• Essen rechnete mit einem Hunnensturm bei der Eröffnung der Ausstellung "Monet, Gauguin, van Gogh - Inspiration Japan". Man sah es an mehrfach gestaffelten (aber vollkommen leeren und nutzlosen) Drängelgittern vor dem Kassenbereich, separaten Zugängen für Gruppenbesucher und VIPs, an der Beflissenheit und Nervosität des gesamten, frisch angeheuerten Personals ("Wie schön, dass Sie die ArtCard dabei haben, dann kann ich der jungen Kollegin gleich mal erklären, wie das mit der Ermäßigung geht"), an den gipfelhoch getürmten Katalogen an Theken, wo dergleichen feilgeboten wurde, Milka-Kuh auf der Rheinreisean den Bergen von Schnitzeln, die in den Warmhaltepfannen des Caterings brutzelten, an rund 50 vor sich hin welkenden Schwertliliengestecken in der Leitfarbe Lila, die vermutlich im Etat für die e.on-gesponsorte Eröffnungsfeier noch drin waren. Bei Vincent & Paul tummelten sich wie 1988 im Riesensaal des Holiday Inn von Krakau ein halbes Dutzend Kellner um mich als (potentiellen) Gast, hoben die Topfdeckel, priesen vergeblich "Essen" an, das bestellt und nicht abgeholt worden war - der eine zeigte, wo ich mir das Selbstbedienungstablett holen sollte, der zweite war schon unterwegs, es zu holen, der dritte stellte die dampfenden Kaffeepötte drauf, und am Ende vergaßen sie (leider nur beinahe), die Brötchen abzurechnen. Drei Garderoben in verschiedenen Ecken, eine leerer als die andere! "Sechsstellige Besucherzahlen erwartet das Museum Folkwang", hatte man im Frühjahr 2013 vollmundig verkündet. Doch statt der erhofften Volksmassen kamen ein paar Dutzend, höchstens 100 Besucher, jedenfalls während der frühen Nachmittagsstunden, als ich durch die Säle flanierte. Irgendwer hat den überspannten Erwartungen der Folkwanger und ihrer Finanziers einen Strich durch die Milchmädchen-Rechnung gemacht, sei es die zweite Handballliga oder der "größte Chor des Ruhrgebietes", der mit WDR-Unterstützung zur besten High-noon-Sendezeit auf dem Burgplatz zu singen anhob. Da war ja bei der dreitägigen Eröffnung des Landesmuseums in Münster (dort allerdings mit Nachtöffnungszeiten, und bei freiem Eintritt) mehr los!

    "Zum zeitweiligen Ausbau des bereits bestehenden Teams Freier Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter" hatte der Folkwang-Museumsverein e.V. für diese Ausstellung gruppenführende Kunstexperten angeworben (Führungen nur bis 20 Personen zulässig! JETZT buchen! schrie eine Anzeigen-Viertelseite im F. A. Z.-Feuilleton - aber keine einzige war unterwegs, gottlob, wir konnten uns - fast - unbeschult umsehen). Von diesen Cicerones wurden "eine ausgeprägte Kommunikationsfähigkeit im Umgang mit Gruppen und ein sicheres und freundliches Auftreten erwartet", nicht so von dem Aufsichtspersonal, das man offenbar kurzfristig aus einem, wie mir schien, überaus merkwürdigen Milieu rekrutiert hatte. Diese zahlreich müssig herumstehenden Uniformierten hatten eine Aura von DDR-Grenzschützern an sich - ungefähr genauso aufgeschlossen und umgänglich gegenüber Fremden und Ausreisewilligen.Anzeige für Joggingklamotten Da war der Übergewichtige, der mit über der Wampenwölbung gespanntem Uniformhemd und verkniffenen Auges halbschräg vor dem Büchershop Posten gefasst hatte, um jeden im Katalog blätternden Kunden so eindringlich zu mustern, als wolle der die Kronjuwelen im Tresorraum in der Bank von England in einem Moment kurzer Ablenkung des Personals gegen Glasperlen austauschen. Drei Schriftenstände habe ich gezählt, - und selbst zum Besuch dieser Läden! durfte man seinen Rucksack nicht anbehalten, aber wer etwas kaufte, kriegte Glückskekse in lila Frischhaltepackung und mit eingebackenen Botschaften wie (nein, nicht: "Ich bin seit 2010 als Zwangsarbeiter in einer Kulturhauptstadt-PR-Fabrik gefangen, wer holt mich raus?", sondern:) Japonaiserie forever oder Is it love? Let's van Gogh! Man konnte dort auch japanische Reisschalen, Essstäbchen aus Elfenbein-Imitat und würfelförmige lila Kartons mit Gingko-Samen kaufen (bestimmt hat jeder Journalist, der bei der Pressekonferenz war, so einen gekriegt), vielleicht deshalb die Überwachungsstrategie? Dann war da der baumlange, vierschrötige Kerl mit Ghettobärtchen, der seinen letzten Job mutmaßlich als Rausschmeißer vor dem Discoschuppen versehen hatte und nun wie ein hospitalismusgestörtes Raubtier oder besser gesagt, wie das Paradepferd in Kafkas Erzählung Auf der Galerie, im Eilmarschtempo auf und ab wetzte - immer wieder von der hinteren linken Ecke des Saals bis zu der vorne rechts, von vorne rechts wieder nach hinten links und zurück und Stuetzstruempfe schwarzstuetzstruempfe weissso weiter, dabei immer wieder Gruppen von Besuchern mit den Ellbogen auseinander knüppelnd. Vielleicht suchte er auf diese Weise Bewegungsmangel auszugleichen? Der Berufskrankheit der Oberkellner (Plattfüßen) kann man damit aber auch nicht vorbeugen. Oder nutzt man die Aufstockung des Wachpersonals als Resozialisierungsmaßnahme für Speed-Abhängige auf dem Entzug? Dann sollte man den erfolgreich Wiedereingegliederten Fortbildungskurse zur Entschleunigung anbieten. Immerhin gibt es im Folkwang-Museum separate Toiletten für Damen, Herren und "Menschen mit Behinderungen"... man weist also, weil man in deren Klohäuserl nicht Herren von Damen unterscheidet, eigens auf das Menschsein der Behinderten hin, vielleicht infolge neuester sprachreglerischer Toleranzedikte (schon Goethe wusste um die Dialektik von Toleranz und Ausgrenzung). Später hab ich das Hin- und Herlaufen von einer Ecke zur anderen und zurück in einem viel ruhigeren, fast leeren Saal der Bestandssammlung bei einem anderen Securitykollegen beobachtet, wo nun wirklich keine oppositionellen Gruppen auseinandergetrieben werden mussten, aber seltsam mutete es doch an.

    Deutschlandtag mit SonderangebotenUnd dann gehörte zur Wächterschar auch die liebenswerte Christine K., die sicher nur aus Versehen zu ihrem Job gekommen ist und in einem erzieherischen Beruf, etwa in einem Inklusionskindergarten, besser aufgehoben wäre. Ich ging ihr wohl zu nah an die Bilder heran und wagte auch noch ab und zu, mit dem Finger auf das eine oder andere Detail zu zeigen. Meine Begleiterin war bereits von einem männlichen Aufseher wegen des gleichen Delikts abgemahnt worden. Wir kennen das schon, wir wissen, dass unser Verhalten - in Ausstellungen vor Bildern oder Skulpturen oder Vitrinen stehenzubleiben und uns gesprächsweise über ihre Machart, Technik, Qualität etc. auszutauschen - von den Direktionen nicht mehr erwünscht ist. Die sollen sich wirtschaftlich verhalten und sind vor allem auf die Eintrittsgelder scharf; sie haben's nicht gern, wenn der Besucher sich nach dem Erwerb des Tickets, anstatt in die "Erlebniswelt Museum" abzutauchen (Originalzitat eines Projekts der Folkwang-Universität) oder sich "dem faszinierenden Phänomen" (Originalzitat Ausstellungsprospekt) hinzugeben, noch patzig macht und mit den Exponaten beschäftigt oder sie gar kritisch debattiert. Und wer seine Eindrücke auch noch in (wohlgemerkt, halblaut gesprochene) Worte kleidet, macht sich erst recht verdächtig, was haben die vor? Oder ist da jemand als nicht akkreditierter Museumsführer unterwegs? Diese Verdächtigung ist uns auch schon angeheftet worden, weil mir meine kunstgeschichtlich kundige Begleiterin etwas erklärte, was auch Umstehende interessierte. Man soll isoliert