• Heute um 8.00 geht es los. Alle Schränke sind geräumt, der Inhalt verpackt, Regale etc. abmontiert, Bilder abgehängt, 100.000 Einzelteile (vor allem Bücher und Ordner) schon in der neuen Wohnung... Mal sehen, ob mein Nachbar, der so gern die Parkplätze meiner Wohngegend möbliert, den Parkplatz vor dem Haus freimacht, damit die Möbelpacker das Umzugsgut nicht um seine Höllenmaschinen herumbugsieren müssen. Er stellt auch Motorräder links und rechts von seiner Einfahrt so auf, dass er praktisch über zwei Grundstücke einschließlich aller Parkplätze gebietet.Drei Parkplätze für einenBitte freilassen, Herr Nachbar
    Freundlich gebeten haben wir ihn schon per Schild.
    Aber er hat schon angedeutet (nicht mir persönlich, sondern im Vorbeigehen meiner Frau), er habe dann "Dreharbeiten", müsse nachts arbeiten, unsere Umzugsfirma soll den Kasten doch vor seine Einfahrt stellen - dabei hat er zwei halbwüchsige Söhne. Aber da ist noch ein PKW, augenscheinlich mit platten Reifen, der parkt seit vielen Monaten dort, ohne bewegt zu werden - ebensowenig wie der Nachbar seinen Schrott. Darüber, dass kein anderer dort einparkt, wacht die selbsternannte concierge im Erdgeschoss, die auch gern mal Post von mir in ihre Wohnung nimmt, der Briefträger reicht sie ihr plaudernd durchs Fenster, statt sie in den Briefkasten zu stecken oder dem Adressaten auszuliefern, selbst wenn der persönlich herunterkommt. Sie passt auf, dass hier nur ihre Freunde parken und hat außer einem Teddy in Polizeiuniform, der eigentlich für durch Unfall o. ä. traumatisierte Kinder vorgesehen ist (sie ist bei jedem Unfall, jedem Blechschaden, jedem Notarztruf in der Straße als erste Sachverständige vor Ort), sogar einige dieser humorigen deutschen Schilder im Fenster: Vorsicht, bissiger Nachbar! und Wer hier parkt, fährt auf Felgen heim. Heute hat sie ihren großen Tag, bei schönster Aussicht, denn die Arbeiter müssen mit meinem Hausrat unter ihrem Fenster defilieren, und das kann dauern, wenn der Parkplatz nicht - wie es unter netten Menschen mit guter Sozialisierung selbstverständlich wäre - für drei oder vier Stunden geräumt wird. Wir werden sehen!

    Ein paar Stunden später:
    Tatsächlich, der Anhänger blieb stehen, die Halter ließen sich nicht blicken, ebensowenig wie der des immobilen PKW, der seit Monaten wie einzementiert vor dem Haus stand; ich glaube, er hat platte Reifen.Bitte-freihalten-Umzugsschild (Inzwischen durch Winterreifen ersetzt, ein Motorrad des Filmmagnaten steht hält jetzt dort den Platz besetzt.) Jedenfalls musste unser türkisches Helferteam vom Niederrhein in der 2. Reihe parken und Autoverkehr ein bisschen, den Fahrradverkehr stark behindern. - Natürlich gibt es in dieser Gegend auch noch andere Zeitgenossen, die mit ihrem Krempel die Straße dauerhaft möblieren. Diejenigen, die ihre Bierbuddeln auf jedem Mauervorsprung oder Blumenkasten abstellen, hinterlassen wenigstens keine unvertilgbaren Spuren, da die Sammlergilde das Pfandflaschengut alsbald beseitigt (Unbepfandetes, wie die Coffee-to-go-Becher vom nahegelegenen Subway-Imbiss, bleibt liegen). Andere, die gegenüber im Hypermarché eingekauft haben, lassen gern ihre Pfand-Einkaufswagen stehen. Radler, die ihres Drahtesels überdrüssig sind - vielleicht sind es auch Studenten, die unversehens in die äußere Mongolei auswandern - , ketten ihn am Laternenpfahl oder anderswo an und kommen nie wieder her, um ihn abzuholen. Daher gibt es kaum Parkplätze für Radler. Die besseren Funktionsteile werden nach und nach abgeschraubt, der angekettete Rumpf bleibt. Man sollte Nummernschilder einführen - für Räder und für Einkaufswagen, deren Nutzer notfalls den Plastikchip drinlassen den Euro mit der Kneifzange aus der Anschließvorrichtung reißen, um den Warenkorb am Straßenrand auszusetzen. Letzteres ist aber nicht ungünstig, wenn man umzieht und Nachbarn ihre Mobilien stur vor dem Haus stehenlassen. In so einen herrenlosen Einkaufswagen kann man bis zu drei Bananenkisten mit Büchern zum entlegen geparkten eigenen Auto transportieren. Als die Familie meines Hauswirts weggezogen war und fünf Wohnungen bei uns leerstehen ließ, hatte er gleich die Park- und Gesetzeslücke entdeckt und nutzt nun den Platz gewerblich, auf den Madame Pseudo-Concierge - vielleicht ebenfalls gewerblich? - ein Auge für ihn hält.

