• Im Klangraum von Aachen: Dario Fo

    Schon am 1. Oktober, noch vor Abschluss des Mietvertrags, hatten wir beim Provider den Umzug für 15. November beantragt, was dann verschlampt wurde. Zwei weitere Wochen mussten wir auf die Freischaltung warten, einen Tag lang hielt ich vergebens Ausschau nach dem angekündigten Techniker; kein Selbstinstallationsversuch funktionierte.Tacheles Logo Zwei Tage später kam der Mann doch noch, fand keinen Anschluss unter diesem Stecker - die alarmierte Genossenschaft reagierte prompt, so dass anderntags um 11 Uhr alles funktionierte, ohne Aufmeißeln der Wände und Wegrücken der Bücherkisten im Keller! Zwischendurch hatte ich einen Übersetzungsauftrag per e-Mail zu erledigen und bekam ein honoriertes Vortragsangebot: Gerne würde ich den genauen Titel und den Termin mit Ihnen konkretisieren, schrieb mir die zuständige Dame: Unter der Tel-Nr. ******** kommt dauerhaft ein Besetztzeichen. Wie können wir miteinander ins Gespräch kommen? Darauf machte ich meiner Verärgerung in einer Beschwerde Luft:Szenenbild aus "Anstreicher sind vergesslich" ...haben den Antrag bei dem freundlichen und kompetenten Mitarbeiter abgegeben. Er wurde der zuständigen Stelle vor unseren Augen gefaxt. Damit wäre alles in Ordnung, dachten wir. Fehlanzeige! Völlig unvorbereitet erfuhren wir letzten Donnerstag, dass der Antrag bei Ihnen liegengeblieben ist. ... Von einer Entschuldigung der Firma mir gegebenüber habe ich bisher nichts gehört, und kenne nicht einmal einen belastbaren Termin... Wenn ich über eine Woche nicht mehr erreichbar bin, entgehen mir Aufträge; mir entsteht objektiv ein wirtschaftlicher Schaden. Auf diese e-Mail antwortete mir der Provider wie folgt: Guten Tag! Schön, dass Sie auch an Ihrer neuen Adresse mit *** telefonieren möchten! Dazu sind detaillierte Angaben zu Ihrem neuen Wohnort erforderlich... Bitte beachten Sie: Bei einem Umzug benötigen wir ab Eingang der Umzugsmeldung derzeit eine Bearbeitungszeit von etwa 2-4 Wochen. Bitte schicken Sie uns daher möglichst bald das ausgefüllte und unterschriebene Formular, gern auch per Fax usw. Meine Antwort: Lieber Roboter, wahrscheinlich hast Du meine Nachricht zwar gelesen, aber nicht verstanden. Lass Dich mal von einem kompetenten IT-Techniker neu programmieren. Bühnenbild zu Dario-Fo-EinakternNähme ich das von Dir emittierte Standard-Kunden-Betreuungs-Geschwafel ernst, müsste ich es für reinen Hohn halten, dass mir eine Firma, die mich soeben mit dem Termin meiner Ummeldung draufgesetzt und mich telefonkommunikationstechnisch von der Aussenwelt abgeschnitten hat, so eine Nachricht zusendet. Ich schicke aber diesen gesamten Briefwechsel ein paar Freunden von mir, die in der Umgebung wohnen und die möglicherweise auch einmal darüber nachdenken, ob sie Dich je mit irgendwas beauftragen wollen. Richard Gutermuth als Dieb, der nicht zu Schaden kamViele Grüße, Dein Kunde. Danach kriegte ich noch eine etwas kleinlautere e-Mail mit dem Angebot, mir 30 € gutschreiben zu lassen, damit muss ich es wohl bewenden lassen.

