• Kreuzen Sie an, was sie nicht lassen können II

    "In diesem Augenblick erlosch die Kugel, welche die Zelle erleuchtete, und ließ uns in tiefem Dunkel. ... Als ich darüber grübelte, fühlte auch ich meinen Kopf von Betäubung befallen. Meine Augen, die ich offen halten wollte, schlossen sich trotz meines Widerstrebens. Offenbar waren den Speisen, welche wir genossen, Einschläferungsmittel beigemischt!"

    ausguck von der nautilisWarum muss ich beim Anblick dieses unjungen, übernächtigten und durch Bartstoppeln recht angegammelt wirkenden Zausels, der unter einer Leselampe aus der Belle-Époque an seltsamen Papieren (Seekarten? Kreuzworträtsel? Steuererklärung?) herumkritzelt, immer an Kapitän Nemo aus 20.000 Meilen unter dem Meer denken? "Nie gab es mehr zu tun", bellen mich seine Slogans an, wir sollen jetzt endlich mal "die großen Herausforderungen unserer Zeit innovativ und nachhaltig lösen", es gelte "Verantwortung zu übernehmen", dazu sei er, Kapitän Nemo, "bereit". Hätte er das nicht längst machen, seinen Aktionismus schon vor vier Jahren ausleben können? Damals fand die Wahl an einem 24. September statt, die Regierungsbildung konnte aber erst am darauffolgenden 14. März geschehen. Merkels Regierungskahn war nicht länger als dreieinhalb Jahre unterwegs, er konnte nicht früher ablegen - denn Nemo wankte nach wochenlanger Verhandlung mit dem Schiffseigner die Reling hinunter, weil er doch lieber einen Landgang wollte - lieber nicht navigieren, als schlecht navigieren, ließ er sich in der Spelunke vernehmen. Als die Ersatzmannschaft aus der SPD angeheuert wurde, die nicht so schnell seekrank wird, tauchte der machtvergessene Windjammer für lange, lange Zeit unter.

    Wie kam es eigentlich, dass die FDP über Jahrzehnte an der Regierung war, ohne dass es sich (von Ausnahmen abgesehen) bemerkbar macht? Weder wurden sie zur Rechenschaft für die Misswirtschaft gezogen, die sie so gern anprangert, noch hat man's gemerkt, solange ihre Parteifreunde Ämter innehatten (Ausnahmen waren die wenigen Guttaten der sozialliberalen Ära, z. B. durch den unspektakulär auftretenden, heute komplett vergessenen Justizminister Engelhard, der den Strafvollzug reformierte). Wir haben hier in NRW eine Bildungsministerin, von der die meisten gar nicht wissen, dass sie von der FDP ist. Am besten sagt man es auch nicht weiter. Die Schulen auf, die Schulen zu, Maske rauf, Maske runter, Lüftung ja, aber nur wenn's nichts kostet, und im Zweifel brummen wir die Verantwortung den Direktoren oder den Lehrern selber auf. Solange der hiesige Ministerpräsident auf Erfolgskurs bleibt (blieb, wird man nach dem 26.9. sagen), wird koaliert, bis die Schwarte kracht. Wobei sich der FDP-Kapitän und sein NRW-Steuermann so wunderbar verstehen, dass sie nun auch das Berliner Regierungsschiff kapern wollen. Mal gespannt, welchen Kurs sie einschlagen. Wie ich hörte, sei er für das Finanzministerium vorgeschlagen, wenn ihm das nicht der Vogel Black Rock (alias Friedrich Merz) vorher wegschnappt.

