• "Mein Stress ist wasserlöslich", dieses Werbewort aus ihrem Kuraufenthalt in Bad Hall (Österreich) fiel Kornelia gestern ein, als wir ein weiteres Gesundi-Plantschbecken in der ferneren Umgebung von Bad Grönenbach eroberten. Diesen Spruch konnte ich kaum angemessen kontern mit meinem spontan erdichteten Vers "In dieser grünen Entengrütze / braucht man keine Bademütze!" Die Rede ist von der Natur-Therme Bedernau, die laut Memminger Anzeiger, den wir hier im Book Crossing Point von Bad Grönenbach jeden Morgen frühstückswarm auf dem Teller liegen haben, eigentlich zu Babenhausen gehört, aber wer über Memmingen nach Babenhausen fährt und dort nach eine Info über die Therme sucht, ist fies gekniffen, man fährt noch endlos über die Dörfer und kommt an der Ehrmann-Joghurtfabrik vorbei ("keiner macht mich mehr an" - aber von Fabrikverkauf weit und breit nichts zu sehen, es gibt wohl eine LKW-Waage, auf die man sich vor und nach Genuß einer Palette Erdbeeryoghurt stellen kann), schließlich durch weitere grüne Täler und Auen und erreicht endlich das Dallas des Allgäu, genannt Arlesried (bei Bedernau), wo bis vor wenigen Jahren (1964-1999) insgesamt 2 Mio. Tonnen Erdöl, dazu Erdgas gefördert worden waren.  Das Denkmal einer Ölpumpe erinnert daran.Badeteich Bedernau Laut Wikipedia-Artikel plante man bereits 2009 Probebohrungen und wollte 2010 ein neues Bohrloch in Betrieb nehmen. An dieser Stelle aber fand man heiße Quellen, die heute ein mäßig großes, nach Art eines sozialistischen Offenstalls teilüberdachtes Schwimmbecken füllen. Zur Liegewiese hin ersetzt ein Gazevorhang die Verglasung, ist natürlich schön luftig und verhindert Schimmelbildung. In den grünen Anlagen ringsum findet man wenige Bänke (eine konnten wir, da wir vormittags kamen, grade noch kapern), klangvolle Windglocken und einen hölzernen Tyrannosaurus Rex (gebastelt von der Schulklasse 3 c) sowie einen normalen Badeteich, dessen Besuch bei Verzicht auf das fluor-, natrium-, hydrocarbonhaltige Warmbad  etwas billiger kommt (die Therme kostet 6 EUR, und es gibt nur je drei Umkleidekabinen für Männlein und Weiblein). Das Gesundi-Becken bietet zwei Flächen mit Sprudelmassage  (wir fanden auf einer zu zweit Platz) und 2 Massagedüsen; ferner gibt es noch ein Dampfbad, wo man aber aufpassen muss, dass man die Knie nicht an den Knien des Nachbarn aufscheuert, so eng ist es. Wir kamen zwei- oder dreimal rein und wechselten jeweils Warmwasser- oder Dampfbadwärme mit dem kühlfrischen, biologisch durch Mikroorganismen gereinigten Badeteich.  Die Kinder, die im Lauf des Nachmittags mit schöller-blauen Leihschwimmhilfen den Dorfteich bevölkerten, gingen übrigens ganz ohne "Schnick, Schnack, Schnuck" ins Wasser. Ganz schön anstrengend auf die Dauer, wir legten dann noch eine eigene Brotzeit ein und verzichteten auf das reichliche Kuchenangebot für die im Thermalbecken schwatzenden Renterhorden.  Da tritt der rauchende, schöller-eisverkaufende Kassierer (in Personaleinheit Bademeister) auf, der auch dei Kinder zur Ordnung ruft, die den Schwimmerbereich des Badeteichs mit aufgeblasenene Rettungsringen betreten. Den Rand des Thermalbeckens nur mit Badeschuhen betreten! Ein Rädermeißel wird ebenso ausgestellt wie ein hässlicher Thron der Thermalnixe, gestaltet von dem Schreiner Lothar Schuster, auch eine Fontaine de l'amitié plätschert, der an die jumélage zwischen dem bretonischen Ploigneau (wie passend) und dem Allgäuer Weiler Bedernau erinnert. Eine Kneipp-Anlage findet sich außerhalb des Thermalbads, wir benutzten aber abends nach unserem Circletraining lieber die von Bad Grönenbach.

    Auf dem Rückweg über die Dörfer kamen wir dann unversehens nach Mindelheim, das im Reiseführer des ADAC als "kleinere Konkurrenz zu Memmingen" beschrieben wird. Mindelheim hat eine bewegte Geschichte, in der es von Kriegstaten und Feldherren nur so wimmelt, so dass es eigentlich der ideale Standort für ein "museum of war" sein könnte. Aber so martialisch wollte ich gar nicht anfangen. Zuerst wäre die nette, gescheite und friedlich-entgegenkommende Dame in der Touristeninformation im stattlichen Rathaus von Mindelheim zu loben, die uns in aller Kürze die nötigsten Daten zur Geschichte des Orts und die Sehenswürdigkeiten vermittelte. Mit unserem Badethermalteich hatten die Mindelheimer entfernt auch zu tun. In Maria Baumgärtle bei Mindelheim hatten Kriegsheimkehrer 1953 eine "Krieger- und Friedens-Wallfahrt" eingerichtet, die alljährlich am 1. Mai stattfindet. In diesem Jahr war auch eine Abordnung von zwei französischen Veteranen dabei, einer von ihnen war André Chouin,  Präsident des Veteranenvereins der bretonischen Partnerstadt: "Unsere Botschaft ", führte er aus, "ist die der Brüderlichkeit, Freundschaft und des Friedens für unsere Kinder und Enkel in Freiheit und gegenseitigem Respekt. Es lebe Bedernau. Es lebe Plouigneau. Es lebe Bayern und esen lebe die Bretagne!" Wir versuchten übrigens auch die Wallfahrtskirche Maria Schnee aufzusuchen, die wird aber gerade restauriert und neu gestrichen (bis Mariä Himmelfahrt am kommenden Sonntag wird das aber nicht mehr fertig), die Kirche war eingerüstet und mit Plastik umwickelt wie ein Kunstwerk von Jeanne-Claude und Christo, und der pinselschwingende Maestro grüßte nur kurz und ließ sich nicht bei der Arbeit stören.

