieden, worauf man mit "Max Bruch!" antworten muss) und sonstigen Wirrtuosen aus der Musikhochschule, locken Sender wie der Deutschlandfunk dann auch noch mit kostenlosem Eintritt, wie wir jetzt erfahren durften, sowie Gratis-Sekt, -Saft und -Kaffee in die Säle! So geschehen letzten Samstag im Raderberger Kammermusiksaal beim "Netzwerk Neue Musik" unter dem kryptischen, Außenstehende und Uneingeweihte von vornherein abschreckenden Slogan "08*n*n*m*11". Sollte das wohl heißen, es findet 2011 zum 8. Mal statt? Hier und in der Kunststation St. PeterAuftritt des LandesJugendEnsembles Schleswig-Holstein gab es allerlei von Mauricio Kagel (das berühmte Zwei-Mann-Orchester, komponiert im Zeichen erster Einsparmaßnahmen als Auftragsarbeit zum Thema "Zukunft des Orchesters" für Donaueschingen), John Cage und Yannis Xenakis zu hören. Im Rathaus-Glockenturm ertönte am Samstag um 12 noch Karlheinz Stockhausens Tierkreis. 12 Melodien der Sternzeichen, aus dem mir mal die nette US-Flötistin und Stockhausen-Schülerin Camilla Hoitenga privat vorgespielt hat (eines der Tierkreise ist ihr gewidmet, wenn ich mich recht entsinne). Gut, alle drei Komponisten sind keine ganz unverbrauchten Schößlinge mehr, sondern gestandene Festmeter in der Baumschule der Klassischen Moderne. Aber trotzdem: "Der Eintritt zu allen Veranstaltungen ist frei. Die Plätze sind begrenzt - wir empfehlen frühzeitiges Erscheinen", haha! da lachen ja die Hühneraugen, so drohte man wie Kindern mit dem Zeigefinger auf den Flyern und Plakaten, aber außer uns zweien und waren grad noch fünf, sechs bebrillte pensionierte Alt-Existenzialisten (schwarzer Rollkragenpulli!) gekommen, die übrigen Enthusiasten hatten ihren Messestand im DLF-Foyer zu betreuen, kamen von der Redaktion der Zeitschrift für Instrumentenbau oder gehörten dem zahlreich aus Schleswig-Holstein erschienenen Orchesternachwuchs an, der gleich aufspielen sollte, nach der Podiumsdiskussion, die kaum beachtet im Hintergrund plärrte. (Aus Kiel war eine Playmobil-Ausstellung angereist, die Werke von Mauricio Kagel mit einer Straßenlandschaft, Autos, Fahrrädern, vielleicht auch Stuttgart-21-Demonstranten kombinierte.) Leider gab es, als alles saß, eine selbstverliebte Endlos-Laudatio des Redaktionszuständigen - man umhalste sich und übergab CD-Pakete - auf den mutmaßlichen "Macher" des Festivals, der daran erinnerte, wie man den Verein, der es veranstaltet, in einem schalldichten WDR-Konferenzraum gegründet habe, ich weiß es noch wie gestern, als zur selben Zeit das Sturmtief Kyrill das Gerüst vom Kölner Dom ins darunter liegende Dionysos-Mosaik krachen ließ, und jetzt, wo man sich im DLF treffe, wüte Sturmtief Joachim, aber der DLF-Turm stehe noch usw. usf. Aber irgendwann war das anekdotische Gesabber von Anno Dunnemals vorbei und konnte die "Jetztmusik" starten: Varèse & Boulez waren schon am Nachmittag drangewesen, man begann mit John Cagens Variations I, dann ein mir bisher ganz unbekannter Robert Krampe, der 1980 als Stipendiat der Villa Massimo geboren wurde (na schön, von John Cage weiß ich auch hauptsächlich, dass er mal für den WDR eine aleatorische Komposition nach den Ergebnissen seiner I-Ging-Stäbchenbefragung zusammengewürfelt hat), und dann wieder Cage: Konzert für Orchester und "präpariertes Klavier", was ich besonders liebe, weil wir das im Musiksaal unseres Gymnasiums auch immer gern gemacht haben, z. B. ein Plastiklineal in die Innereien des Flügels legen, um die Kieler Kagel-Aktion im DLFReferendare zu schocken. Obwohl ich immerhin eingestehen