• In unserem früheren Wohnumfeld Köln-Sülz, das wir kürzlich zum Einkaufsbummel besuchten, hat sich eine neue Kunstaktion ergeben, bei der offenbar Plakatbefürworter zusätzlich zu der Werbe-"Bespielung" weitere Plakate aufhängen.Babysitter-Angebot Damit sind keine Tierverlustmeldungen gemeint, auch nicht die Jobgesuche babysittender Gymnasiastinnen, sondern Fotos. In Köln wird man ein Künstler, wenn man irgendwas Verrücktes mit sturer Regelmäßigkeit tut: In der Fuzo als Sandwichman mit der Botschaft "ICH SCH...  AUF DIESEN STAAT" herumlaufen (das war in den 1980er Jahren, wogegen die Stadtverwaltung erfolglos prozessierte), Akkordeon auspacken, mit der Blockflöte über die Tasten fiedeln und einen Becher mit der Aufschrift "für Musikunterricht" vor sich hinstellen oder Pappkarten mit Stoßgebeten oder antisemitischen Karikaturen auf Wäscheleinen rund um den Dom hängen. Nun hat jemand, der die Sülzburgstraße fotografiert hat, diese Fotos als Schwarz-Weiß-Kopie in Din-A-3 kopiert und jeweils an geeigneter Stelle (wo man Bild und Wirklichkeit vergleichen kann) plakatiert. Mülleimer-BeklebungEckhaus Sülzburg/Berrenrather StraßeMerkwürdige Aktion, deren Sinn nicht recht einleuchten will. Anfangs glaubten wir, der Buchladen wolle auf seine Fortexistenz aufmerksam machen: Er befindet sich unter einem Baugerüst und ist unter der Plane von der anderen Straßenseite, wo die Schwarz-Weiß-Kopie hängt, unsichtbar. Dann glaubten wir, jemand wolle zum Vergleich historische Bilder vom früheren Zustand der Gegend zeigen. Schließlich entdeckten wir an der Ecke Sülzburg / Berrenratherstraße (siehe Bilder rechts), dass jeweils ein ganz aktuelles Bild an derjenigen Stelle angebracht ist, wo man auch das Original sehen kann. Was immer der Künstler damit bezwecken mag, er weckte zumindest für einen kurzen Augenblick unsere Aufmerksamkeit und wird sich sicher einen Job in der Werbebranche damit verdienen.Buchladen gegenüberTeeladen gegenüberDrogeriemarkt gegenüber Lange wird diese Kunstaktion allerdings nicht dauern, da das Bekleben von Stromkästen, Bäumen, Denkmalsockeln, Ampelanlagen, Schildern, Wänden, Telefonzellen, Mäuerchen, Betonpfählen, Laternen, Mülleimern, Papier- oder Glascontainern zumindest genehmigungspflichtig, wenn nicht strafbar ist. Und einmal dabei erwischt, wird man dann für jeden Graffito der Umgebung haftbar gemacht, so geschehen, als der stadtbekannte Antifaschist im Köln der 1970er Jahre, Sammy Maedge, mit Schülern eine Hakenkreuzbemalung vom Schulgebäude entfernte, man verhaftete ihn, Leichenfledderei an Plakatwandund laut Gerichtsurteil sollte er, obwohl er das Zeug wegmachte, wegen Verschandelung durch Sprühen von Hakenkreuzen haftbar sein. Wer's wegmacht, ist potentiell auch Verursacher gewesen, immerhin vergreift er sich an fremden Wänden! - Auf die Frage, was man denn unternehmen solle, wenn man Hakenkreuzschmierereien sieht, wurde damals (ob das heute anders ist, weiß ich nicht) erklärt: Man soll die Polizei holen, die dann den Eigentümer  des beschmierten Gegenstands alarmiert und auffordert, das Hakenkreuz wegzumachen. Selbsthilfe wegen "Gefahr im Verzug" ist nicht. Hat mich aber noch nie gehindert, Aufkleber von Neonazis abzureißen oder besser, vorsichtig abzulösen und in ein Album zu kleben, ich hab schon eine ganze Sammlung. Bei der Heimfahrt ertappte ich übrigens noch auf frischer Tat eine Vandalin, die sich Fetzen aus einem (schon abgerissenen) Plakat löste und das Papier "wegen der schönen Pixeligkeit" angeblich zu Kunst weiterverarbeitet, die dann auch auf facebook zu sehen ist. Na, wenn das mal die Obrigkeit sieht, die bekanntlich mit der Konsumgüterindustrie und ihren Werbeflächenvermietern gemeinsame Sache macht, dann bleibt kein Auge trocken...!