    Man hätte ein absolutes Halteverbot erwirken und ein Verkehrsschild mieten können, das kostet allerdings 33 € Gebühr zzgl. Schild-Miete, und der Nachtmahr wäre doch nicht abgerückt und hätte das Knöllchen von max. 25 € in Kauf genommen, mein Nachbar ist so drauf, dem ist das wurscht, und die Polizei hätte ihn wegen der Bagatellverkehrsstörung vermutlich nicht abschleppen lassen. Also hatte ich mein eigenes Schild gebastelt, und weil es so schön ist und die Sperrmüll-Abfuhr auch den Ständer nicht mitgenommen hat, lasse ich es noch eine Weile liegen, vielleicht mehrere  Jahre? Damit jeder sieht, wes Geistes Kind die Leute hier sind.  Fahrrad und Einkaufswagen Und dann gibt es noch den französischen Nachbarn, den Hersteller von Pferdestärkendroschken, der immer neue Blechkisten anliefern lässt, mit ebenfalls in der zweiten Reihe stationierten Transportern, aber zum Abstellen der Verkaufsware okkupiert er wenigstens nicht die öffentlichen Parkplätze, sondern hat sein eigenes riesiges Areal hinterm Haus. Außerdem entschädigt der Franzose die Anwohner anlässlich von offenen Verkaufs-Sonntagen durch Werbegeschenke wie Umhängetaschen oder Kaffeetassen mit Firmenlogo, während der Höllenmaschinen-Nachbar früher jedem, der auch nur im Fünf-Meter-Abstandsbereich von seinem Hof parkte, einen Zettel an die Windschutzscheibe zu heften pflegte: Sie behindern wichtige Dreharbeiten! (er leiht seinen Schrott, wenn er nicht grade vor meinem Haus herumsteht, an Filmproduktionsfirmen aus, offenbar läuft das Geschäft seit vielen Monaten schlecht). Lieferung neuer AutosDer Franzose hat einen einen eigenen Parkplatz für sein Angebot, statt öffentlichen Raum gewerblich zu nutzen, und zweitens macht er ca. viermal im Jahr Event-Sonntage ("keine Beratung! kein Verkauf!") mit Kaffee und Kuchen, Grillfleisch und Kölsch und Musikband für die gestressten Anwohner, die, wenn sie seine Marke fahren, mitunter auch mal ein Werbegeschenk abstauben. Das konnte mal ein Wasserball, mal eine Tasse mit Köln-Silhouette oder auch eine knallgelbe Umhängetasche sein (meine zweite beginnt mittlerweile auszufransen). Außerdem war der Service wenn auch nicht grade billig, so doch zuverlässig und freundlich, und gleich neben der Riesenfirme gibt's noch einen Pneu-Händler, wo nun die Sommerreifen unseres Wagens gelagert sind, was vorher in meinem Keller möglich war (wir lassen sie nicht auf der Straße herumstehen oder -liegen). Dort stauen sich, seit der erste Frost kam, auch jeden Morgen die Wechselwilligen in der 2. Reihe, bis Polente kommt und dem Spuk ein Ende macht.

