• Jetzt haben wir schon wieder Februar und große Dinge kündigen sich an - zufällig waren wir in dieser und der letzten Woche im Konzert und gehen bald wieder hin. Briefkästen zugesperrt wegen KarnevalDadurch hatte ich unvermutet einen Eindruck von den Vorbereitungen zu den Bacchanalien, die Köln als Event-Metropole in diesem wie in (gähn) allen andern Jahren ausrichtet. Urinal für den Kölner KarnevalEs ist schon irre, dass ausgerechnet ich, der ich am liebsten in mönchischer Abgeschiedenheit der Ruhe pflege und meiner philologischen Lieblingsbeschäftigung nachgehe, in einer angesagten Freiluftkneipe leben muss. Von dem Köln, wie ich das noch kannte und wo allenfalls mal am Weiberfastnacht morgens die ersten konstümierten Mädels auftauchten und am Aschermittwoch auch wirklich alles vorbei war, ist nicht mehr viel übrig. Bezechte Mitreisende in Bussen und Bahnen sind seit 11.11.2017 die Regel, und abends verwandelt sich die Altstadt in eine Hemba-Hemba-Zone, noch bevor die Stadtschlüssel an das närrische Prinzbauerjungfrau-Regime übergeben worden wären. Briefe einwerfen, die man lieben Bekannten schicken will? auf dem Heumarkt Fehlanzeige, schon letzte Woche und bis übernächste sind die Briefkästen zugesperrt, damit niemand Stimmungsbomben darin deponiert. Und die Brunnen,Vor der Flut Denkmäler etc. sind hinter hohen Brettern versteckt. Als ich vor einigen Monaten einer polnischen Studentin die Stadt zeigen wollte, das gleiche Bild, der Friedrich Wilhelm III. ist inzwischen nur noch selten ohne graffittifreundliche Holzkiste drumrum zu sehen, und ein nahes Herankommen unmöglich: Altstadtfeste, Soli-Konzerte für jeden mehr oder minder guten Zweck, Demos für und gegen alles mögliche, Schlittschuhbahn, Weihnachtsmärkte, Weinfestbuden, Kölschfestbuden, Jahrmarkt, was du willst, jedesmal wird alles verpackt wie von Christo und Jeanne-Claude persönlich. Diese Selbstbeauftragte für Denkmalschutz, die man in Zeitung, Film, Funk und Fernsehen andauernd den Zustand der Kölner Baudenkmäler beklagen hört (ich glaube, sie hat den sprechenden jagiello Chmielak-BierNachnamen "Schock") sollte mal ausrechnen, an wievielen Tagen von rund 365 im Jahr Friedrich Wilhelms III. Reiterstandbild überhaupt frei zugänglich ist. D. h. das Pferd kann man noch fast erkennen, nicht aber die interessanteren Seitentafeln mit den liberalen Musikern, darunter Mendelssohn und Meyerbeer, Dichtern, Historikern, Ingenieuren, Arbeitern und Wissenschaftlern. Dafür haben wir jetzt Mahnmäler anderer Art. Dass im Karneval eine gelbe, leicht schaumige Flüssigkeit in Hektoliterströmen rinnt, ist allgemein bekannt, aber ausnahmsweise ist jetzt mal nicht das Kölsch gemeint. Damit die schönen teuren Pflaster (Millionenmillarden hat eine Rheinspazierstraße gekostet) nicht verätzt und ausgegilbt werden, möbliert die Karnevalsverwaltung die schönsten Plätze mit Klo-Wagen und blauen Dixiesärgen. Aber halt, was ist dies? eine neue Art Brunnen, wo die alten doch versiegt und eingekistet sind? Offenbar handelt es sich um ein zum Längenvergleich anregendes Urinal, das man zu viert (!) gleichzeitig bdixiklos vor der Philharmonieenutzen kann, na, wenn das nicht abführt! - Mach in Köln eine Eisdiele, ein Schnellrestaurant mit Sitzgelegenheit (und nicht nur so eine nach oben offene Dönerbude wie der Lukas Podolski, die mit endlosen Warteschlangen von der ungebrochenen Beliebtheit des ehemaligen FC-Balltreters zeugt) oder eine Galerie mit Teestube auf, egal, es kommt das Ordnungsamt und misst nach - nicht deinen Zapfhahn als Gastwirt, bewahre, aber den Abstand zwischen den Pissrinnen im Keramiktrakt, und wehe das sind unter soundsoviel komma soundsoviel Zentimeter. Dann muss die Eröffnung verschoben werden, und nicht nur die des Hosenstalls! Dann machen sie dir die Bude dicht! Nicht so diese Urinale, die haben ja nicht mal diskrete Sichtblenden an den Seiten, und zum Händewaschen ist weit und breit nichts zu finden, also vorsicht, lieber keine "Kamellen" annehmen,podolskis dönerbude die von fremden Händen ausgewickelt wurden. Grundsätzlich waren aber