• Seit gestern (4. 10.) macht ein neues politisches Schlagwort die Runde... "regionaler Flächenbrand", was mag das heißen? In früheren Jahren wurde immer sehr fein unterschieden zwischen dem echten, heißen (oder kalten, falschen) KRRRIEG und den sog. "regionalen Konflikten", denen gern auch mal das Beiwort "lokal begrenzt" folgte. Kein Grund zur Aufregung... das ist nur eine Wirtshausschlägerei... machen die beim serbisch-koratischen Neujahr immer so...

    Jetzt aber, wo es in Syrien ernst wird, ist plötzlich von einem klitzekleinen, völlig ungefährlichen Tyrannosaurus-Dino die Rede - der "regionale Flächenbrand", den die freiwillige Feuerwehr mit einem Kasten Gerolsteiner im Handumdrehen eingedämmt hat, begann mit "ein paar Schüssen" (Tagesschau),Fantasiemaschine von Thomas Bayrle höchstens "einer Granate" (Tagesthemen) oder "Granaten" (Plural, Kommentatorin des BR). Mal sehen, wieviel Fläche der Brand heute abend einnimmt! Aber schon ist containment in Sicht, denn "Beck's Kurt blafft Bürger an", titelt die BILD, naja, das "Kurt" stand streng genommen Thomas Bayrles betende Scheibewischenicht in der Schlagzeile, das hab ich nur des Silbenfalls wegen reingenommen, damit es klingt, als könnte die alte Werbemelodie meiner Kindheit dazu passen: "Dab-dah - dabdahbadapp! - Beck's Bier - löscht Männerdurst!" Ich feile sowieso dauernd am Neu-Betexten bekannter Melodien, z. B. eine bestimmte Stelle in dem bekannten Walzer von der schönen Donau, der klingt in meinem Kopf immer wie "Um 14 Uhr und 10 kommt die Meerjungfrau, um 15 Uhr und 10 kommt die Meerjungfrau, um 16 Uhr und 10 kommt die Meerjungfrau und freit den Kan-di-daaat..."  Dabei ist gerade jetzt doch gar nicht mehr der - den wohlverdienenden Ruhestand anstrebende - Beck der SPD-Problembär, sondern vielmehr Schwer Peinbrück, der Mann mit der Kanzler-Kernkompetenz an beiden Enden der Mundwinkel, weil er bei 12 von 19 wichtigen Plenarsitzungen an seinem Arbeitsplatz, dem Bundestag, abwest, Demokratie ist wohl nicht so interessant und einträglich, und statt dessen Vorträge, Seminare und Schulungen gibt bei Volks- und Raiffeisenbanken, Sparkassen und Anwaltskanzleien (jedenfalls einer, die das Bankenrettungsgesetz für ihn formuliert hat) - Professor an zwei Universitäten ist er auch noch, für ein Honorar, das insgesamt wohl so hoch ist, dass er eine "renommierte Düsseldorfer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft " beauftragt hat, es für ihn auszurechnen. Und dass er sich auch Bayrles Hochamt in der Documentahalleals Knarzler, äh Abkanz-, pardon Kanzlerkandidat weiterhin Beinfreiheit ausbittet, ist ja bekannt, denn wer ihn kritisiert, muss sich den Vorwurf gefallen lassen, an seiner, Queer Keinglücks "persönlicher Glaubwürdigkeit" zu zweifeln. Moment - hat ihm irgendwer Glaubwürdigkeit abgesprochen? Ich glaub ihm alles, und zwar unbesehen, der Mann ist nicht irgendwie hinterhältig oder zweideutig, der hat immer klar gesagt, wessen Interessen er vertritt (seine und die des Großkapitals), und macht auch keinen Hehl daraus, was er als Schranzler täte, nur mit dem Schachspielen bei Helmut Schmidt hat er gemogelt, oder beide haben keine Ahnung gehabt, was das für komische schwarzweiße Nuppis sind, die sie da "Zug um Zug" über die Karos schubsen müssen, ohne jemals eine Ereigniskarte gezogen oder beim Passieren einer der vier Ecken an der Spielbank zwei Riesen eingetütet zu haben wie sonst.