bleiben wie Gefangene beim Hofgang (was hätte Karl Ernst Osthaus mit seinem "Folkwang-Gedanken" dazu gesagt?), mit Kopfhörer und MP3-Player abschotten TechNick erklärt etwas(früher waren das Kassettengeräte, die immerzu kaputt gingen, was dann überlaut von den Kopfhörer-Ertaubten beklagt wurde), die an der Kasse ausgegeben werden, um die Besucher ruhigzustellen und von einem numerierten "Audiopoint" zum nächsten zu hetzen. Mit dieser vorgekosteten Auswahl soll man sich begnügen, das übrige noch mit einem flüchtigen Blick streifen und den Saal bald wieder Richtung Museumscafé verlassen, anstatt vor den Exponaten Haufen zu bilden (was indessen trotzdem vorkommt, wie bei der ca. zehnminüten Audio-Erläuterung eines Geisha-Tryptichons - man konnte die Uhr nach der Verweildauer stellen, und hier war es besonders nervtötend, weil nur ein Betrachter vor diesem Wandbild Platz fand und zugleich allen anderen Zeitgenossen den Anblick der direkt darunter platzierten Vitrine mit komplizierter, kleinteiliger Druckgrafik versperrte). Kurz, die Leute sollen sich gefälligst keine eigenen Gedanken machen, sondern anhören, was die Kuratoren über die Kunst denken, TechNick balanciert ein Smartphonez. B. in der Japanoiserie-Ausstellung die kaum zu überbietende These von Sandra Gianfreda bestätigt finden: "Wie die Gischt auf der Meereswoge tanzt, haben Claude Monet und Gustav Courbet eindeutig bei Hokusai abgeschaut." (Und ich dachte, der große Wasserzauberer Monet sei lange vor der Öffnung Japans zum Westen in Le Havre gewesen, wo er mit Seestücken berühmt wurde, und als er in Trouville-sur-mer mit Courbet zusammentraf, hat er dem bestimmt auch ein paar Meeresgischt-Tricks beigebracht...) Um diese doch recht holzschnitthafte (damit zu Hokusai passende) Vorstellung zu untermauern, wurden allenthalben Motive aufgespürt, Parallelen gezogen, abenteuerlich kolorierte Schlichtdrucke mit und ohne Fujijama, manche auch volkstümlich-witzblatthaften Inhalts zu Tolouse-Lautrecs genialen Plakaten gruppiert Reklame fürs Oktoberfestund, äh - wenig zweideutige Beischlaf-Zeichnungen von Picasso neben solche aus der Edo-Zeit gehängt (übrigens scheint der dargestellte Vorgang und seine zeichnerische Umsetzung in allen Kulturen die gleiche anatomische Problematik mit sich zu bringen: You can't have your cake and eat it, und was man irgendwo reingesteckt hat, kann man nicht zugleich in voller Pracht und Schönheit herzeigen). Ob die Geishas beim Geschlechtsakt wohl immer in Stoff beißen? Dieses Gabinetto Segreto war übrigens mit Warnhinweis versehen: Der erotische Charakter der Kunstwerke könnte Irritationen auslösen! Vorsicht Schild, möchte man da sagen. Später beim Nachlesen (nicht im Katalog, sondern in einschlägiger Fachliteratur) stellte sich übrigens heraus, dass es westliche Zeichnungen waren, für die sich Japaner "begeisterten", besonders Hokusai war bei der Farbgebung u.a. von Preußisch Blau & Europäischer Malerei "inspiriert", soviel zum kommunizierenden Röhrensystem west-östlicher Einflüsse. Übrigens fehlte jede politische Einordnung der westlichen Kontakte nach Japan in die Geschichte des Kolonialismus und Kapitalismus, von den Leiden der Madamas Butterfly ganz zu schweigen; ganz aus dem Konzept fielen die unförmig-bauchigen, vermutlich von zenbuddhistischen Eremiten im cho'an-Erkenntnisrausch gebrannten erdfarbenen Teepöttchen (haben sie die Töpferkurse der europäischen Moderne beeinflusst?). Was außerdem noch fehlte in der Ausstellung, war die Einsicht, dass die Modernen 1880 ff. den bei ihren Salonmalerei-Vorgängern herrschenden Orientalismus mit Harems, Eunuchen, Scheichs, seideschimmernden Faltenwürfen und blinkenden Krummsäbeln