    Gartenseite der alten WohnungAlles in allem hab ich gern hier gewohnt, bis vor einigen Jahren das Viertel herunterzukommen begann. Die Straße war laut, dreckig, eine Rennpiste für Verrückte, die sie für einen Autobahnabzweig nach Bonn hielten, wenn jemand sie zu überqueren wagt, wird nicht gebremst, sondern gehupt - und beschleunigt! und jede Woche gab es zwei Blechschäden, die vom Fenster im Erdgeschoss gut zu beobachten sind. Aber der Blick aus dem Küchenfenster (im Bild: das linke Dachfenster) auf den verkrauteten Garten des Hauswirts entschädigte für vieles, von hier kam auch gute Luft. Allerdings hatte ich noch andere Probleme im Haus: oben Ratten im Speicher, gegen die der Vater des Hauswirts Mausefallen auslegte - mit denen hörte ich die Viecher nachts Fußball spielen, am andern Tag fehlte der Köder.Im Keller verschimmelte Briefe Im Bad funktionierte die Wasserleitung nicht und gab nur ein dünnes Rinnsal ab, auf Besserung war nicht zu hoffen, ich solle den Hahn weiter aufdrehen, teilte man mir im Brief an den Mieterverein mit. Auch noch vor vier Wochen, als es um eine Mieterhöhung (!) ging, freilich ohne die Absicht, etwas gegen die feuchten Wände im Treppenhaus zu tun, oder gegen den nassen Keller,Garten-Blick aus dem Fenster in dem mir die dort deponierten Briefe der Jahre 1982 bis 1984 regelrecht verschimmelt sind.Gitarrenkoffer des Liedermachers Die hätten vermutlich nicht mal díe Restauratoren des Kölner Stadtarchivs mit ihrer Gefriertrocknungs-Methode zu retten vermocht. Von anderen Schätzen habe ich mich bei diesem Umzug gar freiwillig getrennt - mein alter, aber nicht mehr zu schließender Gitarrenkoffer, den ich auf vielen Liedermacher-Tourneen mit Aufklebern geschmückt habe, z. B. mit Werbung gegen Strauß bei der Bundeskanzlerwahl, für einen Feuerlöscher, für Hoyaer Fleischschweine oder für den Bonner Neanderthaler. Ich kann nun mal nicht alles aufheben und ein "Museum meiner selbst" eröffnen - dazu fehlt denn doch der Platz, wenn man einen Lebensort nach 25 Jahren aufgibt, um mit dem Partner in eine gemeinsame Wohnung zu ziehen. Vermissen werde ich vielleicht auch Möbelwagen vor dem Umzugshausmanche meiner Nachbarn, wie den mit Migrationshintergrund von gegenüber, der ganzjährig einen gitarrespielenden Weihnachtsmann auf seinem üppig bepflanzten Balkon hält. Möbelpacker und ZuschauerZur Weihnachtszeit stellt er zusätzlich eine aus LED-Lämpchen gebildete Gruppe von Leucht-Rehlein auf, ein Elch senkt und hebt perodisch den Kopf, als ob er in seinen Blumenkästen grasen wollte. Dieses Anblicks werde ich also zum kommenden Weihnachten entbehren müssen. Dieser Nachbar (er ist aber nicht des Besitzer des ominösen PKW) hat sich die Prozession meiner Möbel und des Hausrats allerdings auch nicht entgehen lassen, während meine Concierge, jedesmal wenn ich zu dem Fenster schaute, verbissen abwandte und in ihren EXPRESS guckte. Apropos EXPRESS, der hatte gestern die Schlagzeile Google-Street-View / Peinlich! / Das Stadt-Archiv steht noch - dieses Werbeblatt für eine kuriose Fotoserie pflückte ich mir noch vom Automatenkasten, um es als Andenken in meinem Keller aufzuhängen. - Ein großes Lob noch an die Duisburger Umzugsfirma, die im Hürther Wochenblättchen inserierte und das von uns vorbereitete Transportgut schnell, effizient und klaglos abräumte. Mein muskulöser 17jähriger Neffe (Rudersportler, ging danach noch zur Muckibude) hat auch mitgeholfen, und wir hatten ebenfalls unser Päcklein zu tragen. Jetzt ist erstmal alles vollgestellt in der neuen Wohnung, ohne Ordnung und Verstand, aber das wird sich noch ändern. Übrigens haben wir selbstverständlich noch die Treppe geputzt in dem Haus, wo ich bisher wohnte, von oben bis unten, wir sind ja kein asoziales Gesindel. Dafür empfehle ich mal einen Neujahrsbesuch vor der überbreit definierten Hauseinfahrt des Filmmagnaten. Der brennt in jeder Sylvesternacht ein Wahnsinns-Feuerwerk von Billigkracherpaketen ab und lässt die Überreste wochenlang liegen und latscht (oder fährt) da durch, bis sich die städtische Straßenreinigung irgendwann erbarmt und vor seiner Türe kehrt. Wenn er das noch für sich allein machte, meinetwegen, sowas soll's geben, aber wie gesagt, der Mann hat zwei Söhne im Alter meines Neffen... was die Sozialprognose angeht, kein gutes Vorbild!


