• Adventsprintjob_2018#22Spenersche, Vossische, Volks- oder Nationalzeitung, so hießen Zeitungen im 19. Jhd., Panorama von Kassel Wilhelmshöheheute mitunter Blind, Blöd, Bams, Bums, Zeit, Tatz, Stutz (Stuttgarter Zeitung) oder Weltkompakt. In ganz alten Zeiten lauteten die Titel komplizierter, beispielsweise "Abbildung der Begebenheiten und Personen wordurch der Zustand jetziger Zeiten monatlich vorgestellet und in dazu dienlichen Kupffern gezeiget wird", stell ich mir schwierig vor am Kiosk: "Haben sie die neue 'Abbildung' da?", oder abgekürzt - analog zu Eff Ah Zett: ABPZK, um nur die Hauptwörter zu nennen? oder gar Allbegperzukup?? Aus der Nummer vom 1. Januar 1725 habe ich illustrationshalber den Artikel "Preußen" eingefügt, damit man sich ein "Bild" machen kann. Meinen persönlichen Iconic turn erlebte ich bereits früh, noch vor Baudelaire, Panorama von Paris annonciertBaudrate, Benjamin und bevor ich die Passage du panorama betrat. Denn es gab im deutschen Fernsehen eine Sendung "Panorama" und der Name hatte mich seit 1970 interessiert. Eine Zeitlang habe ich dann die Rundbilder dieser Welt besucht, die in Stephan Oettermanns Panorama von London noch geöffnetPanoramabuch aufgelistet sind: Thun und Luzern, Waterloo und Bad Frankenhausen, auch die Perspektiven des Eduard Gärtner über den Dächern von Berlin wurden nicht verschmäht, hingen damals im Charlottenburger Schloss. Seit 2011 gibt's auch wieder ein neues Rundbild von Yadegar Asisi im Pergamon-Museum. Eingeführt wurde das Medium dort Anzeige der Gebrüder Gropius, die Aufträge suchenMitte der 1820er-Jahre Zeitungsnachricht mit Illustration von 1725durch die Gropius-Brüder mit ihrem Diorama, aber viel früher gab es solche in andern europäischen Hauptstädten. Die Zeitung mit dem schönen Titel Das Ausland. Ein Tagblatt für Kunde des geistigen und sittlichen Lebens der Völker (Nr. 60, 1.3.1860, S. 240) schildert die Machart eines Dioramals wie folgt: "Die Hauptansicht wird auf Leinwand gemalt, in einen Rahmen gefaßt, oder über ein Rollholz mit Gewichten am Boden so aufgezogen, daß man ihr nach Belieben eine gleichmäßige, freie oder gespannte Lage geben kann. Das Gemälde ist durchsichtig und empfängt sein Hauptlicht duch das große Fenster, vor dem es aufgehängt ist; zwischen ihm und dem Fenster hängen mehrere seidene, leinene oder Ethnoramabaumwollene Vorhänge von verschiedener Schattirung oder Färbung; mit Hülfe von Schnüren können diese so gekehrt, zusammengezogen oder ausgedehnt werden, daß sie irgend eine Quantität von Licht zulassen oder tiefen Schatten auf das Gemälde werfen, je nachdem Sonnenschein, ziehende Wolken, Sturm, Wasser oder Himmel dargestellt werden. [...] London hat vielleicht auch in dieser Hinsicht das Schönste aufzuweisen – so einen Brand von Edinburgh, mit den abwechselnd aufloderenden Flammen und aufqualmenden Rauchmassen – so eine Überschwemmung in Paris mit einer furchtbaren Wasserfläche, worin eine ganze lebende und leblose Natur untergeht..."Begriff des Panoramas weitet sich aus Das Schönste an London ist also nicht McDonalds, sondern Brand und Überschwemmung? Und das nur, um exotische Wimmelbilder, historische oder aktuelle Szenen, gern auch Schlachten oder Katatrophen vorzuführen (zur Vorbereitung wurde man mitunter von Cicerones durch abgedunkelte Tunnels geführt, und stand ZACK plötzlich im Hellen vor dem Riesenbild)! - Wie menschenfreundlich ist dagegen das pazifistische Bourbaki-Panorama, welches stattdessen die Aufnahme