    Aber weil wir zwischendurch auch noch mal was anderes als Umzugsstress erleben wollten, folgten wir der freundlichen Einladung von Elisabeth, meiner Freundin aus frühester Jungmannzeit (35 Jahre muss das jetzt her sein), in das Kulturzentrum "Klangbrücke" nach Aachen. Dort führte sie mit ein paar Freunden unter der Regie von Tatjana Jurakowa zwei Einakter von Dario Fo auf: Der Dieb, der nicht zu Schaden kam und Anstreicher sind vergesslich. Das Theater Tacheles e. V. ist ein Unternehmen theaterbegeisterter Zeitgenossen aus den verschiedensten Berufen - Verwaltungsangestellte, Krankenschwester, Apothekerin -, die es sich leisten, zweimal im Jahr ihre Freizeit zu opfern und mit liebevollem Aufwand, selbstgeschneiderten Requisiten und Kostümen und einer eingekauften Profi-Regie Dramen, Komödien und Boulevardeskes aufzuführen.Szenenbild aus "Der Dieb, der nicht zu Schaden kam" Einige liebäugeln sogar mit dem Schauspielerberuf oder leben zumindest von einschlägigen Seminaren und Workshops. Eine Förderung erhält der Verein nicht und muss selbst für die städtische "Klangbrücke" einen, wenn auch symbolischen Mietpreis zahlen. Der Druck von Programmheft und Eintrittskarten wird mit Anzeigen finanziert. Für alle Stücke werden zuvor die Rechte bei den Theaterverlagen erworben - in der Hoffnung, dass sich das Geld wieder einspielt, was nicht immer der Fall ist; dann wird auch schon mal ein Nachlass gewährt. Die Liste der von ihnen aufgeführten Autorinnen und Autoren kann sich sehen lassen: Friedrich Dürrenmatt, Oscar Wilde, Michael Ende, Agatha Christie, Walter Hasenclever - und nun also der italienische Nobelpreisträger Dario Fo. Ähnliches macht eine andere, schauspielerisch ähnlich hochbegabte Freundin von mir, die witzigerweise ebenfalls Elisabeth heißt, mit dem Theater Stückwerk in Bern, das ebenfalls als Verein organisiert ist.
    Bühnenrequisit des Tacheles-TheatersTrotz Schnee & Eis & vergessenem Zettel mit der Adresse fanden wir die Kurhausstraße auf Anhieb und sogar einen guten Parkplatz, weshalb wir nicht zu spät zum Theaterfrühstück anrückten. Denn das Besondere an der Sonntagsmatinee ist, dass die beteiligten Tachelesier vor der Aufführung zu einem kleinen familiären Frühstück aus belegten Broten und Kaffee einladen. Als es schließlich so weit war, nahmen wir im abgedunkelten Saal Platz  und sahen zunächst beim Einbruch in einer gutbürgerlichen Wohnung zu. Gutbürgerliches Ehepaar Leider ist der Dieb verheiratet und seine Frau hat die Angewohnheit, ihn auch im Dienst telefonisch erreichen zu wollen. Schließlich hört er, völlig unerwartet, den Hausherrn - mit seiner Geliebten im Schlepp - an der Tür und entschlüpft in den Uhrenkasten - eine tolles Bühnenrequisit, das aus einer wunderschönen alten Standuhr und eigenhändigem Tischlerwerk eines der Schauspieler konstruiert worden ist. Nach einigen Schäferminütchen auf der Couch schlägt's irgendwann zwölf und der verbeulte Dieb gibt sich wehklagend zu erkennen. Szene aus "Der Dieb, der nicht zu Schaden kam"Zunächst hält das ehebrechende Paar ihn für einen Detektiv, den die Ehefrau des Hausherrn, die bald darauf persönlich erscheint, mit Ermittlungen beauftragt hat. Auch die Ehefrau des Ganoven, dessen Leben kurzzeitig auf dem Spiel steht, will in der vermeintlich leeren Wohnung nach dem Rechten sehen. Die wechselseitigen Ausreden der Ertappten produzieren ein wildes Chaos von Missverständnissen, bis sich die Sache endlich mit der Flucht aller Beteiligten (teils wieder durch den Uhrenkasten) glückhaft auflöst.
    Das zweite Stück fordert zumindest einem der Schauspieler sehr viel Geduld ab: Tobias Valtinat & Elisabeth BooiEr muss nämlich die meiste Zeit stocksteif im Stuhl sitzen und "toter Mann" spielen. Es handelt sich, so soll man glauben, um die einbalsamierte Mumie eines Orient-Forschers, der die Vielweiberei auch praktisch erproben wollte, weshalb seine Ehefrau und (angeblich) Witwe ein Bordell für ihn erwarb, von dessen Betrieb sie heute noch lebt. In Wirklichkeit gibt sie dem Mann zweimal am Tag eine Spritze, die ihn bewegungsunfähig macht. Elisabeth Booi in der GarderobeDavon ahnen die zwei gerissenen, faulen und geldgierigen Anstreicher nichts, die sich als "Dekorateure", sogar als "Restauratoren" ausgeben und nach einem kleinen Handgemenge vermuten, sie hätten den lebenden Ehemann getötet. Einer von ihnen muss sich verkleiden und die Rolle des stummen Sitzenden spielen, während der Einbalsamierte des Anstreichers Klamotten erhält. Bis endlich die geneppte Bordellwirtin mit der Spritze naht, der vermeintlich Tote wieder aufwacht und eine turbulente Balgerei anhebt.