satt hatten und sich deshalb ästhetisch schon aus lauter Langeweile mehr für Japan interessierten oder, wenn man das hyperventilierende Prospekt-Sprech mag, sich "von japanischen Bildmotiven und Stilmitteln begeistern und inspirieren lassen" wollten. - Gut und schön, aber deshalb muss man's nicht überdimensionieren mit der flotten Behauptung: "Die japanische Kunst ist für die Entwicklung der europäischen Moderne von grundlegender Bedeutung." Denn ob es sich bei den seriellen Flugblättern um Kunst handelt, wird bei Japanern, von denen auch einige durch die Räume irrten, mit guten Gründen bestritten; nichts gegen Kleinkunst, aber die Masken der Afrikaner haben den Kubimus auch nicht ungerührt gelassen, dankbar aufgenommene, die herrschende Plüschkultur provozierende Anregungen waren das. Von grundlegender Bedeutung für die Entwicklung der europäischen Moderne sind die Revolution der Chemie, die Erfindung der Farbtube und des Flachpinsels und das Gaslicht. Toulouse-Lautrecs Pinselschwung ist von den Karikaturen Gavarnis, der Wischtechnik Daumiers und von der impressionistischen pleinair-Malerei "inspiriert", und nicht jede strohgelbe Sonne bei dem guten Vincent ist über dem Fuji aufgegangen.

    Folkwang-Museum Essen: Ausstellung zeigt faszinierenden fernen Osten - Ruhr Nachrichten - Lesen Sie mehr auf:
    http://www.ruhrnachrichten.de/leben-und-erleben/kultur-region/Folkwang-Museum-Essen-Ausstellung-zeigt-faszinierenden-fernen-Osten;art1541,2493235#plx1174224170
    Sandra Gianfreda die überzeugendsten Vergleiche. Wie die Gischt auf der Meereswoge tanzt, haben Claude Monet und Gustave Courbet eindeutig bei Hokusai abgeschaut.

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    Sandra Gianfreda die überzeugendsten Vergleiche. Wie die Gischt auf der Meereswoge tanzt, haben Claude Monet und Gustave Courbet eindeutig bei Hokusai abgeschaut.

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    Zurück zu Frau K., nach deren Eindruck ich, wie gesagt, zu nahe an die Bilder herangetreten war. Nicht, dass ich einen Alarm ausgelöst hätte, so war es nun auch wieder nicht, ich blieb auch auf Armlänge entfernt von dem Bild. Aber hätte, hätte, Abstandskette! Die gab es nicht, auch keine Markierungen am Boden, wie ich sie schon in anderen Ausstellungen gesehen und natürlich respektiert habe. Vermutlich hatte ich gerade auf irgendein Detail gedeutet - natürlich ohne das Bild auch nur annähernd zu berühren, immer schön auf Abstand, den man in der perspektivischen Verkürzung (siehe Kunstgeschichte der Renaissance) in der abgedunkelten Museumshalle nicht so gut einschätzen kann. Aber die blitzschnell dazwischenfahrende Aufseherin Christine K. begnügte sich nicht damit, mich zurückzuschüchern, sondern holte - mitten im Gewimmel des zwar nicht in sechsstelliger Kopfzahl, doch inzwischen immerhin vorhandenen Publikums - tief Luft und (Achtung, Zeugma) zu einer längeren museumspädagogischen Erläuterung aus, an der auch die Umstehenden ihre Freude hatten. Wobei es ihr zugegebenermaßen glückte, mich vom Gegenstand meiner nachdenklichen Versenkung - der Einfluss japanischer Ästhetik auf französische Kunst um 1900 - dann doch erheblich abzulenken. Hochwasserschutz zum AnfassenSoundsoviel Zentimeter seien der Mindestabstand, gab sie mir zur Kenntnis, und "Sie werden nicht von mir verlangen, dass ich hier mit dem Lineal nachmesse", dies ungefähr ihre Worte, bei denen ich wie aus einem Traum erwachte. Aber damit nicht genug. Dass sie ihren Standpunkt unmissverständlich vorgebracht hatte, reichte ihr noch nicht. Als ich anhub, sie mit vollendeter Höflichkeit meiner Arglosigkeit zu versichern, auch, um ihr die Mühe