Kinderphotographie garantiert nicht verwackeltund Entwaffnung des (den Preußen entkommenen) französischen Heeres durch hilfsbereite Schweizer Bergbewohner zeigt - höchst sehenswert! Die dabei entwickelten Maltechniken wurden bald schon für Theater und Opern-Bühnenbilder genutzt, aber die Photographie, die ca. 40-50 Jahre später populär wurde, löste das Panorama nicht ab, schon weil photographiertes Leben gerne das Bild verwackelt. Dieser Mode machte erst das Kino den Garaus - "video killed the radio star". Blickwinkel, Fluchtpunkt, Perspektiven, unterbelichtet, Sichtweisen, ins rechte Licht rücken - unsere Sprache ist bis heute vom Panoramatismus, der sinnlich-visuellen Modeerscheinung des 19. Jhds. geprägt. Alles wurde "o-rama", wie später "o-bama" (Kalauer, wird gestrichen) und "o-la" oder "o-mat" wurde. Aber dass es auch ein "Ethnorama" gibt, habe ich erst jetzt, bei den Recherchen für diesen Adventskalender erfahren, denn es ist die perfekte Übersetzung deutsch-fremd für das Wort Völkerschau. Bloß, daß hier keine Stammeskulte erfunden, keine Tiere dressiert, keine Nafris ausgebeutet oder Indianer in exotischen Schwerttänzen unterrichtet werden müssen - es war ja, von etwas "faux terrain" (Sand, Muscheln, Drahtverhau, das tote Pferd aus Pappmache, ganz vorn an dem Schlachtengemälde) abgesehen, alles nur gemalt.

     

     

     


    votre commentaire
  • Adventsprintjob_2018#21Nicht nur Vier-, auch Zweibeiner wurden im 19. Jhd. ausgestellt, sei es in sogenannten Völkerschauen, für deren Repräsentanten die angebliche Lebenswirklichkeit im Kral oder Indianerdorf samt Flora, Fauna und faux terrain rekonstruiert wurde - Marrokkaner tanzen auf der Kirmesoder als Präparat. Das war schon in der Frühzeit zoologischer Gärten fester Teil des Angebots, um zu demonstrieren, wie haushoch die Willenskraft des (weißen, europäischen, denkenden) Menschen (Mannes) den grausamen Königen der Wüsten und Dschungel, den Raubkatzen, Vögeln, Insekten, mit seltsamen Waffen fürs Abschlachten weißer Eindringlinge ausgestatteten Ureinwohnern überlegen sei. Schlag nach im Odyssee-Kapitel in der Dialektik der Aufklärung von Horkheimer/Adorno! Mit dieser Perspektive wurden ethnologische Museen gegründet,Indianerschau mit Schwertschluckern aber auch Karnevalsgruppen, z. B. von Ethnologiestudenten, die in sommerlichen Zeltlagern abkochten und Schwerttänze übten, die Kölner "Hunnen", die "Negerköpp", der ganze Wildwest-Kostümkram samt Indianerspielen und Westerndorf. Der Fundus der Museen füllte sich zum Bersten mit Schenkungen welterkundender Expeditionen, die einfach mitnahmen, was herumlag, Exponat aus Navratils Museum der inneren Organewas sie stehlen oder gegen Glasperlen eintauschen konnten. Hinzu kamen Sammlungen, die mit entsprechender Muße die Missionare, Handelsvertreter und Soldaten der sog. "Schutztruppen" einsackten (darunter auch Hobby-Entomologen oder mit Köcher und Pieksnadeln bewaffnete Schmetterlingsfreunde) und in Seemannskisten heimwärts spedieren ließen. Die Hinterlassenschaft kolonialer Entrepreneurs und Kriegsbeute aus Feldzügen gegen Hottentotten und Zulus ist heute unter Museumsleuten ungefähr so beliebt wie radioaktiver Restmüll und darf nur nach Rücksprache mit Anwälten und Vorkehrungen der höchsten Sicherheitsstufe angefasst werden. Zu ihrem Leidwesen sind Zoo, Völkerschau, anatomisches Museum und Holocaust untrennbar präparate-AusstellungmiteinandKuriositätenkabinett für Damener verbunden, und selbst der