• Bonner Türken und Karolinger

    Mein Blog ist kein Tagebuch - über die Rechtsgeschäfte führe ich Buch im papierenen Terminkalender. Hier werden nur die besonderen Events der Fasti-Zeit dokumentiert, in Wort und - so weit es die Mini-Speicherkarte in meiner Elektrokamera zulässt (8-10 Aufnahmen, dann ist der "Speicher voll") - Bild. Work in stagnationBlättert man im Bilderalbum der Erinnerung zurück, könnte allerdings der Eindruck aufkommen, als hätte ich die Herbstferien ausschließlich in der Tapetenbibliothek verbracht (in Schriftrollen mit seltsamer, schwer entzifferbarer Symbolik vertieft), zum körperlichen Ausgleich dann auf Leiter-Bergwanderungen und am Ufer von Kleister- und Farbseen, um mich des Abends in ein eher karg möbliertes Hotel zurückzuziehen.Behelfseinrichtung Doch weit gefehlt: Nach stundenlangem Herumirren in der weißen Hölle von Piz Palü war ich schneeblind und ließ mich in die heiße Badewanne, anschließend in den Fernsehsessel fallen, der freilich noch in Hürth steht, um später im Traum an den Dachschrägen meiner jetzigen Wohnung weiterzutapezieren - oder, in Kornelias Traum, meine Mitmalerin aufzufordern, einen Vertrag mit roter (!) Tinte auf einer lebenden (!), schneeweißen Katze zu unterschreiben, was sie natürlich nur mit Widerwillen tat.

    Die Wirklichkeit sieht natürlich anders aus. Im Bemühen, wenigstens die ersten sonnigen Tage der Herbstferien noch auszukosten, haben wir verschiedentlich Exkursionen unternommen, und zwar nicht nur auf den Baumarkt. Der erste dieser Ausflüge führte am Montag nach dem Dezimalgeburtstag nach Bonn, und da hier einige ehemalige Bonner mitlesen, habe ich meine Eindrücke bildlich festgehalten und Neuigkeiten gesammelt. Bonner Universitäts-HauptgebäudeEigentlich wollte ich nur ein Buch in die UB zurückbringen, bevor das Umzugschaos beginnt, aber dann sind wir noch ein bisschen geblieben. Bonn ist nämlich eine Reise wert. Ja, die Universität ist nach wie vor - von außen, wohlgemerkt - die Lieblichschönste, so viel ich sah, der von den Studis aller Länder bevölkerte Hofgarten ist immer noch grün (im 19. Jhd. hatte jeder Professor das Recht, eine Kuh dort zu weiden), und über dem Durchgang zum Universitätshof lächelt Goldelse Regina mit dem schönen Nachnamen Pacis (damit aber die Friedensbewegung,
    Eingang zur Unidie mal zu Hunderttausenden auf dem Hofgarten versammelt war und Willy Brandt lauschte ("ohne Frieden ist alles nichts"), keine Horden atomar bewaffneten Taliban ins Land lockt, steht im Innern der Uni der ebenfalls übergoldete bleierne Erzengel Michael auf Posten, mit dem Flammenschwert und der Parole "Quis ut deus" auf dem Schild). Obwohl ich bei einem meiner letzten Besuche zufällig meinem Doktorvater begegnete und ihn beim Austreten einer Zigarette auf den Marmorfliesen im Treppenhaus ertappte (hat der früher je geraucht? und wir hatten immer dermaßen Respekt, vor dem Prof und den heiligen Hallen, wollten sogar zu seinem Sechzigsten heimlich die Büste von A. W. Schlegel im Seminar durch einen Gipskopf des Meisters ersetzen), hege ich keine unfreundlichen Gedanken an die Alma Mater, die mich aufgezogen, gestillt, für einige Jahre sogar in Arbeit und Brot gesetzt hat. Heute allerdings verlangt die Universitätsbibliothek von mir als unberufenem und nicht-mehr-zugehörigem Fremdnutzer satte Jahresgebühren, damit ich mir ab und zu mal was aus den Beständen ausleihen darf, deren Erwerb ich als Steuerbürger in NRW (die UB ist auch Landesbibliothek) sowieso bezahle. Und das, wo ich die Bücher doch teils, weil ich viel bei NRW-Verlagen wie Lübbe, Econ etc. publiziert habe (Landesbibliotheken kriegen gratis-Pflichtexemplare), auch noch im Schweiße meines Angesichtes selber schreiben, redigieren bzw. übersetzen musste!

    Eine Neuigkeit gibt es aber doch, für alle, die gelegentlich im Historischen Seminar neben dem Alten Zoll gebüffelt haben, wo inzwischen nicht mehr nur Ernst Moritz Arndt (dem sie neulich in Greifswald die Universitätsehre nehmen wollten - dabei war er in Bonn ein Opfer der sog. Demagogenverfolgung geworden, hatte Hausdurchsuchungen, Lehrverbot und Kürzung der Bezüge erlitten!), sondern auch Heinrich Heine ein Denkmal gekriegt hat, letzteres von Ulrich Rückriem.Historisches Seminar Das Gelände neben dem Historischen Seminar wird umgebaut, das Hotel Beethoven in der Rheingasse (dem Theaterbau gegenüber) und der Parkplatz rechts davon sind nur noch eine riesige Baugrube. Es gab da einst ein Chinesisches Restaurant, in dem ich - als Bonn-Pendler des ewigen Mensafraßes überdrüssig geworden -, in meinen Besserverdiener-Zeiten (ich habe während des Studiums gearbeitet) manche Frühlingsrolle verspeist habe. Das ist nun alles dem Erdboden gleich gemacht und wir konnten nur durch den Bauzaun spinxen.