weiterführender Begründungen zu ersparen, war ich zu weit gegangen, jetzt erst recht ging die Phrasendreschmaschine los, mein Gott, diese Museumswärter sind wochenlang allein mit den stummen Zeugen einer reichen Kulturtradition, da muss es doch einmal herausplatzen, da fuhr sie mich an und sagte mit spitzem Unterton jenes zuckersüße Zauberwort, das mir seit meiner sündigen Jugend immer so wohlvertraut wie ein Glockenspiel im Ohr klingt: "Lassen Sie mich bitte ausreden?" - mit so einem fragend-tadelnd nach oben offenen Melodiebogen am Ende des Aussagesatzes, der bei der Jugend von heute auch bei zustimmenden Worten wie "Okay" zu hören ist - und das, obwohl ja eigentlich sie das Gespräch gesucht und mir dasselbe geradezu und nicht ich ihr aufgezwungen hatte. Diese Phrase "Lassen Sie mich bitte ausreden?" ist mir schon immer ein Gegenstand amüsierten Interesses gewesen. Das "bitte" in diesem Satz ist keine Bitte (vgl. Austen, How to do things with words), auch keine leere rhetorische Floskel, sondern artikuliert einen Machtanspruch, gleich dem in der hier einzig möglichen Antwort, nämlich "jetzt ist es aber bitte gut, ja?!" Der Spruch kommt emanzipierten und pampifizierten Damen gern über die Lippen, und das nicht etwa, weil sie eine inhaltliche Vertiefung zuvor schon gegebener Wortbeiträge anstreben, die höchstens weiter ausgeschmückt, ansonsten schallplattensprunghaft wieder und wieder wiederholt werden sollen, da das Wesentliche schon gesagt ist. schlicht meerDie Schein-Bitte ums Ausredenlassen hat ihren Ursprung in den Verhörmethoden der Inquisition, die neben dem Ausredenwollen natürlich Fragen stellt, aber nicht wirklich Antwort begehrt, sondern den Ketzer eines Besseren zu belehren trachtet. Bekehrung und Belehrung des Delinquenten war Teil der Bestrafung, weshalb man ihm Geduld auf der Folter abverlangte und fromme, bei GOTT dem Herrn für den Sünder bittende Chöre um den Scheiterhaufen versammelte. Daher hat auch die von Frau K. gebrauchte Phrase doppelten Nutzen, sie ist, rhetorisch gesprochen, declamatio und punitio zugleich, verbindet unter Umgehung moderner Gewaltenteilung die Verlesung der Anklage mit dem Strafvollzug. Das macht sie der Drohne ähnlich, mit der den Feinden Amerikas, wie der Kabarettist Volker Pispers formulierte, "Anklage, Urteilsbegründung und Vollstreckungsbefehl in einem" zugestellt werden. Der Gesprächspartner erhält mit der Message zugleich eine Rolle zugewiesen, die des unbotmäßigen Schülers, der zappelig nach seinem Lieblingsspielzeug schielt, während er mit einer folgen- und sinnlosen, an der Sache wie am bereits langgezogenen Ohr vorbeirauschenden Predigt seiner Erziehungsberechtigten wertvolle Filetstücke seiner Lebenszeit verplempert. Frau Christine K. erging sich also in ausgiebigen Erläuterungen der Funktionstüchtigkeit der Alarmanlagen (ein Thema, das ich an ihrer Stelle potentiellen Ikonoklasten gegenüber nicht vertiefen wollen würde), die zwar nicht jetzt bei mir, aber doch fast und jeden Moment losgehen könnten, was ich berücksichten solle, und so weiter, und so fort, ich falle der Dame ins Wort und kürze dreist ab. RenovierungspauseIch denke mir meinen Teil und komme zu dem Ergebnis, das Hauptproblem besteht im Überwachungszwang, es sind ihrer zu viele, sie haben sicher einen Vertrag über die gesamte Ausstellungsdauer, und sie wollen ja auch was tun für ihr Geld, mindestens drei waren in jedem Raum der Sonderausstellung anwesend, unterhielten sich übrigens auch untereinander und mit ihren Funkgeräten - genau wie die Ortsgendarmerie von Gorleben, ein Kuhkaff in Norddeutschland, wo die Statistik der Bußgeldbescheide für Verkehrsvergehen seit den Anti-KKW-Demonstrationen