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  • Großbaustelle VorgebirgsgärtenDie Gegend, in der ich jetzt wohne, sieht rund ums Häuschen beschaulich aus. Grün vor allen Fenstern, Nadelbäume schirmen den Arbeitsplatz vor neugierigen Blicken ab; allenthalben Vorgärten, in denen sich Eichhörnchen tummeln, Schwärme von gefiederten Freunden fallen über unsere am Balkon aufgehängten Meisenknödel her, andere besuchen die Vogel-Drive-in-Loungesdes über uns wohnenden Ehepaars (ein niedlicher Begriff wie "-häuschen" passt dafür nicht mehr, da sind regelrechte Einflugschneisen drangezimmert)... Singvögel fühlen sich hier vor allem wohl wegen der Rückzugsgehölze auf einer eingezäunten Industriebrache, die zu zwei benachbarten Firmen für Chemie- und Schmierstoffe (keinerlei Lärm- oder Geruchsemission) gehört. Plakat aus der Fußball-WM-Zeit?Nur wenige Gehminuten entfernt tost der Verkehr auf dem Raderberggürtel, und schwarz und schweigend ragen die Hochhäuser von ehemals Deutscher Welle (heute eine leerstehende Asbesthölle) und Deutschlandfunk empor. Ich möchte auch gar nicht wissen, was unter der verkrauteten Wiese am altmodisch-gammeligen Ziegelbau der Chemiefabrik schlummert. Denn die Baugrube, die man jenseits des Gürtels ausgehoben hat, um eine neue genossenschaftliche Siedlung (mit dem euphemistischen Namen "Vorgebirgsgärten") zu errichten, entstand auf dem Gelände einer Farben- und Lackfabrik, da Handy-Werbung, abgerissenhat man jede Menge kontaminierter Erde wegkarren müssen. Übrigens hoffen wir hier auf baldige Bezugsfertigkeit der Siedlung (angekündigt für Herbst 2011), weil sich unsere Einkaufssituation mit den sicher ebenfalls neu entstehenden Konsummärkten verbessern, möglicherweise auch endlich das derzeit wegen Restaurierungsarbeiten geschlossene Zollstockbad neu eröffnet werden dürfte. Am Gürtel befinden sich mehrere Konsulate repräsentativer KfZ-Marken mit entsprechenden Parkplatz-Ländereien und architektonisch bizarren Vitrinenhäusern zum Anschauen und Preiseverhandeln (von der Nobelkarosse über Jeep-Geländewagen bis zum Biedermann-PKW ist hier alles zu haben). Bei uns im Innern des beschaulichen Raderthals merkt man gar nichts vom Großstadtgetriebe - außer Mittwochsblättchen und (samstags) bunten Fernsehprogrammprospekten in den nochmal die WaschanlageWaschanlage am RaderberggürtelBriefkästen. Aber es gibt z.B. kaum Graffiti, vielleicht, weil es eine neighbourhood watched area ist und jeder Lümmel, der mit einer Sprühflasche ertappt wird, sofort mit dem Klammerbeutel gepudert oder der Obrigkeit überstellt wird. Dafür toben sich die (jugendlichen?) Nihilisten auf dem vierspurigen Gürtel aus, wo sie zumindest nachts unbeobachtet sind - herannahende Streifenwagen kann man von weitem erkennen -, und hindern die freie Wirtschaft daran, uns glückseligmachende Produkte anzupreisen und damit via Binnennachfrage der Krise entgegenzuwirken. Jaguar-Skulptur auf der ZinneMerkwürdigerweise greift man fast nur Plakatwände an (parkende Speditions-LKWs, leider auch Bus-Wartehäuschen), nicht aber den springenden Feliden, der für den Boliden der einschlägigen Luxusmarke wirbt (wahrscheinlich ist das Firmenportal mit Videokameras gesichert). Er tut so, als wäre er massives Silber, besteht aber vermutlich doch nur aus poliertem Blech oder gar Plastikmüll. Er bleibt jedenfalls unbehelligt, was man von den stumm herumstehenden, die Landschaft verschandelnden Werbetafeln nicht sagen kann. Was mir an abgerissenen Plakaten gefällt, ist der künstlerische Effekt der Collage: Ist die obere Schicht weg, bleibt von den unteren was übrig und führt zu merkwürdigsten Parallelen, oder es entsteht ein fetzenhaftes Amalgam aus allem, was je darunter klebte, wobei für kundige Betrachter z.B. das Wort Deutschland kenntlich wird. Außerdem geben sich die Vandalen augenscheinlich viel Mühe, die Plakate unterschiedlich zu bearbeiten, mal werden sie wie eine altertümliche Schriftrolle von oben hHotline für Köln-TicketsBitte weiterblättern...eruntergezogen, mal wie ein Buch aufgeblättert, so dass aus der abgebildeten Dame, die junge Mütter ermahnt, während der Schwangerschaft keinen Alkohol zu trinken, eine fast dreidimensional im Raum platzierte Sitzriesin wird. Oft sieht auch der Untergrund der Plakate aufgeschlitzt oder, wenn Metall, wie blankgeputzt aus. Kurz und gut: mir gefällt diese täglich erneuerte Ausstellung einer sozialkritisch-hyperrealistischen, das Material der unmittelbaren Wirklichkeit verarbeitenden Gegenwartskunst in meiner Nachbarschaft, und ich werde bestimmt noch viel darüber berichten, auch noch über die Graffiti, von denen hier nur eins angedeutet werden soll, der auf das Mäuerchen über der Mr. Wash-Autowaschanlage gesprühte Imperativ "Putzen". - Viel Mühe hat man sich an der Vorgebirgsstraße gegeben. Da hat es nicht gereicht, das Plakat abzureißen oder es mit gesprühten ironischen Kommentaren, Filzschreiber-