Plastinator-Terminator aus dem Warthegau, Prof. Gunther von Hagens, hatte seine Vorläufer auf der Berliner Budenkirmes. Einen Hinweis darauf bot die Anzeige von Joseph Nawratil aus Brünn im letzten Kalendertürchen, die Museum und Bestiarium zugleich bewarb. Die Artisten aus Übersee, die als Weltenbummler nach Deutschland kamen, waren nicht zwingend koloniale Opfer, vermutlich eher Profiteure des Exotismus geworden, dessen Erbe heutige Kulturverwalter in Erklärungsnöte bringt. Auch damals war Berlin von MiBrand in der Kirmesbude der Tierschaugranten bevölkert: jene "Mohren", die bei Louis Drucker Wein und Bier ausschenkten, oder die Fürst Pückler vom Sklavenmarkt in Tunis mitbrachte, Marokkaner, die artistische Tänze aufführten, oder die Indianer, die eine Zusatzqualifikation imFarbpalette der Rassenmischungen Schwertschlucken erworben hatten. Apropos, wie merkwürdig, hatte nicht Goethe gehofft, Amerika habe keine Schlösser, sei demzufolge unverseucht von "Ritter-, Räuber- und Gespenstergeschichten"? Es war schon ein Berliner-Bären-Dienst, das Schloss in der preußischen Hauptstadt als soundsovielte Kulturhülle - Surrogat des asbest- und geschichts-verseuchten Kulturpalasts - wiederzuerrichten, aber welcher durchgeknallte Zündelfrieder hatte den genialen Einfall, den Dahlemer Fundus zu entrümpen, um die ungenutzten Raum- und Regalmeter in der Schlossattrappe zu be-"spielen"? Seitdem tobt die Debatte über Restitution oder Festnageln afrikanischer Kulturgüter; am ehesten wären sie noch bereit, die - so eklig es klingen mag - Schädelsammlungen und anatomischen Präparate zurückzureichen. Bei uns weckt all das fatale Erinnerungen, was man im Pariser Musée de l'homme unverblümt dar- und ausstellen darf: tätowierte Haut, Moorleichen, einbalsamierte Mumien (ob sich je die Pharaonen träumen ließen, dass ihre letzte Ruhestätte keine diskret vermauerte Pyramidengruft, sondern eine Glasvitrine sein Afrikaner als Vortragsredner in Dresdenwürde, an der kichernde Schulklassen vorbeidefilieren?), Hand mit sechs Fingern, grotesk geformte Skelette von Riesen und Zwergen und Embryonen in Spiritus. All das gehörte im 19. Jhd. zum festen Repertoire des Grusel-Showbusiness, und heute? Erst wird uns die bunte Welt der Malerei madig gemacht, weil Spielverderber immer wieder darauf hinweisen, dass ganze Familien ausgerottet wurden, damit wir unsere Schüler vor einen pueckler sendet eidechsen nach Bambergechten Degas oder Manet führen können. Kulturpolitiker/-innen. die sich eigentlich darauf freuten, noble Stipendien auszuwerfen, Retrospektiven zu eröffnen, Filmpreise zu überreichen, Vorworte in schicken Katalogen zu signieren (sie schreiben die nicht selber), Grußworte an hundertjährige Philosophen zu richten, was müssen sie heute tun? Sich mit menschlichen Schädeln, Schrumpfköpfen, Ritualwaffen und Skalps, und ihrer möglichst diskreten Entsorgung befassen. Wohin damit? Na, zurück zu den Quellen (des Nils), wohin auch unsere kaputten Notebooks, ausgebrannten Akkus und der ganze Plastikkram wandern, entweder in einen der von Asiaten errichteten Museumsbauten auf dem schwarzen Kontinent oder nebenan auf diese chemietropfende Müllhalde, die wir neulich im TV gesehen haben - kein erkünsteltes, sondern echtes Habitat für die Einwohner, von wertstoffsammelnden Kindern auf der Nahrungssuche bevölkert, die uns dankbar sein werden, dass wir ihre Kulturwerte und die Leichenteile ihrer Vorfahren - natürlich nur vorübergehend - in Verwahrung genommen haben.