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  • Mein Blog ist kein Tagebuch - über die Rechtsgeschäfte führe ich Buch im papierenen Terminkalender. Hier werden nur die besonderen Events der Fasti-Zeit dokumentiert, in Wort und - so weit es die Mini-Speicherkarte in meiner Elektrokamera zulässt (8-10 Aufnahmen, dann ist der "Speicher voll") - Bild. Work in stagnationBlättert man im Bilderalbum der Erinnerung zurück, könnte allerdings der Eindruck aufkommen, als hätte ich die Herbstferien ausschließlich in der Tapetenbibliothek verbracht (in Schriftrollen mit seltsamer, schwer entzifferbarer Symbolik vertieft), zum körperlichen Ausgleich dann auf Leiter-Bergwanderungen und am Ufer von Kleister- und Farbseen, um mich des Abends in ein eher karg möbliertes Hotel zurückzuziehen.Behelfseinrichtung Doch weit gefehlt: Nach stundenlangem Herumirren in der weißen Hölle von Piz Palü war ich schneeblind und ließ mich in die heiße Badewanne, anschließend in den Fernsehsessel fallen, der freilich noch in Hürth steht, um später im Traum an den Dachschrägen meiner jetzigen Wohnung weiterzutapezieren - oder, in Kornelias Traum, meine Mitmalerin aufzufordern, einen Vertrag mit roter (!) Tinte auf einer lebenden (!), schneeweißen Katze zu unterschreiben, was sie natürlich nur mit Widerwillen tat.

    Die Wirklichkeit sieht natürlich anders aus. Im Bemühen, wenigstens die ersten sonnigen Tage der Herbstferien noch auszukosten, haben wir verschiedentlich Exkursionen unternommen, und zwar nicht nur auf den Baumarkt. Der erste dieser Ausflüge führte am Montag nach dem Dezimalgeburtstag nach Bonn, und da hier einige ehemalige Bonner mitlesen, habe ich meine Eindrücke bildlich festgehalten und Neuigkeiten gesammelt. Bonner Universitäts-HauptgebäudeEigentlich wollte ich nur ein Buch in die UB zurückbringen, bevor das Umzugschaos beginnt, aber dann sind wir noch ein bisschen geblieben. Bonn ist nämlich eine Reise wert. Ja, die Universität ist nach wie vor - von außen, wohlgemerkt - die Lieblichschönste, so viel ich sah, der von den Studis aller Länder bevölkerte Hofgarten ist immer noch grün (im 19. Jhd. hatte jeder Professor das Recht, eine Kuh dort zu weiden), und über dem Durchgang zum Universitätshof lächelt Goldelse Regina mit dem schönen Nachnamen Pacis (damit aber die Friedensbewegung,
    Eingang zur Unidie mal zu Hunderttausenden auf dem Hofgarten versammelt war und Willy Brandt lauschte ("ohne Frieden ist alles nichts"), keine Horden atomar bewaffneten Taliban ins Land lockt, steht im Innern der Uni der ebenfalls übergoldete bleierne Erzengel Michael auf Posten, mit dem Flammenschwert und der Parole "Quis ut deus" auf dem Schild). Obwohl ich bei einem meiner letzten Besuche zufällig meinem Doktorvater begegnete und ihn beim Austreten einer Zigarette auf den Marmorfliesen im Treppenhaus ertappte (hat der früher je geraucht? und wir hatten immer dermaßen Respekt, vor dem Prof und den heiligen Hallen, wollten sogar zu seinem Sechzigsten heimlich die Büste von A. W. Schlegel im Seminar durch einen Gipskopf des Meisters ersetzen), hege ich keine unfreundlichen Gedanken an die Alma Mater, die mich aufgezogen, gestillt, für einige Jahre sogar in Arbeit und Brot gesetzt hat. Heute allerdings verlangt die Universitätsbibliothek von mir als unberufenem und nicht-mehr-zugehörigem Fremdnutzer satte Jahresgebühren, damit ich mir ab und zu mal was aus den Beständen ausleihen darf, deren Erwerb ich als Steuerbürger in NRW (die UB ist auch Landesbibliothek) sowieso bezahle. Und das, wo ich die Bücher doch teils, weil ich viel bei NRW-Verlagen wie Lübbe, Econ etc. publiziert habe (Landesbibliotheken kriegen gratis-Pflichtexemplare), auch noch im Schweiße meines Angesichtes selber schreiben, redigieren bzw. übersetzen musste!