    Vernagelte Plakatwand, Vorgebirgsstraße

    Farbakzenten oder dergleichen zu ergänzen: Da hat sich jemand richtig Mühe gegeben und die Bilder der Löwensenf-Reklame ungerührt & handwerklich einwandfrei mit Brettern vernagelt, vielleicht gar verschraubt. Waren es Fans des hinter der Wand angesiedelten Fußballclubs Fortuna Köln, denen der Gratis-Blick durchs Gebüsch auf die Spielfläche verbarrikadiert wurde? Für die werdende Mutter kein Gläschen in EhrenMich erinnert diese Handwerkskunst an die sogenannten "Bilderstürmer", deren Werk man in der Skulpturenabteilung des Doms zu Münster bewundern kann (im Kreuzgang zur Mahnung aufgestellt). Dort sind die vom Täuferregime Jan van Leydens "gestürmten" Heiligenbilder zu sehen: Ich glaube, es waren auch Heinrich Aldegrever und andere Meister der münsterländischen Schule daran beteiligt, als die Gesichter der Krisenherd oben rechts abgerissenpapistischen "Heiligen" säuberlich abgemeißelt wurden. Es dürfte Tage, wenn nicht Wochen gedauert haben, so dass die gängige Vorstellung von einem "Bildersturm" - wildgewordene Rabauken dringen mit Sensen und Dreschflegeln ein und schlagen alles zu Klump - wohl erheblich relativiert werden müsste. Besonnene, technisch versierte Leute waren hier am Werk, die mit Gründlichkeit, Geduld & Fleiß vorgingen. So, wie sie bearbeitet wurde, sieht die Werbefläche des Düsseldorfer Senfkonzerns aus, als sei sie der Zensur des Volkes unterworfen worden, das sich den Anblick phallischer Bratwürste im aufgerissenen Kindermund nicht länger zumuten lässt. Wie bei jeder Zensur konstituiert das Verschonte, erratisch Stehengebliebene, z. B. "Das ...erlebnis" und "mittelscharf" im neuen Kontext einen neuen Sinn. Aber welchen? Nun, das mag jeder Passant, wie bei jedem offenen Kunstwerk, selbst entscheiden.


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  • Nach verrenoviertem Herbst und umgezogener Vorweihnachtszeit wollten wir wenigstens einen Kurztrip lang Abstand gewinnen und verbrachten die ersten paar Januartage noch mal im Allgäu - genauer, in Oberschwaben und zwar in einem Kloster, wo ich - mit 18 Schriftstellerkollegen aus 91 Kandidaten auserwählt, alle mussten schon mal etwas veröffentlicht haben - an einem Autorentreffen teilnahm. Kloster Irsee von obenDas Tagungskloster ("schwäbisches Bildungs- und Begegnungszentrum") liegt in Irsee, 7 km von Kaufbeuren entfernt, dem Geburtsort der ersten deutschen Romanautorin, Sophie von La Roche, des Lyrikers Hans Magnus Enzensberger (seine beiden Neuerscheinungen, ein "weißes Album" über Sprachmaterial, und ein Buch über seine gesammelten Flops, liegen gerade als Weihnachtsgabe eines guten Freundes vor mir im Regal und werden ab und zu beblättert) und des Gewerkschafters und Ministers Walter Riester. Diesem Städtchen hatten wir wir schon im Sommer einen Besuch abgestattet; nun ließen wir uns per Bus nach Irsee weitertransportieren und verbrachten drei schöne Tage mit Tai Chi Qui Gong bzw. insgesamt achtzehn gut 20-30minütigen Literaturdiskussionen.Klostergarten in Irsee Es ist natürlich längst keine Benediktinerklause mehr, sondern - nach einer hundertzwanzigjährigen Zwischennutzung 1849-1972 als Irrenanstalt, auch mit Euthanasie in der NS-Zeit und entsprechender Gedenkstätte - heute ein schickes Hotel mit Rokoko-Ambiente; wir wohnten in gewölbeähnlichen Riesen-Doppelzimmern, aber wenig gemütlich (die Heizung wummerte im Erdgeschoss). Das Haus kann aber mit gutem Catering, einer Sauna, einer Kirche in unmittelbarer Nachbarschaft und einem "Komödienhaus" auftrumpfen, dem ältesten dieser Art in Bayern, wo die Klosterbrüder wohl wie in Ottobeuren mit Schülern fromme lateinische Dramen aufführten.Barocke Kloster-Deko