    Frundsberg in Bronze am Rathaus von MindelheimAm Rathaus von Mindelheim ist eine Statue des Söldnerführers Georg von Frundsberg zu sehen, der in dieser Stadt geboren ist und auch starb. Er galt als "Vater der Landsknechte", stand im Dienst Karls V. und führte unter anderem Krieg gegen den Papst, als der nicht so wollte wie der Breitkinn-Stammvater des Habsburgerreiches. Er soll einen Herzinfarkt bekommen haben, als seien Söldner die Piken auf ihn richteten und er nicht zahlen konnte. Darauf kam es am 6. Mai 1527 zur Plünderung Roms im sog. "sacco di Roma", den er selbst wohl nicht gebilligt hat, aber auch nicht verhindern konnte. Jeden 6. Mai erhalten die Drittklässler von Mindelheim eine Rosinenschnecke, das sogenannte "Frundsbergweggle", und alle drei Jahre - als nächstes wieder 29. Juni bis 8. Juli 2012 - findet ein Frundsbergfest in Mindelheim statt, mit denen man wohl dem Wallenstein-Lager in Memmingen den Rang ablaufen möchte. Frundberg bewohnte die Mindelburg, seine Großnichte war Maria Fugger, die in das große Handelsimperium eingeheiratet hatte. Übrigens hatte im Mittelalter Ulrich von Teck das Städtchen regiert (nach schweren Fehden den Herren Walther und Heinrich von Hochschlitz abgeknöpft), der in einem rotmarmornen Grab in der Gruft der St. Stephanskirche beigesetzt ist. Ob der etwas mit der Teckburg in Kirchheim zu tun hat, war auf die Schnelle nicht zu ermitteln. 1616 erwarb Herzog Maximilian I. von Bayern (im Dreißigjährigen Krieg besiegte er die böhmischen Protestanten in der Schlacht am Weißen Berg) die Stadt und unter ihm wurde das Jesuitenkolleg gegründet. Und eine Zeitlang gehörte sie einem Engländer namens John Churchill 1st Duke of Marlborough Reichsfürst von Mindelheim - der keine Schlacht verloren hat und von dem das Liedchen bekanntlich singt, "Malbrough s'en va-t-en guerre", unter anderem gewann er gemeinsam mit dem Prinzen Eugen von Savoyen die verlustreiche Schlacht von Höchstedt, bekannt als "Blenheim" (über die Robert Southey ein berühmtes, u. a. von Arno Schmidt übersetztes Anti-Kriegs-Gedicht schrieb). Eine weitere, ebenfalls kriegerische - aber eher diplomatische - Heldentat einer Mindelheimerin war der Kniefall der Posthalterin Cäcilie von Dreer vor dem französischen General Férino, der 1796 die Stadt plündern und niederbrennen lassen wollte, weil man einen der Vergewaltigung beschuldigten, in Nassenbeuren einquartierten Soldaten umgebracht hatte, und der im Angesicht der Kinderschar und der Posthalterin davon abließ. Derlei lässt sich an den reichbemalten Fassaden der wunderschönen Stadt Mindelheim ablesen. Gasthof zur Laute in MindelheimNicht so reich, nur ein bisschen dekoriert, dafür ein stattlicher historischer Bau (leider geschlossen) ist das Restaurant "Die Laute", wo ich schon des Namens wegen gern mal eingekehrt wäre. Daher besahen wir noch die Jesuitenkirche und in dieser die Kapelle des Franz Xaver - mehr Rokoko als Barock, aber verspielter und farblich milde pastellgetönt, mit wunderbaren Dankbarkeitsszenen missionierter Indianervölker. Die Jesuiten sind ja auch ein kämpferischer Orden gewesen, Mindelheim rangen sie mit dem Stadtpfleger Sauerzapf um die Auszahlung der für ihr Kollegium bewilligten kaiserlichen Gelder. Aber ihre Vertreter waren die ersten, die sich mit der Sprache der von den Spaniern unterjochten Indios beschäftigt und gegen ihre grausame Behandlung als Zwangsarbeiter in den Silbergruben protestiert haben. St. Xaver tauft IndiosJesuiten-Rokoko in MindelheimBloß das Stadtmuseum mit der grade laufenden Scherenschnittausstellung konnten wir nicht sehen, denn es hat nur einmal in der Woche, Donnerstags, und dann noch, welche Verschwendung, an jedem 2. Sonntag im Monat auf! Wieso eine historisch interessante, für Durchreisende so sympathische und architektonisch prachtvolle Stadt nicht mal einen Ein-Euro-jobbenden Rentner bezahlen will, um ein Museum wenigstens halbtags, dafür aber ganzwöchig zu öffnen, wird mir immer ein Rätsel bleiben.

    Als wir an diesem Abend heimkehrten, lag etwas auf unserer Schwelle - eine bereits ersehnte Büchersendung von Evert Everts, der das uns zugesandte Buch gemeinsam mit Karl Rovers herausgegeben hat. Everts ( Rovers (Hg.): WolkenlandEs handelt sich um die Anthologie "Wolkenland", die von uns gesetzt, im Verlag Ralf Liebe mit der ISBN Nr. 978-3-941037-57-1 erschienen ist. (Das Titelbild war allerdings nicht unser Werk!) Das Buch enthält Gedichte, Erzählungen, einen dramatischen Text, einen Essay und den Auszug eines Jugendromans, alles Texte aus dem "Autorenkreis Rhein-Erft" um den Glessener Mediziner Gynter Mödder. Neben ihm und seiner Frau Renate Mödder-Reese sind u. a. Christa Wißkirchen, Isolde Ahr, Harald Gröhler, Hans-Josef Jungheim, Dietmar Kinder und natürlich Evert Everts und Karl Rovers darin vertreten. Auch von mir sind einige Gedichte, dazu die Erzählung "Katzenfutter" enthalten (für die Illustration hat Kornelia einen ihrer wunderbaren Scherenschnitte zur Verfügung gestellt). Nein, das Buch kommt noch nicht in den Book crossing point bzw. in das Billyregal unserer Gastgeberin - die Leute sollen es ja kaufen, nicht nur leihen. Der reichhaltige Band kostet doch nur läppische 10 EUR und soll von mir und Evert Everts am 12. September 2010, 11.00 im Kölner "Libresso" vorgestellt werden.


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  • Der Wander- bzw. Turn-Dienstag mit anschließendem Badeteichbesuch brachte die Ergänzung des Findelgedichts aus der Speisekarte von "Leo's Imbiß" sowie die ganze Wahrheit über dessen Funktion... als Schnitt(chen)stelle zwischen Kur-, Bade-, Sport- und Gastronomiebetrieb.

    Pommes frites
    mit Ketchup oder Mayo

    Landjäger
    mit Semmel

    Allgäuer Käse
    mit Semmel

    Schweinskopfsülze
    mit Semmel

    Leberkäse
    mit Semmel

    Ich hatte mich schon am Montag über das für ein verhältnismäßig schwach besuchtes, dörfliches Schwimmbad auffallend üppige Fouragierangebot gewundert. Erst dachte ich, das ist eben Bayern. Aber "Leo's Imbiß"  ist mehr als eine Kioskbude für hungrige Badenöcks und -nixen. Es ist eine Stellungnahme. Ein gastronomisches Manifest. Ein Bollwerk gegen Dr. F. X. Mayr. Franz Xaver Mayr (1875-1965) ist der Erfinder der ganzheitlichen F.-X.-Mayr-Kur, die der Entschlackung und Entsäuerung dienen soll. Zuerst wird der Grad der "Selbstvergiftung" analysiert: z. B. ob ein "entzündlicher Kahnbauch" oder ein "kugelförmiger Gasbauch" oder "schlaffer Kotbauch" vorliegt. Dann lernt man, was immer man in den Mund nimmt, ob Aspirin, Saxophonmundstück oder Zahnbürste, 32mal zu kauen.mon blog retrouvé...