    Eine Neuigkeit gibt es aber doch, für alle, die gelegentlich im Historischen Seminar neben dem Alten Zoll gebüffelt haben, wo inzwischen nicht mehr nur Ernst Moritz Arndt (dem sie neulich in Greifswald die Universitätsehre nehmen wollten - dabei war er in Bonn ein Opfer der sog. Demagogenverfolgung geworden, hatte Hausdurchsuchungen, Lehrverbot und Kürzung der Bezüge erlitten!), sondern auch Heinrich Heine ein Denkmal gekriegt hat, letzteres von Ulrich Rückriem.Historisches Seminar Das Gelände neben dem Historischen Seminar wird umgebaut, das Hotel Beethoven in der Rheingasse (dem Theaterbau gegenüber) und der Parkplatz rechts davon sind nur noch eine riesige Baugrube. Es gab da einst ein Chinesisches Restaurant, in dem ich - als Bonn-Pendler des ewigen Mensafraßes überdrüssig geworden -, in meinen Besserverdiener-Zeiten (ich habe während des Studiums gearbeitet) manche Frühlingsrolle verspeist habe. Das ist nun alles dem Erdboden gleich gemacht und wir konnten nur durch den Bauzaun spinxen.

    Baugrube am BrassertuferAber was war das? ein Totenschädel, der uns da unter dem Sonnenschirm zähnebleckend entgegengrinste?
    Waren wir einem Verbrechen auf der Spur, handelte es sich um beklagenswerte Weltkriegsopfer in einem nie geräumten Luftschutzkeller, oder wurde hier eine grausige Untat ans Licht der wirklich erstaunlich oktoberwarmen Sonne gezogen?

    Archäologischer LeichenfundDer Mann mit der Schubkarre legte einen Rahmen, oder irgendein anderes Quadrat über den Schädel, und ich knipste ein Beweisfoto (leider kann ich nur sehr eingeschränkt zoomen). Tatsächlich handelte es sich um Skelette aus karolingischer Zeit, von denen insgesamt 18 beim Ausschachten gefunden wurden, Wie ich später der Presse entnahm, waren Schnappschüsse strengstens verboten, und biederen Bonner Bürgern mit lokalhistorischem Interesse wurde das Durch-den- Bauzaun-Gucken verwehrt. Gerhard Geiß, der sich im General-Anzeiger darüber beklagte, hat inzwischen eine Dokumentation über das Leben in diesem Hafenviertel an den Bauzaun gehängt. Zwischen Oper und Altem Zoll lag früher die Rheinwerft, es gab das Giertor, das Restaurant "Vater Arndt", eine Kneipenszene und enge Gäßchen mit winzigen Häusern, wie man sie manchmal noch in Rheindörfern findet. Und es gab die Gertrudiskapelle, zu der das Gräberfeld gehörte. "Es handelt sich ausnahmslos um christliche Gräber", stellte der Ausgrabungsleiter bedauernd fest ("noch nicht mal ein Keramikgefäß") - die enttäuschte Gier in den Gesichtern der Erben ist stets das Schönste an der TV-Sendung Kunst und Krempel. Er hätte lieber ein paar Grabbeigaben mehr gefunden als den verwelkten Totenkranz, den ein weibliches Skelett nach fast zwei Jahrtausenden noch immer in den knöchernen Fingern hielt.

    Nach neuester Erkenntnis des Bundespräsidenten und der Bundeskanzlerin gehören allerdings nicht nur Christen und Karolinger (deren Großvater Karl Martell die arabische Streitmacht noch erfolgreich zurückgeschlagen hat), sondern auch der Islam zu Deutschland. Özedemir-Plakat in BonnOb es "den" Islam gibt, darüber streiten sich noch die Gelehrten. Wahrscheinlich meinten die beiden eigentlich, dass "die Türken" zu Deutschland gehören (als Politiker drückt man sich gern vor der Konkretisierung, aber wer weiß, dem könnten integrations-unwillige Deutsche vielleicht eher zustimmen als dem Einbau des abstrakten Islam als solchem in die christlich-abendländische Grundordnung). Denn zur Türkei gehören ja nach Wulffs Meinung wiederum die Christen, die er dort besucht hat. Schließlich war Kleinasien eine wichtige Keimzelle des Christentums (es war ja keine Erfindung des Abend- sondern des Morgenlands), und soweit die Nachkommen der Christen von damals noch auf türkischem Hoheitsgebiet leben, wohnen sie in Istanbul. Und für uns gehören die Türken auf jeden Fall zu Bonn; es war also für uns nicht überraschend, am 11. Oktober in der Adenauer-Allee (plakatiert vor dem jetzt universitären Institut Français, wo ich durch Zufall von der großen Napoleon-Ausstellung erfuhr, die im Dezember nach Bonn kommt) einem namhaften schwäbisch-türkischen Parteiführer zu begegnen, der seine Stellungnahme zur Integrationsdebatte überdies auch noch im Frauenmuseum abgeben will. Was Cem Özdemir am 28. Oktober vor den emanzipierten Museumsfrauen sagen wird, entzieht sich unserer Kenntnis, aber ein aufmerksames und hoffentlich auch streitbares Publikum wird sich dafür interessieren!