    Bei unseren Werkstattgesprächen musste der jeweilige Autor, während die lieben Kollegen seinen Text zerfaserten (dieser durfte nicht länger als 15 min lang sein), den Mund halten und durfte nur ein Schlusswort sprechen - die meisten bedankten sich überschwänglich und ließen sich keine Verärgerung über kritische Kommentare oder Fehldeutungen anmerken. Ich las etwas ohne Handlung, Sinn und Struktur vor, was nun wirklich niemandem gefallen konnte und wofür ich sogar noch am letzten Tag merkwürdig heftig angegriffen wurde; ein Text, dem einer der beiden Moderatoren (die ihre Sache sehr gut machen) seine Standardbemerkung für solche Fälle widmete: "Dieser Text geht ein Risiko ein... fordert uns etwas ab... nimmt keine falsche Rücksicht auf den Leser" usw., usf. Natürlich war damit kein Blumentopf zu gewinnen, das wusste ich gleich. Die Punkte wurden durch die Teilnehmer anonym vergeben, nur den Sonderpreis bestimmt die einladende Jury. Den Hauptpreis erhielt ein erotisch aufgeladener Text in (weiblicher) Ichform, bisschen sadomasojelinesk, doch blond und appetitlich vorgetragen;Konzert im Kapitelsaal Nebenpreise erhielten der Autor - im Hauptberuf Informatiker - eines packenden Antikriegstextes mit Afghanistantrauma und ein Lyriker, der sich kaum oder gar nicht an den Diskussionen beteiligt und somit niemandem auf die Füße getreten hatte. Schließlich gab es noch den Sonderpreis für jemanden, der englische und alemannische Brocken in die gesellschaftskritische Litanei einstreute ("Verbundenheit mit dem schwäbisch-alemannischen Raum" wird bei Auswahl der Einsendungen berücksichtigt) und in den letzten Zeilen gar noch jodelte (wörtlich aus dem Manuskript: "holdjo-di-rü / holdjo-a-ho", und das dreimal). Die Verleihung der Jodeldiplome wurde daher zu einem auch musikalischen Erlebnis, zumal ein tapferes Schülerorchester im illuminierten sog. Kapitelsaal vor schwindendem Tageslicht aufspielte (das Wort "Winterpalais" ging mir durch den Kopf): Streicher, haut bois, Querflöte und Cembalo.
    Bei all diesen Aktivitäten haben wir natürlich nicht viel von der Umgebung gesehen. Am letzten Abend nahmen wir - als einzige, die meisten waren abgereist - ab 20.00 Uhr die Sauna in Anspruch, und weil man zum Luftschöpfen in den Klostergarten hinausgehen konnte, Ausmalung der KlosterkircheKanzelschiffkühlten wir uns statt im Swimmingpool, den es nicht gab und der wohl auch, gäbe es ihn, allenfalls blockartig gefrorenes Wasser bieten würde, vor Gebrauch der Schwalldusche mit rieselndem Schnee ab. Zweitens besichtigten wir in einer Mittagspause die Klosterkirche mit ihrer tollen, wie ein Schiff geformten Kanzel - sie wird im Zusammenhang mit dem Ortsnamen "Ir(r)see" interpretiert, über den das Schiff des Glaubens führen soll - und mit Malereien, die Szenen aus dem Leben des Ordensheiligen darstellen. - Und schließlich nahmen wir einen sehr frühen Zug zurück, damit wir beim Umsteigen in Augsburg ein paar Stunden für eine kleine Stadtbesichtigung einplanen konnten. Ich war einst als Liedermacher hier gewesen, hatte aber gar keine Zeit gefunden, mir Augsburg näher anzusehen; außerdem habe ich mal jemanden historisch und orthographisch beraten, der 1985 ein "Augsburg-Spiel" zur 2000-Jahr-Feier herausgegeben hat.
    Als wir allerdings den sicheren Bahnsteig verließen und auf den Bahnhofsvorplatz kamen, konnten wir nur noch ganz, ganz vorsichtig auftreten, denn Regen plus Gefriertemperatur hatten sämtliche Bürgersteige mit einer transparenten und glasharten Eisfläche überzogen! Wie gut, dass wir diese Reise nicht mit dem Bus oder gar dem eigenen PKW machten, denn abends erfuhren wir aus den Nachrichten von den querstehenden LKWs und schrecklichen Unfällen auf der A 8 bei Augsburg.Straße in Augsburg Wir bewegten uns entsprechend vorsichtig zum Königsplatz und zum Rathaus, wo wir den Goldenen Saal besichtigten, eine prächtige Party-Location aus der Spätrenaissance, deren Besuch schon 2 € Eintritt kostet, ohne dass man dafür auch nur mal die Toilette benutzen dürfte ("Wir haben einen Schlüssel, dürfen ihn aber laut Ratsbeschluss von voriger Woche nicht hergeben, weil es Vandalismus gegeben hat...").Goldene Kammer in Augsburg Dabei soll sich vor den WCs auch der Defibrillator befinden, rückt ihr den Schlüssel denn heraus, wenn einer den Herzklabaster kriegt und man schon durch das Lesen der Gebrauchsanweisung wertvolle Sekunden verliert? Aber die hier ansässigen Fugger und Patrizier, die sich gewiss manchen Festtrunk eingeschenkt haben, durften vermutlich zwischendurch auch mal austreten, schon, um desto feierlicher wieder hereinschreiten zu können. Sie ließen in diesem Saal vor allem