    Das, was der Patient (die Mayrschen Bauchsilhouetten ähneln sicher nicht ganz zufällig den physiognomischen Studien an arischen und nichtarischen Gesäßformen des Jörg Lanz von Liebenfels, den Hitler in Wien mit Begeisterung las) ansonsten zu sich nimmt, nennt man wegen der übersichtlichen Bestandteile auch "Milch-Semmel-Diät", wobei die trockene Semmel vor allem dazu dient, den Speichelfluss anzuregen.  Dazu kommt noch eine salinische Berieselung des Darms durch Bittersalz sowie eine Trinkkur aus Wasser und Kräutertees. Und das unmittelbar hinter dem Naturfreibad Clevers gelegene Sanatorium Bad Clevers sieht genau diese Kur vor und bietet alle möglichen weiteren Diäten an. Originaltext Prospekt: "So bietet Ihnen unser Haus Normal-, Reduktions-, Aufbau-, Vollwert-, und Trennkost sowie sämtliche Diätformen und vegetarische Kost an. Ebenso führen wir Fastenkuren zur Revitalisierung und Körperentschlackung durch und berücksichtigen spezifische Ernährungsformen (z.B. elektrolytdefinierte Kost, glutenfreie Kost)." - Kein Wunder, dass man am sanatoriumseigenen Ufersteg immer wieder Gestalten sieht, die dort ihre kleine Nikotinanwendung nehmen, und auch wenn die Direktorin Dunja Angerer-Schmidtchen (Fachärztin für Innere und Allgemein-Medizin) vermutlich vom Dachstuhl her mit dem Feldstecher einen guten Ausblick hat, werden sich wohl manche Patienten in unauffälliger Kleidung (oder unter Wasser schnorchelnd) ans öffentliche Ufer des Naturfreibads begeben. Kornelia bezeichnet diese Ecke von Bad Grönenbach als "Soziotop". Jetzt verstehe ich auch die rauchenden Bierflascheninhaber auf Leos Terrasse besser - alles Diätflüchtlinge!

    Der Circletrainingspark hat uns am Dienstag auch wieder in Atem gehalten. Nach dem Crash...einige Übungen gehen mit der Zeit immer besser, z. B. das "auf der Stelle treten" an der Pedalo-Schiene. Ziel der Übung ist, frei balancierend (eine Stange, um sich notfalls festzuhalten, ist vorhanden) die Pedalo-Mechanik in Gang zu setzen und vor- sowie, nach Eingewöhnung dann auch rückwärts strampelnd, in einer möglichst "gleichmäßigen, runden Bewegung" schienenauf- und abwärts zu fahren. Kinder kriegen das übrigens kinderleicht hin, während es mir als angehendem Greis mitunter an der notwendigen Stabilität gebricht. Ich bin auch schon eine Ewigkeit nicht mehr über liegende Baumstämme balanciert, weshalb für mich das Modul "Koordination" eine echte Herausforderung darstellt. Stützspringen am Reck kann ich auch nicht mehr wie früher. Für eine Reihe anderer sinnvoller Übungen sind meiner Meinung nach die Geräte ungeeignet, z. B. das für die "Situps", die ich lieber auf einer anständigen Parkbank mache als hier auf dem Stahlgerüst. Sämtliche Geräte (von denen hier in Grönenbach nur 17 aufgestellt sind), die wohl auch schuld an unserem Dauer-Muskelkater sind, finden sich auf der Webseite der Firma 4FCircle.

    Ansonsten haben wir heute die Alpen gesehen, wenn auch nur sehr schemenhaft am Horizont von einer Bank aus, die eigens für dieses Panorama eingerichtet ist (Kornelia sah hier vorgestern eine Katze den Baum hinauf- und ein Eichhörnchen auf der anderen Seite des Stammes hinunterjagen). Wir unterhielten mehrere Allgäu-Kühe mit Flötenspiel und schossen ein paar Fotos aus der Serie "selbstgemalte Hinweisschilder". Einen großen Ameisenhaufen haben wir gesehen, einen springenden Frosch sowie mehrere Grasmücken. Abends verzichteten wir der einsetzenden Kühle wegen auf das Viertele Hauswein auf der Terrasse des "Rauchkuchls"; Kornelia briet in unserer Bleibe Kartoffeln und Rostbratwürstchen, dazu gab es Tomaten-Ruccola-Salat.


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  • Gestern meinte die Sonne es endlich mal gut mit uns und schien nicht nur zu scheinen, sondern blieb ganztägig dabei. Morgens schon war es bei meiner Frühgymnastik trocken geblieben (dafür hatten über Nacht drei Riesenpilze am Schilderpfahl das Licht der Welt erblickt), Kornelia nutzte die Gunst der Stunde nach dem Frühstück für ihre Walking-Runde (haha, reimt sich) und kam mit einer Mittagsvesper wieder, dann suchten wir die bombastische Trainingsanlage mit 20 Stationen im Schloss-Aktiv-Park auf, absolvierten die Module "Aufwärmen", "Lockerung", etc. etc., aber nicht "Ausdauer", denn wir hatten ja noch das Kneipp-Wadenbad (auf den innerörtlichen Wegweisern "Tretanlage" genannt) und die kreisförmige Fußreflex-Zone nebst anschließendem Besuch im Naturfreibad vor uns. Die sogenannte 4fcircle-Anlage wurde aus Mitteln des Konjunkturpakets I der Bundesregierung errichtet und erst neulich am 30. Juni eröffnet. Den Basisplan eines solchen sportiven Themenparks kann man sich hier ansehen. Am schwersten fällt mir das Modul "Koordination", da soll man u. a. auf einem Seil balancieren oder von einem wackeligen Teller aus, der auf einer Art Feder platziert ist, Bälle in einen Korb werfen. Mein Gott, dieser Ort ist so sportlich, daß es am 6. Juni dieses Jahres sogar eine Sportlerwallfahrt gab, siehe Bild!Nach dem Crash...

    Macht aber nichts, man kann sich ja immer noch um ein paar Jahre jünger machen, wenn man nur ein wenig übt, siehe Goethes "Der Mann von funfzig Jahren". Jedenfalls balanciere ich schon bedeutend besser als beim ersten Mal, und auch das Springen über Punkte, die im boden eingezeichnet sind, oder das Fortbewegen im "Pedalator" will immer besser gelingen. Was den Fußreflexzonen-Parcours über "Stock und Stein", dh. Pflasterung, klitzekleine wehtuende Steinchen, gröberen Kies, Holzbalken, Holzscheiben, weiche Baumrinde usw. betrifft, erklärte eine einheimische Dame, die wir mit zwei Enkelkindern im Wadenbad antrafen, diese Anwendung für "Schmarren", sie ging aber trotzdem barfuß dort herum und wir auch, weil's dann hinterher so schön an den Beinen kribbelt. Für die perfekte fußläufige Selbsterfahrung fehlen allerdings noch "Kohlenglutbereich zum Feuerlaufen", ´"Stoppelfelder", "Stillgelegte Vorort-Bahngleise" "Autobahnzubringer-Asphalt für gesundheitsbewusste Trampreisende",  "New Yorker Broadwaypflaster mit Kaugummiresten".