die Konzerte sehr gut, auch wenn das Dixi-Sperrgut an der Philharmonie besonders dicht aufgestellt ist. Vorige Woche war das WDR-Sinfonieorchester, dirigiert von Marek Janowski, mit der Alpensinfonie von Richard Strauss dran, die mir aber zu dick aufgetragen war, Hörnertröten und Sonnenaufgang und Gewittersturm (inklusive künstlichem Theaterdonner wie von Franz Hohler), was mir nicht imponiert, wenn schon Tonmalerei, gefällt mir mehr Also sprach Zarathustra vom selben Komponisten, von dem alle immer nur das Pam-pam-pam kennen wegen Stanley Kubrick und 2001 - Odyssee im Weltraum, aber das geht noch weiter und die Fortsetzung ist viel besser. WC-Wagen in der AltstadtrJetzt war also der Abend mit B, B und B, nämlich Sinfoniekonzerte von Boulez, Beethoven und Bartók, und das letztere war ein tolles fünfsätziges Werk, das der in ärmlichen Verhältnissen im US-Exil lebende Béla Vor der FlutBartók vom Bostoner Sinfonieorchester 1944 uraufführen ließ, kurz bevor er an Leukämie verstarb. Der zweite Satz ist ein Scherzando, der dritte eine elegische Trauermusik, die wirklich ergreift, und zwischendurch schlägt der eine von den Trommlern den Kriegstakt vor und man ahnt schon, das geht nicht gut. - Aber auch Beethoven, Konzert Nr. 2 für Klavier und Orchester, das wie die Dauerwurst in zwei Brötchenhälften gebettet lag (damit keiner vor der Pause wegläuft, wie man sich denken kann) ließ sich hören. Das Gürzenichorchester, der Gürzenich ist ja bei uns so eine Art Volkskammer oder Palast der Republik, die Kölner nennen es ihre "gute Stube", hier hat sich der erste Arbeiterverein im Frühjahr 1848 gegründet usw. und vor diesem Parlament trat jetzt Son Altesse Roi François Xavier I., der mit dem Bleistift dirigiert, und als Flügeladjutant sein Governor Grosvenor auf, der beherzt in die Klaviatur griff, nicht übel, hat uns gefallen. Seine Zugabe hat ihm allerdings geschadet, das war so der publikumsübliche Kitsch, vorher ließ er die Töne viel klarer und einzeln erkennbar herunterrieseln, das Zugabending dagegen "schmelzend" wie von Geigen geschluchzt, nein danke. Normalerweise breche ich schon beim zweiten Applaus auf, damit ich nicht den schönen Eindruck im Ohr verdorben habe durch Zugabe nach dem dritten. und die Kölner sind sowieso klatschgeil und woillen eine Zugabe nach der andern erbetteln, noch schlimmer wenn der WDR überträgt, dann brüllen und grölen sie noch, damit sie im Radio späteJan-und_Grief_Brunnenr stolz sagen können, hörst du, das war ich! (echt wahr, das hat uns mal ein entfernter Verwandter gesagt, er gehe grade deshalb nur in Konzerte des Radiosinfonieorchesters!) Das Gürzenich-Orchester spielt am Sonntag den 18.2. wieder, wenn Gastdirigent Nicholas Collon meine Lieblingsstücke in Szene setzt, und zwar auf der Hitliste Platz drei ist Prélude à l'après-midi d'un faune von Debussy, Flöte solo, hab ich mal mühsam einstudiert - allerdings dann doch bar jeden Erfolges auf der Querflöte ("zum Teufel erst das Instrument, zum Teufel hinterdrein den Sänger"), dann Platz zwei, Reiterdenkmalvon Györgi Ligeti Atmosphères (1961), das ebenfalls aus Stanley Kubrick's 2001 bekannt ist - die Szene wo der Computer HAL schon durchgedreht ist und der Astronaut am Schluss so eine Art Vision seines  rückwärts abgespulten Lebens hat, bis er wieder zum Embryo vor der Weltkugel mutiert, und  schließlich und alles überragend Platz 1, tusch!, Maurice Ravels Daphnis et Chloé, das erste Klassik-Werk, von dem ich per Radio hörte u. vollkommen verzückt war (mit zehn oder elf, ich bekam die LP mit Ernest Ansermet und Orchestre de la Suisse romande). Sie spielen hier nur die 2. Suite und ohne Ballett, aber das macht nichts, ist auch konzertant schön. Außerdem noch das Liebestod-Dingens von Isolde-Tristan, Wagner, und nochmal Bartók, kann nicht schaden, aber das alles ist gottlob erst nach Karneval und bis dahin, hoffe ich, sind die Urinale wieder weitgehend zurückgebaut und die Stadt - von Baustellen abgesehen - nicht mehr das mit Brettern vernagelte Ende der Welt.


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