    Baugrube am BrassertuferAber was war das? ein Totenschädel, der uns da unter dem Sonnenschirm zähnebleckend entgegengrinste?
    Waren wir einem Verbrechen auf der Spur, handelte es sich um beklagenswerte Weltkriegsopfer in einem nie geräumten Luftschutzkeller, oder wurde hier eine grausige Untat ans Licht der wirklich erstaunlich oktoberwarmen Sonne gezogen?

    Archäologischer LeichenfundDer Mann mit der Schubkarre legte einen Rahmen, oder irgendein anderes Quadrat über den Schädel, und ich knipste ein Beweisfoto (leider kann ich nur sehr eingeschränkt zoomen). Tatsächlich handelte es sich um Skelette aus karolingischer Zeit, von denen insgesamt 18 beim Ausschachten gefunden wurden, Wie ich später der Presse entnahm, waren Schnappschüsse strengstens verboten, und biederen Bonner Bürgern mit lokalhistorischem Interesse wurde das Durch-den- Bauzaun-Gucken verwehrt. Gerhard Geiß, der sich im General-Anzeiger darüber beklagte, hat inzwischen eine Dokumentation über das Leben in diesem Hafenviertel an den Bauzaun gehängt. Zwischen Oper und Altem Zoll lag früher die Rheinwerft, es gab das Giertor, das Restaurant "Vater Arndt", eine Kneipenszene und enge Gäßchen mit winzigen Häusern, wie man sie manchmal noch in Rheindörfern findet. Und es gab die Gertrudiskapelle, zu der das Gräberfeld gehörte. "Es handelt sich ausnahmslos um christliche Gräber", stellte der Ausgrabungsleiter bedauernd fest ("noch nicht mal ein Keramikgefäß") - die enttäuschte Gier in den Gesichtern der Erben ist stets das Schönste an der TV-Sendung Kunst und Krempel. Er hätte lieber ein paar Grabbeigaben mehr gefunden als den verwelkten Totenkranz, den ein weibliches Skelett nach fast zwei Jahrtausenden noch immer in den knöchernen Fingern hielt.

    Nach neuester Erkenntnis des Bundespräsidenten und der Bundeskanzlerin gehören allerdings nicht nur Christen und Karolinger (deren Großvater Karl Martell die arabische Streitmacht noch erfolgreich zurückgeschlagen hat), sondern auch der Islam zu Deutschland. Özedemir-Plakat in BonnOb es "den" Islam gibt, darüber streiten sich noch die Gelehrten. Wahrscheinlich meinten die beiden eigentlich, dass "die Türken" zu Deutschland gehören (als Politiker drückt man sich gern vor der Konkretisierung, aber wer weiß, dem könnten integrations-unwillige Deutsche vielleicht eher zustimmen als dem Einbau des abstrakten Islam als solchem in die christlich-abendländische Grundordnung). Denn zur Türkei gehören ja nach Wulffs Meinung wiederum die Christen, die er dort besucht hat. Schließlich war Kleinasien eine wichtige Keimzelle des Christentums (es war ja keine Erfindung des Abend- sondern des Morgenlands), und soweit die Nachkommen der Christen von damals noch auf türkischem Hoheitsgebiet leben, wohnen sie in Istanbul. Und für uns gehören die Türken auf jeden Fall zu Bonn; es war also für uns nicht überraschend, am 11. Oktober in der Adenauer-Allee (plakatiert vor dem jetzt universitären Institut Français, wo ich durch Zufall von der großen Napoleon-Ausstellung erfuhr, die im Dezember nach Bonn kommt) einem namhaften schwäbisch-türkischen Parteiführer zu begegnen, der seine Stellungnahme zur Integrationsdebatte überdies auch noch im Frauenmuseum abgeben will. Was Cem Özdemir am 28. Oktober vor den emanzipierten Museumsfrauen sagen wird, entzieht sich unserer Kenntnis, aber ein aufmerksames und hoffentlich auch streitbares Publikum wird sich dafür interessieren!