    Nach ausgiebiger Pause am Entenpfuhl (schwarze Enten gibts auch, mit weißem Brustfleck und schwarzen Schnäbeln, und einem halbstarken, herumpöbelnden Blesshuhn gelang es, ein paar harmlose Enten aus seinem Revier zu verscheuchen) begaben wir uns schließlich zum kostenlosen Badevergnügen im Grönenbacher Naturfreibad "Clevers", das wohl von dem gleichnamigen, am Ufer des Dorfteichs gelegenen, supermondänen Kneipp-Sanatorium (mit)betrieben wird, eigentlich ist ein Förderverein verantwortlich, aber die benachbarte Minigolfanlage heißt ebenfalls Bad Clevers wie das Hotel. Der Naturteich sieht so aus, als hätte die Dorfjugend hier noch vor zehn, zwanzig Jahren ungestört umsonst baden können - gilt wohl immer noch, außer an Wochenenden, jedenfalls verlangte man heute von uns nichts. Alles schick mit Umkleide, WCs, Duschen innen und außen, Springturm mit Einser und Dreier, Kinder-Nichtschwimmerbecken, frei herumtragbaren Liegestühlen etc. ausgestattet, auch mit Zugangstreppen, die allerdings ein bißchen glitschig sind. Ansonsten schwimmt man eben im Teich, es gibt eine komfortable Badeinsel in der Mitte, weiter links hinten auch Entengrütze, und: Das Schilfgelände darf aus Gründen des Natur- und Tierschutzes weder betreten noch befahren werden, als ich dieses Schild an einem Gitterzaun endlich schwimmend lesen konnte, erhob sich mit abschätzigen Schwingenschlägen ein Graureiher in die Lüfte und strich ab.

    mon blog retrouvé...Nachdem wir den Teich mit starken Stößen durchmessen hatten, war es Zeit, sich ein wenig in die Sonne zu legen und Volkskunde zu betreiben. Da war der Bademeister von der "Wasserwacht", der sich, schlank, braungebrannt und muskulös, Bauch, Rücken, Arme und Beine von seiner aschblonden schlaksigen Freundin gegen Sonnenbrand einkremen ließ. Anschließend machte er sich auf seiner Strandliege mit Extras (Klapptafel am oberen Ende, die das Gesicht gegen übertriebene Sonnenbestrahlung absichert) bequem und genoss eine Fußmassage. Den Rest des Nachmittags bis Punkt 18.00 verbrachte der Wasserwachtmeister mit Klönschnack mit seinen Kumpels, die ihre Abhängematten steuerbord anlegten, Rettungsaktionen für Ertrinkende fielen nicht vor, und er hob auch kaum den Kopf, um mal nach dem Rechten zu sehen. Da es an unserem Lagerplatz zu den Versorgungseinrichtungen der Badeanlage ging, wanderten alle Badegäste vorüber, die neu Einströmenden (viele waren's nicht), und die hungrig zum Ausgabeschalter von "Leo's Imbiß" Strebenden. Dort gab es außer Bier, das von unbehelligten Rauchern auf der Terrasse reichlich konsumiert wurden, der "Tasse" und dem "Haferl" Kaffee (das ohne Pfandgeld hergegeben wurde) ein Speiseangebot, das jetzt als Findelgedicht hergesetzt wird:

    Tellersülze
    mit Semmel

    Schweizer Wurstsalat
    mit Semmel

    Saurer Preßsack
    mit Semmel

    Currywurst
    mit Pommes frites oder Kartoffelsalat

    Schnitzel
    mit Pommes frites oder Kartoffelsalat

    Fleischküchle
    mit Pommes frites oder Kartoffelsalat

    Blechkuchen

    alle Sorten
    mit Sahne

    usw. usw.  - An unserem Platz wanderte tatsächlich eine in der hohlen Hand getragene Riesenportion Pommes vorbei. Als nächtes kam ein pickelnarbiger Rucksacktourist mit schulterlangem Grauhaar in Charles-Bukowski-Optik, mit Tigerfell-Badehose, in der Hand ein Cornetto (nein, ein "Mucki" Nuss von der Firma Schöller-Nestlé, die das Monopol über den hiesigen Schwimmanstaltenverzehr hält), das er unter der schattigen Weide vertilgte. Bei einem anderen Badegast lappte das Bauchfett eindrucksvoll über den Bund der Badehose, dass es ihn züchtig bedeckt hätte, wäre jener gerissen oder diese nicht vorhanden gewesen, und der steatopygische Achtersteven ragte raketenabschussbasis-ähnlich andererseits empor.

    Neben unserem Platz hatten sich drei junge, allesamt grazile Mädchen niedergelassen (die in Köln das Stadtbild prägende Moppelgestalt fehlt hier bei Kindern fast ganz), die später auch eine geteilte Luftmatraze aufbliesen. Die älteste war wohl zwölf, dreizehn Jahre alt und hieß Dodo, von ihre jüngeren Gespielinnen hieß die eine Amelie, den Namen der Dritten verstand ich nicht wegen des Dialekts, vielleicht "Birte". Jedenfalls fiel mir auf, dass diese recht sportlichen und jedenfalls schwimmkundigen Jungdamen, bevor sie ins Wasser gingen, erst mal ein paar Runden "Stein, Schere, Papier" spielten (zu meiner Zeit auch als "Schnick, schnack, schnuck" bekannt) - wohl um auszulosen, wer von ihnen als erster ins kalte Nass steigen werde. Mich wunderte das ein wenig, denn in meiner Jugend rannte man entweder voraus, um "Erster!" zu sein, oder schubste einander hinein, oder blieb halt bibbernd und zagend zurück, um sich "Memme" und "wasserscheu" titulieren zu lassen. Ich hätte meine Aufmerksamkeit auch längst anderen Gegenständen zugewandt, wäre da nicht eine Dreiergruppe von wesentlich kleineren Dreikäsehochs erschienen - der dicke Kevin als Anführer, ihm hing der NATO-grüne Bundeswehrrucksack seines Vaters oder älteren Bruders deutlich in den Kniekehlen, ein schmächtigerer Junge und ein kleines Mädchen mit pinkfarbener Schultasche auf dem Rücken. Als die an der Treppe anlangten, ging die Knobelei von vorne los, und dauerte eine geschlagene Viertelstunde. Schließlich kamen noch die zwei vorher isoliert herumgeisternden Mädchen dazu und spielten das "Schere, Stein, Papier"-Nullsummenspiel mit. Uns war es längst zu heiß geworden und wir schwammen bereits im Teich, als wir die Rasselbande noch immer knobeln hörten, ohne dass irgendwer von den Kiddies auch nur mit dem linken großen Zeh die Wasseroberfläche berührt hätte. Es dauerte noch geraume Zeit, bis die drei den Sprungturm erklommen hatten, dort aber, anstatt zu springen, allerlei Wipp-Gymnastik ausführten. Endlich, nach einer Stunde, hatten die drei ihre Schwimmhilfen ausgepackt und warfen diese ins Wasser, um vom Rand des Springturms hinterher- und draufzuspringen. Da waren sie endlich drin!

