• Grab des Colbert in St. Eustache

    Na schön, der Atomunfall ist beendet, hat die Regierungsbehörde dekretiert, und im Radio hieß es, es sei überhaupt kein Atom- sondern, zu unser aller Beruhigung, ein Industrieunfall gewesen, schließlich wurden in dem Ofen, der da zufällig explodiert ist und einen Arbeiter tötete, nur ganz schwach radioaktiv verseuchte Sachen "verbrannt", zB. Handschuhe und da kann nichts passieren. Kürzlich war ich schon mal ein paar Tage in Paris und führte, ohne ein Handy zu haben (da wird man schnell als Rädelsführer eingestuft), eine Reisegruppe in die Kirche St-Eustache. Dort findet sich das Grabmal des Finanzministers Colbert, der 1683 starb, offenbar ein Jahr, in dem der Sonnenkönig noch einmal einen dicken Batzen von der Steuer absetzen wollte und dem guten Colbert ein besonders prächtiges Monument errichten ließ. - Irgendwie kennt kein Mensch diese schöne Kirche, alle rennen in Nôtre-Dame-de-Paris oder, wenn man schon hier in der Nähe ist, ins Centre Pompidou, da wird dieses bedeutende Bauwerk gern übersehen. Immerhin wurde die Pompadour hier getauft und die Mutter von Mozart hier beigesetzt (schöne Quizfrage: was haben der Finanzminister Colbert und die Mutter Mozarts gemeinsam?). Paris, vor der AtomkatastropheEin Seitenaltar der Kirche soll von Keith Haring gestaltet sein. Georges Pompidou war ein Freund der Künste, Colbert förderte Handel und Wandel, und da war es nur konsequent, dass der erste die Markthallen hinweggefegt hat, die seit Jahrhunderten als "Bauch von Paris" hier gestanden haben (welches Organ der Eiffelturm repräsentiert, kann man sich ja denken). Und den Gemüsen und Früchten aus Les Halles, die eines Tages auf Geheiß der Regierung auswandern mussten. Dem hat nun ein Künstler namens Raymond Mason ebenfalls in St-Eustache-de-Paris ein Denkmal gesetzt, das nicht einmal auf Wikipedia zu bewundern ist, aber hier, nachdem es mir ein guter Geist vom dm-Normalpapierfoto gescannt hat. Das war also schon mal ein kleiner Auftakt zum Paris-Besuch, den meine Frau mit drei bis vier Tagen in den Patchwork-Urlaubskalender dieses Sommers einrechnet (zwei Tage Sauerland, drei Tage Saarland, 5-6 Tage Freibad in Bonn, einmal mit anschließendem Stummfilmfestivalbesuch, 1 Nachmittag Führung durch Raderberg, 1 Tag Duisburger Sauna-Wellness-Landschaft, 1 Tag Eifelwanderung, 1 Tag des Offenen Denkmals in Kleve, da kommt mit der Zeit schon so etwas ähnliches wie ein Urlaub zusammen). Leider war der Erholungswert dieses Ferien-Flickerlteppichs begrenzt, denn als letzten Samstag die wunderbare Lyrik-Wanderung im Königsdorfer Forst (wo man auf Köln, den Dom, die Arena, den Tafel an St. EustacheFernmeldeturm und das gegenüber dem Rhein liegende Bergische Land herabschauen kann) mit den Dichtern des ARE-Kreises stattfand, war K. bereits einen Tag krankgeschrieben und mich erwischte es dann am Sonntag, weshalb ich nicht zur Wiedereröffnung von Schloss Moyland kam und daher auch nicht mit meiner Meinung in der Lokalzeitung zitiert werde, wie bei der Schließung! Statt dessen liege ich den ganzen Tag mit Gliederschmerzen auf der Couch, häufe einen Schneeberg von nassen Papiertaschentüchern an und niese ununterbrochen. - Ach ja, an der Fassade von St-Eustache, welcher zu den vierzehn Nothelfern gehört, fand ich dann noch die hiernebst abgebildete schöne Einmeißelung aus der François Villon-Zeit, habe aber keine Ahnung, wer sich hier zu welchem Zweck verewigt hat. War an dieser Stelle der Fischstand der (1181 errichteten) Markthallen gewesen, mit den leckeren Merlans, Barben, Brassen und Jakobsmuscheln? Oder handelt es sich um ein Seeungeheuer, das sich - fluctuat nec mergitur - über das Wappenschiff der Stadt Paris hermacht? - aha, durch ein bißchen googlen habe ich grade herausgefunden, dass es wirklich um Fische geht und um den Gründer der vor dem Kathedralbau hier errichteten Kappelle, der zuvor dem König Philippe Auguste 1213 eine Summe Geldes geliehen hatte, und dafür das Recht erhielt, eine Abgabe auf jeden Korb Fische zu erheben, der in den Markthallen über den Tresen ging. Aus einem Teil der eingesammelten Kohle wurde dann eine Agneskapelle errichtet, damit's trotz abgepreßten Steuermilliönchen mit dem Seelenheil nicht schiefgeht. Fazit: St-Eustache ist die Kathedrale der Steuereintreiber, und man sollte den versammelten EU-Finanzministern anbieten, wenn alle Banken beschirmt und der Papst und die Griechen aus dem Schuldenschlamassel erlöst sind, hier um ein würdiges Begräbnis anzuhalten. Die Gemüsehändler passen schon auf, dass Schäuble nicht wie so'n Zombie aus der Gruft kommt und herumgespenstert.