    Für uns ist allerdings das türkische Restaurant Opera ("Mehr türkische Spezialitäten finden Sie im weiten Umkreis nicht!") in unmittelbarer Nähe zum Ausgrabungsort des Karolingerfriedhofs die Bonner Zentrale deutsch-türkischen Kulturaustauschs, zumindest auf Vorspeisenniveau. Man kann zur wärmeren Jahreszeit draußen sitzen unter Palmen, aber auch drinnen findet man immer einen Platz, außer nach Opernpremieren... Opera-Terrasse in Bonn "Unaufgeregt normal verrichten hellwache Kellner aus aller Herren Länder ihren Dienst am Gast", heißt es auf der Webseite, und aller Länder Herren und Damen kennen das Lokal - wir hatten mal eine Musikkritikerin aus Österreich und ihren Ehemann als Schlafgäste, denen wir das Opera gar nicht empfehlen mussten, die kannten das schon. Hier schmauste ich 1993 mit einigen Freunden nach meiner "feierlichen Promotion" (meiner Mutter zuliebe, das volle Programm: Kandidatenaufmarsch im Rokoko-Treppenhaus, professorale Trachtengruppe, Verlesung meines Dissertations-Titels auf der Bühne der Aula, wobei sich der Dekan fast verschluckte). Ich habe eine Freundin, die sich mit mir fast jährlich zu adventlicher Zeit in Bonn trifft, und mich freundlicherweise zum Essen einlädt, aber sie will immer ins "Pizza Hut", weil sie meiner dringenden Empfehlung des Opera-Restaurants nicht folgen möchte, sie traut mir nicht und meint wohl, das wär' auch bloß so 'ne Dönerbude. Dabei ahnt sie kaum, welche phantastischen Vorspeisengenüsse ihr dabei entgehen, Opera-Terrasse in Bonnals da wären Antep Ezme, Tonbalik Ezme, Muhammarra, Hommos, Cerkez Tavuk, Tarama, Dolmadakia... und die 6 Vorspeisen mit Brot zu 7, 50 € reichen völlig aus, wenn man zu zweit bestellt, die werden von Kornelia, die wie ich Großfamilienkind ist, gerecht aufgeteilt und mit Brot, einer Schale Linsensuppe und einem Glas Ayran hat man dann schon eine vollwertige Mahlzeit (wobei es im Opera in der Woche von 13.00-15.00 Uhr durchaus bezahlbare Mittagspreise gibt).

    Jedenfalls endete in den letzten Jahren schon mancher Bonn-Ausflug (mal in die UB, mal zum Kaffee-Kaufen in der letzten kleinen Rösterei, zum Wellenbadreiten im Römerbad, zum Bücherstöbern im Billig-Bouvier oder als Abstecher bei einer Rückreise aus Süddeutschland) auf der Terrasse des Opera. Am Brassertufer, wo wir diesmal auf den Bauzaun rund um das ehemalige Hafenviertel nebst Karolingerfriedhof stießen, kann man immer noch für 2 Stunden umsonst parken, und nach einem Spaziergang am Rhein, dessen Anblick für meine Frau ein Lebenselixier ist, und einem letzten Gruß an das Siebengebirge steigen wir ein und fahren heim.

