• Adventsprintjob_2018#05

    Adventsprintjob_2018#5Verlustlisten im Kleinanzeigenteil des 19. Jahrhunderts betreffen nicht immer nur Taschenuhren, Taschentücher oder Taschenbücher, sondern nicht selten auch verschwundene Menschen. Manchmal waren esVermusstenmeldungen von 1822 aus der Spenerschen schöne, junge Studenten, die sich mit melancholisch gefurchter Stirn (Querfalten!) und gekleidet in Werthertracht aus dem Staub machten, und denen ihre Eltern hinterhertrauerten (wie in der Spenerschen Zeitung vom 30. April 1822). Vielleicht haben sie sich, wie das auch bei uns in den 1980er-Jahren epidemisch wurde, einer frommen Sekte angeschlossen, die nichts mit der Kirche und dem Gemeinderegister zu schaffen haben wollte und in Hinterpommern ihr eigenes Ding drehte. Andere gerieten womöglich hinter Gitter, weil sie einer Burschenschaft angehörten und einzig deshalb demagogischer Umtriebe verdächtigt wurden; nicht wenige zogen den Freitod dem Verschmachten in jahrelanger preußischer Kerkerhaft vor. Ganze Register wurden in den Zeitungen aber auch publiziert mit Namen, deren Inhaber während der Eroberungszüge des Kaisers Napoleon nach Russland verschleppt wurden oder deren Handy sich das letzte Mal kurz nach dem Siebenjährigen Krieg eingeloggt hatte. Oft geht es in den Anzeigen nur darum, jemanden für tot zu erklären (und den Nachlass unter seinen Hinterbliebenen aufzuteilen), wie im Fall jenes Hembdeners aus dem Kirchspiel Bocholtsektierer in hinterpommern (aus der Spenerschen Ztg. No. 128 vom 22.10.1822, 1. Beilage), der sich vom niederländischen Heer hatte anmustern lassen und vermutlich längst eine Südseefestung im Besitz der mächtigen VOC (Vereenigde Oostindische Compagnie) bewachte und sich die Zigaretten von Javaanse Jongens drehen ließ. Da half auch kein Suchdienst des Roten Kreuzes mehr, und der weltlichen Gerichtsbarkeit aus Europa war der Mann, falls er was auf dem Kerbholz hatte, Soldat aus Bocholt wird gesucht auf immer entzogen, als hätte er bei der Fremdenlegion angeheuert. Mich hat die Sache aber unmittelbar angesprochen wegen des Namens bzw. eines ähnlichen Falls. Der Betreffende, mit dem ich zwar nicht direkt verwandt bin, der mir aber trotzdem nahesteht und -geht, stammte ebenfalls vom Niederrhein und trug den gleichen Nachnamen! Ob er mit dem Bocholter aus dem missing persons report von 1822 zu tun hat, soldat im 2. Weltkrieg vermisstbezweifle ich zwar, aber in dieser Gegend sind ja (laut Friedrich dem Großen) alle mit allen irgendwie verwandt, und es möchte schon sein, dass der Duisburger Rheinschiffer, um dessen Sohn es in dem neueren Dokument links geht, derselben Familie entstammt. Er starb im Frieden: 11. Mai 1945, unter Hinterlassung seines (nach eigener Überzeugung) kostbarsten Besitztums - das handsignierte Buch des Führers in Erstausgabe, das ersuicid des studenten dem ältesten Sohn aus erster (oder zweiter?) Ehe vermachen wollte; er hatte ein, sagen wir es freundlich, verschwenderisches Liebes- und Eheleben, wobei eher nicht die eigenen Ressourcen verschwendet wurden. Unerheblich hingegen war sein Vermögen in Reichsmark auf einer untergegangenen Sparkasse im Warthegau, die beim Herannahen der Roten Armee, sagen wir, faillierte ("meine Möbel hab'n die Polen und mein Geld die Dresdner Bank, ja das wär nun der bekannte Untergang des Abendlands", Erich Kästner). Der Mann soll sich, wie ein Zeuge behauptet, an einer anderen Ostgrenze des Tausendjährigen Reiches erschossen haben. - Die gestrige Kalendergabe waren zwei Printenkugeln, ähnlich jenen mit dackelfarbenem Leder überzogenen Knöpfen an waidgerechten Trachtenjankerln, aber durchaus angenehm schmackhaft!


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