    votre commentaire
  • Adventsprintjob_2018#20Louis Drucker ließ berittene Kellner schlechten Wein servieren, Fürst Pückler veranstaltete Affentheater in der AnnonveWettrennen mit arabischen Pferden, die z. B. gegen die englischen des Herrn von Biel antraten - und denkt man nur an die vielen in der Tageszeitung inserierenden Menagerien, muss Berlin im frühen 19. Jahrhunderten ein Wimmelbild mit sehr vielen Tieren gewesen sein. Kein WundMenagerie der Madame Touriaine von 1819er, hat doch Berlin den Bären im Wappen und immerhin neben dem Bahnhof Zoo auch noch einen Tiergarten. Damals ersetzten die Menagerien den (erst 1841 durch Martin Lichtenstein gegründeten) zoologischen Garten, und vor der sensationslüsternen Menge (die natürlich als rein wissenschaftlich interessierte Freunde der Naturkunde und Fauna angesprochen wurden) ließ man nahezu alles vorführen, was Krallen, Reißzähne, Pfoten, Flossen und Hufe hatte. Es mag etwas verwundern, wenn wir davon hören, dass zum Budenzauber auch lebende Seefische oder ein Affentheater gehörten, dass man die PapageienAdventsprintjob_2018#20 gleich zum Kauf anbot und dassAnnonce für anatomisches Museum und Tierschau unter den frühesten Menagerie-Betreibern auch eine Frau zu finden ist: Schon 1819 (Vossische vom 20. März) trat Madame Tourniaire als "Eigenthümerin des Rhinoceros und Elephanten" an die Öffentlichkeit und zeigte Paviane und Kakadus. Soldaten, Dienstboten und Kinder unter 10 Jahren zahlten gewöhnlich die Hälfte, aber manche Tierschau war erst für Volljährige ab 20 Jahren aufwärts zugänglich. Den größten Eindruck machte wohl die Fütterung der Raubtiere bei den Herren Martin & van Aken, von deren Budenzauber auf dem Exerzierplatz vor dem Brandenburger Tor Besucher Menagerie van Acken und Martin mit 170 Tierennoch in ihren Memoiren schwärmten, wie der Riesenpferd und ZwergpferdMaler Heinrich Leutemann in einer Serie für die Gartenlaube der 1860er Jahre. Mit nicht weniger als 170 Tieren ließen sie sich schon 1822 in der preußischen Hauptstadt nieder. Auch diese Begeisterter Bericht eines ZuschauersMenagerie-Betreiber hielten viel auf ihren guten Leumund, ließen ihn sich von Akademikern bestätigen und sorgten sogar für den Abdruck weitschweifiger Berichte der faszinierten Besucher in der Vossischen. Der Erfolg war kassenfüllend, weshalb sie ihre anfängliche Zweiraumbude dergestalt ausbauen konnten, dass "ihre Bauart die AusdünstungenNeue Bude englischer Bauart der Thiere den Zuschauern nicht empfinden läßt"... Sie pflegten ihre Raubkatzen erst auszuhungern, damit sie auch schön wild brüllen, ihnen Holzpfähle hinzuhalten, die sie mit den Zähnen zermalmten, und anschließend mit teils lebenden Tieren zu füttern (welche mögen das gewesen sein, schnatterndes Geflügel, streunende Menagerie zu verkaufenEichhörnchen oder herrenlose Hunde vielleicht?). Dompteur Martin peppte die Vorführung dann noch mit allerhand Mätzchen auf, legte sich auf den Tiger drauf, ließ sich die vom Füttern blutige Hand ablecken Aken und Martin verspricht ungläubiges Staunen der Zuschauer und küssen und so weiter. Denn das Ziel dieser Übungen war es, zu demonstrieren, "was menschliche Geschicklichkeit und Kraft gegen die mächtigsten Thiere der Erde vermögen", kurz, wie überlegen die weiße hominide Herrenrasse letztlich