ihre Regierung verherrlichen: von Weisheit und Mäßigung wollten sie sich leiten lassen, der Gerechtigkeit und dem Gottvertrauen huldigen, alles personifiziert durch allegorische Gestalten, die in den Malereien auf der Kastendecke dagestellt sind bona fide in der Goldenen Kammer(die leider etwas verwackelte "bona fide" scheint einen Vasen- und Tuchhandel zu betreiben, während die Mäßigung eher an eine Gastwirtsfrau erinnert). Säulenheiliger im RatssaalDanach stellt sich die gute Regierung von Augsburg als eine Art Rosenmontagszug dar. Auf dem Triumphwagen, den Kleriker in bunter Tracht ziehen müssen, residiert die Weisheit, von lauter gelehrten und mächtigen Männern umzingelt, sieht man von drei Damen ab. Wird sie als Beute abgeschleppt? allegorische Regierung von AugsburgÜbrigens werden in Augsburg sämtliche Pöstchen zweimal besetzt, nicht geschlechter-paritätisch, sondern jeweils durch evangelische und katholische Kandidaten (eine der Moderatorinnen bei dem Schriftstellertreffen war bis vor kurzem Kultur-Bürgermeisterin in Augsburg gewesen und hatte vielleicht auch einen andersbekennenden Sidekick). Wonach allerdings der Schalksnarr mit dem umgedrehten Nürnberger Trichter auf dem Kopf in den drei Beuteln unter der Gürtellinie sucht (Kleingeld für die zwei Klofrauen, je ev. und kath.?), weiß ich nicht.
    Der Augsburger Bertolt Brecht hat übrigens vor dem Drama Der kaukasische Kreidekreis bereits die Erzählung vom Augsburger Kreidekreis geschrieben und die entscheidende Gerichtsverhandlung hier im Goldenen Saal angesiedelt. Natürlich führte unser Rundgang auch zu Brecht, aber zuerst in die evangelische Barfüßerkirche, wo gerade eine Dreikönigsveranstaltung zu Ende ging und eine Dame kleine Lebkuchen in Form der (gotischen) Kirchensilhouette verteilte. Wir wurden ermuntert, ruhig mehr zu nehmen, sie hätte viel zu viel davon...Geburtshaus von Bert BrechtBrecht vor seinem Haus das diente dann später als Reiseproviant. Auch zum Gemeindekaffee wurden wir eingeladen, was wir aber mit Rücksicht auf das schmale Zeitbudget ausschlagen mussten. Es wäre bestimmt interessant gewesen, sich als Kölner einmal von Augsburger Protestanten die Konfession erklären zu lassen! Hier wurde der junge Knabe (damals noch mit h und d unterzeichnende) "Berthold" also konfimiert und hat wohl auch die Bibel so ernst genommen, dass er später seine Taschenpostille in einer Sonderausgabe auf Bibeldünndruckpapier, mit Versnumerierung im rot-schwarz-Druck veröffentlichte. - In seiner frühen Lyrik ist oft vom schwarzen Wasser die Rede, und tatsächlich ist der Lech-Kanal neben dem Geburtshaus von Bertolt Brecht ein Anblick, bei dem einem schwindlig werden kann: so schnell gleiten die Wellen dahin und so schwarz ist das Wasser. Kanal auf dem RainDas Haus war 1960 mit einer Gedenktafel versehen worden (immerhin zu einer Zeit, als das Inszenieren seiner Stücke oder ihre Thematisierung im Deutschunterricht im Westen noch verpönt bis verboten war); später wurde ein kleines Museum draus. Angeblich haben in dem winzigen Gebäude noch zwei weitere Familien gewohnt! 2006 hat die Stadt an vier brecht-bedeutsamen Orten rote lebensgroße Blechsilhouetten aufgestellt, auch hier. Es werden zwar nicht übermäßig viele Exponate gezeigt - vorwiegend Bücher - , aber dafür sehr originelle, so z. B. die neusachliche Vase aus dem Laden von Bona Fide Nachf., die der Jungdichter seiner Verlobten Paula "Bi" Banholzer verehrt hat (ihr Vater war gegen die Heirat; der gemeinsame Sohn kam unehelich zur Welt). Auch ein Ofen steht im Erdgeschoss, den Brecht in einem Exilgedicht unter dem Titel Zeit meines Reichtums geschildert hat, wegen des Bildmotivs: "Sieben Wochen meines Lebens war ich reich... Mächtige eiserne Öfen von zierlichster Gestalt trugen getriebene Bildnisse: arbeitende Bauern." Er hatte sich für die Tantiemen der Dreigroschenoper (viele, viele Groschen!) ein Landhaus kaufen können, das Brechts Geschenk an Bi Banholzernach seiner Flucht aus dem Hitlerreich im Frühjahr 1933 an Marianne Zoff fiel, Brechts erste Ehefrau und später die von Theo Lingen. Nachbesitzer dieses Hauses haben die Schmuckstücke dann wohl verkauft oder dem Museum angeboten. Die Öfen in dem Nebenraum zum Goldenen Saal des Rathauses (dem "kleinen Goldenen Saal") sind übrigens nicht aus Gußeisen, auch wenn sie so aussehen, sondern, wie es heißt, bemalte Keramik, vielleicht sogar deshalb teurer als popeliges Gußeisen?
