• Beim Warten auf's Christkind meldete sich im Radio eine nette Moderatorin, die Feiertagsdienst schob und eine gute Geschichte zum Besten gab. Sie interpretierte den, ich weiß nicht mehr aus welcher Sprichwörter-Folklore stammenden Merksatz "Alles was Du auf Erden verschenkst, wird Dir im Himmel wiedergegeben". FlaschencachenezDas sei ungefähr wie das bekannte Nadelöhr-Kamel-Dilemma zu verstehen - daher müsse jeder, der durchs Himmelstor will, all die jemals anderen verehrten Geschenke mitschleppen, und bei der Eingangskontrolle dem lieben Gott oder gar Petrus selbst vorzeigen. Deshalb werde sie, die Moderatorin, in dieser Sendung nur ganz leichte Sachen verschenken, nämlich Musik. Allerdings war diese öffentlich-rechtliche Funkstunde von GEZ-Gebühren nicht ausgenommen. Wir schenken einander nichts in der Partnerschaft, wozu sich also zu Weihnachten was schenken, dachten wir dieses Jahr und da wir mit Weihnacht auch sonst nicht so viel am Hut haben, kriegen wir selten was geschenkt. Oder liegt es daran, dass ich kritischer Kritiker bin und das Berufslaster des Rezensierens auch an Feiertagen nur schwer abstreifen kann? Welche Nichte, die mit Selbstgebasteltem aufwartet unter dem Tannenbaum, will schon gern die Wahrheit hören: "Schlechtes Design, miserable Verarbeitung, deine Eltern sollten dich zur Adoption freigeben" - Geschmacksurteile, die mich, ließe ich sie laut werden, um den Weihnachtsbraten bringen würden. nochmal die taschenflascheAber selbst wenn ich's ausspräche, bewahrt es mich wohl nicht vor Präsenten. Denn just heute brachte der Briefträger zwei Postsendungen von den schrägen Schwestern meiner FrDie Flower Gebrauchsanweisungau. Und dazu wird ja wohl hier mal ein kritisches Wörtlein gestattet sein. Natürlich unter Beachtung der Datenschutz-Richtlinien, alle Namen von der Redaktion geändert! Das erste Päckchen, das wir öffneten, war eine seltsam geformte Tasche, mit einem Muster bedruckt, von dem ich Pickel auf die Augen kriege. Meine Angetraute wollte die Plastikfolie nicht beschädigen (Rück- oder Weitergabe an andere Beschenk-Opfer nicht ausgeschlossen), aber dann schlüpfte ihre Hand an der Unterseite hinein - war's ein Topflappen zum Überstreifen? gar eine modernisierte Form der Kaffeemütze? oder, wie ich vorschlug, ein cache-nez für eine Luger parabellum mit Schalldämpfer? (Herrjeh, wie lange hab ich keine Kaffeemützen mehr gesehen oder gar die Luger benutzt!) Der Name des Geschenks war a flower? (mit Fragezeichen, das war Bestandteil der Aufschrift). Mensch, jetzt hast du so viel DNA im Innern dieses Stoffdings hinterlassen, das kannste keinem mehr weiterschenken! Dann fiel bei uns der Groschen: Es ist eine Art Kondom für Flaschen. Nicht um den Alkoholkonsum vor den Kollegen im Büro zu verbergen, oder den Gastgeber nicht gleich merken zu lassen, dass sein Wein nichts taugt und man sich bei der Party lieber durch Fremdware aus dem eigenen Keller versorgt. Auch nicht (analog zu den Zigaretten-Umverpackungen), um vor dem eigenen besserwisserisch schlechten Gewissen pädagogische Ekelbilder von grünlich siffigen, verpilzten Lebern zu überdecken, die sind komischerweise hierzulande unbekannt, ebenso wie die bitter nötigen Feststellungen des Bundessuchtministers: "Alkohol ist ein Nervengift und tötet jede Menge Gehirnzellen ab". Der Sinn von a flower? liegt darin, passende leergeguckte Bouteillen umstandslos in Blumenvasen zu verwandeln! Jessas, da muss einer erst drauf kommen. Besser wäre es, so ein Geschenk zusammen mit einem annehmbaren Getränk zu verschenken, am besten gleich mit Rosé, damit die Flasche auch getrunken und die Rose versorgt wird. Nächstes Fragezeichen: Sollen wir das weiterverschenken? Aber wem? Als erstes fiel uns Nadine ein, für die haben wir noch nichts. Wo die doch für Wein schwärmt und Skandinavistik studiert hat und heute diesen Strickladen mit nordischen