ist. - Doch was wird aus dem gut dressierten Wanderzoo, wenn man sich zur Ruhe setzen will oder eine Katzenhaar-Allergie entwickelt, und auf einen anderen Geschäftszweig umsatteln muss? Sollen sich Schakal und Waschbär, Leopard und Puma und mehr als 20 verschiedene Affenarten umstandslos an einen neuen Chef gewöhnen? Stelle ich mir schwierig vor, etwa so wie die feindliche Übernahme des überschaubaren Familienbetriebs durch einen internationalen Großkonzern! Möglich, dass sich die gestressten Arbeitnehmer zusammenrotten, gegenseitig aus den Käfigen befreien und nach dem Motto, "etwas Besseres als den Tod finden wir überall", einander autonom auswildern. Eine Raubkatzenmusik möchte man von den Stadtmusikanten selbst in Bremen nicht hören...


    votre commentaire
  • Adventsprintjob_2018#19Da wir gestern über ein wichtiges Berliner Ausflugsziel von 1830 - den Tivoli - unterrichtet wurden, muss jetzt endlich die Rede auf Louis Drucker kommen, den in Berlin wohl noch nicht ganz vergessenen Witzbold,Louis Druckers Zigarrenhandel 1829 Annoncenkönig und Erfinder der Eventgastronomie. Seine Lebensdaten werden in der Datenbank des Humboldt-Digital-Projekts mit 1800 bis 1855 angegeben, das scheint mir ziemlich willkürlich gesetzt, da ich (siehe unten) ganz andere Nachrichten habe. Man darf ihn jedenfalls nicht mit einem Bankier und Autor ökonomischer Schriften aus Frankfurt am Main verwechseln, der auch in den Niederlanden tätig war; vielleicht liegt da eine Verwechslung vor. Er revolutionierte die Kleinanzeige und unterhielt seine Kund- und Leserschaft mit flachen Witzen - im Gegensatz zum dichtenden Pfefferküchler Kasimir habe ich ihn im Goedeke nur einmal gefunden,Louis Drucker erlangt Ruhm in Wien als Mitarbeiter der Zeitschrift Danziger Dampfboot. 1905 sind seine Werke (die sicher nicht alle von Dichtern stammten, die er in seiner Kneipe freihielt) noch einmal aufgelegt worden durch einen gewissen Gotthilf Weissstein, vielleicht hat dessen Vorwort, ich hab das Buch gerade nicht zur Hand, die obengenannten Lebensdaten in die Welt gesetzt? Drucker tauchte in den Annoncen erstmals 1828 auf, als er in Hamburg mit Zigarren handelte. louis drucker 1848Bald darauf muss er in Berlin eine Weinstube eröffnet haben. Dort ließ er die Gäste von kostümierten und auf Ponys reitenden Kellnern bedienen. Sicher ist, dass er den Zigarrenhandel ebenfalls fortsetzte,amalie rindfleisch erst recht, als 1848 das Rauchverbot auf der Straße wegfiel. Eines seiner Plakate mit einem geradezu dadaistischen Neujahrsgedicht 48/49 ist im Stadtgeschichtlichen Museum Leipzig aufbewahrt, weitere sind über Suchfunktion erschlossen, anderswo sind Flugblätter kaiserkronesind zwar online, aber nur nach Voranmeldung bei der Bibliothek zu sehen. Aber wegen ihrer auffallenden Typographie und dem blühenden Blödsinn der Mitteilungen sind die Inserate immer schnell aufzufinden, zumal er sie mit freundlichsten Grüßen und vollem Namen unterzeichnete. So spielte er auf die von dem Abgeordneten Bassermann in Berlin erblickten finsteren Gestalten an, die von der Reaktion zum Anlass genommen wurden, den Belagerungszustand zu Esels-Wettrennen von Louis Druckererwirken, erklärte seine Bereitschaft, sich zum Kaiser von Deutschland ausrufen zu lassen, da Friedrich Wilhelm IV. die dargebotene