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Adventsprintjob_2018#19
Da wir gestern über ein wichtiges Berliner Ausflugsziel von 1830 - den Tivoli - unterrichtet wurden, muss jetzt endlich die Rede auf Louis Drucker kommen, den in Berlin wohl noch nicht ganz vergessenen Witzbold, Annoncenkönig und Erfinder der Eventgastronomie. Seine Lebensdaten werden in der Datenbank des Humboldt-Digital-Projekts mit 1800 bis 1855 angegeben, das scheint mir ziemlich willkürlich gesetzt, da ich (siehe unten) ganz andere Nachrichten habe. Man darf ihn jedenfalls nicht mit einem Bankier und Autor ökonomischer Schriften aus Frankfurt am Main verwechseln, der auch in den Niederlanden tätig war; vielleicht liegt da eine Verwechslung vor. Er revolutionierte die Kleinanzeige und unterhielt seine Kund- und Leserschaft mit flachen Witzen - im Gegensatz zum dichtenden Pfefferküchler Kasimir habe ich ihn im Goedeke nur einmal gefunden, als Mitarbeiter der Zeitschrift Danziger Dampfboot. 1905 sind seine Werke (die sicher nicht alle von Dichtern stammten, die er in seiner Kneipe freihielt) noch einmal aufgelegt worden durch einen gewissen Gotthilf Weissstein, vielleicht hat dessen Vorwort, ich hab das Buch gerade nicht zur Hand, die obengenannten Lebensdaten in die Welt gesetzt? Drucker tauchte in den Annoncen erstmals 1828 auf, als er in Hamburg mit Zigarren handelte. Bald darauf muss er in Berlin eine Weinstube eröffnet haben. Dort ließ er die Gäste von kostümierten und auf Ponys reitenden Kellnern bedienen. Sicher ist, dass er den Zigarrenhandel ebenfalls fortsetzte, erst recht, als 1848 das Rauchverbot auf der Straße wegfiel. Eines seiner Plakate mit einem geradezu dadaistischen Neujahrsgedicht 48/49 ist im Stadtgeschichtlichen Museum Leipzig aufbewahrt, weitere sind über Suchfunktion erschlossen, anderswo sind Flugblätter sind zwar online, aber nur nach Voranmeldung bei der Bibliothek zu sehen. Aber wegen ihrer auffallenden Typographie und dem blühenden Blödsinn der Mitteilungen sind die Inserate immer schnell aufzufinden, zumal er sie mit freundlichsten Grüßen und vollem Namen unterzeichnete. So spielte er auf die von dem Abgeordneten Bassermann in Berlin erblickten finsteren Gestalten an, die von der Reaktion zum Anlass genommen wurden, den Belagerungszustand zu erwirken, erklärte seine Bereitschaft, sich zum Kaiser von Deutschland ausrufen zu lassen, da Friedrich Wilhelm IV. die dargebotene Krone abgelehnt hatte: als der Abgeordnete Held den Berlinern riet, sich angesichts des drohenden Einmarschs von Wrangel zu verproviantieren, mahnte er, über der drohenden Hungersnot den Durst nicht zu vergessen und sein Lokal aufzusuchen. Louis Drucker streute seine Anzeigen, die in Provinzzeitungen dankbar unter Vermischtes nachgedruckt wurden, großzügig über die Tagespresse aus und ging mit seiner Eventgastronomie auch auf Tournee. Sein Portrait als wohlbeleibter Schankwirt ist gedruckt und die Umrahmung, die der Maler Adolf Menzel gezeichnet hat, gibt Szenen aus dem bunten Treiben in seinem Lokal wieder. Natürlich spielte bei ihm ein ausgezeichnetes Orchester unter dem Kapellmeister Hirsch mit einer Sängerin, die er mit dem unliebenswürdigen Künstlernamen Amalia Rindfleisch ausstattete. Der bei ihm ausgeschenkte Wein soll übrigens nicht besonders gut gewesen sein, wird behauptet; ich stelle es mir ein bißchen wie Zirkus Roncalli vor, den ich in seinen ersten Anfängen erlebt habe, als André Heller noch dabei war und die (damals jedenfalls) ziemlich mageren Attraktionen (Feuerschlucker, Clowns, Clowns, nochmal Clowns, eine Kunstreiterin auf der Galerie à la Kafka) mit überschwänglichen, höchst poetischen Ankündigungen zelebrierte: Eiigentlich verdankt Zirkus Roncalli dieser Anfangszeit seinen ganzen schon etwas angeranzten Ruhm. Der oft mürrische Zirkusdirektor Bernhard Paul war dem österreichischen Liedermacher auf dem Gebiet lyrischer Anpreisungen nicht ebenbürtig, und die beiden gingen dann bald getrennte Wege. Heller wechselte ins chineische Tellerjongleur- und Akrobatikfach. Auch für Louis Drucker ging es nicht gut aus, zumal er sich 1848 ernsthaft und in aller Schärfe polemisch äußerte - wurde er doch entsprechend angegriffen, obwohl er es doch gut meinte und am Ende seiner satirischen Annoncen immer die Einladung in sein Lokal aussprach (Einladung? "uffjefordert", würde der Berliner sagen). Er emigrierte nach England und später in die USA, wo er weitere, noch provokantere Ideen umsetzte. So soll er in New York eine Weinstube in einer Kirche eröffnet haben, deren Zechgelage als Gottesdienst für diverse Konfessionen unter Einbeziehung echter Kleriker gestaltet wurden. Die empörte katholische Presse reagierte empört, kannte aber den Urheber des Skandals nicht, behauptete sie doch, Drucker habe protestantische Theologie studiert und eine Predigerstelle aus Mangel an Beredsamkeit verloren. Die Neue Preußische Kreuz-Zeitung entdeckte ihn 1857 in Buffalo am Eriesee. Im Dezember 1860 wurde in den Zeitungen der Tod des 74-Jährigen vermeldet, der im Mississippi ertrunken sei (Freitod oder Unfall? wurde spekuliert) und zuletzt sein Dasein als "Indian Doctor" in St. Louis fristete; er wäre also geboren um 1786. Und die Magedeburger Zeitung vom 28.11.1860 veröffentlichte mit seinem Abschiedsbrief die, soweit hier zu ermitteln, letzten Späße des Louis Drucker, diesmal nicht als Anzeige.
Tags : Louis Drucker, Event, Annoncen, Wein, Suicid, Esel
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