muss, dass es nachträglich gesehen vielleicht ein Fehler war, sich durch entschlossenes Falsifizieren der Tonlage beim Vorsingen vor dem Schulchor zu drücken, immerhin gehört ein großer zeitgenössischer Komponist zu meinen Mitschülern, der heute gern mal in New York, London oder Peking dirigiert, er hieß so ähnlich wie Krawuttke, und mir fiel fast der Kitt aus der Brille, als es mal im Radio hieß, die Philharmoniker brächten nunmehr Werke von Beethoven, Rachmaninoff und Klauspeter Krawuttke zu Gehör... so weit hab ich es als Bänkelsänger nicht gebracht. Nun aber dirigierte mit schwungvoller Gestik ein Mensch namens Johannes Harneit das ca. 25köpfige LandesJugendEnsemble Neue Musik (die schreiben das so, mit den unvermittelt das Wort aufsperrenden Großbuchstaben), und der ließ die Quietsch-, Jaul- und Blubbertöne und perkussiven Knaller wie mit Zauberhand herauswachsen aus vielen Instrumenten. Wobei das Stück von Krampe (Thoughts about ChAnGEs), vermutlich als hommage in den Tonarten "C A G E", eben nicht dirigiert wurde und daher besonders anspruchsvoll war, denn die Musiker sollten möglichst zwanglos auf der Bühne herumlümmeln und ihre Einsätze kamen danDeutschlandfunk am Abendn ziemlich unvermittelt, man guckte sich so um und zack, schon war mit "plidderdamplom" die Harfe, "dremmeldibumm Klickboms" das Schlagzeug oder "bröööööööööötz" mal wieder die Basstuba an der Reihe. Im Cage-Finale wurden zwei weiche Bleche hochgehalten, wie sie sonst der Theaterdonnerer zu brauchen pflegt: wudel-wudel-brommelbrommelBROMM!, das fiel sehr ins Ohr. Mit Inbrunst bearbeitete hierzu Solistin Ninon Gloger die Klaviatur, doch statt perlender Brillianz kamen, dank präparierter Saiten, nur mehr gequälte, stumpfe Ächzer aus dem Flügelkasten. Und die hübsche Harfenistin mit dem langen Haar hätte sicher lieber melodische Weisen gezimbelt, anstatt nur ab und zu mit der Hand hineingreifen und "twäng" machen zu dürfen. (Warum hab ich eigentlich noch nie eine geschorene Harfenistin mit Irokesenbürste gesehen? Wegen Pentangle: "They took three locks of her yellow hair, / Lay the bairn tae the bonnie broom, /And wi' them strung that harp so rare..."?) Aber alles in allem war es sehr angenehm zu hören, wirklich. Ein bißchen wie Strecken und Recken nach langer Bettlägerigkeit: Ungewohnte Klänge im Ohr sind auch ein Genuß! Die seltsamsten Fiorituren und unvermutete Konsonanzen... Kaum zu glauben, dass das alles streng nach Noten in der Partitur stehen soll. Bei den letzten Variations von Cage vor der Pause wurde mir wohl etwas zu meditativ zumute, da duselte ich im Zuschauersessel ein - das passiert mir, sei's Tosca, sei'sTraviata, selbst in den schicksalhaft-tragischsten Opern - und schmatzte selig und satt (war wohl der Schampus, der mir noch auf den Lippen lag), bis meine Frau mich mit dem Ellbogen anstieß, ansonsten blieb ich aufmerksam und konzentriert sitzen, hatte richtig Spaß an der Sache und nicht die mindeste Neigung, türenschlagend aus dem Saal zu stürmen.

    Die Musiker waren jedenfalls mit Feuereifer und rührendem Ernst bei der Sache, handhabten ihre wunderschönen Instrumente mit der jungen Menschen nun mal eigenen und eine Zeitlang fast unveräußerlichen Grazie und, wie meine Mutter immer sagte: "Was man mit Butter und Eiern verdirbt, das kann man immer noch essen!" Dieser Satz scheint mir vollumfänglich auch für die Neue Musik zu gelten. Und dann auch noch bei freiem Eintritt und mit Gratissekt - das lassen wir uns nicht mehr zweimal sagen!


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