    Nach unserer ausführlichen Besichtigung des Brechthauses schrieben wir noch ins Gästebuch und wandten uns sodann dem Dom Unserer Lieben Frau zu, der allerdings keine "Klappbänke" aufweist wie St. Anna, eine andere Augsburger Kirche, wo man auf der einen Seite dem katholischen, andersrum dem evangelischen Altar zugewandt sitzen kann. Im Dom gefiel mir besonders die Krippe, die sehr expressive Figuren zeigt, darunter einen Engel, der mit einer langen Kette vom Himmelsdach herunterhängt, sowie Ochs und Esel, die wohl aus Platzgründen nur mit dem Kopf aus einem Loch zugucken können, Domkrippe zu Augsburgwährend die Hirten hinter einem Gatter sackdudeln. Lange blieben wir nicht im Dom; aber mir ist noch die Heißluft in angenehmer Erinnerung, die durch die Lüftungsroste blies. Auch sehr schöne alte Kirchenfenster sind im Dom zu bewundern. Leider verpassten wir die Basilika St. Ulrich und Afra, die Märtyrerin Afra gilt seit alters her als Schutzheilige der gewerblichen Liebe, und auch den Dr. Luther berücksichtigten wir nicht genug und warfen nur im Vorbeigehen einen Blick auf das Haus, wo der Reformator gewohnt hat, als er 1518 durch den päpstlichen Gesandten Cajetan verhört werden sollte, seine Thesen nicht widerrief und fliehen musste (1530, als die Augsburger Confession geschrieben wurde, ließ er sich von Phillip Melanchthon vertreten). 
    Damit komme ich auf unser Literatentreffen zurück. Ich weiß nicht, ob Brecht je ein Gedicht ganz ohne Sinn, Ziel und Inhalt geschrieben hat oder das jemals wollte (das frühe Gedicht "Als ich im Finstern war, und das Licht kam nicht zu mir, schrie ich laut..." scheint mir am ehesten dem zu entsprechen). Ich kann nur sagen, dass es für mich ein merkwürdig triumphales Gefühl war, einen Text zu verfassen, der nichts erzählen, nichts bedeuten will (ein wenig wie die Abstrakten, deren Bilder nichts mehr zeigen wollen), in dem nicht einmal klar ist, wer spricht (und worüber; allerdings lässt das verwendete Sprachmaterial die Deutung zu, dass es sich um ein Coaching-Programm in der Arbeitsagentur oder im Sozialarbeitermilieu handeltOfen im Augsburger Brecht-Haus - deshalb wurde ich auch angegriffen, man mutmaßte, ich hätte was gegen Sozialarbeit, und der Anteil sozialarbeiterisch oder psychiatrisch oder bei der Betreuung von traumatisierten Soldaten tätigen Autoren war merkwürdig hoch). Ein Kriterium, ob ein Text gelungen ist, mag darin bestehen, ob man sich noch nach ein paar Tagen an ihn erinnert, und da fällt mir eine Zeile aus dem Zyklus des Lyriker-Nebenpreisträgers ein. Da geht es u. a. darum, dass das "lyrische Ich" morgens in ein Möbelhaus geht, um "frühzustücken", weil es dort billiger sei (im ersten Gedicht des Zyklusses mit dem Titel die liebe, der tod & und die mäuse heißt es "die Mäuse laufen immer vor mir weg"). Daran musste ich am Tag nach unserer Rückkehr denken, als wir durch mehrere Möbelhäuser der Umgebung von Köln streunten, auf der Suche Porta-Warnschildnach allem Möglichen, und erst abends fündig wurden - in Gestalt von Modulen eines projektierten Schreibtischs, für den wir eine Platte, aber keine Füße und keine Schubladenelemente besitzen. Um "frühzustücken" gehen alle möglichen Leute morgens ins Möbelhaus, und alle einschlägigen Möbelhäuser waren trotz des Werktags auch zur Mittagszeit noch brechend voll. In einer Bornheimer Porta-Filiale ist allerdings das Selbstbedienungsrestaurant unmittelbar neben den Kulissenküchen und den Wohnzimmereinrichtungen gelegen, und wer keinen Platz findet, wird logischerweise das Tablett ein paar Schritte weiter in den non-food-Bereich tragen und das ausgewählte Menü im vornehmen Mobiliar zu sich nehmen, in einem Ambiente, wo man "speisen" oder "tafeln" sagt, nicht bloß essen: "Zeit meines geborgten Reichtums", sozusagen. Leider ist auch die Geschäftsleitung schon auf diesen Trend ihrer Kundschaft aufmerksam geworden und versucht, mit entsprechenden Mahnhinweisen gegenzusteuern...