ein exponentielles Wachstum erlebte. Kurz nach mir wurden weitere Ausstellungsbesucher von derselben Dame in ähnlich langwierig-argumentativem Wortschwall gemaßregelt, wo es doch ausreichte, ihnen - wie bei den Berliner Verkersbetrieben üblich - ab und zu ein herzhaftes "Z'rückbleim" zuzubellen, nein, auch diese Ärmsten mussten hochnotpeinlich Grund und Ausmaß ihrer Verfehlung erklärt bekommen. - Gab es noch Hochgezogeneres in Essen zu zu sehen, als die Augenbrauen der plattfüßigen Samurai in Blaumontur? Aber ja doch! Die Folkwang-Direktion hatte nach den Worten ihres niederrheinischen Hausheiligen St. Vincent von Goch "ein paar japanische Holzschnitte an die Wand gezweckt", so respektlos äußerte sich dieser von Goch (Vincent und Paul heißen die drei oder vier über das Gebäude verteilten Filialen des Museumscafés) damals über die ausgestellten Japonaiserien: "Du weißt schon, diese Frauenfigürchen in Gärten oder am Strand, Reiter, Blumen, knorrige Dornenzweige..." Wir ließen die und alles stehn und hängen, beschädigten nichts, kauften auch nichts für den heimischen Dekobereich, bestellten noch Kaffee und Schinkenbrötchen mit einem Klecks Japonnaise, verzehrten diese und reisten ab.

    Hoffentlich ist bald wieder Asiatische Woche beim Discounter. Die Soja-Soße geht zur Neige. Ich bin ein eifriger Leser des Mittwochsblättchens. Seit man in der Lidl-Universität studieren und bei Aldi den Bachelor of Arts machen kann, sind das die neuen Fachzeitschriften. Nicht zu vergessen der Prospektteil mit seiner bunten Fülle von Beilagen, die ich normalerweise wegschmeiße, aber heute lass ich sie noch vor mir liegen, um sie für die Leser/in/nen dieses Blogs auszuschlachten. Denn meistens amüsiere ich mich über das, was ich da lese, ich bin immer völlig hin und weg z. B. über die Neologismen. Da bietet ein im Umland bekanntes Möbelhaus ein "Boxspringbett" an, ein Lattenrost hat "Schulterkomfortzonen",TechNick zeigt nach rechts im Fahrradladen werden "Dirt Bikes" angeboten ("Stunts und harte Grinds kein Problem") - wobei mir einfällt, dass ich auch noch mal mit dem Lappen über mein Dirt Bike gehen muss, bevor ich es zur Inspektion bringe -, ein Thermo-Laufshirt sorgt für "hervorragendes Feuchtigkeitsmanagement".  Ich weiß auch nicht, ob ich mir im Möbelhaus eine Wohnlandschaft "Afrodyta", einen Schwebetürenschrank "Vaduz" oder einen Freischwinger "Jerome" kaufen soll. Ob sich der König von Westfalen statt auf den Thron zu Kassel in so ein Alu-Stühlchen ohne Beine gesetzt hätte? Klar, die Dirt Bikes sind gar nicht für den Straßenverkehr vorgesehen, sondern so ein Spielkram, mit dem junge Leute in Gesellschaft von Rollbrettfahrern und Inlineskatern auf entsprechenden Übungsstrecken durch Röhren und quer über Treppenstufen holterdipoltern, falls sie nicht im direkten Erdkontakt "motokroß"-mäßig den Waldabhang herunterstürzen, wie wir das früher mit dem Mofa gemacht haben. Momentan ist allerdings das Oktoberfest allenthalben das Thema, zumal es von der Werbeindustrie als Event zwischen Muttertag, Ferien, Schulbeginn und Halloween entdeckt wurde. Da müssen Models in den Prospekten Dirndl mit Auslage bzw. Holz vor der Hütt'n tragen, und komische Hütchen mit Gamsbart aufsetzen. Bei einem Elektrogroßkaufhaus ist kein Bayerntrubel angesagt, da muss ein übergewichtiger Fachverkäufer im Blaumann herhalten, also klug-listig auf Preisschilder zeigen oder Geräte balancieren, die ihm per Photoshop auf den Finger collagiert werden und der zusätzlich noch mit dem Spitznamen "Tech-Nick" gedemütigt wird. WarnschildBei Aldi ist es Hochleistungssportler Daniel Sch., der als Promi-Produktempfehler agiert ("Mit den richtigen Textilien