Folklorepullis betreibt - ihr würde das Design (vielleicht) gefallen. Nee, lass mal, die beweist dir dann, dass die finno-ugrische Ornamentik nicht im Entferntesten derart Raffael-Engelgeschmacklos ist wie dieser computer-generierte Bastelquatsch. Okay, dann schenken wir es doch Heinz, dem lieben Gutmenschen und unverbesserlichen Ökologen. Der freut sich über jede neue Recycling-Idee - aber nein, für den sind Schnittblumen Mordopfer, und falls der jemals eine Vase benötigen sollte, kauft er sich was Handgetöpfertes aus nachhaltigen Materialien im Bioladen. Und so ging's weiter, X. hat zuviel Geschmack, es wäre eine Beleidigung, ihr solchen Krempel anzudrehen. Y. trinkt lieber gleich aus der Flasche, von der man ihn eher wegbringen sollte. Und Z. hat als Messie die Wohnung schon voll mit Krempel, dass es an Intensiv-Stallhaltung grenzen würde, noch sowas da abzuwerfen. Einer Krankenhauspatientin mitbringen geht gar nicht - "netter Versuch", wird die Nachtschwester grinsen und den Trick, die Pulle Schampus kaschiert einzuschmuggeln, sofort durchschauen. Was macht man mit dem Textilkondom? Am besten jemandem zum Umzug offerieren - wenn die Kisten noch nicht ausgepackt sind, als Willkommensdrink und Vase für den ersten Blumenschmuck. Für den unwahrscheinlichen Fall, dass sich die nach der Pensionierung im Ruhrgebiet niederlassende Kollegin noch mal meldet, heben wir das auf statt es gleich in die Tonne zu kloppen! Aber da war noch was auszuwickeln, genauer gesagt, zwei Geschenke, auf dem eingewickelten Karton klebten raffaelitische Engelschen, die aus einem Buch herauswachsen. Ist das die Bibel? Na klar ist das die Bibel. Richtig lesen können die nicht, sie müssten sich ziemlich verrenken! Auf dem Raffael-Altar stützen sie sich auf den unteren Bilderrahmen vor dem aufgeschlagenen Buch, und wachsen nichtBuddha's eierlegender Wollmilchpebble wurmartig aus den Seiten heraus. Ich sehe meine angeheiratete Verwandtschaft auf dem Weihnachtsmarkt überlegen - "er interessiert sich doch für Bücher, das hier wird ihm bestimmt Freude bereiten, wenn nicht gar vergnügtes Schmunzeln hervorlocken!" - Äh: nein? - In der mit den zwei geflügelten Rotznasen dekorierten Packung war das Hauptgeschenk die gewiss nicht ganz billige Keramik. Sie hört auf den Namen Zen. Pebble Box und besteht aus einem Stopf-Ei. Man kann es in der Mitte aufmachen wie die Ü-Eier aus dem Kinderschokolade-Sortiment. Drinnen findet sich ... nichts. Kein Ohrring, keine Manschettenknöpfe, nicht einmal ein Rheinkiesel. Soll man "pebbles" reintun oder ist das Ei selber ein Pebble?? Sicher zwei bei tiefsinnigen Meditationen mit verschränkten Beinen zu erwägende Optionen. Das leere Innere glattpoliert und porzellanig (deswegen glaub ich, es war nicht ganz billig) wie diese blauweiß dekorierten Asien-Schalen mit eingelassenen transparenten Reiskörnern, die im Haushalt meiner Eltern herumstanden, mit einem dito gestalteten Löffel, der nie für irgendwas benutzt wurde. Aber hier war doch was im Innern, ein starker Spruch von Buddha himself, von dumpfer Schlichtheit, und zum besseren Einprägen auch auf der Eierschale in erhabenen Lettern wiederholt, voller Tiefenweisheit, dass wir an dem Abend keine Allgemeinplätzchen mehr auf dem bunten Teller brauchten. Wofür ist das gut? Na, da kannst du prima Nähnadeln drin sammeln oder beim Essen die Fischgräten oder Eierschalen (für Hühnerknochen zu klein). Oder als Balkon-Aschenbecher, wenn unsere rauchende Freundin Else kommt? Blöd nur, dass die Schalen des Ü-Eis nicht so ganz richtig aufeinanderpassen, und dann muss sie die stinkenden Eierschalen auch ausleeren, kann sie gleich den Aschbecher nehmen. Na prima, einmal alle heiligen Zeiten kriege ich Weihnachtspräsente und werde den Eindruck nicht los, die Schwägerinnen haben sie selber erwichtelt und suchten nur günstige Gelegenheit, das Zeug loszuwerden...