    Vom Schwimmen im Grönenbach bzw -teich ist nicht viel zu sagen; an der Oberfläche war das Wasser angenehm, unterschwellig kamen kühlere Strömungen an, die auf guten Austausch schließen lassen, und jedenfalls hat man gut zu tun und entgeht der Gefahr des unverbindlichen Herumplantschens, wie sonst in Wellnessbädern. Auf dem Rücken schwimmen kann man jedenfalls ohne Ende und läuft nicht Gefahr, anzuecken - außer uns waren höchstens fünf bis sechs Erwachsene im Nichtschwimmerteich. Eine russische Familie hatte sich in der Nähe von uns Platz gesucht, die Herren der Schöpfung gingen auch mal ins Wasser, und der Wasserwart bevölkerte kurzzeitig mit seiner Blondine und seinen Kumpels die blaue Schwimminsel. Ein fiedriges Jung-Blesshuhn rödelte fiepend auf dem Teich, als hätte es die Mutter verloren, und tatsächlich kam ein großes, lauter trötendes Blesshuhn herangepfeilt - aber nicht so ein Rüpel wie am Entenpfuhl an der Kneipp-"Tretanlage" - , worauf für eine Weile Stille herrschte. Sonst war praktisch nichts los.

    Im Laufe des Nachmittags hörten und sahen wir noch andere Kinder "Schere, Stein, Papier" spielen, wobei mir klar wurde, erstens, dass es das Saisonvergnügen der hiesigen Jugend sein muss (und nicht etwa nur der wasserscheuen), zweitens, dass sich die Regeln inzwischen verändert haben. Die beiden etwa achtjährigen Mädchen, die wir beobachteten (und die übrigens gar nicht ins Wasser gingen, sondern nach Art der Franzosen, angetan mit Taucherbrille und mit Köcher und Eimerchen bewaffnet, vergebens am Ufer auf und ab spazierten, um Elritzen oder andere Fischli zu fangen - die Kleine von den Russen rechts von uns wollte es ihnen gleichtun, hatte aber nur eine Plastiktüte statt eines Köchers), diese Mädchen also machten ganz merkwürdige, mir fremde Gesten, eine hingestreckte hohle Faust beispielsweise oder die nach oben zeigende, mit den Fingern grabbelnde Tellerhand. Später erfuhr ich aus wikipedia, daß es sich hier um die Symbole "Brunnen" und "Feuer" handeln dürfte, die man wohl eingeführt hat, um die zum "Patt" führenden gleichartigen Gesten zu vermeiden: Papier deckt den Brunnen ab, aber Stein und Schere können hineinfallen (hörte ich das eine dem anderen Kind erklären); Feuer verzehrt Papier, nicht aber Schere und Stein.

    Nach dem Crash...

    Ein weiteres Zeichen - die Grabbelfinger des Handtellers von oben gehalten - könnte "Wasser" bedeuten (höhlt den Stein und lässt Scheren rosten), aber da bin ich mir nicht sicher, und vollends rätselhaft ist mir, dass eines der Mädchen die Hände an den Handgelenken aneinander legte und die beiden Handteller schmetterlingsartig nach außen spreizte. Wer dies liest und Bescheid weiß, was es bedeutet, bitte melden! Auf dieser ChaosZone-Webseite finden sich übrigens noch zahlreiche weitere Kombinationen - ich glaube, ich bleibe aber bei meiner guten alten Dreierregel, die Schachfiguren wird man ja auch hoffentlich nicht plötzlich durch Neu-Figuren wie "Amazone", "Partisan", "Kampfdogge", "Embedded Journalist" und "Gulaschkanone" ergänzen...

    Wir amüsierten und dann noch sehr über unsere drei Nachbarinnen, die entschlossen waren, die Luftmatraze (die danach jedesmal sorgfältig getrocknet, ja abgerubbelt werden musste) ohne dabei zu kentern, zu dritt zu belegen, vom Treppenrand des Teichufers abzustoßen und sich drei Meter weiter an der Nichtschwimmer-Schnur entlangzuhangeln. Der kleinen Amelie, deren Vater das Teil wohl murrend und stirnrunzelnd ausgeborgt hatte, war eingeschärft worden, die Luftmatraze nicht im Schwimmerbereich zu benutzen - fürchtete man, sie könne in die verbotene Schilfzone abdriften? Dauernd hörten wir es tuscheln: "Wenn dein Vater das erlaubt..." Zwischendurch hatten die Mädels natürlich auch endlos Haare zu kämmen und große Mengen von Speiseeis zu verzehren, wobei ihnen ein leicht debil wirkender Mann mit weißem Hut und T-Shirt, der in Bad Grönenbach möglicherweise die Rolle des Dorfnarren einnimmt, Gesellschaft leistete. Und dann wurde es auch schon Abend, die Sonnenglut verlor an Kraft, wir zogen uns fröstelnd an, Kornelia wollte noch "Gnocchi" besorgen, damit wir den Gorgonzola aufbrauchen, und brachte statt dessen Schupfnudeln aus dem Nettomarkt mit (siehe Karinkornelias Karyatiden-Blog), produits de la région, die es genauso gut taten (ebenfalls aus Kartoffelteig).


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  • Wir schreiben das Jahr 2010, für die Welt das Internationale Jahr der Biodiversität, für Europa das Europäische Jahr der indigenen Völker, für die christlichen Kirchen und Organisationen das Jahr der Stille und für zu Hause das Jahr der Hausgeburt. Bloß hier im Allgäu feiern wir das Internationale Karl Joseph Riepp Jahr, aber nicht nur in Ottobeuren, sondern auch in Eldern und Salem, in Besançon und Karlsruhe, in Bordeaux und Dijon. Es gibt Orgelreisen zum 300jährigen Geburtstag, Symposien, Konzerte und Lichtbildervorträge über sein Wirken in der Bourgogne mit anschließendem Glas Wein. Der 1710 als Mesnerssohn zu Eldern geborene Meister brachte es nämlich auch als Weinhändler zu erheblichem Wohlstand, das war sein zweites Standbein neben der Orgelbaukunst - in Salem baute er die mit 125 Registern auf vier Orgelwerken weltweit größte Anlage seiner Zeit, und - seltener Glücksfall - die beiden Chororgeln in der Basilika des Benediktinerklosters zu Ottobeuren, 10 km von hier, blieben seit  dem Bau 1754-1766 weitgehend unverändert. "...in der That aber sein Sie gestimbt und intonirt", äußerte der Konstrukteur über sein Werk, "wan man Bössere findet in heurope, will ich nour hänsle haissen." Er hieß aber weiterhin Karl, nach 1747 sicher auch Charles, nämlich in der Urkunde über das französische Staatsbürgerrecht, das ihm Ludwig XV. verlieh. Gehört haben wir seine Orgel noch nicht, aber das Klostermuseum von Ottobeuren zeigt sein Porträt sowie das seines Bruders Rupert, der ebenfalls Franzose wurde.

