• Hauchecorne

    Sei es aus Beruf oder Neigung, ich muss mich immer wieder mit Persönlichkeiten beschäftigen, die eigentlich kaum historische Spuren hinterlassen haben, sei es, dass sie anonym etwas veröffentlicht haben, dass ihr Beitrag zur Kultur- und Geistesgeschichte zu geringfügig war oder dass sie aus einem anderen Grund in Vergessenheit geraten sind - und es vielleicht sogar wollten. In diesem Fall treibt mich seit vielen Jahren ein Name in Lieder für Henriette Solmardie Verzweiflung, der anders als Müller oder Schulze oder Meier recht aHauchecorneuffallend und ungewöhnlich ist und auf dem Titelblatt der sechs Kompositionen für Gitarre und fortepiano steht, und den ich dem Berliner Salon nicht zuordnen konnte. Ich vermute, der Komponist ist der Sohn eines hugenottischen Predigers in Berlin, Friedrich-Wilhelm Hauchecorne (1733-nach 1810), der sich in der Franzosenzeit durch Denunziation und Kollaboration mit der Besatzungsmacht hervortat - Karl August Varnhagen schreibt darüber in seinen Denkwürdigkeiten des eignen Lebens: "das schändliche Gewerbe hat seinen Namen gebrandmarkt, er selbst aber, nachdem er in Karlsruhe, wo seine Tochter einem General von Freystedt verheiratet war, eine Zeit gewohnt, lebte noch in späteren Jahren unangefochten in Berlin." Zu dem Vater und seinem vaterlandslosen Treiben gibt es einen Aufsatz in den "Forschungen zur Brandenburgisch-Preußischen Geschichte" Bd. 21 (1908).

    Sein Sohn Wilhelm Hauchecorne (eine Demoiselle Charlotte H. gibt es auch, der hatte Ernst Moritz Arndt mal ein Buch gewidmet; vielleicht ist sie seine Schwester gewwesen) scheint derjenige zu sein, den ich suche: geb. 1791, war er seit Anfang der 1820er Jahren im Rheinland preußischer Steuerrat in Düseldorf und Aachen (so etwas wie Zollinspektor, wenn ich es richtig verstanden habe), ein Amt, das er niederlegte, um Spezial-Direktor der Köln-Aachener Eisenbahn zu werden. Das entnehme ich dem Allgemeinen Organ für Handel und Gewerbe, Jg. 3 / 1837, Nr. 104, 28.12.1837, S. 625 (er hätte noch fünf Jahre lang in den Staatsdienst zurückkehren können). Offenbar war er sehr erfolgreich, der Eisenbahnverkehr (ich setze das Wort extra hierhin, weil eine Leserin dieses Blogs mir nicht glauben will, dass es existiert  ) erwies sich als das einträglichere Metier. Als musikalisch interessierter Zeitgenosse, der offenbar in seiner Jugend in den Berliner Salons verkehrte und die oben genannten Lieder für eine um 1810 noch aktive Sängerin und spätere Salonnière, Henriette Solmar, verfasst hat, war er ein aktiver Mitbegründer des Niederrheinischen Musikfestes, das zuerst am 11. Mai1818 in Düsseldorf "im Jansen'schen Locale auf dem Flinger Steinweg" (heute: Schadowstraße), dann alternierend mit Köln, schließlich auch in Wuppertal und Aachen stattfand. 1868 veröffentlichte EisenbahnverkehrHauchecorne