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  • Adventsprintjob_2018#24"Seit Beginn der Aufzeichnungen...", hieß es jetzt öfter in den Nachrichten. Seit Beginn der Aufzeichnungen hat sich das Klima jedenfalls stark erhitzt zwischen "Klimagläubigen" und "Klimaleugnern".Weinlese im Juni 1822 Mir hat man sowieso immer als Wetterregel beigebracht, kräht der Hahn auf dem Mist, ändert sich's Wetter und bleibt wie es ist! Und: Alle reden vom Wetter, aber das nächste Klima kommt bestimmt. Ich für meine Wenigkeit glaube daher fest an den Klimawandel, der sich doch zu jeder Jahreszeit und in entsprechend apriligen Regionen fast täglich beobWeizenernte in Russland 1822achten lässt. Denn irgendwas ist ja immer, wie ein anderer schöner Spruch lautet, und das trifft wohl ebensogut auf das Weltklima zu. Schließlich hat man im Mittelalter in England Wein angebaut, und in Südostbayern gab's zum Pleistozän-Weihnachtsabend Mammutkeule aus der Tiefkühltruhe. Von den Polkappen, wo der Weihnachtsmann unter Palmen am Pool den Rest des Jahres verbringt, ganz zu schweigen. Das erscheint doch wie mein Badesalz vom Wassermangel im Jahr 1822Discounter "beruhigend & entspannend", sollte für ein harmonischeres Klima sorgen. Darum liefere ich heute,gerste, hafer und roggen verschienen zum Ende der Aufzeichnungen dieses Adventskalenders, keine Kleinanzeigen mehr, sondern Lesefrüchte aus dem redaktionellen Teil, genauer gesagt aus dem Wetterbericht, der damals nur sporadisch unter Vermischtes erwähnt wurde - eben, wenn es was Besonderes zu vermelden gab wie die ungewöhnliche Hitze und Trockenheit bis in deObsternte 1822 war gutn November und Dezember hinein. Übrigens, der Winter 2010, als ich hier in die Straße zog, war der schneereichste seit Beginn der Aufzeichnungen, was mich zu einer "laus nivis" verleitete. Hinter welcher vergessenen Ecke der Geschichte mag dieser geheimnisvolle Beginn der Aufzeichnungen liegengeblieben sein, der jetentdeckung der Nord-West-Passagezt immerzu beschworen wird, weil dieser Sommer 2018 der bisher aller-aller-heißeste gewesen wär'? - Damit sei "maximal der Zeitraum ab 1718 gemeint", formuliert Wikipedia diplomatisch. Dann haben die Aufzeichner jedenfalls im Jahr 1822 nicht richtig aufgepasst. So heiß und trocken das dahinschmelzende Jahr 2018 auch gewesen sein mag, bei meinen Recherchen in den Printmedien des 19. Jahrhunderts habe ich feststellen können, dass der Sommer vor 196 Jahren ziemlich ähnlich dem unsrigen verlief. Zufällig entdeckte der Engländer William Scoresby in diesem Jahr das Fjordsystem von Grönland, weil die Küste so eisfrei war wie noch nie seit Beginn der Aufzeichnungen, und Sir John Franklin wagte sich sogar zur Hudson Bay hinaus, wo er leider keine Ost-West-Passage vorfand, sondern seine Stiefel verzehren musste. WBreslau, Winter 1822, neue Apfelblüteenn ich mir die Nachrichten über die Ernte vom Jahr 1822 in Russland anschaue, dann kann ich verstehen, dass Putin sich kaputtlacht über sogenannte Sanktionen des Westens. Nachher kommt's noch so weit, dass Emissäre der Ernte in Russland 1822russischen Botschaft in den USA Äpfel an die Kinder der Obdachlosen von Chikago, Washington und New York verteilen. Waas, das hat's im "kalten" Krieg schon gegeben? Das wäre ja, als ob sich Tick, Trick und Track und Duck bei der weihnachtlichen Bescherung der Einwohner von Kummersdorf (Slum im Außenbezirk von Entenhausen) von Panzerknackern helfen ließen.