Krone abgelehnt hatte: als der Abgeordnete Held den Berlinern riet, sich angesichts des drohenden Einmarschs von Wrangel zu verproviantieren, mahnte er, über der drohenden Hungersnot den Durst nicht zu vergessen und sein Lokal aufzusuchen. Louis Drucker streute seine Anzeigen, die in Provinzzeitungen dankbar unter Vermischtes nachgedruckt wurden, großzügig über die Tagespresse aus und ging mit seiner Eventgastronomie auch auf Tournee. Fricassee-AnzeigeSein Portrait als wohlbeleibter Schankwirt istMengenrabatt bei numerierten Druckerschen Weinabenden gedruckt und die Umrahmung, die der Maler Adolf Menzel gezeichnet hat, gibt Szenen aus dem bunten Treiben in seinem Lokal wieder. Natürlich spielte bei ihm ein ausgezeichnetes Orchester unter dem Kapellmeister Hirsch mit einer Sängerin, die er mit dem unliebenswürdigen Künstlernamen Amalia Rindfleisch ausstattete. Der bei ihm Louis Druckers Polemik gegen Bechtoldausgeschenkweinhandlung szymanowskite Wein soll übrigens nicht besonders gut gewesen sein, wird behauptet; ich stelle es mir ein bißchen wie Zirkus Roncalli vor, den ich in seinen ersten Anfängen erlebt habe, als André Heller noch dabei war und die (damals jedenfalls) ziemlich mageren Attraktionen (Feuerschlucker, Clowns, Clowns, nochmal Clowns, eine Kunstreiterin auf der Galerie à la Kafka) mit überschwänglichen, höchst poetischen Ankündigungen zelebrierte: drucker warnt vor dem belagerungsstand in berlinEiigentlich verdankt Zirkus Roncalli dieser Anfangszeit seinen ganzen schon etwas angeranzten Ruhm. Der oft mürrische Zirkusdirektor Bernhard Paul war dem österreichischen Liedermacher auf demDruckers Angebote in den USA Gebiet lyrischer Anpreisungen nicht ebenbürtig, und die beiden gingen dann bald getrennte Wege. Heller wechselte ins chineische Tellerjongleur- und Akrobatikfach. Auch für Louis Drucker ging es nicht gut aus, zumal Polemik der Kreuzzeitung 1857 gegen Druckerer sich 1848 ernsthaft und in aller Schärfe polemisch äußerte - wurde er doch entsprechend angegriffen, obwohl er es doch gut meinte und am Ende seiner satirischen Annoncen immer die Einladung in sein Lokal aussprach (Einladung? "uffjefordert", würde der Berliner sagen). Er emigrierte nach England und später in die USA, wo er weitere, Augsburger Zeitung 1855 kommentiert Druckers USA-Tourneenoch provokantere Ideen umsetzte. So soll er in New York eine Weinstube in einer Kirche eröffnet haben, deren Zechgelage als Gottesdienst für diverse Konfessionen unter Einbeziehung echter Kleriker gestaltet wurden. Abschiedsbrief des vergnügten Weinwirts vor dem SuicidDie empörte katholische Presse reagierte empört, kannte aber den Urheber des Skandals nicht, behauptete sie doch, Drucker habe protestantische Theologie studiert und eine Predigerstelle aus Mangel an Beredsamkeit verloren. Die Neue Preußische Kreuz-Zeitung entdeckte ihn 1857 in Buffalo am Eriesee. Im Dezember 1860 wurde in den Zeitungen der Tod des 74-Jährigen vermeldet, der im Mississippi ertrunken sei (Freitod oder Unfall? wurde spekuliert) und zuletzt sein Dasein als "Indian Doctor" in St. Louis fristete; er wäre also geboren um 1786. Und die Magedeburger Zeitung vom 28.11.1860 veröffentlichte mit seinem Abschiedsbrief die, soweit hier zu ermitteln, letzten Späße des Louis Drucker, diesmal nicht als Anzeige.


