• Damit Wapuff vor Neid die Platze kriegt

    Gepflanzt in VanHam-Neubaudie Einöde der Ausfallstraßen wie ein erratisches Gewächs, zwischen Beton, Baustellen und magisch leuchtenden Autohändlerpalästen, findet sich - Kultur. Fast fertig ist das Auktionshaus von Philip Vandamme, das der Ostspion aus Hitchcocks North by Northwest (unter einem sehr durchsichtigen Tarnnamen) ganz im Bauhaus-Stil seiner berühmten Mount Rushmore-Villa  an der Brühlerstraße errichten konnte, ohne dass FBICIABNDNSA von der wahren Identität des Kunstmaklers das Geringste ahnt... Bald wird man hier den Malteserfalken versteigern! Und dann das Literaturarchiv des verrückten Urwalddoktors und Westentaschengermanisten,Antoine Tamestit der mit einer Horde von Eichhörnchen und Papageien im Tannendickicht haust und zwischen Bergen messiehaft angesammelter fotokopierter Aufsätze, antiquarischer Raritäten und unschätzbarer Autographen fast erstickt. Und schließlich der Deutschlandfunk, er bietet - zumindest im Winter - schöne Konzerte an, in seinSpruch auf einer Bank am Rheinem Kammermusiksaal, natürlich nicht für "die Käuflichen mit dem unfruchtbaren Gehör, das hurt und niemals empfängt" (Rilke), sondern für die wahre Elite - Inkognito-Millionäre wie uns.

    Das war letzten Dienstag ein gutaussehender Bratschist aus Frankreich, der beim Spielen in den Knien wippt und den Rhythmus der Bach-Suiten ganz aus dem Körper herauszieht. An seiner Seite ein bärtiger Italiener, der schwarzweiße Tastaturperlen aus dem Flügel pickt oder stakkatomäßig hineinklopft und dabei aussieht wie die Avantgarde um 1910, auch in einem Historienfilm über den deutschen Vormärz würde ich z.B. Karl Gutzkow mit ihm besetzen. Antoine Tamestit spielt auf einer echten Stradivari von 1672, Leihgabe einer Museumsstiftung, und hat eine raffinierte Schabetechnik beim Gebrauch des Bogens entwickelt, mit dem er das Gniedelige am Streicherton aufrauht, eine süße Heiserkeit, die dem perfekten Wohllaut neue Dimensionen eröffnet. Währenddem scheint der Pianist Enrico Pace mit dem Instrument zu sprechen, reißt die staunenden Augen auf ob des geklärten und manchmal auch ungeklärten Wirrwarrs von Tönen, die da aus der Hindemith-Partitur herausquWeihnachtsbaumcontainerellen. Das war ein Werk aus dem Jahr 1936, als Hindemith - selbst ein begnadeter Bratschist - in Ankara tourte; noch im selben Jahr wurden die Werke des "Kulturbolschewisten" verboten (mein Freund Eckhard John hat über dieses fatale Totschlägerwort eine fundierte und materialreiche Studie geschrieben); 1938 ging er mit seiner Frau Gertrud Rottenberg, Enkelin des Bürgermeisters von Dortmund, Altona und Frankfurt am Main Franz Adickes, ins Exil. Später hörten wir die Sonate für Viola und Klavier op. 11, No. 4, aus dem Dezember 1918. Merkwürdigerweise war damals schon alles angelegt, was uns am Heavy Metal der späten 1960er faszinierte, von Hendrix bis Led Zeppelin ("das rockt!", urteilte ich im Stillen) - wären die Deutschen nicht Duo Tamestit-Pacemit voller Überzeugung und gern den unseligen Weg in den Nazismus gegangen, hätte Hindemith die pianistische Avantgarde der Franzosen und Russen des Fin de Siècle in der Musikgeschichte bald überstrahlt, schon weil er mehr Humor hatte als Ravel oder Debussy. Dass er allerdings zu seiner Gertrud "Wapuff" sagte - so wörtlich im Programmheft zitiert - und von dem "duften langsamen Satz" meinte, er habe anschließend noch eine "ausgewaschene Krips-Arbeitsplatz Doppelfuge dahintergesetzt", damit Wapuff "vor Neid die Platze kriegt", das macht einen doch nachdenklich.