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  • Nach dem Motto: "Begrüß das neue Jahr, egal, wie es aussieht", haben wir uns trotz grauem Himmel & Nieselregen heute mittag auf den traditionellen Neujahrsspaziergang gemacht. Wenn nichts besseres anliegt, sind wir am Neujahr fast regelmäßig zum Rheinufer und zum Dom gegangen, um die Kirchen mit ihren originellen Krippen zu besehen, den Pegelstand des Rheins und die Umdekorierung der Schaufenster in der Hohen Straße zu prüfen und irgendwo einzukehren. Wenn der Schnee zu tauen beginnt, trägt er nicht mehr viel zur Verschönerung der Landschaft bei, und manches kommt zum Vorschein, was besser verborgen bliebe. Die Feuerwerksabfälle in meiner Straße halten sich in Grenzen (die Jugendlichen vom Stockwerk drüber, die ihre Mutter besuchten, haben brav gleich nach Abfeuern der Raketen alles in den gelben Mülleimer getragen), aber da in den letzten Wochen keine Flaschencontainer mehr geleert werden (für unseren eigenen Weinkonsum weiß ich einen, der wegen seltener Benutzung noch nicht überquillt), wird Altglas drumherum gestapelt. jaegermeisterAn der Markusstraße muss eine Gesellschaft von Jägermeister-Abonnenten wohnen, die das Zeug literweise in unterschiedlichen Flaschengrößen verkosten. Hat der Betreiber des dem Container benachbarten Weihnachtsbaumverkaufs seinen Kunden beim Verkaufsgespräch was ausgeschenkt?Schneematsch RaderthalguertelTauwetterpfuetze Oder haben sich die auf dem Zollstocker Südfriedhof mit der sogenannten "Schadwildbejagung" Beauftragten, die derzeit an Samstagen bis 9.30 die Totenruhe durch Schusswaffengebrauch stören, vor dem Anblick des Schadwilds Mut antrinken müssen? Gleichviel, die Schneemassen am Raderthalgürtel sind auch nicht mehr das, was sie mal waren, vermutlich siehts in den Polargegenden, wo probehalber nach Erdöl gebohrt wird, auch nicht besser aus. Und hat man das "Steinufer des Bürgersteigs" (Arno Schmidt) endlich erreicht, sollte man auch aufpassen, denn die Pfützen können ganz schön tückisch sein.
    Über solche muss man oft auch an Bushaltestellen springen. Zufällig kam grade die Linie 132 zum Dom, und wir stiegen am Heumarkt aus. Wer glaubt, nach Heiligabend seien die Weihnachtsmärkte allüberall weggeschmolzen,Straßenkehrer nach SylvesterMüllwagen nach Sylvester kennt nicht den Heumarkt, wo sich noch immer Glühwein-, Bratwurst- und Lebkuchenherzensbuden um Europas größte Kunsteisbahn gruppieren. Rentierschlitten auf dem DachAuch der Rentier-Schlitten des Santa Claus auf dem Dach ist vom Altjahr geblieben, ebenso wie ausgebrannte Raketenabschussbasen, Kartonböller und Plastiksprengstoffhülsen, Sektglas- und Flaschenscherben, die der kalte Krieg des Jahreswechsels hinterlässt. An der Rheinuferpromenade hatten die leuchtend-orange Uniformierten das Schlachtfeld schon weitgehend geräumt. Was da alles in dem Kehrichtwagen landet, will man gar nicht so genau wissen. Die Kölner wissen aber, was sie an ihren Kehrmännchen haben, weshalb sie jedes Jahr einen hölzernen Repräsentanten in der ansonsten ständig aktualisierten Weihnachtskrippe im Kölner Dom aufstellen. Während wir die neue Deko im Eingangsbereich des Doms betrachteten, bekam ein kleines Mädchen, das nach dem "bösen Mann" neben Maria fragte ("Der heißt Joseph und gehört zu der Frau, die in dieser Nacht ein Baby bekommen hat." - "Und wo ist das Baby?" - "Das Baby liegt in der Wiege da!"), die Weihnachtsgeschichte erklärt. Es hatte offenbar noch nie davon gehört. Ein paar Schäfer gibt es in der Domkrippe auch, aber nur auf der dritten Etage, auf einem mythischen Steilhang, der - da die Krippe ansonsten Kölner Verhältnisse abbildet - wahrscheinlich das Bergische Land darstellen soll. Kölner DomkrippeDie Heiligen Drei Könige sind nicht zu sehen, die kommen erst am 6. Januar ins Bild und sind als Reliquien sowieso schon im Dom anwesend. Heuer steht aber neben dem Straßenreiniger außer der "ahl Möhn" (Kölnerin im vorgeschrittenen Alter) und der blaugewandeten dunkelhäutigen Nonne ein Mensch mit leuchtend reflektierender Sicherheitsweste, und auf dem linken Flügel der Krippenlandschaft hält außerdem ein ein ebenso reflektoren-gestreifter Feuerwehrmann Wache. Für Sicherheit ist also gesorgt, selbst wenn die Halbstarken kommen, diese Skater mit ihren Rollbrettern, die in diesem Jahr auch an der Krippe stehen. Kölner Domkrippe, linksKölner Domkrippe, linksDer junge Knabe auf dem Bild in der Mitte bringt dem Jesuskind ein (auf dem Bild ganz links besser zu erkennendes) Skateboard als Opfergabe dar. Dieses Öpferchen ist bestimmt ganz im Sinne der Dombaumeisterin, die sich schon im letzten Januar, also 2010, darüber beklagt, dass - angeblich sogar nachts bis ein, zwei Uhr - die Skater über die Domplatte brettern (ermutigt von entsprechenden Einrichtungen, die man vor Jahren hier städtischerseits aufstellte, um die Jungs von der Straße zu holen). Sie wohnt direkt am Dom, wahrscheinlich, um bei Feuersnot eingreifen und die Security-Truppe von der Krippe herbeirufen zu können, und würde das Treiben der Skater-Brüder am liebsten verbieten bzw. weit ins Rechtsrheinische, nach Köln-Porz verbannen. Näher an der Krippe steht übrigens der Junge mit Geißbock-Button und dem typischen weiß-rot-gestreiften 1. FC Köln-Fanschal, und es sieht nicht danach aus, als wolle er ihn wärmend um das Jesuskind legen, er behält ihn für sich, typisch!