    votre commentaire
  • Adventsprintjob_2018#18Im letzten Kalendertürchen dieses Blogs war von einer Rede die Rede, die der Graf Schlippenbach himmelskurgel der Gbrüder Gerickegegen das demokratische Treiben der 1848er im Berliner Tivoli gehalten hat. Dessen Erwähnung erlaubt mir, noch einmal zu erklären, weshalb das Durchsehen all dieser Familienanzeigen so wichtig und teilweise auch erfolgreich für die Suche nach Lebensdaten ist. Denn es gibt Menschen, die zwar viel Geld verdient haben mit Projekten, aber weniger zur Selbstrepräsentation neigen, also z. B. nicht mit prunkvollen Hochzeiten oder übertrieben geschmückten Grabdenkmälern auffallen wollen, selten Spendenlisten unterschreiben und Bücher subskribieren, nicht geadelt oder zu Kommerzienräten ernannt werden und auch sonst wenig von sich hermachen. Vielleicht haben sie als ehrbare Handwerker einfach etwas Geld angespart und mit Grundstückskäufen Glück gehabt, eine Geschäftsidee gehabt, die einschlug und zum PublikumsAdventsprintjob_2018#18magneten wurde, dann aber den ganzen Betrieb verkauft und sich zur Ruhe gesetzt oder ihre Ehefrau machen lassen. So war es mit dem Tivoli, als dessen Gründer in der einschlägigen Literatur die "Gebrüder Gerike", abwechselnd auch "Gericke" erwähnt sind, ohne dass die Lebensdaten zu erfahren wären. Ich weiß sie auch nicht! Eine spätere Weißbier-Brauerei steht mit dem Namen Gerike in Zusammenhang, ob das Nachfahren sind oder nicht, dem kann ich hier nicht weiter nachgehen. Das Tivoli wurde jedenfalls Mitte 1829 im damals noch ländlichen Kreuzberg eröffnet und lockte Familien, die dort an Feiertagen das Denkmal für die Befreiungskriege besichtigen wollten, mit Außengastronomie und "Fahrgeschäft". Der Bericht, den Ludwig Rellstab in der Zeitschrift für die Elegante Welt vom 18.9.1829 Rellstab bewundert das Tivoidarüber schrieb, hob schon hervor, dass es ein Riesenerfolg war. Komponisten widmeten eigene Musiken, ein Ableger wurde in Wien gegründet und sogar die Hohenzollernprinzen ließen sich ab und zu blicken, weshalb die Allg. Preußische Staats-Zeitung berichtete (Nro. 122, 3.4.1830, Beil. S. 922 f.). Die wenigen bekannten biographischen Details über die Gründer des Tivoli sind in einem Handbuch Berliner Goldschmiede zu finden, das Wolfgang Scheffler 1968 veröffentlichte (S. 428); danach waren die Gerikes eigentlich Goldschmiede: Johann Ludwig (um 1800?-nach 1853) und Carl Adolph (1791-1871). gebrüder gericke, einer ausgeschiedenMutmaßlich stammten sie aus Soldin, waren Kinder von Johann Carl und Caroline Friederike Geri(c)ke geb. Helwig und ließen sich in den 1820er Jahren als Kaufleute, Erfinder und Juweliere in Berlin nieder. Carl Adolph taucht erstmals 1822 in den Verhandlungen des Vereins zur Förderung des Gewerbefleißes auf und subskribierte 1830 Hegels gesammelte Werke; er heiratete eine Charlotte Wilhelmine Gerike geb. Wilde (1801-1869), die am 22.3.1822 laut Entbindungs-Anzeigen ein Kind