    Nach dem Crash...Denn nach sonnigem Vormittag, von Kornelia für eine Southic-Walking-Tour genutzt, mit anschließendem Zirkeltraining auf den nagelneuen Spielgeräten im grünen Tal von Grönenbach plus Kneippschem Fußbad, zog sich der Himmel leider wieder zu und schüttete Gießkannen mit Regenwasser aus. Um uns nicht im Book Crossing Point mit irene Dische, Jean-Paul Sartre, Axel Hacke und Pascal Mercier herumzuöden, rafften wir uns trotz Muskelkater von gestern auf und fuhren ins benachbarte Ottobeuren. Das 764 gegründete Kloster ist praktisch zweigeteilt und steht daher aks einziges im Süden Deutschlands für Besucher offen, man darf richtig rein, ohne Anmeldung am Aquarium des Pförtners vorbei, bei freiem Eintritt (außer im Museumsbereich), kann sich in aller Ruhe umgucken, zum Beispiel in die nebenstehenden Flure wandern, die an die Uffizien erinnern und wo nicht bloß Heilige, Evangelisten und Kirchenväter, sondern auch Bacchus und Minerva, Fortuna und Julian Apostata abkonterfeit sind. Das Kloster mit seiner Basilika ist schon von außen eine eindrucksvolle Erscheinung, wegen der hübschen Farbgebung der "Scheinarchitektur" auf den Mauern: was anderswo Granitblöcke zuwege bringen, ist hier auf die Fassade gemalt, und das setzt sich auch im Innern fort. Der Ostteil des Klosters gehört den Mönchen, der Westteil diente der Verwaltung der weltlichen Güter - das sog. Reichsstift beherrschte außer Ottobeuren 27 Dörfer in der Nachbarschaft. In der Chronik der Benediktinerabtei findet sich das denkwürdige Datum 1212, da heißt es: "Die Schutzvogtei gelangt nach dem Tod des Markgrafen Berthold von Ronsberg an Graf Gottfried von Marstetten. Das Kloster erzwingt die Übergabe an Kaiser Friedrich II." - Von diesem Marstetten heißt es in einer Allgäuer Heimat-Webseite: " Derselbe Graf Gottfried ...mußte aber, um diese Vogtei zu behaupten, diesem Kloster 1213 den beträchtlichen Weiler Helchenried bei Mindelheim abtreten..." Die Möche waren entschlussfreudige Manager, wie es scheint. Als reichsunmittelbares Kloster hatten sie einen reichen Reliquienfundus, der aus Köln stammte, und verteilten die gnadenbringenden Knöchelchen an 77 Orte in Schwaben; sie gründeten eine Druckerei, die der Humanist Nikolaus Ellenbogen leitete, wurden 1541 eine "Öffentliche Lehranstalt für orientalische Sprachen" und kurzzeitig 1543/44 eine Schwäbische Benediktiner-Universität ("verlegt nach Elchingen und untergegangen im Schmalkaldischen Krieg") und gründeten eine solche 1622 in Salzburg, später exportierten die hiesigen Benediktiner auch Gründungen in Vorarlberg und Liechtenstein. Unter Abt Rupert II. Ness wurde 1721 der Bau in heutiger Gestalt vollendet. Die drei P notierte der Abt am 10. Juni 1727: "Pecunia, patientia, prudentia", Geld, Geduld und Klugheit seien die drei Elemente, mit welchen man bauen muss.

    Nachdem auch hier 1803 die Bayern für die "Aufhebung und Enteignung des Reichsstiftes" gesorgt hatten ("1806 wurde der Kaisersaal mit Kriegsgefangenen belegt und schwer beschädigt. Die im Kloster zurückgebliebenen Mönche versuchten zu retten und zu erhalten, was möglich war"), bemühte man sich beim Wiener Kongress vergebens um die Wiederherstellung, erst 1834 unter König Ludwig I. konnten erstmals wieder, allerdings nur als "abhängiges Priorat der Abtei St. Stephan - Augsburg" Mönche hier ansiedeln (heute sind es 22), das Museum wurde 1881 eröffnet.

    Nach dem Crash...

    Im Museum sahen wir dann zahlreiche Kunstschätze, teils Originale, die aus der Basilika stammten, teils Sammelgut, teils Leihgaben aus den Staatlichen Galerien Bayerns, schöne mittelalterliche Sachen aus dem Fundus sozusagen. Dann die Prunk- und Empfangszimmer des Fürstabtes, der keinen Luxus scheute, um den weltlichen Machthabern demonstrativen Konsum vorzuleben, aber auch ein nettes Apothekerschränkchen ebenfalls mit aufgemalter "Scheinarchitektur". Von Nikolaus Ellenbogen aus Biberach, einem Humanisten "trilingius" (Hebräisch, Griechisch und Latein beherrschend) erfuhren wir, daß er mit Erasmus und Reuchlin im Briefwechsel stand und - dem Vorbild seines Vaters Ulrich folgend - Medizin in Krakau, Montpellier und Heidelberg studiert hatte. Den 18. März 1481 geboren, wirkte er von 1504 bis 1543 in dem Kloster Ottobeuren und gründete neben der Lehranstalt für Orientalistik auch die Druckerei, die "Officina Ottinpurrhana", die allerdings 1525 vom aufständischen Memminger Bauernhaufen bei der Plünderung des Klosters zerstört worden ist. Kein Wunder, denn aus dieser Druckerei gingen keine reformatorischen Schriften hervor, wenn auch die Klosterbibliothek mit der Mineravgestalt in der Mitte ein Exemplar von Luthers Thesen aufbewahrt. Bei der Plünderung gingen neben Vorarbeiten zu einer Ausgabe der medizinischen Schriften seines Vaters auch viele Ellenbogenschen Briefe zugrunde, einen Teil bewahrt die Colbertinische Bibliothek in Paris auf. "Lese und sei stark!" riet Nikolaus Ellenbogen in einem seiner Ad-lectorem-Vorworte. In dem ihm gewidmeten Teil des Museums sahen wir gerahmte Einblattdrucke mit Spitzkolumnen, die offenbar als Hilfe beim Beten dienten:

    EXHORTATIO
    vt non sina gratia
    sumactione ad
    mensam acce
    damus aut
    ab ea sur
    gam.

