• Mitten im Sommerloch ging der Mond auf. Verfinsterter MondUnd er sah aus, wie eine EU-normgerechte 5 Watt-Energiesparleuchte im Hinterhofklo eines der billigeren Economy-Hotels. Oder ein LED-Lampion bei schwankender Stromzufuhr. "Er" ließ sich überhaupt Zeit mit dem "Leuchten", nachdem die "Glutofen" oder wahlweise "Backofen"-Hitze kaum nachgelassen und der Erlebnisbeschleuniger längst heißgelaufen war. Oder soll man sagen, "sie" bzw. die Mondin? "Blutmond", wie die Blindzeitung titelte, ist doch sowieso eher die Domäne der Frauen, die sich, so  hieß es einst, in feministischen Zykluszirkeln monatsweise treffen - den Fachausdruck dafür müsste man doch eigentlich mit "monaten" übersetzen, als Verb gemeint, ich monate, du monatest und so weiter. Eclipsen-ProlapseIch erkläre deshalb auch gern geduldig, dass Mondfinsternis gar kein so seltenes (die letzte Finsternis des 21. Jahrhunderts!) Phänomen ist, wie uns die Sensationwissenschaftler glauben machen wollen. Dass der Mond in den Schatten der Erde tritt, kommt in Wahrheit doch allmonatlich vor, die Totalfinsternis ist jeweils bei Neumond erreicht, wird aber nur selten mit bloßem Auge erkannt, weil - Finsternis, halt, wie in dem bekannten Gedicht, wo der Wagen mit den stehend sitzenden Leuten blitzesschnelle langsam um die Ecke kurvt. Aber bitte, die weibliche bessere Hälfte der Menschheit will was erleben, nicht nur im TV, sondern live vor Ort und so weiter, gestern wanderten wir also gegen halb zehn in einen der umliegenden Parks, auf eine weniger von Hundebesitzern frequentierte Wiese, vor dem Niederlassen aber alles gut mit Lämpchen ableuchten, mit einem Panorama-Rundblick wie nur die Fliege in der Suppenterrine ihn hat, und bis halb elf dumm auf der Picknickdecke herumgewälzt, mit Fledermäusen, Nachtfaltern und tückischen Mücken gebalgt, die das spezielle Autan-Deodorant offenbar lecker fanden (marinierter Braten, schön blutig, aber die Haut muss kross sein, denken die Mücken beim Bestellen).Der Mond schon etwas höher gestiegen Um uns herum lauter Erwachsene, Kinder, und auf den Gehstock gestützte Greise, die sich den "seltenen Schauspielbefehl" (Wolfgang Neuss) nicht hatten entgehen lassen wollen, einer hatte sogar eine Drohne dabei, die er über der Wiese steigen ließ, um nachher beim Betrachten des Films den Stinkefinger zu sehen, den ich der Überwachungskamera zeigte. Schade, dass "die Manöverbeobachter nicht jedesmal voll getroffen werden" (Wolfgang Neuss), aber es muss einen nicht wundern. Ende der FinsternisJedenfalls hatten die meisten weniger Geduld, kaum war der Mond nach gefühlten anderthalb Stunden über dem Waldrand zu sehen, da dribbelte der Knabe nebenan wieder mit seinem bleichen runden Ball, und alle hielten die Fotoapparate und Handys hoch, vergaßen aber den Blitz auszustellen (ob die Bilder nachher was geworden sind?), was die Finsternis wieder vertrieb, denn diese herrscht bekanntlich dort, "wo das Licht mangelt" (Goethe). Meine Liebste wollte den Mond nicht blutrot finden, sondern mit einem Honigtopf vergleichen, ich dachte eher an diese sehr bittere Orangenmarmelade, deren Rest immer noch im Glas klebt und langsam nachdunkelt. Irgendwie tat mir der Himmelskörper leid, er konnte das Schauspiel nicht bieten, was man eigentlich vom Vollmond erwartet, erst als wir heimkehrten, stahl sich so langsam das Sonnenlicht von links her wieder auf seine Oberfläche, und falls der Mond nicht doch aus grünem Käse ist, wird er froh sein, morgen abend wieder leuchten zu dürfen.