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  • Adventsprintjob_2018#23Allmählich nähert der Kalender sich dem Ende vom Geländer. Anfangs dachte ich, das schaffen wir nie,Liebes-Absage aus dem Kleinanzeigenwust von Printmedien des 19. Jhds. bis zu 24 verschiedene Themen zusammenzustellen. Jetzt kommt es mir vor, als hätte ich die Witzigsten noch gar nicht gebracht; all die Geburtsanzeigen, die Reklame für zumlive happy, die young Verkauf stehende Häuser, die vielen Theatergedichte an bekannte Schauspielerinnen, die Akrostichen auf den Tod geliebter Personen (Anfangsbuchstaben abwärts gelesen ergeben den Namen), die "ich zahle alles bar, borgt nichts auf meinen Namen" und ähnliche Statements. Eigene Artikel wollte ich den Auswanderer-Inseraten geben, die periodisch vor dem Goldrausch warneNachruf auf ein braves Weibn oder in Brasilien blühende Landschaften verheißen oder umgekehrt. Auch die tels recht komischen Korrekturen von Druckfehlern habe ich mir verkniffen, bei denen man gar nicht wissen möchte, welche Sauklaue die armen Setzer entziffern mussten - überhaupt Setzer, da gibt es manche Kommentare, die man eigentlich erst in den Szeneillustrierten der 1980er Jahre vermutet hätte, als jede Gratis-Annonce der WG-gewohnten und YogakurssuAntiquar Scholem inseriert lateinischchenden Leserschaft bissig kommentiert wurde, alles abgeschafft, seit Computer-Eingabeformulare für vorausgestaltete Anzeigenformate aufgekommen sind.hat seine Frau nur nachts gekniffen Heute will ich wenigstens noch einen Rest der Schnipsel zusammenkehren, die ich bisher nicht unterbringen konnte, die mir völlig rätselhaft bleiben, teils weil die Inserenten es mit Rücksicht auf kryptische anzeigen von 1849ihre Anonymität so wollten, teils weil die ganze Problematik von heute aus gesehen unverständlich bleibt. Oder die Story hinter der Anzeige ist nachvollziehbar, aber sowas von absurd und bescheuert. dass man die Beteiligten nur bedauern kann wie die arme Frau geb. Schultz, die das Glück hatte, mit 22 gestorben zu sAdventsprintjob_2018#23ein (der unterzeichnende Witwer war ein Prediger und setze noch viele salbungsvolle fromme Worte für seine Schwiegereltern hinzu, die ich weggekürzt habe). Der Rittergutsbesitzer, der eine unschuldig verhaftete Person via Kleinanzeige rehabilitieren will und auffordert,Rehabililtation einer Nichtdiebin irgendwer möge ihr halt einen Job geben und gut ist - Ohrringe auf dem Fenstersims gefundener könnte ihr ja selber eine angemessene Entschädigung angedeihen lassen (aber als Bestohlener ist er vielleicht pleite und kann sich das nicht mehr leisten). Die Scheidung, die man wie eine Traueranzeige unter Verbittung von Beileidsbekundungen inseriert - die Liebesofferten, die man vor lauter Abkürzeritis nicht mehr versteht - es sei denn, man will sich zum Spaß hineindenkenChausseepächter sterben und die Hintergründe errätseln. Und der prügelnde Ehemann, der seine Unschuld dadurch erweisen will, und anderslautenden Gerüchten entgegentritt, indem er aufzählt, was er seiner noch nicht ganz von ihm geschiedenen Frau alles nicht angetan hat. Einige von den Angebetenen gehören wohl zur "Nein heißt nein"-Bewegung, andere werden regelrecht bedroht von "Rudolph's Nachfolger" (damit wird wohl diesmal nicht Rudolph der Rote gemeint sein, von dem Robert Crumb einmal eine Comicfigur sagen ließ, "Rudolph the Red knows rain, dear!"). - Auch morgen, Kinder, wird's was geben, nämlich die frohe Botschaft!