    (Eine Erinnerung, nicht ohne Tischgebet an den Esstisch zu treten)

    NI
    HIL
    dei fer
    uis odiosi
    tate peius

    (Nichts ist Gott so sehr verhasst wie das Schlechtere)

    Eine Sehenswürdigkeit ist auch das in die gelehrte Klosterwelt eingelassene Barockbühne mit einer Zuschauer-Empore, leider nicht mehr vollständig mit allem Dekor zu sehen, aber mit Apoll als Beschützer der Tragödie, das Glücksrad der Fortuna an der Hand, und mit Pallas Athene als Beschützerin der Komödie. Im 17. Jahrhundert gehörte es zum Schulbetrieb, vielleicht auch zur kulturellen Ertüchtigung der Benediktinermönche, wöchentlich Deklamationen und "Streitübungen" vorzuführen. Am Ende des Schuljahres kam dazu noch die von Schülern aufzuführende "Endkomoedie", deren Drehbuch in lateinischer Sprache von den Lehrern verfasst wurde. Um 1621 wird ein gewisser Benedikt in der Salzburger Filiale des Klosters als "erster Pater Comicus" bezeichnet. Als Kulissen gab es hier in Ottobeuren "Zwei Wellbäume" sowie "12 Veränderungen und Kulissen" (ob diese noch vorhanden seien, konnte uns der Aufseher leider nicht sagen). 1726 wurde unter Arbogast Thalheimer "Die wiedererwiesene Unschuld der Eudoxia" aufgeführt, wobei man auf folgende Kulissen zurückgreifen konnte:

    1. Eine Ruine
    2. Ein Saal
    3. Ein Zimmer
    4. Ein Kabinet
    5. Ein Tempel
    6. Ein Wald
    7. Eine Gasse
    8. Eine Stadt
    9. Eine Landschaft
    10. Ein Gefängnis
    11. Die Nacht
    12. Ein Garten
    13. Hohes Gebirge
    14. Ein Meerhafen
    15. Ein Zimmerschluss
    16. Ein Theatersaal

    (Letzteren für das Stück im Stück gewissermaßen, wie in Shakespeares Sommernachtstraum.) Man schloss uns dann noch ein Kabinett auf, das "Krippenfiguren" enthalten sollte - in Wahrheit gab es außer diesen eine ganze Szenenfolge köstlicher Puppenvitrinen, die Schreinerei des Klosters beispielsweise und die Bibliothek mit naturgetreuen Miniatur-Folianten, den Garten, eine Hochzeit zu Kanaan, und in der Mitte noch eien Vitrine mit Damen (!)-Wäsche in der Tracht des 17. Jahrhunderts, in Originalgröße bzw. -kleine, darunter den Schnürleib eines Dirndl mit metallverstärkten Verschlüssen, wer mag den im Kloster liegengelassen haben?

    Nach dem Crash...

    Die anschließende Besichtigung der Basilika führte uns dann in ein fröhliches Engelsgewimmel, das einen leicht schwindlig werden ließ. Fotos des oberschwäbischen Frommgeflügels stellt der Fotograf Wilfried Edelmann unter dem Titel "Engelskinder in Schwaben" vom 20. Juni bis zum 3. Oktober in Schloss Höchstädt aus - zum Rahmenprogramm gehört auch ein Workshop für "Gipsherstellung und -gießen von Putten/Engel, nacharbeiten, bemalen bzw. bronzieren". Wir sahen in der Kirche einen weiteren Fotografen, mit dem wir ein paar Worte wechselten - er arbeite im Auftrag der Abtei und sei aus Potsdam und müsse wahnsinnig schnell einpacken, weil um 18.30 die Abendvesper beginne, und dabeidürfe er auf keinen Fall stören. Eine instruktive und gut bebilderte Darstellung der Barockelemente der Basilika findet sich auf der homepage der Familie Seyfert aus Aalen. Mir war jedenfalls einigermaßen belämmert nach dem vielen Barockzeugs und während Kornelia  eigentlich gern noch den Benediktinerkult observiert hätte, freute ich mich, hinaus in den Abend zu treten, wo sich  der Himmel hinter dem abendschein-beleuchteten Kloster geradezu endzeitlich verfinsterte und ein bombastisches Barockbühnenbild abgab. Wir besorgten uns dann noch vom Jacobimarkt türkischen Vorspeisenquark, gebratene Zucchini und Auberginen, die wir abends zu Lammkoteletts vom hiesigen Metzger ("aus eigener Zucht") verspeisten.


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  • Heute gibt es Spaghetti Fungi, das heißt gab - nach einem über achtstündigen Spaziergang durch Wald und Feld ist mein Appetit natürlich eine dampfende Schüssel wert, und einen zweiten Teller habe ich auch nicht verschmäht. Die Spaghetti waren köstlich, den Grano Padano hatten wir uns grade auf den Allgäuer Gartentagen an einem Stand besorgt, und die Funghi waren fresco della silva d'Algovia - wir haben sie uns selber vom Spaziergang mitgebracht. (Äh - falls dieser Blog morgen nichts neues bietet und übermorgen und überübermorgen und überhaupt still bleibt, lohnt es sich, die Notrufzentrale zu alarmieren und einen Lebensmittelchemiker mit schwerem Magenauspumpgerät in den book crossers point von Bad Grönenbach zu bestellen...).

    Nach dem Crash...Aber keine Sorge, wir haben unser letztes Glas Wein tapfer hinuntergespült und uns gegenseitig versichert, falls es ein Jenseits gibt, dort als erstes jeweils nach dem Aufenthaltsort des anderen zu fragen. Beide haben wir schon früher Pilze gesucht, ich hab mir schon selbstgesammelte Pilzomelettes bereitet (die Eier hab ich beim Habicht aus dem Nest geklaubt), als Tschernobyl noch ein todsicheres Atomkraftwerk war. Außerdem haben wir bis auf einen winzigen klingelknopfgroßen Jungbovist (die sind sehr lecker, zB. in Butter gedünstet, bevor sie sich zum stinkenden Penis auswachsen, sie dürfen noch nicht stauben)  ausschließlich Röhrlinge gesammelt, und mit denen kann man praktisch gar nicht scheitern. Außerdem habe ich immer ein Taschenmesser dabei und schneide sie natürlich ein Stück über dem Fuß ab, um das Nachwachsen zu ermöglichen. Es gab noch massenhaft andere Schirmpilze, grünlich, gräulich, bräunlich, geschuppt, mit Lamellen, mit und ohne Kranz um den Fuß, die wir allesamt stehenließen, auch den von Kornelia für schmackhaft erklärten knallorangefarbenen "Kaiserbart". Außerdem haben wir streng drauf geachtet, ob einer unserer Pilze angebissen wurde (die von den Würmern ausgesuchten sind ja die schmackhaftesten, haha) und irgendwelches Getier leblos und mit starrem Blick in der Gegend herumlag. Transportiert wurde das Ganze in einer atmungsaktiven Stofftasche.

    Kornelia hatte den bereits zu Anfang der Tour sichergestellten Fund einer handtellergroßen Bienenwabe in einer der Brötchentüten gesichert. Das schöne Mitbringsel wollte sie erst verschenken, dann selber zu Papier verarbeiten, unglaublich - aber sie meint, das gebe schöne "Einschlüsse". Ich würde es aufheben, säubern und mit Kunsthonig füllen, als Gag, versteht sich. Der Allgäu als das Land, wo H-Milch und Kunsthonig fließen.