    Hatte es die FDP nicht vor Jahren, was sag' ich, Jahrzehnten mit dem Datenschutz? das war damals doch ein echtes Plus gegenüber anderen Parteien. Davon ist auch noch was übriggeblieben, die Allergie gegen den Ankauf von Steuersünderlisten und ihre Auswertung. In NRW wurden als erstes Steuerfahnder aus dem Verkehr gezogen und versetzt, weil sie mit Schweizer CD-Roms Hinterziehern auf die Spur kamen. Gegen die CD-Roms (oder USB Sticks?) wurde erfolglos geklagt, es war rechtens, sie zu benutzen. Das war noch vor Abschaffung der Windenergie und den weiträumigen Lizenzen für den Braunkohleabbau. Und jetzt lese ich, wie die FDP über Datenschutz denkt, in ihrem Parteiprogramm (Kapitän Nemo beherrscht zwar Französisch, Englisch, Deutsch und Latein, aber ich nehme die Version "in leichter Sprache"):

    Die Polizei muss bessere Computer bekommen. 
    Damit nicht so viele Straftaten passieren können. 
    Und damit sie die Straftäter schneller finden kann.

    Was ein Straftäter ist? "Er klaut teure Sachen in einem Geschäft... zeigt Bilder im Internet, die er nicht zeigen darf... oder er verletzt einen kanu-slalom am Rheinuferandern Menschen." Steuerdelikte fallen offenbar nicht darunter, sind wohl "in leichter Sprache" nicht zu erklären. Ich habe lange drüber nachgedacht, wie dieser Nemo eigentlich Käpt'n geworden ist, und kam am Ende zu dem Schluss: die FDP suchte einen, der viril wirkt wie der selige Möllemann, ohne Schnäuzer & Antisemitismus, aber nicht schwul wie der selige Westerwelle. Allerdings kann auch Kapitän Nemo nicht so gut mit Frauen. Er beginnt zwar schon morgens den Tag mit ihnen, z. B. rund 300x hintereinander mit seiner Mineralsekretärin, oder wacht morgens neben Claudia Roth auf, weil er sie angerufen hat, hahá haha, aber wenn ich mir überlege, dass der 43jährige kürzlich den Herzenswunsch äußerte, sich mit seiner derzeit Festen ein Kind zusammenzutelefonieren, tut mir dieses Kind, das den Vater nach dem Heranwachsen nur als Jubelgreis erleben wird, leid. Darum bin ich gegen die Wahl von Kapitän Nemo, der soll besser ganz viel Zeit für seine Familienplanung haben. Vielleicht kann er den Kredit der FDP, den er vollends verspielt hat, abkindern? Und letztlich, Umfragewerte sind noch keine Wahlergebnisse. Vielleicht nutzt es ihm gar nichts, dass er immer wieder haarscharf am Coronaleugner-Sprech und AfD-Populismus entlangschrammt. Vielleicht kriegt die FDP ja am Wahltag Ergebnisse in der Preislage, die sie 2013 gekriegt hat und meiner Meinung nach leider noch immer verdient.

    "...legte ich es auf das Gehäuse der Leuchte, welches vorn auf der Plateform einen Vorsprung bildete, und schickte mich an, die ganze Linie des Himmels und Meeres zu durchlaufen. Aber mein Auge befand sich noch nicht vor dem Ocularglas, als mir das Instrument hastig aus der Hand gerissen wurde.

    Ich wendete mich um. Der Kapitän Nemo stand vor mir, aber ich erkannte ihn nicht, so waren seine Gesichtszüge entstellt. Sein von düsterem Feuer sprühendes Auge verdeckte sich unter den gerunzelten Brauen, seine Zähne waren zur Hälfte sichtbar. Sein straffer Körper, seine geballten Fäuste, sein zwischen die Schultern gezogener Kopf bezeugten den ungestümen Haß, welchen seine Seele athmete: Er rührte sich nicht. Mein Fernrohr, das ihm aus der Hand fiel, rollte zu seinen Füßen.

    Hatte ich, ohne es zu wollen, diese zornige Haltung veranlaßt? Bildete sich der unbegreifliche Mann ein, ich hätte ein den Gästen des Nautilus verborgenes Geheimniß entdeckt? Nein! ich konnte nicht Gegenstand des Hasses sein, denn er sah mich nicht an, und sein Auge blieb unverwandt auf den undurchdringlichen Punkt des Horizonts gerichtet.

    Endlich ward der Kapitän Nemo wieder Meister seiner Stimmung. Seine so ergriffenen Züge wurden wieder ruhig, wie gewöhnlich."


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