    Hauchecorne anonym bei DuMont Schauberg in Cöln seine "Blätter der Erinnerung" zum Niederrheinischen Musikfests, allerdings anonym, darin werden alle Mitwirkenden genannt, Profimusiker und "Dilletanten", zu denen wohl auch Frau Hauchecorne als Sopranistin gehörte. Eintrittskarte zum MusikfestWährend in Köln und Düsseldorf Felix Mendelssohn-Bartholdy zum Taktstock griff, holte Hauchecorne den Bonner Komponisten Ferdinand Ries für das Musikfest nach Aachen. Z. B. zu der Veranstaltung am 22. / 23. Mai 1825: "Am dritten Tage Allgemeines Frühstück auf dem Louisber-Belvedere, danach Barutschenfahrt in den äußeren Stadt-Anlagen und Umgebung. Abends Réunion im Saale der neuen Redoute." Dieser korrespondierte mit Beethoven und besorgte für dieses Ereignis die Partitur der Neunten Sinfonie in D-Moll, die noch nicht gedruckt war, für eine der ersten Aufführungen (vgl. darüber Beethovens Werke Tl. 2, Bd. 1; Studien zur Musikgeschichte des Rheinlands, Festschrift Schiedermair, 1965; Annalen des Hist. Vereins am Niederrhein 74-77, 1902 oder 1903), mit Chören der Hymne "An die Freude" von Friedrich Schiller, als Solistinnen im Sopran sind Frau Hauchecorne aus Aachen, ein Fräul. Reintjes aus Cleve und ein Fräul. Almenroder aus Cöln genannt. Von Hauchecorne stammen vermutlich auch die dem Dirigenten Ries gewidmeten Verse. Während ihm an Schluss der Auführung ein Kranz überreicht wurde und aus den Logen gedruckte Blätter mit dem Text "wie Schneeflocken herabschwebten", wurde er wohl auch aufgesagt:
    Meistergruss an Ferdinand Ries.
    Vom Himmel kam Cäcilia,
    Vernahm des Festes Lobgesang,
    Des Saitenspieles Zauberklang,
    Sie freute sich der hehren Lieder
    Und grüsst entzückt den Meister wieder.
    Heil Dir, o wackrer Meister Dir!
    Heil, Preis und Dank, o Meister Dir!
    Der Niederrheinische Musikverein, im innigsten Gefühle der Begeisterung und Dankbarkeit.
    Im Komitee des Niederrheinischen Musikfestes war Wilhelm Hauchecorne offenbar zuständig für alle organisatorischen Aufgaben, die nicht der eigentlichen Durchführung der Konzerte dienten, dem es also z. B.

    "auch oblag, mit den Gastwirthen des Festortes Einigung über das Unterbringen derjenigen in dem Orchester mitwirkenden auswärtigen Musiker zu treffen, welchen neben einer Reisekosten-Entschädigung oder eines Honorars für die Mitwirkung auch freies Quartier zugesagt war. Es gab anfänglich eine Zeit, allein sie währte nicht lange, wo die Herren Gastwirthe der Festorte, in Anerkennung der Vortheile, welche sie durch die Begehung der Feste erzielten, für einen oder mehrere Tonkünstler freies Quartier und freie Verpflegung bewilligten und solchergestalt an ihrem Theil zur Ersparnis der Kosten der Feste, die nicht immer zugereicht haben, in angemessener Weise beitrugen... Manche Umstände und Sorge, wie auch besondere Kosten, veranlasste auch zu jener Zeit der Transport der Instrumente, besonders der voluminösen Contrabässe, die an keinem der Fest-Orte in der erforderlichen Anzahl von 12 à 15 vorhanden waren."