    Für uns ist allerdings das türkische Restaurant Opera ("Mehr türkische Spezialitäten finden Sie im weiten Umkreis nicht!") in unmittelbarer Nähe zum Ausgrabungsort des Karolingerfriedhofs die Bonner Zentrale deutsch-türkischen Kulturaustauschs, zumindest auf Vorspeisenniveau. Man kann zur wärmeren Jahreszeit draußen sitzen unter Palmen, aber auch drinnen findet man immer einen Platz, außer nach Opernpremieren... Opera-Terrasse in Bonn "Unaufgeregt normal verrichten hellwache Kellner aus aller Herren Länder ihren Dienst am Gast", heißt es auf der Webseite, und aller Länder Herren und Damen kennen das Lokal - wir hatten mal eine Musikkritikerin aus Österreich und ihren Ehemann als Schlafgäste, denen wir das Opera gar nicht empfehlen mussten, die kannten das schon. Hier schmauste ich 1993 mit einigen Freunden nach meiner "feierlichen Promotion" (meiner Mutter zuliebe, das volle Programm: Kandidatenaufmarsch im Rokoko-Treppenhaus, professorale Trachtengruppe, Verlesung meines Dissertations-Titels auf der Bühne der Aula, wobei sich der Dekan fast verschluckte). Ich habe eine Freundin, die sich mit mir fast jährlich zu adventlicher Zeit in Bonn trifft, und mich freundlicherweise zum Essen einlädt, aber sie will immer ins "Pizza Hut", weil sie meiner dringenden Empfehlung des Opera-Restaurants nicht folgen möchte, sie traut mir nicht und meint wohl, das wär' auch bloß so 'ne Dönerbude. Dabei ahnt sie kaum, welche phantastischen Vorspeisengenüsse ihr dabei entgehen, Opera-Terrasse in Bonnals da wären Antep Ezme, Tonbalik Ezme, Muhammarra, Hommos, Cerkez Tavuk, Tarama, Dolmadakia... und die 6 Vorspeisen mit Brot zu 7, 50 € reichen völlig aus, wenn man zu zweit bestellt, die werden von Kornelia, die wie ich Großfamilienkind ist, gerecht aufgeteilt und mit Brot, einer Schale Linsensuppe und einem Glas Ayran hat man dann schon eine vollwertige Mahlzeit (wobei es im Opera in der Woche von 13.00-15.00 Uhr durchaus bezahlbare Mittagspreise gibt).

    Jedenfalls endete in den letzten Jahren schon mancher Bonn-Ausflug (mal in die UB, mal zum Kaffee-Kaufen in der letzten kleinen Rösterei, zum Wellenbadreiten im Römerbad, zum Bücherstöbern im Billig-Bouvier oder als Abstecher bei einer Rückreise aus Süddeutschland) auf der Terrasse des Opera. Am Brassertufer, wo wir diesmal auf den Bauzaun rund um das ehemalige Hafenviertel nebst Karolingerfriedhof stießen, kann man immer noch für 2 Stunden umsonst parken, und nach einem Spaziergang am Rhein, dessen Anblick für meine Frau ein Lebenselixier ist, und einem letzten Gruß an das Siebengebirge steigen wir ein und fahren heim.

    Opera-Terrasse in Bonn


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  • Commentaires

    1
    hdor Profil de hdor
    Dimanche 24 Octobre 2010 à 17:26

    ich freue mich drauf ...

    2
    karinkornelia Profil de karinkornelia
    Lundi 25 Octobre 2010 à 14:24

    In München hatte ich einen Pizza-Hut wenige Meter vom Hotel. Und daselbst einen ganz süßen türkischen Kellner, klein, dick und freundlich. Ich liebe Pizza-Hut für ihren Caesar Salad, den es dort auch so richtig ohne Hähnchenstreifen (bäh!) gibt.
    Am Rheinufer habe sie früher auch Wachs gebleicht.

    3
    hdor Profil de hdor
    Mardi 26 Octobre 2010 à 08:46

     sitze hier mit 'ner Tass kaff und ihr redet von Reibekuchen.

    Aber ein Schüler, der das Wort Kartoffeln, nicht mehr hören kann, wird sich wohl für ein Reibekuchenrezept begeistern können, denke ich.

    Jason hat auch schon ein Minireferat über Matthias Isecke-Vogelsang gehalten, unsere Blog taugen ...

    Danke jedenfalls  für den Tipp

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    4
    hdor Profil de hdor
    Mardi 26 Octobre 2010 à 08:48

    Und die Dokumente und Bücher vom frauenmuseum habe ich auch rausgekramt, als Petit Larousse cem Ö. erwâhnte

    coop fructeuse!! merci!

    5
    Petit Larousse Profil de Petit Larousse
    Mardi 26 Octobre 2010 à 16:11

    ...und ich sitze mit ner Tass Tee, habe 25.000 Gazzettini zu falten und warte auf die Jahresgabe Teil 2 ohne unbestellten Weihnachtsschmarren auf der Rückseite.

    6
    karinkornelia Profil de karinkornelia
    Mardi 26 Octobre 2010 à 18:40

    Ich wusste doch, dass da was war mit dieser Katze. Jetzt wird es mir klar, Kornelia befürchtet, dass du in deinem neuen großen Arbeitszimmer Katzenfutter-Dosen hortest, um die Wolkenland-Katze zu füttern.

    7
    Petit Larousse Profil de Petit Larousse
    Mercredi 27 Octobre 2010 à 09:51

    Viel zu naheliegend. Vielleicht war's die Erinnerung an Zaziki "mit scharf".



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