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  • Adventsprintjob_2018#22Spenersche, Vossische, Volks- oder Nationalzeitung, so hießen Zeitungen im 19. Jhd., Panorama von Kassel Wilhelmshöheheute mitunter Blind, Blöd, Bams, Bums, Zeit, Tatz, Stutz (Stuttgarter Zeitung) oder Weltkompakt. In ganz alten Zeiten lauteten die Titel komplizierter, beispielsweise "Abbildung der Begebenheiten und Personen wordurch der Zustand jetziger Zeiten monatlich vorgestellet und in dazu dienlichen Kupffern gezeiget wird", stell ich mir schwierig vor am Kiosk: "Haben sie die neue 'Abbildung' da?", oder abgekürzt - analog zu Eff Ah Zett: ABPZK, um nur die Hauptwörter zu nennen? oder gar Allbegperzukup?? Aus der Nummer vom 1. Januar 1725 habe ich illustrationshalber den Artikel "Preußen" eingefügt, damit man sich ein "Bild" machen kann. Meinen persönlichen Iconic turn erlebte ich bereits früh, noch vor Baudelaire, Panorama von Paris annonciertBaudrate, Benjamin und bevor ich die Passage du panorama betrat. Denn es gab im deutschen Fernsehen eine Sendung "Panorama" und der Name hatte mich seit 1970 interessiert. Eine Zeitlang habe ich dann die Rundbilder dieser Welt besucht, die in Stephan Oettermanns Panorama von London noch geöffnetPanoramabuch aufgelistet sind: Thun und Luzern, Waterloo und Bad Frankenhausen, auch die Perspektiven des Eduard Gärtner über den Dächern von Berlin wurden nicht verschmäht, hingen damals im Charlottenburger Schloss. Seit 2011 gibt's auch wieder ein neues Rundbild von Yadegar Asisi im Pergamon-Museum. Eingeführt wurde das Medium dort Anzeige der Gebrüder Gropius, die Aufträge suchenMitte der 1820er-Jahre Zeitungsnachricht mit Illustration von 1725durch die Gropius-Brüder mit ihrem Diorama, aber viel früher gab es solche in andern europäischen Hauptstädten. Die Zeitung mit dem schönen Titel Das Ausland. Ein Tagblatt für Kunde des geistigen und sittlichen Lebens der Völker (Nr. 60, 1.3.1860, S. 240) schildert die Machart eines Dioramals wie folgt: "Die Hauptansicht wird auf Leinwand gemalt, in einen Rahmen gefaßt, oder über ein Rollholz mit Gewichten am Boden so aufgezogen, daß man ihr nach Belieben eine gleichmäßige, freie oder gespannte Lage geben kann. Das Gemälde ist durchsichtig und empfängt sein Hauptlicht duch das große Fenster, vor dem es aufgehängt ist; zwischen ihm und dem Fenster hängen mehrere seidene, leinene oder Ethnoramabaumwollene Vorhänge von verschiedener Schattirung oder Färbung; mit Hülfe von Schnüren können diese so gekehrt, zusammengezogen oder ausgedehnt werden, daß sie irgend eine Quantität von Licht zulassen oder tiefen Schatten auf das Gemälde werfen, je nachdem Sonnenschein, ziehende Wolken, Sturm, Wasser oder Himmel dargestellt werden. [...] London hat vielleicht auch in dieser Hinsicht das Schönste aufzuweisen – so einen Brand von Edinburgh, mit den abwechselnd aufloderenden Flammen und aufqualmenden Rauchmassen – so eine Überschwemmung in Paris mit einer furchtbaren Wasserfläche, worin eine ganze lebende und leblose Natur untergeht..."Begriff des Panoramas weitet sich aus Das Schönste an London ist also nicht McDonalds, sondern Brand und Überschwemmung? Und das nur, um exotische Wimmelbilder, historische oder aktuelle Szenen, gern auch Schlachten oder Katatrophen vorzuführen (zur Vorbereitung wurde man mitunter von Cicerones durch abgedunkelte Tunnels geführt, und stand ZACK plötzlich im Hellen vor dem Riesenbild)! - Wie menschenfreundlich ist dagegen das pazifistische Bourbaki-Panorama, welches stattdessen die