in Berlin zur Welt bringt. Sie war offenbar eigentliche Besitzerin des Tivoli und gründete später andere Gewerbe am Kreuzberg: Kaffeehaus, eine gymnastisch-orthopädische Pension und eine Kaltwasser-Heilanstalt, "wie auch eine Anstalt für skrofulöse und bleichsüchtige Kinder" (Angaben aus Boicke's Berliner Adressbüchern).Tivoli Abbildung Ihr Schwager, Johann Ludwig Geri(c)ke, lebte bis mindestens 1853 als Partikulier und Eigentümer "Am Kreuzberg 2". Er und Carl Adolph betrieben gemeinsam ein Juwelier-Geschäft in der Jägerstraße 42; für das Jubliäum des Astronomen Bode fertigten sie eine silberne Himmelskugel mit den kartographierten Sternbildern an. Ein dritter Bruder (es scheint noch mehr zu geben), Friedrich Ludwig Emil Gerike (1792-1870) gründete unabhängig davon seinerseits eine "Gold- und Silber-Waaren-Fabrik und Handlung" am Schlossplatz, Ecke Brüderstraße (Spenersche Nr. 149, 12.12.1822, 2. Beilage). Den Markennamen nimmt der dritte Bruder nicht mitDie anderen waren daraufhin gezwungen, in Anzeigen den Firmennamen "Gebrüder G." für sich zu reklamieren; diese Firma wird laut Handelsregister erst 1879 aufgelöst. Aber der Bruder war wohl trotzdem 1829 an der Investition und mit einiger Wahrscheinlichkeit an der Errichtung der Rutschbahn (die bergab mit Wägelchen befahren wurde; das Prinzip der Rodelschlittenberge) beteiligt. Er und ein Ernst Wagner, "Handelsleute aus Berlin" erhielten laut Wiener Zeitung (26.2.1830) eine Konzession für eine selbsterfundene Rutschbahn und gründeten in Obermeidling einen Ableger des Tivoli. Das Patent auf die österreichische Tivoli-Rutschbahn wird 1834 auf weitere fünf Jahre verlängert und 1836 an Johann Punge abgetreten. Am 8.10.1864 ändert Johann Theodor Rudolf Lange, der die Niederlassung Friedr. Emil Gericke, Brüderstr. 45 Ecke Schloßplatz geführt hat, den Firmennamen in F. E. G. Nachf. Th. Lange, diese Firma wird 22.7.1887 aus dem Handelsregister gelöscht. "Das auf dem Kreuzberg belegene, der Ehefrau des Kaufmanns Adolph Gericke, Charlotte Wilhelmine geb. Wilde gehörige Etablissement 'Tivoli' benannt", wurde am 28.4.1837 laut Staatszeitung versteigert. Offenbar hat Ely Samter, der 1861 Zeitungsredakteur in Berlin war, Charlotte Gerike um ein Darlehen von 7000 Talern geprellt und war nach Paris entwichen, da ging es um Hypotheken-Briefe über Grundstücke, die einer unverheirateten Pauline Auguste Wilhelmine Gericke gehörten. Charlotte verklagte ihn und ließ ihn 1864 und 1865 vergebens vorladen. Ihr Mann Carl Adolph wird im Adressbuch erwähnt, als Eigentümer und Partikulier, einmal als "Vice-Wirth"; 1867 bis 1871 lebte er nicht mehr am Kreuzberg, aber als C. A. sen. in der Yorckstraße 7, Etagenwohnung im Hinterhaus, unter dieser Adresse finden sich 1871 nur noch zwei Personen, "H." und "Th" G., und zwar jeweils als "Lehrerin der schwedischen Heil-Gymnastik" und möglicherweise Töchter des einst den Tivoli betreibenden Ehepaars.


    votre commentaire