    Aber eigentlich wollte ich hier gar nicht als politischer Kassander, moralisierender Mahner oder skeptischer Sprachkritiker auftreten, sondern noch mehr von der dOCUMENTA (13) erzählen, denn ich hab immer noch ein paar Bilder in petto. Aber viel umfangreicher wäre die  Aufzählung alles dessen, was wir nicht gesehen haben. Bayrles Maschinenkusnt auf der documentaDenn der Hund mit dem pinkfarben angemalten Bein war, als wir die dOCUMENTA besuchten, längst weggelaufen, die künstlichen Bauschuttberge in der Karlsaue von Schlichtpflanzen überwuchert, die Bienen ausgeflogen, das SANATORIUM hatte Betriebsferien. Und vor den Einsiedeleien, die Gareth Moore aus Parkabfällen zu Hüttchen geformt hat, Bayrles documenta-Fantaasiemaschinenwaren entweder Betreten-verboten-Schilder oder meterlange Schlangen, in denen Menschen mit Handys herumtelefonierten und sich erkundigen, ob es sich lohne. Relativ leicht kamen wir noch am Morgen in die Documenta-Halle, deren untere Etage von den Wahnmaschinen des Thomas Bayrle belegt war: betende perpetuum mobiles, zusammengesetzt aus Autowrackteilen, z. B. in Form eines Mandalas sternförmig zusammengesetzte Vergaser ("Hochamt") oder in sinnlosem Händefalten und -ringen unermüdlich tickende Scheibenwischer, aus den Lautsprechern knarzte Unverständliches dazu, sollte wohl "bitt für uns" heißen. Im Hintergrund erhob sich eine (evtl. aus  Industrieverpackungen zusammengesetzte) Wandverkleidung (war es Pappe?) namens "Carmageddon". Aber alle Männer aus dem sonst eher weiblich dominierten Publikum scharten sich bewundernd um die MotoGuzzi, und Garagenbastler hätten, wenn sie zur dOCUMENTA kämen, an diesem Kunstwerk  gewiss lautere Freude gehabt. Da tut sich doch was, alles in Bewegung, ähnlich wie bei dem mysteriösen Laterna-Magica-Schattenspiel aus fünf Glasröhren, das Nalini Malani aus Bombay in einem separaten Raum zu geisterhafter Musik rotieren ließ. Richtig gruselig war es in dem Raum, zumal das Licht immer wechselte, mal stockfinstere Nacht herrschte, mal skelettähnliche Hände nach dem Betrachter zu greifen schienen, eine Geisterbahn aus moderner Kunst sozusagen.
    An dem Turm des Friedericianum war ein Satz aus dem Handyfoto-Kunstwerk "ex libris" von Emily Jacir angebracht, ein Besitzvermerk aus einem Buch in arabischer Sprache. "Dieses Buch gehört seinem Bdocumenta-Kunstwerk von Nalini Malaniesitzer Fathallah Saad. Er kaufte es mit seinem eigenen Geld. Gaza, März 1892", soll da stehen. Im Wesentlichen ging bei dem Kunstwerk um arabische Schriften, die in der Jüdischen Nationalbibliothek in West-Jerusalem aufbewahrt werden. Angeblich stammen sie aus "Plünderungen" der Israelis im Jahr 1948, und die Handyfotos (gabs in der Library keinen Fotokopierer oder fehlte das Kleingeld?) sollen gewissermaßen Beweismaterial sein. Da ich mich sehr für kriegsbedingte Friederizianum in Kassel, Turm beschriftetAuslagerungen von Buch- und Handschriftenbeständen interessiere, weckte diese Aktion auch mein Interesse. Aber die Schuldzuweisung war dann doch sehr eindeutig, wenn immerfort von "Raub" usw. die Rede ist, vielleicht sollte man auch bedenken, dass diese Schriften hier bewahrt und gesichert sind, während sie im Herrschaftsgebiet der Hamas, wo man spontaner Volkszorn oder -freude (über gelungene Raketenzüdungen) gern mit Maschinengewehrsalven oder Fahnenverbrennungen kundtut, möglicherweise schnell auch mit angekokelt wären. Letztlich wären sie sogar in dem Turm besser untergebracht, wie auch der Brod-Nachlass mit den (wenigen) Kafka-Reminiszenzen besser in Marbach am Necker läge, jedenfalls bis zum nächsten Weltenbrand.