    Das erste Stück (Sonate für Klavier No. 3) von 1918 spielte der Bratschenmann ebenfalls noch auswendig; gut, das konnte er auch, mit der Suite für Violoncello No. 3 in C-Dur, Bachwerkeverzeichnis 1009, mit seiner Stringenz und Fugengenauigkeit ist Bach doch viel leichter zu merken, oder? Nicht, wenn man so frei und locker streicht wie Antoine Tamestit. Als wir neulich über ein Geschenk für einen Neunzigjährigen nachdachten, - Süßigkeiten, Bücher, das belastet alles, da kamen wir auf CD, aber welche Musik und ich sagte zu meiner Frau: Bach kann man sich in jedem Lebensjahr zumuten, manche sagen gar: je älter, je eher. Auf Bach wird man immer zurückkommen. Aber dieser 1979 geborene Franzose spielt den Bach gar nicht so methodisch-logisch, mehr wie ein Spielmann, der auf einer Kirmes den AlleinunterhaltStudio des Künstlers Kripser gibt - "er erzählt eine lange Geschichte", begeisterte sich ein befreundeter DLF-Journalist, den wir in der Pause zufällig im Foyer trafen. Der dritten Suite mit ihren Allemande-, Courante-, Sarabande-Sätzen hat Tamestit die Farbe Enrico Pace"sonnengelb" und die Adjektive "brillant, efflorescent, populaire, volutes, énergique" zugeordnet, so steht es im Programmheft und im Beipackzettel der CD, die meine Frau - ohne den Künstler, der garantiert Weltruhm erlangen wird, signieren zu lassen! - erwarb. Andere Suiten sind mehr sombre und funèbre (No. 5), also fast schwarz, oder hellblau (No. 1). Wie dem auch sei, das Bachige vermählte sich vorzüglich dem Hindemithschen in den folgenden, für Bratsche und Klavier komponierten Programmteilen, und die beiden Musiker hatten Spaß dran und sichtlich auch miteinander. Wir gingen nach dem Verzehr von zwei DLF-Bonbons, gewickelt in die korporativen Farben orangegelb und blau (schmecken aber nicht unterschiedlich: blau wie orange sind vif, fraîche, mehr menthe als funèbre), und eiFirma Klafsner DLF-hausgemachten Frikadelle sowie eines Glases Prosecco sehr beseligt zu Fuß nach Hause, während lange Kolonnen feinster Vorzugsklassewagen dem Parkhaus entströmten und sich Richtung Brühl, Erftstadt, Bonn - der Speckgürtel unserer schmuddeligen Vaterstadt - aufmachten. Hier aus dem Viertel, schon gar nicht von der "prolligen" Genossenschaftsecke, sind die wenigsten, höchstens dass sich vielleicht ein paar Villenbesitzer aus Marienburg hier einstellen (denk ich mal, aber sicher bin ich nicht). Es ging uns wie in diesem Kempner- oder Schrader-Gedicht, das ich jetzt nirgends finde und das wahrscheinlich vom Großneffen gefälscht wurde: "...ganz anders ist da doch Musik / daß es sie gibt, ist schon ein Glück!" Zwei Konzerte wird es hier noch geben, im Februar und März, und Anfang April kommt hier wieder das Forum neue Musik, bei dem wir hoffentlich auch noch Interessantes zu hören bekommen. Eine Tageskarte (bis zu 3 Konzerte) kostet im DLF nur 15 €, geGoltsteinstraßeht doch noch, das Kino ist heute auch nicht viel billiger, und: "Die Hinfahrt können Sie mit dieser Karte bereits vier Stunden vor Veranstaltungsbeginn antreten, die Rückfahrt muss erst bis 3.00 Uhr nachts - bzw. bei besonders spätem Veranstaltungsende bis 10.00 Uhr des Folgetages - abgeschlossen sein. Diese Zusatzleistung ist ohne Mehrkosten für Sie bereits im Ticketpreis enthalten."

    Natürlich gibt es auch noch andere Kultur im Süden, so existiert in der Goltsteinstraße eine Karikaturengalerie namens "roter Pinguin", deren jüngste Ausstellungseröffnung wir am Nikolaustag verfaulenzt haben. Vielleicht, weil mir der Comic-Zeichner, dessen Sachen ich eine Zeitlang täglich im FAZ-Feuilleton sah, nicht so wahnsinnig überzeugend erscheint; die dort zuKrips-Vernissage erwerbenden gerahmten Zeichnungen haben übrigens ziemlich saftige Preise. Dafür waren wir im vorverwichenen Herbst beim Tag des offenen Ateliers, oder war es die Eröffnung?, im Arbeitsloft von Krips Krips-Arbeitsmittel Computer- die Mutter des Künstlers war anwesend - , nicht zu verwechseln mit der Galerie des Sauna-Zubehörlieferanten Klafs, der bei ihm um die Ecke auf der Bonnerstraße angesiedelt ist. Die Heimat der Künste ist die Goltstein- / Ecke Cäsarstraße. Auf der ersteren wohnt u.a. Ralph Giordano (so stell ich mir Winnetou vor, wäre der nicht so jung verstorben), der uns mal vor dem Einbiegen in die Einbahnstraße warnte, auf der letzteren wäre ich beinahe mit dem Rad in den greisen, helmtragenden Dichtercäsar Erasmus Schöfer hineingeknallt, der, aus einem Seiten-Schleichweg kommend, die Vorfahrt zwar nach rechts, nicht aber nach links beachtete. Nach dem kompletten Nieder- ja, Untergang der Bezirksgruppe Köln des Schriftstellerverbandes, dem er seine DKP-Weisheiten aufgezwungen hat, wäre es ein denkwürdiges Zusammentreffen im Unfallauto gewesen. Hier auf der Cäsarstraße arbeitet jetzt Krips. Er liebt Graffito-Stil, und nicht ganz zufällig sind genau gegenüber seiner Galerie am aufgelassenen Netto-Markt, wo ich immer nur die verbilligten MHD-grenzwertigen Sachen gekauft hatte, ich habe erst kürzlich ein Foto davon eingestellt, mehrere Männlein übereck angemalt, die verdammt an seine gesprühten und getaggten Sachen erinnern. Auf großen Leinwänden finden sich Engelchen, Teufelchen, aber auch Panzerknacker mit Lupenaugen - sehr sehenswert! Gern verfremdet und markiert Krips seine Möbel und Haushaltsgegenstände, Krips-Sesselaber seine leuchtendbunten Malereien, oft collagiert mit Reklamefotos oder Wegwerfmaterialien, sind das Schönste aus seiner reichhaltigen Produktion. Das würde ich mir viel lieber kaufen als einen gerahmten tagesaktuellen Cartoon, und die Sachen waren damals (September 2012) auch deutlich preiswerter. Auf seiner Netzseite kann man in seinem Skizzenbuch blättern (ich liebe es, wenn bei interaktiven Umblätterseiten so ein schlürfendes Geräusch entsteht, wie es ganz am Anfang die ersten e-books von Reclam auch hatten - das finde ich sinnlicher als das ewige Klick-Klick), und unter dem Kunstwort "Komunikotinkation" findet man Krips' Mail-Adresse zum Bestellen. Guckt euch seine Bilder dort an - um keine Copyrightverletzung zu begehen, sind hier nur Schreibtisch und das ArbeitsgerätGudereit-Fahrrad von hinten des Meisters dokumentiert, der unserem Viertel mit seiner Spiel- und Farbenfreude hoffentlich noch lange erhalten bleibt.Krips-Arbeitsmittel Sprühdruckflasche