braucht man weder Regen, Kälte noch Matsch zu scheuen... Maximale Funktion gepaart mit einem guten Design, da muss man einfach loslaufen.") Aber ich hab die kritische Theorie an der Aldi-Universität nicht verlernt. Mir fällt schon noch auf, dass es auf den Fotos nie regnet und die Fotoshooter ihre Models über Asphalt hüpfen lassen, die Bäume an der Flusslandschaft im Hintergrund sind auch noch schön grün. Hinzu kommt, dass die Miezen mit den Laufschuhen und der (beinzeigefreundlichen) Thermohose, nicht aber mit den Kompressions-Sportstrümpfen abgebildet sind, die tragen überhaupt keine Strümpfe, was auf die Dauer nicht gut ist beim Joggen und für Schweißmauken sorgt. Da helfen auch die geruchshemmenden, antibakteriell wirkenden Silbersalze nichts, die in der "Vorderhose" verarbeitet sind, während die "Hinterhose" mit Coolmax Xair versehen ist. Und wieso sind die Laufhosen aus "Wind abweisendem und atmungsaktivem Softshell-Material", die Handschuhe "Wärme isolierend" und nicht vielmehr "windabweisend" und "wärmeisolierend", oder wenigstens, wenn schon, denn schon, "Atmungs aktiv"? Die Neue Rechtschreibung - das Geheimnis des Glaubens, womit wir wieder bei der Inquisition wären. Schlimm genug, dass die Hunde auf der Hundefutterseite nach der Rechtschreibreform "Kaustängel" bekommen statt Gummiknochen wie früher. Bei Katzen heißt die Nahrung z. B. "Senikor 8 +" und hat eine "InhomeFormel", deren wissenschaftlicher Nutzen in kurzen Worten zusammengefasst wird: "Studien belegen: Katzen lieben den frischen Geschmack von Feuchtnahrung... Durch das Knacken der feinen Brocken wird die mechanische Zahnreinigung unterstützt". Trittspuren im SchneeGut, inhome heißt, die kriegen kein Lebendgeflügel mehr zwischen die Beißer, aber spülen die Biester denn wenigstens mit Odol nach oder riechen die aus dem Mund immer noch nach vergammeltem Thunfisch? - Hundevollnahrung mit "probiotischem Wirkstoff Inulin" ist offenbar Doggies Lieblingsfraß (sorgt "für makellose Haut", "für kräftige Muskulatur", "für glänzendes Fell"). Für den Hund, der ab und zu als Reittier genutzt wird, kriegt man nächste Woche auch ein Geschirr, auf das man wahlweise die Schriftzüge "Bodyguard" und "Bestechlich'" anbringen kann. Überhaupt die Auswahl, "Fixierung der Wunschfarbe möglich" heißt es bei einer LED-Nachtleuchte, das macht einen ja wahnsinnig, erst die Qual der Wahl beim Einkaufen und hinterher dieselbe nochmal beim Nachtlicht-Anstellen. Dieser Hokusai soll einmal Hühnern die Füße rot angepinselt haben, dann ließ er sie über einen frischen blauen Farbstrich auf der Papierrolle laufen; das sei eine Flußlandschaft mit Laub auf dem Wasser, erklärte er dem verdutzten Shogun das Ergebnis. Übrigens haben die Holländer das Übersee-Geschäft mit den Japanern angeblich gemacht, weil sie als einzige christliche Seefahrernation bereit waren, sich ein Kreuz auf die Fußsohle tätowieren zu lassen, damit sie "Christus mit Füßen treten", so erzählten es mir einst die Katholen, vielleicht sollten sie das Zeichen statt dessen überall auf dem Boden verbreiten? In den Niederlanden konnte einem die Inquisition ja auch nicht unter die Fußsohlen schauen. Ich, wenn ich als Ketzer auf dem Scheiterhaufen stehe, was unweigerlich eines Tages der Fall sein wird, werde unbekehrt bleiben, und deshalb auch kein mildtätiges Sprengstoffsäckchen als Gabe eines rührseligen Scharfrichters um den Hals baumeln haben wie jene, die wenigstens widerrufen. Aber wenn man mir das Maul nicht verbindet, habe ich sicher einen letzten Wunsch frei, der allen aus dem Herzen sprechen möge. Und der lautet: "Jetzt ist es aber bitte gut, ja?!"


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