    Opera-Terrasse in Bonn


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  • Heute früh war ich - statt eine Stunde im Grüngürtel mit Laufen in der Unendlichkeitsschleife und Herumhüpfen zur Lockerung zu verbringen - mal wieder im Agrippabad, zum Frühbucherrabatt. Da muss man spätestens Punkt 7:29 Uhr das Billet gelöst haben, wenn man für den Jugend-Preis von 3,50 € baden will, (ab 7.30 kostet es 5 €) - gültig für einen Aufenthalt von immerhin zweieinhalb Stunden - soviel will ich gar nicht. Billet? Man bekommt eine kleine runde Plastikmünze, die man in den Automaten am Drängelgitter wirft, dann darf man durch, darf aber nicht vergessen, die Plastikmünze mitzunehmen, sonst kommt man anschließend nicht heraus. Diese Münze dient dann auch zum Verschließen der Spinde, in die man seine Klamotten samt Rucksack einschließt: man steckt die Münze auf den Plastikgriff des Schlüssels, den man anschließend ums Handgelenk gürtet. Alles recht kompliziert. Anschließend Dusche und Haarwäsche, und auf geht's ins feuchte Nass.
    Leider ist trotz früher Stunde schon viel los; natürlich nutzen viele den Frühbucherrabatt. Zwar findet gegen viertel vor 8 eine Art Schichtwechsel statt - wer vor Arbeitsbeginn eine Runde schwimmen geht, macht sich dann auf den Weg, und Senioren strömen ein, die daheim noch gefrühstückt haben -, aber die Bahnen sind gut gefüllt. Es gibt auch nicht viele Alternativen. Der Namensgeber des Agrippabades zählte in Rom um das Jahr 31 v. Chr. 170 öffentliche Bäder - von den privaten mal abgesehen. Damals war Rom bereits eine Millionenstadt, in der Spätantike soll es 1,5 Mio. Einwohner gehabt haben. Köln betreibt für seine 1 Million Einwohner 14 Bäder, und von denen sind mindestens 2 wegen Umbaus auf Jahre geschlossen, andere von der endgültigen Schließung bedroht.  Soviel zum Thema "nördlichste Stadt Italiens"...Nach dem Crash...
    Da ich mit Vorliebe auf dem Rücken schwimme, die Arme nach hinten gestreckt rudernd, und zwar eine Bahn nach der anderen (gegen die Bahnen zu schwimmen oder sonstwie zu plantschen, hat hier gar keinen Zweck), muss ich mich alle paar Züge umdrehen, um nicht irgendeinen Zeitgenossen zu touchieren. In den schwimmnachbarfreien Zonen kann man mit den Armen rudern, wie ich es immer tue, den Kopf zurücklegen, die Uhr beobachten oder das Bademeisterhäuschen und nachsinnen, ob das Rostrot-auf-Grün-Geflecke an der Wand gegenüber eigentlich "Kunst am Bau" oder Korrosion der Wandverkleidung darstellt, oder ob die an der Decke fehlenden Kacheln wohl irgendwann mit Karacho ins Becken gefallen sind, um arglosen Rückenschimmern das Gesicht zu zertrümmern. Witzig ist der Kleinkrieg zwischen Blindcrawlern, die ihre Bahnen in Höchstgeschwindigkeit zurücklegen, Kopf unter Wasser und wenn über Wasser, mit einer sichtbehindernden Schwimmbrille ausgestattet, und den Rückenschwimmern, die selbst bei größtmöglicher Umsicht mit derartigen U-Boot-Attacken nicht rechnen können. Freilich gibt es keine Bahn-Card-Reservierung, allenfalls für irgendwelche Sportvereine, die zu gewissen Stunden die Hälfte des großen Beckens für sich beanspruchen.
    Da ist mir eine andere Spezies sympathischer: die sog. Klaavbotzen. Sie ziehen die Badehose (Botze) hauptsächlich an, um ins Wasser zu steigen und in traulichem Plausch (Klaav) am Beckenrand zu verharren. Dort sind sie gewissermaßen auch Kläävbotzen, stehen also herum wie festgeklebt und verhindern das Andocken der Bahnenschwimmer. Dafür bekommt man beim kurzen Berühren der Stange und neuerlichem Abstoßen gelegentlich aufschlussreiche Gesprächsfetzen mit. "Ich jebe Ihnen mal dat Mittel zur Linderung, natürlich janz unverbindlich, hät der Aaz för misch jesaht", heißt es dann, oder "dä knöselige Laumann, dem schick ich ne Jerichsvollzieher op de Hals, wenn dä nit bald zahlt", oder "hör ens, dä Häbäät-Theo, dä wolld doch auch ahl komme mit singem Claudia, wo stecke die dann blohs?" (nur in Köln gibt es gehäuft Mitmenschen, die auf den Vornamen Herbert-Theo hören, ob das ein Lokalheiliger ist?), und "die han sisch all, der Moder zeliebe, noh däm Bejräbniss versammelt und sin noh dojeblivve" - wutsch, hat man sich umgedreht, abgestoßen und ist schon wieder unterwegs. Die Herrschaften tragen natürlich volle Montur - Badehaube auf dem bemoosten Haupt, Schwimmbrillen und topmodische Badehosen - aber falls sie überhaupt mal eine Bahn schwimmen, dann nur, um das Plaudereckchen am einen Beckenrand für die nächste halbe Stunde mit dem gegenüberliegenden Beckenrand zu vertauschen. Nun, auch im antiken Rom waren die Thermen Treffpunkte gesellschaftlichen Lebens. Aber wo sind dann heute die Bibliotheken, Gewürz- und Olivenölhändler, freiberuflichen Masseure aus Nubien, die ihre Dienste feilbieten? Allenfalls kann man zu einem saftigen Aufpreis die Muckibudengeräte im 2. Stock oder die Höhensonnenlandschaft benutzen.

    Nach dem Crash...


