• Adventsprintjob_2018#02

    Adventsprintjob_2018#2Was ich nach dem allgemeinen Sterben der Tageszeitungen und -postillen, ich sage nur: Hobby- oder Fernseh-Programmzeitschriften, Bäckerblume, Apotheker-"Umschau", Frauenillustrierten usw. usw. besonders vermisse, ist die Rubrik Der abgeschlossene Roman. Es werden halt keine Autoren mehr beauftragt, die kurz und knapp eine Geschichte erzählen. verlobungsanzeige vom Dezember 1857Zum Fernsehen sind die gewiss nicht abgewandert, denn die Aufgabe der Tatort-Drehbuchschreiber scheint zu sein, eine öde Mordgeschichte, die in 45 Minuten maximal aufgeklärt wäre, auf Ein- und Dreiviertelstunde zu strecken. Vor dem "Tatort" waren es das "Stahlnetz" und davor die Straßenfeger des Francis Durbridge. Der ließ bekanntlich Paul Temple über Dutzende von Folgen immer mysteriöser werdende und arg verwickelte Verschwörungen aufdecken. Noch zu O. Henrys Zeiten waren Kurzwaren das Ideal, Entlobungsanzeige des Wittstock von 1858und später, in der Hemingway-Ära, wurde so knapp wie möglich zusammengefasst, was in der Erzählung stehen sollte - das Exposé wurde zum Werk erhoben. Im Zeitalter der Collagetechnik, der Schnittstellen und des Internet-Faktenfisching kann man sich heute nur aus Einzelteilen zusammensetzen, was in der fortschreibenden Phantasie der Lesenden eine Kurzgeschichte mal ergeben könnte. Erklärung des proenziellen Brautvaters 1858Die gute alte Kleinanzeige leistet denselben Dienst, hat aber noch den Vorzug, dass sie sich auf reales Geschehen bezieht - also nix mit "gut erfunden". Und noch ein Vorteil: Das Publikum spielt mit, Partizipation ist anregender als Kontemplation! Dass hinter der Ver- und Entlobung des Kaufmanns Wittstock aus Werneuchen mit der Apothekerstochter Wege aus Charlottenburg nur schnödes Gewinnstreben steckte, hatte wohl für alle Beteiligten etwas Tragisches, sonst wäre es doch nicht öffentlich dokumentiert worden. Oder war die "naturale Ausstattung", die der Brautvater verhieß, nicht zufriedenstellend? Was aus dem Hochzeitskandidaten wurde, weiß ich nicht, es ist aber möglich, dass Hedwig 1864 mit enem gewissen Carl Gottlob Harder verheiratet war. In den unendlichen Archiven der Mormonen, wo ich gerne online stöbere, taucht sie mit ihrem Mädchennamen und als verheiraet mit ebenjenem Harder in einem Eintrag des Berliner Sterberegisters auf, vermutlich Fehlgeburt mit einem Sohn. Für sie wär das freilich trotzdem ein happy end: Der Vater, wenn es derjenige ist, der im Adressbuch 1864 mit C. G. Harder steht, war Geheimer Hofrat Ihrer Majestät der Königinwitwe (Elisabeths Gemahl Friedrich Wilhelm IV. war fünf Jahre zuvor verstorben) und wohnte im Berliner Schloß. 1857 diente er als Hof-Geheimsecretair und Chatullenverwalter und war eindeutig die bessere Partie als der insolvente Kaufmann oder gar Heiratsschwindler, mit dem Hedwig als Ehefrau ein eher ländlich-bescheidenes Dasein gedroht hätte in Werneuchen, bei den Musen und Grazien in der Mark.


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