    Hauchecorne

    Hauchecorne starb lt Todesanzeige am 23.4.1879. Er hinterließ einen Sohn, Heinrich Lambert Wilhelm Hauchecorne (1828 bis 1900). Dieser wurde ebenfalls unter dem Vornamen Wilhelm ein namhafter Geologe an der Berliner Universität, worüber der Sammelband "Naturwissenschaft und Naturwissenschaftler in Köln 1798-99", Köln 1985 informiert. Lebensdaten von Professoren sind natürlich über ihre Publikationen, Universitätsarchive und -matrikel und ggf. Nekrologe leichter zu ermitteln: aber dieser Wilhelm Hauchecorne ist der junior vom Senior. Seine Schwester Fanny heiratete einen Präsidenten Schorn (ob "Carl Schorn" gemeint ist, der in Bonn 1889 seine LebenserinnerungenHauchecorne veröffentlicht hat, weiß ich noch nicht, da mir das Buch nicht vorliegt); und stiftete ihrem Vater Wilhelm Hauchecorne ein Fenster im Südlichen Chor des Kölner Doms ("Couronnement, Christus den Armen das Evangelium verkündend"). Von ihr existiert eine gebundene Handschrift mit 71 Abschriften von Liedern (teils auf 1847 datiert) im Bonner Beethovenhaus: "Zahlreiche unterschiedliche Liederabschriften, die meisten mit dem Namenszug Schorn oder Fanny Hauchecorne versehen. Dazwischen auch eine Polka für Klavier. Manche Blätter mit gedrucktem Zierrand und Ornamenten." In dieses Band gebunden sind wohl auch "ein Druck mit sechs Liedern von Wilhelm Hauchecorne" - mit einiger Sicherheit der, dessen Titelblatt oben abgebildet ist. Dem Abschriftenband liegt bei: "ein altes Blatt mit dem Vermerk 'In diesem Buch meist die Noten / u. Text v. meinen beiden Eltern Hauchecorne / Hauchecorne geschrieben. F. Schorn / Hauchecorne.', darunter mit Bleistift Aufzählung einiger Operntitel." So der Katalog des Bonner Beethovenhauses.

    Beri der Gelegenheit meiner Recherchen fand ich übrigens nochmal einen Beleg für die Einführung der Dahlien in Deutschland durch Alexander von Humboldt, den ich den Gartenfreunden nicht vorenthalten will:


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  • Commentaires

    1
    Lundi 9 Septembre 2013 à 10:58

    Bist du sicher, dass das strittige Wort genau "Eisenbahnverkehr" war? Dessen Existenz erscheint mir nämlich keineswegs zweifelhaft. Also die Existenz des Wortes. Bei dem Verkehr selbst kommen mir immer mehr Zweifel.

    2
    Lundi 9 Septembre 2013 à 11:57

    Wir gehen zwar nicht oft ins Internet, aber dies möchten ich und Herr Ärmel ausnahmsweise kommentieren (Lukas und Jim sind auch dieser Meinung), König Alfons der Viertel-vor-Zwölfte hat jetzt ein Modem an seinem Telefon: Es ist immer lobenswert und in keinem Alter zu spät, falsche Auffassungen abzulegen und den eigenen Wortschatz zu erweitern! Damals führte der nette Herr G. zum Beweis der Existenz des Wortes die Hymne unserer Insel an, aber das ließen Sie nicht gelten, weil wir nach Ihrer Meinung "nur" eine Erfindung der dichterisch-chimärischen Phantasie seien...

    3
    Samedi 14 Septembre 2013 à 00:28

    Ich verneige mich in tiefer Demut vor Lukas, Jim, König Alfons und dem weisen Herrn G., möge er meine Ignoranz verzeihen. Hat Frau Waas jetzt eigentlich auch einen Onlineshop?

    4
    Samedi 14 Septembre 2013 à 10:23

    ...und weil in der Hymne wohl auch das ort "Fernsprechtelefon" vorkommt, ein Pleonasmus erster Güte. Ihre Online-Marketingabteilung hat Frau Waas übrigens, was manche Kunden bedauern (siehe link),

    http://community.sport1.de/de/thema/online-bestellen-im-laden-von-frau-waas---auch-kartenbestellungen-moeglich,298721.html

    mit Gewinn an einen bekannten südamerikanischen Konzern am Amanzonas verkauft und ist zu ihrem Kerngeschäft zurückgekehrt.

    5
    Mardi 17 Septembre 2013 à 11:48

    ja, danke @HerrÄrmel, MGG ist bestimmt eine gute Adresse. Eigentlich will ich vor allem wissen, wie er Henriette solmar kennengelernt hat! Und der Link, da wollte Frau Waas wohl auf den Blog aufmerksam machen



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