    Die Theaterstücke, die der 84jährige Dario Fo (er war ursprünglich Architekt) für kleine Theater und Wandertruppen schrieb, gelten seit jeher als provokativ, gesellschaftskritisch, anarchistisch. Applaus für Tobias und ElisabethBegeistertes Publikum applaudiertNicht selten riefen sie die Zensur auf den Plan. Unter Druck von Obrigkeit und Kirche wurden Fo-Szenen abgesetzt, aus dem Rundfunkprogramm geworfen oder polemisch verteufelt. Inhaltlich, aber auch in den dargestellten Typen (ehrbare Bürger, kleine Handwerker, Ganoven) zehren sie von der Tradition des italienischen (vor allem neapolitanischen) Volkstheaters, der commedia dell'arte. Dass Dario Fo 1997 für sein "volkstümlich-politisches Agitationstheater" den Literaturnobelpreis der Schwedischen Akademie der Wissenschaften erhielt (es führte gar zu Rücktritten im Nobelkomitee), macht den Autor zum idealtypischen Gegenspieler des derzeitigen, leider immer wieder gewählten Präsidenten Silvio Berlusconi. "Wettstreit zweier Berufskomiker", nennt es Dario Fo laut Programmheft. Neulich hat der Theatermann dem Machthaber und Medienmogul die Leviten gelesen, mit einer Lesung aus den Schriften Macchiavellis, worauf mich Brigitta Flau in Italien aufmerksam machte.
    Natürlich fallen viele lokaltypische Anspielungen und der volkstümliche Dialekt in der Übersetzung der Einakter unter den Tisch, weshalb die Aufführung ein wenig klamottös und klamaukig daherkam. Der Spielfreude der Enthusiasten vom Theater Tacheles e. V. tat das keinen Abbruch, und sie meisterten sowohl die rasanten Dialoge als auch die physischen Strapazen mancher Gags, wie das Schultern einer mindestens zehn Meter langen Handwerkerleiter. Nils Gajek, Holger Telke, Richard Gutermuth, aber auch Elisabeth Booi und - besonders wegen ihrer ruhigen Spielweise, die ganz auf originelle Mimik vertraute - die Debütantin Astrid Maasen ließen an Professionalität nichts zu wünschen übrig. Anna Maria Emons lieferte einen ausgezeichneten ehetypischen Beziehungsdialog mit ihrem Einbrecher vom geheimnisvoll verhängten Zimmer aus - eine raffinierte Regie-Idee. Das Strumpfband: ein wichtiges Accessoire!Garderobe von Elisabeth und TheresaAuch von Tobias Valtinat, der einen überzeugenden Auftritt als krückstockschwingender Bordellbesucher hinlegte, und Theresa Müller Lüdenbach hätte man gern mehr gesehen. Begeisterter, minutenlanger Applaus des leider nicht gebührend voll besetzten Theatersaals dankte dem Ensemble für anderthalb vergnügliche Stunden voller verrückter Gags und überraschender Wendungen.
    Zum Abschluss führte man uns hinter die Bühne und wir durften einen Blick in die Künstlergarderoben werfen. Leider war die Regisseurin Jurakowa an diesem Morgen nicht anwesend, und uns fehlte auch die Zeit, mit ihrer Assistentin Petra Gawlik ein paar Worte zu wechseln, die zugleich unverzichtbare Arbeit als Souffleuse leistet. Bei professioneller Lichtregie und gut ausgewählter Musikbegleitung sind die Aufführungen des Tacheles-Theaters als unfromme, desto willkommenere Advents-Absacker zu empfehlen. Die beiden Einakter von Dario Fo sind am Sonntag, 5. Dezember 2010, 10.00 zum letzten Mal zu sehen. Und vielleicht dürfen Interessierte auch diesmal einen Blick hinter die Kulissen riskieren...

    Backstage im Tacheles-Theater


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  • Commentaires

    1
    Sunday
    Dimanche 5 Décembre 2010 à 09:48

    cher Petit Larousse  , schön, dass du wieder da bist!

    Die Klangbrücke muss ich mir merken .

    2
    karinkornelia Profil de karinkornelia
    Dimanche 5 Décembre 2010 à 11:24

    An Dario Fo habe ich sehr gute Erinnerungen. Als ich in meiner Oberstufenzeit einen VHS-Kurs Italienisch machte, lasen wir ein Drama von Fo: Isabella, tre caravelle e un cacciaballe. Ich erinnere mich noch an die Situation, wie Kolumbus Königin Isabella an ihrem Babybauch demonstriert, dass die Erde rund ist.

    3
    Petit Larousse Profil de Petit Larousse
    Lundi 6 Décembre 2010 à 19:05

    Selbstverständlich sind die Herren Schauspieler in dem Ensemble aufs Vorbildlichste durchtrainiert. Die ziehen eben den Bauch ein und hechten mit dem Bizeps voraus ins Dunkle... :-)

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