Aufnahme Kinderphotographie garantiert nicht verwackeltund Entwaffnung des (den Preußen entkommenen) französischen Heeres durch hilfsbereite Schweizer Bergbewohner zeigt - höchst sehenswert! Die dabei entwickelten Maltechniken wurden bald schon für Theater und Opern-Bühnenbilder genutzt, aber die Photographie, die ca. 40-50 Jahre später populär wurde, löste das Panorama nicht ab, schon weil photographiertes Leben gerne das Bild verwackelt. Dieser Mode machte erst das Kino den Garaus - "video killed the radio star". Blickwinkel, Fluchtpunkt, Perspektiven, unterbelichtet, Sichtweisen, ins rechte Licht rücken - unsere Sprache ist bis heute vom Panoramatismus, der sinnlich-visuellen Modeerscheinung des 19. Jhds. geprägt. Alles wurde "o-rama", wie später "o-bama" (Kalauer, wird gestrichen) und "o-la" oder "o-mat" wurde. Aber dass es auch ein "Ethnorama" gibt, habe ich erst jetzt, bei den Recherchen für diesen Adventskalender erfahren, denn es ist die perfekte Übersetzung deutsch-fremd für das Wort Völkerschau. Bloß, daß hier keine Stammeskulte erfunden, keine Tiere dressiert, keine Nafris ausgebeutet oder Indianer in exotischen Schwerttänzen unterrichtet werden müssen - es war ja, von etwas "faux terrain" (Sand, Muscheln, Drahtverhau, das tote Pferd aus Pappmache, ganz vorn an dem Schlachtengemälde) abgesehen, alles nur gemalt.

     

     

     


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  • Adventsprintjob_2018#21Nicht nur Vier-, auch Zweibeiner wurden im 19. Jhd. ausgestellt, sei es in sogenannten Völkerschauen, für deren Repräsentanten die angebliche Lebenswirklichkeit im Kral oder Indianerdorf samt Flora, Fauna und faux terrain rekonstruiert wurde - Marrokkaner tanzen auf der Kirmesoder als Präparat. Das war schon in der Frühzeit zoologischer Gärten fester Teil des Angebots, um zu demonstrieren, wie haushoch die Willenskraft des (weißen, europäischen, denkenden) Menschen (Mannes) den grausamen Königen der Wüsten und Dschungel, den Raubkatzen, Vögeln, Insekten, mit seltsamen Waffen fürs Abschlachten weißer Eindringlinge ausgestatteten Ureinwohnern überlegen sei. Schlag nach im Odyssee-Kapitel in der Dialektik der Aufklärung von Horkheimer/Adorno! Mit dieser Perspektive wurden ethnologische Museen gegründet,Indianerschau mit Schwertschluckern aber auch Karnevalsgruppen, z. B. von Ethnologiestudenten, die in sommerlichen Zeltlagern abkochten und Schwerttänze übten, die Kölner "Hunnen", die "Negerköpp", der ganze Wildwest-Kostümkram samt Indianerspielen und Westerndorf. Der Fundus der Museen füllte sich zum Bersten mit Schenkungen welterkundender Expeditionen, die einfach mitnahmen, was herumlag, Exponat aus Navratils Museum der inneren Organewas sie stehlen oder gegen Glasperlen eintauschen konnten. Hinzu kamen Sammlungen, die mit entsprechender Muße die Missionare, Handelsvertreter und Soldaten der sog. "Schutztruppen" einsackten (darunter auch Hobby-Entomologen oder mit Köcher und Pieksnadeln bewaffnete Schmetterlingsfreunde) und in Seemannskisten heimwärts spedieren ließen. Die Hinterlassenschaft kolonialer Entrepreneurs und Kriegsbeute aus Feldzügen gegen Hottentotten und Zulus ist heute unter Museumsleuten ungefähr so beliebt wie radioaktiver Restmüll und darf nur nach Rücksprache mit Anwälten und Vorkehrungen der höchsten Sicherheitsstufe angefasst werden. Zu ihrem Leidwesen sind Zoo, Völkerschau, anatomisches Museum und Holocaust untrennbar präparate-AusstellungmiteinandKuriositätenkabinett für Damener verbunden, und selbst der Plastinator-Terminator