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  • Lasse Leben auf mich regnen


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  • Dunkeldeutschland geht sehr schlecht vorbereitet in die heutige Mondfinsternis, fürchte ich. Erst kürzlich hat Peter Altmaier das neue digitale Endzeitalter verkündet, man müsse die K. I. "zur Erfolgsgeschichte Deutschlands machen... für Wissenschaft, Anbieter, Anwender, Start-ups gleichermaßen....  Schlumpfmützen Egatilémaßgeblich für Wachstum im produzierenden Gewerbe... Bruttowertschöpfung um rund 32 Mrd. steigern..." Der Haken: die Intelligenz meinte er, und zwar nicht, wie ich erst dachte, Schlumpfmützen Libertédie Kritische, sondern die Künstliche will er ganz groß schreiben bzw. fördern. Rohstoffe, die naturgemäß nicht mehr nachwachsen in den ausgepowerten Hirnbrachen, muss man künstlich erzeugen, soviel ist klar. Zuerst brauchen wir mal so ein Samenkorn, aus dem herauswachsen soll, was sich später entfaltet, belaubt und Blüten oder gar Früchte treibt. Nach aller Erfahrung wächst die Intelligenz nicht aus rohen, unverarbeiteten Eindrücken hervor, die führen nur zu Mythos und Glaubenswahn, ich sage nur: Feuersbrunst als Erscheinung höherer Wesen, Trockenheit als Strafe für sündliches Begehren (wer sich auf eine nette Runde freut, kriegt eine lange Dürre), Allegorie der RevolutionMondfinsternisse als der Zorn des Allmächtigen. Und, ehrlich gestanden, wenn ich mich in der Welt so umsehe, habe ich auch den Eindruck. ohne künstliche Eingriffe in die Genstruktur geht da nichts mehr, die Verblödung liegt bleischwer auf dem Land und ist schon festbetoniert und kaum mit dem Preßlufthammer oder der Dampframme zu beseitigen. Nein, die Natur will be- oder verarbeitet sein, bevor sie produktiv wird, wie Marx schon irgendwo gesagt hat, "arbeiten wir uns an der Natur ab", sozusagen. Die Frage ist nur, wie wir dem zarten Keimling so lange einreden können, er wüchse nicht in einer Nährflüssigkeit heran wie in diesen von Robotern bewässerten Farmen, die ich mal in einem dieser Matrix-Filme sehen konnte, sondern in der Original-Hirnzelle eines Durchschnitts-Zeitgenossen, falls der überhaupt noch eine frei hat im Oberstübchen, wo entweder gähnende Leere herrscht oder der blanke Wahnsinn regiert. Haben wir die Wachstumsbedingungen einigermaßen hergestellt, brauchen wir nur hegen, pflegen und behutsam die tägliche Dosis Witzenergie zu steigern. Vielleicht soll man der Intelligenz,Freiheit schaut auf's Meer solange sie noch schutz- und wehrlos ist, gut zureden und kluge Sachen vorlesen? Ich z. B. rede immer mit meinen Tomaten, die sagen mir dann schon, wie oft sie gegossen werden oder zum Friseur wollen - paarmal schlichten, und sie treiben immer üppiger aus. Ich meine, das Jahr 1789 muss trotz allem Scheußlichen, was danach kam, so ein Moment gewesen sein, in dem die mühsam vorbereitete Erleuchtung der Aufklärer in die Politik durchschlug und immerhin dazu führte, dass die Stände sich nicht auseinanderdividieren ließen,Fraternité den Bajonetten nicht wichen und weiter parlamentierten und in einer langen Verhandlungsnacht die Vertreter des Adels vielleicht nicht freudig, aber freiwillig auf alle Privilegien verzichteten! Okay, dass der Egoismus wenig später fröhlich weiterging und die am Überseehandel beteiligten Mitglieder der Nationalversammlung in aller Brüderlichkeit dafür sorgten, dass Freiheit und Gleichheit nicht in den Himmel wachsen bzw. den Sklaven in den Kolonien nicht zukommen sollten, steht auf einem anderen Blatt, aber das macht den Ballhausschwur selbst ja nicht ungeschehen oder verdächtig. So wie auch Mirabeau eine begnadete rhetorische Revolutionslokomotive bleibt, auch wenn er hinterrücks mit dem König kungelte und für Geld alles tat. Zurück zu der denkwürdigen Zurücknahme der Adelsvorrechte: Diesen kostbaren Moment sollte man studieren und erforschen und herausfinden, wie aus diesem unvermutet aufkeimenden Intelligenz-Gen so etwas wie historisches Bewusstsein entwachsen konnte - z. B. die Erkenntnis, dass es ein davor und danach gibt und nichts auf ewig hält, bzw. nicht das Alte, nur weil es alt ist ("das haben wir schon immer so gemacht und es gibt nichts Besseres"), blütemonat maimehr Berechtigung hat als das Neue, auf die jeweilige Situation der Zeit zugeschneiderte ("doch, wir probieren mal aus, was verbessert werden kann"). Mir fielen neulich Briefköpfe aus jener glorreichen Ära in die Hand und ich stellte fest, dass man in bester barockener Tradition Bildelemente der Emblematik neu zusammenzufügen begann. Die Republik muss eine Frau sein, sie trägt ein Liktorenbündel (Vorsicht, Faschismus) und manchmal einen Speer, auf dem ein phrygischer Jakobinerhut sitzt (solange kein abgeschlagener Kopf unter dem Hut grinst, mag das ja noch angehen). Mitunter steht sie neben irgendwelchen schräg abgesägten Baumstämmen, die sich bei genauerer Betrachtung als Tempelsäulen entpuppen, und ein Trikotcoloreskrähender Hahn muss auch in der Nähe sein, während andere Tiere platt am Boden liegen. Das Verhaftungs-BulletinKanonen auf Spatzen(Da fällt mir grade ein, dass die Frau von Neo Rauch, der den Bayreuth-Bühnenprospekt für "Lohengrin" gemalt hat, Rosa Leu heißen soll, komisch, nicht?) Kanonenkugeln nicht vergessen, dazu die Bollerkugeln und jede Menge Zündstoff. Manchmal schwebt auch ein einzelnes Auge oben drüber in der Sonne, soll das jetzt doch ein bißchen Monotheismus sein, oder ist es das Allwissende Auge des Geheimdienstchefs Fouché, dem keine konterrevolutionären Umtriebe entgehen...? Merkwürdig auch, daß "Liberté" und "Fraternité" ebenfalls mit nach links ausgerichteten Schlumpfmützen aus der klassischen Antike repräsentiert sind, und dass der aus dem Liktorenbündel herausstehende Speer genau auf den Mittelpunkt zwischen Schlumpfmütze und (guillotiniertem) Totenkopf zeigt. Das soll dann wohl das juste milieu sein, auf das Altmaier mit seiner Künstlichen Intelligenz zielt, die Anwender und Anbieter gleichermaßen glücklich machen soll. Und das votiert bekanntlich nicht für Fraternité, Egalité oder gar Liberté, sondern für Merkelismus, Macronnerie und force de frappe. - Eigentlich wollte ich mich über Fußball und das Flirten der Gladiatoren mit den Machthabern in der Zirkusloge äußern in dieser Kolumne (siehe Titel), aber jetzt ist was ganz andres draus geworden, weshalb mein revolutionärer Elan gipfelt in der egalitären Forderung: Özil für alle!