    Statt solcher biblischer Leckereien - auch die reichlich gesichteten Heuschrecken ließen wir weg - hatten wir gefüllte Teekannen, weitere Brötchen und zwei Müsliriegel mit, so daß wir irgendwann im Wald an einer sonnenbeschienenen Stelle eine schöne Brotzeit eingelegt haben. Das war auch nötig, denn die feuchte Witterung der letzten Tage macht sich bei mir als Rheuma im linken großen Zeh bemerkbar (manchmal auf den rechten wechselnd). Gleich anfangs hatten wir auf einer Almwiese eine verlassene Zeltstadt gefunden, die rund hundert Jugendliche gefasst haben dürfte, in der Nacht hatte man im Allgäu drei Zeltlager geräumt, wie der Presse zu entnehmen war. Einige der Zelte standen noch voll Wasser, traurig für die jungen Leute, die man wohl beim Roten Kreuz in Memmingen untergebracht und warm eingekleidet hat. Der Bauer nahm das Ende einer Freizeitfahrt zum willkommenen Anlass, seine Felder endlich mit Gülle zu besprengen.

    Unser Weg führte unter anderem zur Burgruine Rothenstein, die zwar nicht ganz leicht zugänglich ist, weil ein Anrainer wohl nicht wünscht, dass Fremde über seinen Parkplatz wandern, und die sich auch sonst als desolates Durcheinander von Mauerteilen und Hügelchen darbietet. Um die Burg stritten sich die angeblich Erbberechtigten derer zu Rothenstein, deren knickerige Verwandten das Objekt 1482 an die Pappenheimer verkauft hatten, nach kurzem Nachbarschaftskrieg (1482 Umrüstung der Burg gegen Artilleriebeschuss der Vorbesitzer) war die Rothensteinburg 1508 wieder in den Händen der Rothenstein-Angehörigen, die sie sechs Jahre später kurzerhand nochmal an die Pappenheimers verkauften. Echtes Raubrittertum! Gegen Ende des 30jährigen Krieges, 1646, quartierte sich hier der Feldmarschall Wrangel ein, der in schwedischen Diensten stand und seine Pappenheimer kannte - aber dann übernahm das Fürstbistum Kempten die Anlage, deren Zwingherrschaft sich manche der Hiesigen wohl zurückwünschen. Auf einer Informationstafel heißt es bezeichnenderweise: "Die mit der Säkularisation verbundene Annexion 1803 durch den Bayerischen Staat führte auch hier zur Vernachlässigung des Baues, der am 19. März 1873 infolge eines Erdrutsches an der Nordseite zusammen stürzte." Auch hier Vernachlässigung durch die Bayern? Schon auf dem hohen Schloss von Bad Grönenbach findet sich so ein giftiger Kommentar, wonach man in Bayern 1803 auf dem Schloss ein Bayrisches Amtsgericht eingerichtet habe, so als wäre das irgendwas Ehrenrühriges wie die während der Französischen Revolution zu Pferdeställen umfunktionierten Kirchen, über die sich noch heute alle Reiseführer ereifern. Hat Gott etwa nicht auch die Pferde geliebt? Der vollständige Text der Tafel findet sich übrigens hier - allerdings hat man bereits korrigiert, dass es sich bei der Ruine um eine Wasserburg gehandelt habe (am Ort steht das noch zu lesen), sie liegt dazu viel zu hoch, und weit und breit ist kein Graben zu sehen, der Wasser führen könnte.

    Wir wanderten anschließend noch weiter aus der Landkarte heraus zum hiesigen Naturfreundehaus, wo grade frische Linksgesinnte aus Augsburg eingetroffen waren (mit dem Auto, typisch), und besichtigten die Illerschleife, die durch einen Berggletscher entstanden sein soll. Auf den Landkarten sieht sie wie ein überfüllter Dickdarm aus, auch für das Bild kann ich leider nur "Abbildung ähnlich" gewährleisten - vom Aussichtspunkt her sah man heute nämlich eine einzige braune Brühe, die eine gewaltige Halbinsel umspülte - vermutlich hat der Dauerregen der letzten Tage hier allerlei Schlamm abrutschen lassen. Bayerische Vernachlässigung!

    Illerschleife, vom Aussichtspunkt am Rothenstein gesehenHeute aber blieb das sonnige Wetter fast den ganzen Tag, es wurde immer heißer, wir warfen erst die Anoraks, dann die Jacken ab, zogen aber dadurch das Interesse bissiger Biester auf uns, weshalb wir uns dann züchtig wieder anzogen.

    Wir folgten dann dem Weg nach Rothmoos, als wir von den Pilzen überrascht wurden und uns daraufhin beglückt der Suche widmeten. Da wir keine Landkarte für diesen Teil des Gebiets unser eigen nennen und die Beschilderung - anders als bei den Wegen im 7-km-Umkreis von Bad Grönenbach - inzwischen zu wünschen übrig ließ, gingen wir dann einfach der Nase nach. An einem Feldrain fanden wir ein völlig neu aufgestelltes Heiligenbild aus Holz, das, wie eine Dame uns versicherte (ihr Mann war grade mit dem Bauern im Wald verschwunden, sie war beim Trecker geblieben) von ihrem Mann geschnitzt, bemalt und vor kurzem hier aufgestellt worden war. Noch wenige Wochen zuvor war es bei einem frommen Prozession auf einem Wagen herumgefahren worden, und man hatte es dem Museum angeboten, die wollten aber nur alte Sachen, hieß es, und so fand die Vierkantsäule hier neben einer Bank und einem älteren Wegekreuz einen Ehrenplatz am Waldrand. Es zeigt vorn zwischen einer entzückend flauschigen Allgäu-Kuh und einem etwas dilettantisch tänzelnden Pferdchen den Hl. Leonhard mit den zerbrochenen Handfesseln - "der is fürs Vieh gut", versicherte die Dame (wir sahen seine Reliquien bereits in der ihm eigenen Kapelle von Bad Tölz) -, zum Wald hin verherrlichte der Maler den Hl. Sebastian, nach rechts Gottvater und Jesus und nach links die "Maria Steinbach", kopiert nach dem wundertätigen Gnadenbild einer Wallfahrtskirche, deren Zwiebelturm man von diesem Standort aus sehen konnte - die besuchen wir ein andermal. Wir erfuhren dann noch von der Dame, sie käme von Landsberg am Lech ("des kennen Sie aber, ned?"), und ihr Mann, der aus der hiesigen Gegend stamme, habe praktisch "zu ihr hin g'heiratet" und müsse aber alle paar Wochenende wieder daher kimma, weil er so Sehnsucht nach seiner Heimat habe, so wär's halt.

    Nach weiteren gefühlten zwei Wanderstunden, bei denen uns eine Zeitlang zwei bis drei Bremsen ziemlich hartnäckig begleiten wollten (eine erlegte ich, nachdem sie mich dreimal erlegt hatten), nach Begegnungen mit glöckchenbehangenen Schafen und milde dreinblickenden Maultieren, nach vier Runden durch das grausam kalte Kneipp-Becken (Teenies beiderlei Geschlecht, die das gelegentlich auch machen, bringen es grade mal auf eine Runde!) und einer Armwaschung gegen meine Bremsenstiche im Armbecken nebst drei Runden barfuß über den Fußreflexzonenparcours stiefelten wir noch die steile Treppe zum Grönenbacher Schloss hinauf und besahen einige Stände des Allgäuer Gartentages (drei Euro Eintritt - gilt aber auch morgen noch).Allgäuer Gartentage Bad Grönenbach, Pressefoto


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