    Zur Goltsteinstraße kommt man von Raderthal aus nicht nur über die Cäsarstraße, sondern auch über den Bayenthalgürtel, wo, wer es mag, noch immer ein veritables "Fichtennadelbad" nehmen kann, man muss nur am Containerrand hinaufklettern und sich hineinstürzen und fällt garantiert weich. Wie neulich im Lokalsender zu erfahren war, werden die dysfunktionalen Sonnwend-Kultbäume den Elefanten aus dem Orient zum Fraß vorgeworfen, die seien, meinte der interviewte Tierpfleger, "nicht gerade ein Leckerbissen, aber mal so ganz nett zwischendurch", vor allem reizt es die Dickhäuter wohl, die Zweige mit dem Rüssel auseinanderzufleddern und die grünen Spitzen zu knabbern (womit ich schon wieder bei den Eichhörnchen wäre, wenn ich jetzt nicht schnell die Kurve nehme). Neulich las ich es als als Filzstiftspruch auf einer Ruhebank: Alles ist im stetigen Wandel begriffen; man kann sich in ein Gartengerät verwandeln; im Wald, den man vor Bäumen nicht sieht, wachsen die Tannen auf, um mit Lametta dekoriert zu werden (die Elefanten kriegen zur Verkostung nur die "unverkauft liegengebliebenen", sie vertragen das Lametta nicht), und werden vor der finalen Verschredderung als Weitwurf-Material für unsinnige Olympiaden genutzt, wie in einer anderen Sendung zu hören war. Ich finde, man kann die Tannen auch stehen lassen wie wir mit unserer Tanne im Kräutersack, und anschließend auspflanzen (was wir jedenfalls fest vorhaben).


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  • Commentaires

    1
    Vendredi 17 Janvier 2014 à 11:56

    Ich erkenne eine Villa in Bad Godesberg, genau daneben hatten wir unsere Privatschule. Où sont les neiges d'antan?

    2
    Vendredi 17 Janvier 2014 à 13:57

    Wenn du die mit dem Tannenbaumcontainer meinst, die findet sich aber im Bayenthalgürtel, bei Google Street view (ich hoffe, der link tut es) nicht mal verpixelt wie manch andere dort....

    3
    Samedi 18 Janvier 2014 à 20:24

    Ha, sowas. Von deinem Foto aus sah ich dann auch noch die Rigal'sche Wiese, echt Bad Godesberg. Vielleicht ist es ja auch nur die Sehnsucht nach einer schöneren Stadt.

    4
    Samedi 18 Janvier 2014 à 21:03

    https://maps.google.de/maps?q=bayenthalg%C3%BCrtel&ie=UTF8&ll=50.904413,6.970544&spn=0.001483,0.004128&oe=utf-8&client=firefox-a&hq=bayenthalg%C3%BCrtel&hnear=K%C3%B6ln,+Nordrhein-Westfalen&t=m&z=19&layer=c&cbll=50.90429,6.970417&panoid=JTmWPp2qjfL9IuOj3XAssg&cbp=12,178.04,,0,-2.04

     

    Die Villa, die ich meine, ist nicht verpixelt, sondern ganz weg, was ist denn da passiert? Aber auch das Bonner Lehrinstitut sieht ähnlich aus wie das Haus auf deinem Foto. In Streetview ist es dann allerdings viel größer.



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