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  • Grade höre ich im Radio, dass Claude Lanzmann gestorben ist. Was soll man über ihn sagen oder ihm "nachrühmen", das nicht längst gesagt ist - dass er das Schweigen gebrochen, das Unfassbare ansehbar gemacht hat - ich wußte ja alles vorher, hatte viel darüber gelesen, aber ich hab's nicht wirklich erfasst. Das gilt auch für einen der letzten, unbekannteren Filme, von der Frau, die in Wieliczka eine Erschießung erlebt hat und noch berichten konnte, oder den langen Film über Benjamin Murmelstein, der mich durch Theresienstadt führte, immer im Kreis, ein wichtiger Nachtrag zu "Shoah", wo das nicht mehr hineinpasste. Auch da konnte ich mehr von dem sehen und erfassen, was ich vorher nur in Statistiken und Zahlen wusste. Lanzmann war nicht so ein netter Onkel oder Opa wie diejenigen, die in Deutschland vorfindlich sind, im Alter glich er immer mehr einem alternden Bären, allerdings keinem Teddy, eher einem griesgrämigen Grizzly, den man nicht im Arm haben will. Er  hat ja auch einen Ehrenbären auf der "Berlinale" gekriegt (oder aufgebunden bekommen). - Und sich nochmal voller Wut in einer Polemik über das Adlon und andere schicke teure Hotels geäußert, in deren Telefonverzeichnissen unter "Auslands-Vorwahlen" die israelische fehlt, weil man es sich nicht mit den lukrativen Kunden aus arabischen Ländern verscherzen wollte, die von 'Israel' nichts wissen wollen. Der Adlon-Hotelchef hat sofort versichert, das werde geändert, die Telefonverzeichnisse werden neu gedruckt. Man sollte mal da absteigen und nachschauen, ob man jetzt die Vorwahl von Israel nachschlagen kann im Adlon-Telefonguide. Aber vielleicht lassen sie jetzt wieder die alten Verzeichnisse ausliegen. Claude Lanzmann passt nicht mehr darauf auf. Und ich bin nicht auf der Berlinale und werde da bestimmt nicht einquartiert. Adieu, Claude, bon oncle, ours d'honneur méchant!

    Ein ours d'onneur

     


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