     


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  • In Marcoule 30 km von Avignon hat's vorhin eine Explosion gegeben und einen Arbeiter verstrahlt, angeblich tritt Radioaktivität aus. Darauf einen leckeren Côte du Rhône...

    Kirchturm in Longerich

    Franzosen! Noch eine kleine Anstrengung, wenn ihr Republikaner sein wollt. Lasst die Finger von der Kernenergie, ihr habt so schöne Freilandflächen im Zentralmassiv, da passen außer den paar Schafen und Käsereien noch Windräder und Sonnenkollektoren hin. Und an euren vielen Stränden, wo finde ich die die Côte d'Energie éco?

    Am 12. September, 11.45 soll's passiert sein. Vor 40 Jahren im September 1972 gab es die erste Demonstration von Winzern am Kaiserstuhl  gegen den geplanten Standort eines Atomkraftwerks bei Breisach. 560 landwirtschaftliche Fahrzeuge demonstrieren mit Transparenten und Sprüchen wie "Lieber heute aktiv, als morgen radioaktiv" und "Kein Ruhrgebiet am Oberrhein". Es war der Anfang vom Ende der Atomindustrie, das Zusammengehen im Dreiländereck, und das KKW in Whyl wurde nicht gebaut, obwohl der damalige Ministerpräsident Filbinger- zur Hitlerzeit ein "furchtbarer Jurist" - prophezeite, ohne das KKW Whyl gingen "noch vor 1980 die Lichter aus!". Whyl wurde genehmigt, aber nicht gebaut, Kalkar und Wackersdorf wurden nicht gebaut, der Reaktor Würgassen stillgelegt, 7 bisher betriebene KKWs werden abgeschaltet. Das österreichische KKW Zwentendorf und das AKW Mühleberg II in Graben (Schweiz) wurden nicht gebaut, und in Litauen gibt's niemanden, der das geplante Kraftwerk finanzieren will. Im Atomgesetz steht: Die Genehmigung für eine Atomanlage darf nur erteilt werden, wenn "die nach dem Stand von Wissenschaft und Technik erforderliche Vorsorge gegen Schäden durch die Errichtung und den Betrieb der Anlage getroffen ist. "Das Kalkar-Urteil des Bundesverfassungsgerichtes legte 1973 fest: "Es muß diejenige Vorsorge gegen Schäden getroffen werden, die nach den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen für erforderlich gehalten wird. Läßt sie sich technisch noch nicht verwirklichen, darf die Genehmigung nicht erteilt werden; die erforderliche Vorsorge wird mithin nicht durch das technisch gegenwärtig Machbare begrenzt... Was die Schäden an Leben, Gesundheit und Sachgütern anbetrifft, so hat der Gesetzgeber durch die in § 1 Nr. 2 und in § 7 Abs. 2 AtomG niedergelegten Grundsätze der bestmöglichen Gefahrenabwehr und Risikovorsorge einen Maßstab aufgerichtet, der Genehmigungen nur dann zuläßt, wenn es nach dem Stand von Wissenschaft und Technik praktisch ausgeschlossen erscheint, daß solche Schadensereignisse eintreten werden." Ihr Franzosen könntet es besser wissen - aber die Begeisterung für die eigene force de frappe und der militärisch-industrielle Komplex (Atomgeheimnis ist bei euch Militärgeheimnis, zivile und militärische "Nutzung" nicht getrennt) hat euch verblendet. (Und die japanischen Bauern tragen, wie man hört, jetzt selber die atomar verseuchte Erde von ihren Feldern ab, wo werden sie die wohl hingüllen?)

    Protest gegen KKW in Whyl, Fessenheim und anderswo




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