    Das Generalthema der Documenta war allerdings nach allgemeiner Überzeugung doch nicht die derzeit brenzlige Weltlage, sondern Natur und Kunst bzw. umgekehrt, künstliche Natur, also die Verquickung von wachsendem und saisonalem Leben pflanzlicher oder auch tierischer Art (vita brevis) Warteschlange auf der Documentamit den sogenannten Ewigkeitswerten (sog. ars longa), mit denen uns ja in der Regel die Künstler behelligen. Nachdem im ersten Teil dieser Berichterstattung schon von der Natur als Kunst die Rede war, also von den überwucherten Bergen, dem Bio-Obst, Kräutergärtlein in Drahtkörben und auf Europalettbronzebaum der documentaen, der Mangold-Schiffsbrücke und der Reissamensammlung,nachgemalter Marmor hier noch ein Blick auf Kunst als Natur, nämlich um Werke jener, welche die Produkte dieser auf täuschend echte Weise nachahmen. Die pomologischen Apfelbilder des Dachau-Gefangenen Korbinian Aigner habe ich zwar nicht dokumentiert, auch nicht das Marmorkunstwerk "Calcium Carbonat" von Sam Durant, wo ein ordinärer Stein exakt aus Marmor nachgebildet wurde, aber dafür eine Bildfläche, die mit Marmorierung bemalt ist, als wärs ein echtes Scheibchen aus Carrara, leider finde ich momentan gar nicht, von welchem Künstler das ist. (Es ist die Mexikanerin Mariana Castello Deball, und sie hat Steine, Gips, Textilien, Sand und weggeworfene Gegenstände zu einer gefalteten Serviette collagiert - es lebe das Recycling!)  Insgesamt erinnerte mich manches auf dieser dOCUMENTA an eine Realismus-Vorlesung des leider viel zu früh verstorbenen Professors Peter Pütz, der sie mit der Empfehlung eröffnete, wir sollten mal darauf achten, wieviele Leute beim Anblick eines Abendhimmels oder eines schönen Blumenstraußes sagen: "Also wie gemalt..." und beim Anblick des gemalten Sonnenuntergangpanoramas oder Blumenstillebens "Also wie echt..."; letzteres traf auf jeden Fall auf den Bronzebaum mit dem (echten, nicht aus Pappe) Stein in der Krone von Giuseppe Penone zu, den die Besucher am meisten umlagerten und als das allerbeste German Bratwurst der dOCUMENTAKunstwerk der dOCUMENTA feierten, der aber schon im Mai 2010 errichtet wurde.
    gallow-Kunstwerk auf der documentaAnsonsten hätte ich nochmal Sam Durants Schaffott-Collage zu bieten, diesmal ohne Publikum, aber nicht minder schreckerregend, wenn man darauf herumspazierte, hatte man zwar einen schönen Blick in den Park, aber es war auch ein wenig wie der Tag vor der Hinrichtung. Was den verschiedenen Delinquenten in den USA als Henkersmahlzeit serviert wurde, stand nicht auf den Dokumentationstafeln. Aber ich bin sicher, würden die Sammler ein Kopfgeld auf den Kunstfälscher Wolfgang Beltracci aussetzen und würde dieser von einer lynchenden Meute auf dem Höhepunkt der Dokumenta hier vom Leben zum Tode befördert, er bekäme vermutlich das Recht auf eine letzte dOCUMENTA-Bratwurst von der Firma Apel. Ähnliches kriegte ja schon der Klient des Wachbeamten in der Todeszelle (Aloys Tegtmeyer alias Jürgen von Manger, der dann treuherzig erklärte: "Bratwurst? Aber da hätten Sie mehr haben können, steht Ihnen doch zu! hier bitte, die Vorschriften, dreihundert Gramm Fleisch... aber jetzt nicht mehr, nä, das kriegen Sie doch gar nicht mehr auf!"). Apel hat als Monopolist rund um das Epizentrum von Cassel für Katering gesorgt und vermutlich auch den Hund gefüttert - wenn man ihn nicht gar zu Bratwurst verarbeitet hat. Ob aber mehr Kunst oder mehr Natur in die Wurst gestopft wurde, wer vermag das zu sagen? Der Metzger würde vermutlich antworten, sein Motto sei, "schlachte, Künstler, rede nicht". Wir haben dem Imbiss übrigens nicht zugesprochen, sondern hatten unsere eigenen belegten Brote bzw. eine selbstgemachte Pizza in der blauen Tupperware-Schulbrotbox dabei. Und natürlich Thee aus der Thermoskanne.


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