    Während ich meinen Vorsatz, 45 min. ohne Pause zu schwimmen, auf 60 Minuten aufstocke, ist das Becken etwas leerer geworden. Schöne orientalische Jünglinge stehen melancholisch und nach heutiger Mode komplett enthaart am Rand und möchten wohl gern den Gleitsprung wagen, was der Bademeister allerdings mit wachsamem Blick verhindert; junge und nicht mehr so junge Studentinnen begeben sich auf die Wasserpiste; man sieht einen furchterregend Ganzkörper-Tätowierten, der für den Harpunier Queequeg in Moby Dick oder den Rahmenheld von Ray Bradburys Storysammlung Der illustrierte Mann Modell gestanden haben könnte. Vor vielen Jahren, als ich selber noch Student war, traf ich beim allmorgendlichen Schwimmen im Sülzer Nikolausbad (bevor es zu meinem Leidwesen geschlossen wurde) von 7.00 bis 8.00 Uhr immer auf einen ziemlich alten Herrn, der beim Kraulen wie ein Sterbender röchelte (ohne Schnorchel) und an Land auch durchaus hinfällig wirkte, aber immer noch mit selbst für Jüngere kaum einzuholendem Tempo seine Runden drehte. Der Bademeister pflegte seine Schwimmkünste als Peripatetiker am Rand mitzuverfolgen, um für den Fall einer notwendigen Wiederbelebung rechtzeitig zur Stelle zu sein, wie mir schien. Aber der Alte hatte es noch immer geschafft und trottete später, wieder angezogen, ganz gemütlich, freilich langsam, seines Weges durch die Sülzer Vorstadt. Möge er sich seines Lebens bei bester Fitness immer noch freuen!

    Der krönende Abschluss meines Agrippabadbesuchs ist der Ausflug in den "Badegarten", wo man sich den leicht ausgekühlten Körper wahlweise in einem Warmwasser- oder Solebecken aufwärmen kann. Ich wähle das Solebecken, das meiner derzeit gereizten Haut hoffentlich wohltut, und kriege sogar einen Platz "unger dä Schwalldusch" (diese Sprüche mit weichem s und gg statt k auf "hessisch" abzulassen, ist ein unfehlbares Mittel, Kornelia zum Lachen zu bringen: "Isch saach Ihne, die Waahmwassäbegge do hinne, jo die midde Schwalldusch, sin allweil mo widder nur fier die Bessävädienä un ned fier uns ahme Kassepaziende, da kriech isch de Fuhspilz, des saach isch Ihne"). Die Schwalldusch ist so ein Segen wie der von C. F. Meyers Römischem Brunnen ("Aufsteigt der Strahl, und fallend gießt / er voll der Marmorschale Rand"), damit kann man sich, halb in die Hocke gehend, den Nacken massieren lassen oder auch, in gebückter Haltung, Schultern und Rückenmuskulatur bespülen. Die Sole, ein mäßig salziges Sprudelzeugs, erfrischt trotz des warmen Wassers, man soll sie auch nicht sofort abtrocknen, sondern einwirken lassen.
    Anschließend Rückkehr in die Duschenzone und in die Umkleidekabine, wo mal wieder irgendein Proll, diesmal (vermutlich, leider) weiblich, die gebrauchten Qu-Tips liegengelassen hat, um sie nicht die drei Schritte zum nächsten Mülleimer mitnehmen zu müssen. Sich die Ohrkanäle zu säubern, gut und schön, aber diese Ohren, so reinlich sie sind, würde ich dann doch gern mal langziehen. Allerdings höre ich auch schon wieder den Singsang der Reinigungskräfte mit Migrationshintergrund, da heißt es aufpassen, wenn man mit blanken Sohlen über die Fliesen läuft, schon mancher ist da unfreiwillig hingeflogen. Und worum geht's? Ein Mädchen hat ihr teures Duschgel in der Dusche liegengelassen und will noch mal rein, soll sich aber dafür die Schuhe ausziehen. Sie möge einfach reingehen und sich den vermissten Gegenstand holen, meint die Putzfrau. Und wenn eine Konkurrentin sich das Duschgel genommen hat und damit duscht? "Dann sagen einfach, ist meines. Haben wir schon alles gelebt!" 
    Aber ich hab noch nicht alles gelebt. Darum rasch anziehen, zwischen den Zehen abtrocknen, Strümpfe und Turnschuhe an. Die Münze in den Schlitz am Drängelgitter, jetzt wird sie natürlich einbehalten, ein Gruß an die Kassiererin und ab geht's per Fahrrad nach Haus.

     


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  • Kopfsalat (Findelgedicht, 29. 7. 2010)

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