aus dem Warthegau, Prof. Gunther von Hagens, hatte seine Vorläufer auf der Berliner Budenkirmes. Einen Hinweis darauf bot die Anzeige von Joseph Nawratil aus Brünn im letzten Kalendertürchen, die Museum und Bestiarium zugleich bewarb. Die Artisten aus Übersee, die als Weltenbummler nach Deutschland kamen, waren nicht zwingend koloniale Opfer, vermutlich eher Profiteure des Exotismus geworden, dessen Erbe heutige Kulturverwalter in Erklärungsnöte bringt. Auch damals war Berlin von MiBrand in der Kirmesbude der Tierschaugranten bevölkert: jene "Mohren", die bei Louis Drucker Wein und Bier ausschenkten, oder die Fürst Pückler vom Sklavenmarkt in Tunis mitbrachte, Marokkaner, die artistische Tänze aufführten, oder die Indianer, die eine Zusatzqualifikation imFarbpalette der Rassenmischungen Schwertschlucken erworben hatten. Apropos, wie merkwürdig, hatte nicht Goethe gehofft, Amerika habe keine Schlösser, sei demzufolge unverseucht von "Ritter-, Räuber- und Gespenstergeschichten"? Es war schon ein Berliner-Bären-Dienst, das Schloss in der preußischen Hauptstadt als soundsovielte Kulturhülle - Surrogat des asbest- und geschichts-verseuchten Kulturpalasts - wiederzuerrichten, aber welcher durchgeknallte Zündelfrieder hatte den genialen Einfall, den Dahlemer Fundus zu entrümpen, um die ungenutzten Raum- und Regalmeter in der Schlossattrappe zu be-"spielen"? Seitdem tobt die Debatte über Restitution oder Festnageln afrikanischer Kulturgüter; am ehesten wären sie noch bereit, die - so eklig es klingen mag - Schädelsammlungen und anatomischen Präparate zurückzureichen. Bei uns weckt all das fatale Erinnerungen, was man im Pariser Musée de l'homme unverblümt dar- und ausstellen darf: tätowierte Haut, Moorleichen, einbalsamierte Mumien (ob sich je die Pharaonen träumen ließen, dass ihre letzte Ruhestätte keine diskret vermauerte Pyramidengruft, sondern eine Glasvitrine sein Afrikaner als Vortragsredner in Dresdenwürde, an der kichernde Schulklassen vorbeidefilieren?), Hand mit sechs Fingern, grotesk geformte Skelette von Riesen und Zwergen und Embryonen in Spiritus. All das gehörte im 19. Jhd. zum festen Repertoire des Grusel-Showbusiness, und heute? Erst wird uns die bunte Welt der Malerei madig gemacht, weil Spielverderber immer wieder darauf hinweisen, dass ganze Familien ausgerottet wurden, damit wir unsere Schüler vor einen pueckler sendet eidechsen nach Bambergechten Degas oder Manet führen können. Kulturpolitiker/-innen. die sich eigentlich darauf freuten, noble Stipendien auszuwerfen, Retrospektiven zu eröffnen, Filmpreise zu überreichen, Vorworte in schicken Katalogen zu signieren (sie schreiben die nicht selber), Grußworte an hundertjährige Philosophen zu richten, was müssen sie heute tun? Sich mit menschlichen Schädeln, Schrumpfköpfen, Ritualwaffen und Skalps, und ihrer möglichst diskreten Entsorgung befassen. Wohin damit? Na, zurück zu den Quellen (des Nils), wohin auch unsere kaputten Notebooks, ausgebrannten Akkus und der ganze Plastikkram wandern, entweder in einen der von Asiaten errichteten Museumsbauten auf dem schwarzen Kontinent oder nebenan auf diese chemietropfende Müllhalde, die wir neulich im TV gesehen haben - kein erkünsteltes, sondern echtes Habitat für die Einwohner, von wertstoffsammelnden Kindern auf der Nahrungssuche bevölkert, die uns dankbar sein werden, dass wir ihre Kulturwerte und die Leichenteile ihrer Vorfahren - natürlich nur vorübergehend - in Verwahrung genommen haben.


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