    Wir nahmen uns dann noch Zeit für einen kleinen Rundgang, unter anderem zum Fenster des Künstlers Gerhard Richter. Er malt sonst eher grau in grau, Schwarz-Weiß-Fotos mit Bildstörung, ein bisschen wie meine fotographischen Schneematsch-Studien, die ich oben eingestreut habe. Das Domfenster ist jedoch aus transparent-kunterbunten viereckigen Mosaiksteinchen gestaltet (nach geheimnisvollen aleatorischen Prinzipien angeordnet) und ein echtes Kunstwerk, das die Dombaumeisterin wiederum gut, der Kardinal Meisner aber geradezu skandalös fand ("passt eher in eine Moschee!"), also gar nicht fromm, anstelle mal vernünftige Heilige oder Märtyrer im Bilde darzustellen, nur so abstraktes Zeug?! - weshalb er sogar der Einweihung fernblieb. Dummerweise hat der Erzbischof in seiner eigenen Bischofskirche nicht viel zu kamellen, das macht alles das Domkapitel auch ohne sein Einverständnis.
    Da ich nun aber gar kein großer Dom-Fan bin, sind wir dann noch in eine der schönen romanischen Kirchen gegangen, für die Köln im Mittelalter, als weit und breit noch keine Kathedrale in Sicht (nur Bauruine), so berühmt wurde. Gerhard Richter: Fenster im Kölner DomPietà in St. KunibertUnd zwar in eine romanische Kirche, die praktisch leersteht, während sich alle Touris im Dom drängeln. Die Kirche des 1802 säkularisierten Kunibertsklosters liegt nämlich dann auch noch fernab der magischen Dreiecks Hauptbahnhof - Rhein - Altstadt, ein ganzes Stück hinter dem Bahnhof, wenn man die Johannisstraße entlanggeht - an dieser liegt das Weinrestaurant, wo Kornelia ihren vorletzten Geburtstag gefeiert hat. Früher, um 1900 und in den Jahren danach, war das Rheinufer praktisch unzugänglich, ein einziger Bahnhof zum Güterverladen, und integriert das Reichsbahngebäude. Ich vermute, der Eingang zur Innenstadt war damals gar nicht so sehr die Dom-Rückseite oder das Gelände an der Hohenzollernbrücke, sondern bei Sankt Kunibert (weshalb die Straße "Unter Krahnenbäumen" von Willy Ostermann und Chargesheimer verewigt wurde). Diese Kirche war noch zu meiner bewußten Lebzeit eine ausgebrannte (Bomben-)Ruine, ich habe sie nur schrecklich zerstört in Erinnerung, und wurde erst in den siebziger, achtziger Jahren des Vorjahrhunderts aufs Schönste restauriert. Reliquienköpfe in Sankt KunibertInzwischen ist auch eine Orgel dazugekommen, an der gerade heftig geprobt wurde, als wir kamen; die dunkelschönen Bassblubber takteten in der Tiefe, darüber jubelten die schmelzenden süßen Flöten der oberen Tonlagen ("gedackt") und der Klangfilm waberte zum Himmel des eindrucksvollen Kirchenschiffs empor, dessen Rundbögen mit bunten Randornamenten ausgemalt sind. Neben einer mittelalterlichen Pietà-Darstellung hat diese Kirche auch eine Sammlung von Reliquienköpfen buddhistisch grinsender Heiliger aus der Parler-Werkstatt aufzuweisen, die ich wegen der Glasvitrine leider nur ohne Blitz und daher unscharf aufgenommen habe. Die frommen Damen - mit einem etwas feminin wirkenden Bischof in der Mitte - waren aber wirklich entzückend und lächelten verheißungsvoll ins Neue Jahr hinein, so dass ich mir die Erinnerung unbedingt mitnehmen wollte.


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