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Adventsprintjob_2018#21
Nicht nur Vier-, auch Zweibeiner wurden im 19. Jhd. ausgestellt, sei es in sogenannten Völkerschauen, für deren Repräsentanten die angebliche Lebenswirklichkeit im Kral oder Indianerdorf samt Flora, Fauna und faux terrain rekonstruiert wurde - oder als Präparat. Das war schon in der Frühzeit zoologischer Gärten fester Teil des Angebots, um zu demonstrieren, wie haushoch die Willenskraft des (weißen, europäischen, denkenden) Menschen (Mannes) den grausamen Königen der Wüsten und Dschungel, den Raubkatzen, Vögeln, Insekten, mit seltsamen Waffen fürs Abschlachten weißer Eindringlinge ausgestatteten Ureinwohnern überlegen sei. Schlag nach im Odyssee-Kapitel in der Dialektik der Aufklärung von Horkheimer/Adorno! Mit dieser Perspektive wurden ethnologische Museen gegründet, aber auch Karnevalsgruppen, z. B. von Ethnologiestudenten, die in sommerlichen Zeltlagern abkochten und Schwerttänze übten, die Kölner "Hunnen", die "Negerköpp", der ganze Wildwest-Kostümkram samt Indianerspielen und Westerndorf. Der Fundus der Museen füllte sich zum Bersten mit Schenkungen welterkundender Expeditionen, die einfach mitnahmen, was herumlag, was sie stehlen oder gegen Glasperlen eintauschen konnten. Hinzu kamen Sammlungen, die mit entsprechender Muße die Missionare, Handelsvertreter und Soldaten der sog. "Schutztruppen" einsackten (darunter auch Hobby-Entomologen oder mit Köcher und Pieksnadeln bewaffnete Schmetterlingsfreunde) und in Seemannskisten heimwärts spedieren ließen. Die Hinterlassenschaft kolonialer Entrepreneurs und Kriegsbeute aus Feldzügen gegen Hottentotten und Zulus ist heute unter Museumsleuten ungefähr so beliebt wie radioaktiver Restmüll und darf nur nach Rücksprache mit Anwälten und Vorkehrungen der höchsten Sicherheitsstufe angefasst werden. Zu ihrem Leidwesen sind Zoo, Völkerschau, anatomisches Museum und Holocaust untrennbar miteinander verbunden, und selbst der Plastinator-Terminator aus dem Warthegau, Prof. Gunther von Hagens, hatte seine Vorläufer auf der Berliner Budenkirmes. Einen Hinweis darauf bot die Anzeige von Joseph Nawratil aus Brünn im letzten Kalendertürchen, die Museum und Bestiarium zugleich bewarb. Die Artisten aus Übersee, die als Weltenbummler nach Deutschland kamen, waren nicht zwingend koloniale Opfer, vermutlich eher Profiteure des Exotismus geworden, dessen Erbe heutige Kulturverwalter in Erklärungsnöte bringt. Auch damals war Berlin von Migranten bevölkert: jene "Mohren", die bei Louis Drucker Wein und Bier ausschenkten, oder die Fürst Pückler vom Sklavenmarkt in Tunis mitbrachte, Marokkaner, die artistische Tänze aufführten, oder die Indianer, die eine Zusatzqualifikation im Schwertschlucken erworben hatten. Apropos, wie merkwürdig, hatte nicht Goethe gehofft, Amerika habe keine Schlösser, sei demzufolge unverseucht von "Ritter-, Räuber- und Gespenstergeschichten"? Es war schon ein Berliner-Bären-Dienst, das Schloss in der preußischen Hauptstadt als soundsovielte Kulturhülle - Surrogat des asbest- und geschichts-verseuchten Kulturpalasts - wiederzuerrichten, aber welcher durchgeknallte Zündelfrieder hatte den genialen Einfall, den Dahlemer Fundus zu entrümpen, um die ungenutzten Raum- und Regalmeter in der Schlossattrappe zu be-"spielen"? Seitdem tobt die Debatte über Restitution oder Festnageln afrikanischer Kulturgüter; am ehesten wären sie noch bereit, die - so eklig es klingen mag - Schädelsammlungen und anatomischen Präparate zurückzureichen. Bei uns weckt all das fatale Erinnerungen, was man im Pariser Musée de l'homme unverblümt dar- und ausstellen darf: tätowierte Haut, Moorleichen, einbalsamierte Mumien (ob sich je die Pharaonen träumen ließen, dass ihre letzte Ruhestätte keine diskret vermauerte Pyramidengruft, sondern eine Glasvitrine sein würde, an der kichernde Schulklassen vorbeidefilieren?), Hand mit sechs Fingern, grotesk geformte Skelette von Riesen und Zwergen und Embryonen in Spiritus. All das gehörte im 19. Jhd. zum festen Repertoire des Grusel-Showbusiness, und heute? Erst wird uns die bunte Welt der Malerei madig gemacht, weil Spielverderber immer wieder darauf hinweisen, dass ganze Familien ausgerottet wurden, damit wir unsere Schüler vor einen echten Degas oder Manet führen können. Kulturpolitiker/-innen. die sich eigentlich darauf freuten, noble Stipendien auszuwerfen, Retrospektiven zu eröffnen, Filmpreise zu überreichen, Vorworte in schicken Katalogen zu signieren (sie schreiben die nicht selber), Grußworte an hundertjährige Philosophen zu richten, was müssen sie heute tun? Sich mit menschlichen Schädeln, Schrumpfköpfen, Ritualwaffen und Skalps, und ihrer möglichst diskreten Entsorgung befassen. Wohin damit? Na, zurück zu den Quellen (des Nils), wohin auch unsere kaputten Notebooks, ausgebrannten Akkus und der ganze Plastikkram wandern, entweder in einen der von Asiaten errichteten Museumsbauten auf dem schwarzen Kontinent oder nebenan auf diese chemietropfende Müllhalde, die wir neulich im TV gesehen haben - kein erkünsteltes, sondern echtes Habitat für die Einwohner, von wertstoffsammelnden Kindern auf der Nahrungssuche bevölkert, die uns dankbar sein werden, dass wir ihre Kulturwerte und die Leichenteile ihrer Vorfahren - natürlich nur vorübergehend - in Verwahrung genommen haben.
Tags : Anatomie, Präparat, Völkerschau, Indianertanz, Marokkaner
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